Journal Donnerstag, 31. Mai 2018 – Dublin 1916 und ein Exkurs über die Dubliner/Iren
Freitag, 1. Juni 2018 um 12:23Auf Empfehlung einer promovierten Spezialistin für Kolonialgeschichte in Irland hatte wir uns zur Stadtführung “1916 Rebellion” angemeldet. (Und uns dafür wieder mit Sonnencreme vorbereitet – die Einheimischen betonen, dass es seit Jahren nicht mehr so lange am Stück schönes Wetter gehabt habe.)
Die Tour startete erst am späten Vormittag im Keller der International Bar, also frühstückten wir vorher und zwar im Oriental Café, Bewley’s, das uns beim Vorbeispazieren aufgefallen war: Ein richtiges Kaffeehaus, sehr altes Wien, sehr vornehm. Ich aß gutes Porridge und bekam zumindest anständigen Cappuccino.
Im besagten Keller der International Bar führte der Begründer dieser Walking Tour, Historiker Lorcan Collins, ins Thema ein: Irische Soldaten im Ersten Weltkrieg (49.000 Gefallene), geplante Unterstützung des Aufstands 1916 durch eine Waffenlieferung aus Deutschland, die schief lief. Schon hier wie auch im weiteren Verlauf immer wieder Reflexionen über die Romantisierung der Helden und Handlungen von damals, die eigentlich doch viele brutale und unmenschliche Seiten hatten. Positiv bemerkte ich die Thematisierung der Rolle von Frauen im Aufstand von 1916 (wobei mir bereits in der “Proclamation of the Irish Republic” das Gendern “every Irishman and Irishwoman” aufgefallen war).
Dann nahm er unsere Gruppe (Menschen aus Frankreich, Nordirland, USA, wir waren die einzigen Deutschen) raus auf die Straßen. Wir spazierten von Denkmal zu Denkmal für Helden des Aufstands erst nach Nordosten, wo uns Lorcan die Reste des alten Dockviertels zeigte (einerseits vergangene Zeiten betrauernd, andererseits mit Erzählungen von Hafenarbeitern, die vom Kohleverladen schwarze Luftröhren hatten – klingt nicht nach großem Verlust), dann über die Liffey und zum O’Connell Monument (seinen eigenen Ausführungen zufolge wandelt er den Rundgang der Walking Tour jedesmal ab), weiter nach Westen zum General Post Office, dem zentralen Schlachtfeld des Easter Rising. Hier erzählte Lorcan von den Kämpfen und abschließend von den Folgen der Niederlage.
Auf dem Weg zu General Post Office hatte Lorcan wohl gesehen, wie auf der gegenüberliegenden Straßenseite zwei junge dunkelhäutige Männer angepöbelt wurden, denn er unterbrach seinen Redefluss, um darauf hinzuweisen, sich zu versichern, dass nichts passierte. Als die beiden Burschen anschließend an uns vorbei gingen, sprach er sie an (“Are you ok?”) und erkundigte sich nach dem Vorfall: Ach, das sei nur ein Betrunkener gewesen, außerdem kümmere sich bereits die Polizei um den.
Was mich zu einem Exkurs über die Einheimischen bringt – ob nun seit Generationen oder seit drei Jahren einheimisch: Ich erlebe sie als unglaublich freundlich und zugewandt. Dass die Dubliner nett seien, steht in jedem Reiseführer über die Stadt, auch dass man nur ein wenig rumstehen müsse und schon angesprochen werde. Das stimmt auf eine für mich unerwartete Weise: Über die Jahre habe ich mir in UK Smalltalk-Teilnahme antrainiert und kann inzwischen problemlos minutenlang über unverfängliche Themen Belangsloses sagen, habe dadurch mit dem Gegenüber angenehmen Umgang, ohne persönlich zu werden. Doch die Iren und Irinnen meinen immer wirklich mich: Wenn jemand in Geschäften oder B&Bs ein Gespräch mit einer Frage eröffnet, interessiert er oder sie sich wirklich für mich und will nicht einfach nur die Luft menschlich zum Klingen bringen. Und so erfuhr ich vom Wochenendvergnügen des Kellners, von der Befangenheit der B&B-Wirtin im Umgang mit Gästen aus Japan, dass die Köchin niemals eine Soße aus dem Packerl servieren würde, dass die mexikanische Partnerin des Sommeliers Hitze hasst – und erzählte im Gegenzug Details von mir, die nie eine britische Alltagsbekanntschaft gehört hätte.
Beispiel: Gestern fotografierte ich einen Backsteinbau im Abendlicht, worauf ein eigentlich zielgerichtet passierender Herr anhielt und fragte, was ich da fotografierte – um mir erfreut kurz die Geschichte dieses ältesten als solchem erbauten Einkaufszentrums Europas zu erzählen. Dann erkundigte er sich noch nach meinem Woher und verabschiedete sich mit besten Wünschen. Herzerfrischend.
Für den Abend hatten wir einen Tisch im Bloom gebucht. Es hatte uns beim ersten Zufallsbesuch sehr gut gefallen (ich finde sonst nie zufällig gute Lokale), also ließen wir uns das “Chefs Suprise Menu” kochen. Es wurde als sharing menu serviert, also jeder Gang als Zweierportion in die Mitte gestellt. Wir aßen (zur Bewunderung des Kellners jeweils komplett – nu, wenn wir was können, dann essen):
– Nordirischen Schafskäse mit karamelisierten Pfirsichen und Pekannüssen auf Blattsalaten
– Marinierte und langsam gebratene Garnelen
– Pulled Duck mit Sesam und Karotten auf Blattsalaten
– Kabeljau-ähnliches (ich habe mir den Namen leider nicht gemerkt), kross gebratenes Fischfilet auf Kartoffelpüree mit Chorizo (der Ire mag Chorizo), mit Blumenkohlpüree und Kapern
– Filet vom irischen Rind, dazu Speck aus dem Elsass, Blumenkohl- und Karottenpüree
– Maracuja-Panna cotta
Dazu Weinbegleitung, aus der mir am besten der neuseeländische Pinot Noir zu Ente und der australische Süßwein zum Dessert gefielen.
Auf dem Spaziergang zurück zur Fernienwohnung verliefen wir uns ein bisschen, was aber in dieser herrlichen milden Sommernacht gar nichts machte.
Typo-Liebe:
Spaziergang zum Bloom:
die Kaltmamsell4 Kommentare zu „Journal Donnerstag, 31. Mai 2018 – Dublin 1916 und ein Exkurs über die Dubliner/Iren“
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1. Juni 2018 um 21:25
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2. Juni 2018 um 4:42
Mein irisches Herz pocht.
2. Juni 2018 um 7:27
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Gerne gelesen
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2. Juni 2018 um 18:14
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Alle Irland-Teile gerne gelesen.
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