Journal Samstag, 2. Juni 2018 – Dublin-München / Was gutes Essen mit Gesellschaftsschicht zu tun hat

Sonntag, 3. Juni 2018 um 8:58

Die Rückreise von Dublin nach München verlief problemlos: Um 6 Uhr Aufstehen zu einem sommerlichen Tag, Rollkoffern zur Flughafenbus-Haltestelle, Kofferabgabe am Flughafen (wo ich lediglich kurz stutzte, weil die Angestellte behauptete, ich dürfe meinen Laptop nicht im Koffer aufgeben – Rückfrage bei ihrem Kollegen korrigierte das), Besichtigung des gastronomischen Angebots im Flughafen, Abflug mit unwesentlicher Verspätung.

Am Münchner Flughafen verlor ich im Terminal 2 völlig die Orientierung, als wir in einer internen Bahn zur Kofferausgabe gefahren wurden – irgendeine große Erweiterung war bislang an mir vorbei gegangen. Auch in München sonniges Wetter, zum Glück aber keine Hitze.

Daheim Telefonat mit meiner Mutter, die während unserer Abwesenheit Wohnung gehütet und die Balkonvögel versorgt hatte: Sie berichtete begeistert von Besuchen im Bayerischen Nationalmuseum, in der Faust-Ausstellung der Hypo-Kunsthalle und der Sonderausstellung im Stadtmuseum “‘Ehem. jüdischer Besitz’ – Erwerbungen des Münchner Stadtmuseums im Nationalsozialismus”.

Herr Kaltmamsell zog los, um das Nötigste für den Abend einzukaufen, während ich Koffer auspackte. Abends servierte er Pink Gin&Tonic mit Erdbeeren sowie Spaghetti aglio e olio mit Salat.

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Warum die Diskussion um gutes Essen so belastet sein kann: Weil sie mit Klassensystem zu tun hat. Hier die Perspektive einer britischen Restaurantkritikerin:
“Grace Dent: ‘The processed food debate is delicious, MSG-sprinkled class war'”.

(Leider rutscht Grace Dent in den letzten Absätzen auf die modische und essgestörte Schiene “clean eating” / alles ausrichten auf den Erhalt eines dünnen Körpers.)

Bei uns in Deutschland halte ich die Situation für komplexer. Ja, tendenziell sind es Familien mit geringem Einkommen und niedrigem Bildungsstand, in denen weniger selbst gekocht wird – unter anderem weil die Eltern oder die alleinerziehenden Mütter zu viel Zeit in Geldverdienen und Familienmanagament investieren müssen, um Energie für Selbstkochen zu haben.

Dann aber denke ich an die Einwandererfamilien erster Generation, in denen Essenszubereitung eine große Rolle spielt und die auch aus vernünftigen Geldgründen auf Fertigmahlzeiten verzichten. Und in Flüchlingsunterkünften ist gerade der Mangel an frischen Zutaten zum Kochen eine Quelle des Unmuts.

Selbst erinnere ich mich nur zu gut an die Sensation der Eröffnung eines McDonald’s in meiner Geburtsstadt Ingolstadt im Jahr 1978, ich war fast 11: Wohnblock-Nachbarskind Iris und ich fieberten darauf hin, sparten unser Taschengeld zusammen (denn unser beider Mütter waren wütend und energisch gegen diese Neuheit eingestellt, meine Mutter konnte ausführliche Tiraden über den Untergang der Zivilisation durch diese Amerikanisierung halten – sie weigerten sich natürlich, uns dafür Geld zu geben). Ich bin ziemlich sicher, dass ich den Hamburger gleich übersprungen habe und bei diesem ersten Besuch den viel sensationelleren Bic Mac wählte – für Pommes frites reichte das Geld dann nicht mehr. Aber diese Lukullität mit zwei (!) Belegschichten war danach noch Jahre ein seltenes Fest für mich. Schon mit 20 und damit bald nach dem Auszug von daheim (nach dem ich erst mal alle Fertigpuddings und sonstige Becherware aus dem Kühlregal nachgeholt hatte) begleitete ich meinen damaligen Freund zwar zu seinen Mahlzeiten bei MacDonalds, doch das einzige, was mir dort noch Freude bereitete, waren die Milchshakes (seltener die Apfeltasche). Alles andere schmeckte doch nach nichts!

Zudem: Zwar hatte auch ich das von Grace Dent belächelte Erlebnis auf dem (schraddligen, vermüllten und dezidiert unmalerischen) italienischen Bauernhof mit der besten Pizza meines Lebens. Doch der größte Genuss für die Gymnasiastin Kaltmamsell war die mittägliche Schokokuss-Semmel vom Bäcker Sengl in der Harderstraße.

die Kaltmamsell

5 Kommentare zu „Journal Samstag, 2. Juni 2018 – Dublin-München / Was gutes Essen mit Gesellschaftsschicht zu tun hat“

  1. Frau Klugscheisser meint:

    Das Laptop darf normalerweise wegen Lithium-Ionen-Akku nicht im Koffer sein, außer es ist komplett abgeschaltet und gesichert gegen zufälliges Einschalten. Läuft unter Gefahrgut. Ich war jetzt auch kurz im Zweifel.

  2. berit meint:

    Zu der Ernährungsdebatte: Ist Bequemlichkeit nicht höchst natürlich? Jedes Lebewesen ist doch darauf aus, so wenig wie möglich Energie zu verschwenden um für den Notfall noch genug Reserven zu haben. Und wieso soll man dann kochen wenn man nicht muss oder/und es nicht gern macht?

    Wenn man trotzdem Energie hinein investiert, setzt das doch eine ganze Kette an Aktivitäten voraus, angefangen bei der Planung (was gibt es überhaupt? Was hab ich dann evtl an Restern? Kann ich das eingekaufte zeitnah verarbeiten), weiter bei dem Einkaufen (Wo? Welche Marke? Bio? Hm Himbeeren gibt’s nur im 1kg TK Beutel, aber ich hab doch nur ein kleines Fach im Kühlschrank integriert) weiter bei der Zubereitung (Kochen ist vor allem Übungsfrage und das setzt eben voraus das man es erstmal macht bzw sich wieder Ressourcen verschafft um es zu lernen) und dem Nachgang (Abwaschen, Reste evtl einfrieren)

    Dahingehen Fertigessen: In den Supermarkt, aus dem Tiefkühler nehmen, in die Mikrowelle, Pappreste in den Müll, fertig.

    Ich muss auch noch ergänzen, dass es heute wesentlich hochwertigere Fertigessen gibt als noch vor 10-15 Jahren. Wenn ich zB die Fertiggerichte von Frosta anschaue macht es für mich keinen Unterschied ob ich mich selbst hinstelle und alles frisch schnippele oder den Beutel nehme.

    Nunja, wie Sie schon schrieben, es ist sehr komplex :)

  3. rheinleuchten meint:

    1978 besuchte ich die GMR ganz in der Nähe vom McDonalds. Zur Eröffnung gab es einen Big Mac kostenlos wenn man die Rezeptur (zweiLagenRindfleischmitSalatKäse…) in einem zeitlich vorgegebenen Rahmen (10 Sekunden?) fehlerlos herunterrattern konnte. Meine Mitschülerin war darin so gut, dass sie sich während dieser Zeit ausschließlich von MD ernährte. Für mein aufmerksamkeitscheuendes Wesen war das so beeindruckend, dass ich es 40 Jahre später noch nicht vergessen habe.

  4. Claudia meint:

    Das Terminal 2 des Münchner Flughafens hat seit einiger Zeit ein sogenanntes Satelliten-Terminal (Gates K+L glaube ich), von dem aus man mit dieser kleinen Bahn zur Gepäckausgabe gefahren wird.
    Wahrscheinlich schonmal in der Voraussicht gebaut, das man die dritte Startbahn doch bestimmt auch noch irgendwie durchkriegt….

  5. Stephan meint:

    Mein angeheirateter Onkel hat irgendwann das (finanziell) große Los gezogen und ist Notar in Hamburg geworden. Lizenz zum Gelddrucken.

    Zur Konfirmation meiner Cousine traf sich dann die Verwandschaft zum letzten Mal, bevor dann alle, die noch für Rest-Zusammenhalt gesorgt hatten, einer nach dem anderen wegstarben.

    Bei der Gelegenheit wurde der Neubau („Die Handwerker um 500.000 Euro runtergehandelt!”) in Blankenese („Mit Elbblick!!“) vorgeführt. Unter anderem gab es einen extrabreiten Backoffen, der von Familie Neureich stolz vorgeführt wurde: „Da passen sogar zwei Tiefkühlpizzen nebeneinander rein.”

    Daher völlig d’accord: Gutes Essen hat nur bedingt mit Reichtum zu tun.

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