Journal Sonntag, 19. August 2018 – Das angebliche Unsichtbarwerden alternder Frauen / Sugo eingekocht
Montag, 20. August 2018Im aktuellen SZ-Magazin der gefühlt (und genau in diesem Bereich befinden wir uns ja: gefühlte Wahrheit) achtausendunddritte Artikel darüber, wie eine Frau wahrnimmt, durchs Altern unsichtbar zu werden (€):
“Von der Bildfläche verschwunden”.
Und ich kann das immer noch nicht bestätigen, mit 51 Jahren, mit meinen Falten, meinen grauen Haaren und meiner Matronenfigur keinen Tag jünger aussehend. Nun weiß ich, dass ich sehr vorsichtig mit diesem Reflex sein muss: Nur weil ich bestimmte Erlebnisse von Menschen aus meiner Bevölkerungsgruppe nicht kenne, heißt das noch lange nicht, dass etwas mit deren Wahrnehmung nicht stimmt. Denn möglicherweise bin ich die eine rare Ausnahme, möglicherweise habe ich einfach Glück.
Doch dann lese ich bei Autorin Susanne Schneider eine Passage, die ich auch aus allen anderen Artikleln mit diesem Tenor kenne:
Ich war, das darf ich wohl so sagen, früher sehr hübsch.
(…)
Ich mag Mitte vierzig gewesen sein, als ich in der S-Bahn saß und dachte: Irgendwas ist anders als früher. Es dauerte, bis ich dieses wabernde Gefühl bennenen konnte. Dann wusste ich es. Männer schauen mich nicht mehr an. Ich hatte ihre Attraktivitätszone verlassen.
In dieser Zone befand ich mich nie.
Da wir uns hier im reinen Feuilletonisieren ohne Evidenz befinden, behaupte ich hiermit einfach mal: Es sind die hübschen, gesellschaftlich akzeptiert attraktiven Frauen, die sich mit dem Altern unsichtbar werden fühlen – nicht etwa alle Frauen. Munter erkläre ich mir das herbei: Hübsche Frauen haben gelernt, auf ihrem Attraktivitätsticket durchs Leben zu kommen – und das funktioniert jetzt nicht mehr. Wir anderen Frauen, die dieses Ticket nie besaßen, bewegen uns mit Methoden und Techniken in der Gesellschaft, die nicht durch Falten und graue Haare unwirksam werden. Und so lachte am Freitag der zuvor mufflige Fischverkäufer beim Herüberreichen meiner Doraden doch noch zurück und wünschte ein schönes Wochenende. So lud mich die Barista am Tag vor ihrem Jahresurlaub auf den eben bestellten Capuccino ein. So habe ich bis heute keine Schwierigkeiten, von Kellnern und Kellnerinnen bemerkt zu werden.
Dennoch ist es natürlich unfair, dass hübsche Frauen nach ihrem Marktwert behandelt werden. Ich stoße mich aber daran, dass sie glauben, für alle Frauen zu sprechen. Im Abbinder erwähnt Susanne Schneider ein Abiturtreffen. Meine Idee: Sie könnte beim nächsten gezielt die ehemaligen besonders unhübschen Mitschülerinnen fragen, ob sie das mit dem Unsichtbarwerden so empfinden wie sie.
(Nachtrag: Der vorhergehende Absatz war missverständlich formuliert, ich habe “Meine Idee:” ergänzt.)
§
Auch gestern traute ich mich wegen meiner Nerven drückenden Bandscheiben nicht, Schwimmen oder Laufen zu gehen. Ich lebte meinen Bewegungsdrang statt dessen gelenkschonend auf dem Crosstrainer aus – fühlte mich aber auch auf diesem ungewohnt unfit und schloss das Strampeln mit hochrotem Kopf.
Während meiner Trainigseinheit war die Waschmaschine gelaufen. Als ich im Wohnzimmer die Wäsche aufhängen wollte, entdeckte ich ein Rotkehlchen, das durch die offene Balkontür hereingeflogen war. Ich rief Herrn Kaltmamsell, und ganz vorsichtig schlossen wir die Zimmertür, öffneten alle Fenster, näherten uns langsam und gezielt dem Vögelchen. Nach wenigen Versuchen bewegten wir es zum Rausfliegen. Es hatte auch nur ein bisschen vor Angst aufs Fensterbrett geschissen.
Nach einem schnellen Mittagessen nahm ich mit Herrn Kaltmamsell eine U-Bahn nach Obergiesing:
Wir vom Kartoffelkombinat kochten in einer Schulkantinenküche wieder Sugo ein. Sie erinnern sich vielleicht: Um zum einen die Ernteflut im Hochsommer zu verarbeiten, zum anderen für die dunklen, Frischgemüse-armen Wintermonate vorzusorgen, kochen wir nun schon im fünften Jahr an einigen Wochenenden gemeinschaftlich Tomatensugo – pur, mit Kräutern oder mit anderem Gemüse drin. Vergangenes Jahr hatte ich ja erstmals beim Kochen selbst und beim Abfüllen mitgeholfen, dieses Jahr gesellte ich mich lieber wieder zu den Schnipplerinnen. Und so zerteilte ich dreieinhalb Stunden lang Tomaten und zupfte anderthalb Stunden lang Oregano- und Thymianblättchen. Ich lernte wieder äußerst sympathische und interessante Kombinatlerinnen kennen und freute mich an der Kibbuz-Atmosphäre (nicht dass ich jemals in einem Kibbuz gewesen wäre).
Als die Abendschicht eintraf, bat die Organisatorin der Einkochaktion Herrn Kaltmamsell (der diesmal für Beschaffen, Sterilisieren und Anreichen der Schraubgläser zuständig war), die Neuen einzuweisen und herumzuführen. Und bekam den Mund vor Verblüffung nicht mehr zu, als sich der stille, unauffällige Mann, der mit der Farbe der Wand hinter ihm verschmolzen war, von einem Moment auf den anderen in den greatest showman verwandelte und mit ausladenden Gesten sowie tragender Stimme den Trupp durch die einzelnen Stationen führte – er hatte halt auf Lehrer-Ich umgeschaltet.
Danach spazierte ich mit Herrn Kaltmamsell nach Thalkirchen und zum Flaucher-Biergarten. Es war überraschend heiß geworden.
(Aus der Reihe Versehensbilder meiner Füße.)
Einen Wurstsalat, ein halbes Hendl, eine Riesenbreze und zwei Radlermass später spazierten wir in der Abenddämmerung nach Hause.
§
Herr Buddenbohm beobachtet Menschen beim Herumlungern.
“27, 52”.
Auch ich freue mich immer, wenn ich Herumlungern beobachte, allerdings ausschließlich in Wohnblockgegenden, also bei Besuchen bei den Schwiegers. Ganz besonders freue ich mich, wenn ein Mofa Teil der herumlungernden Gruppe ist, dann sieht es wirklich ganz so aus wie in meiner Jugend. Nur dass ich selbst nie Teil einer Herumlungergruppe war, die bestanden in der Wohnblockgegend meiner Kindheit und Jugend aus Menschen, mit denen ich nicht nur nichts zu tun hatte, sondern die ich aktiv mied (u.a. weil da schon mal ein Messer aufblitzte). Statt dessen war ich bei den Pfadfinderinnen, im Jugendchor, bei Spielenachmittagen, ratschte strickend und Tee trinkend viele Stunden mit Freundinnen durch. Meine Abgründe musste ich ganz allein graben.
§
Hintergründe zum US-amerikanischen Wahlsystem:
“Zehn Gründe, warum die US-Demokratie in größter Gefahr ist”.