Journal Donnerstag, 6. September 2018 – Soviel Spätsommergenuss wie möglich

Freitag, 7. September 2018 um 6:35

Der frühe Wecker riss mich aus tiefem Schlaf, ermöglichte mir aber ein Stündchen Krafttraining vor der Arbeit. Den resultierenden Muskelkater spürte ich bereits am Abend heraufziehen.

Arbeitsweg in frischer Sonne, ins Büro wehten durchs offene Fenster Herbstlaubgerüche.

Der Heimweg in warmer Sonne war wundervoll. Ich machte wieder einen Umweg, um durch den Bavariapark zu gehen, in dem ich schlendernd das Spiel des goldenen Abendlichts durch die Blätter genoss, die leichte Brise im Gesicht. Den Genuss verlängerte ich daheim auf dem Balkon.

Nachtmahl waren Salat und Tomaten aus Ernteanteil, den ich zubereitete; Herr Kaltmamsell briet regulären Tofu dazu, der an Sensation allerdings nicht an den Seidentofu vom Vortag heranreichte.

§

Zur Frage 243., wessen Tod mich am meisten berührt habe. Mich berührt gerade das Sterben von jemandem, den ich nie getroffen habe, von dessen Sterben ich aber schon lange weiß. Mich berührt der Schmerz, den dieses lange Verlieren für seine Gefährtin bedeuten muss. Mich macht tieftraurig, welch unfassbares Leid zu diesem Sterben geführt hat. Vergangenheit lässt verzweifelnderweise nicht ändern. Manchmal tötet sie.

Dann erreichte mich im abends Bett die Nachricht eines weiteren lang erwarteten Sterbens, auch dieses weit vor der Zeit, das so ganz anders geschieht. Aus dritter Reihe lerne ich, dass Sterben so verschieden ist, wie Menschen verschieden sind. Und ahne, dass der Schmerz der liebenden Umgebung sich dennoch ähnelt. Anders ist es wohl bei einem plötzlichen, überraschenden Tod – der in unserer Gesellschaft die Standardantwort auf die Frage nach dem eigenen Wunschtod ist: Der fügt ein Element der Brutalität und der Gewalt zum Schmerz der Hinterbliebenen (seltsames Wort) hinzu. Kein Abschied, keine Begleitung, keine Gemeinschaft, kein Zurückblicken, keine Liebe. Zurück bleibt ein Trümmerhaufen an Verpasstem. Wer sich einen plötzlichen Tod wünscht, sollte über diesen Wunsch vielleicht nochmal nachdenken.

die Kaltmamsell

7 Kommentare zu „Journal Donnerstag, 6. September 2018 – Soviel Spätsommergenuss wie möglich“

  1. Trulla meint:

    Nachdenken über den Tod ist natürlich immer gut, sprechen darüber mit den Personen, die vom eigenen Tod betroffen sein werden, wichtig. Ein Thema, das uns alle früher oder später einholen wird, sollte nicht mit Tabus behaftet sein. Dazu gehört auch gewisse Vorsorge wie Patientenverfügung, Vollmachten, ganz aktuell die Frage nach der Organspende, die Art der Beisetzung. Wenn man sich schon im Interesse der Hinterbliebenen Gedanken macht, ob man den plötzlichen, überraschenden Tod weiterhin für wünschenswert halten darf (ich tue das), könnte man aus gleicher Rücksichtnahme zumindest Streit vermeiden über organisatorische Abläufe (das kommt leider, ebenso wie Erbauseinandersetzungen) häufig vor. Der Schmerz des Verlustes allein kostet Kraft genug.

    Sterben an sich ist immer individuell, wer damit konfrontiert wurde, nimmt für sein eigenes weiteres Leben, so denke ich aus eigener Erfahrung, wertvolle Erkenntnisse mit.

  2. Defne meint:

    Ich gehöre auch zu denen, die sich den plötzlichen, überraschenden Tod wünschen. Die Statistik sagt dass mein Wunsch wahrscheinlich nicht erfüllt wird falls ich nicht selbst eingreife. Meinem Leben selbst ein Ende zu setzen (falls ich keine Riesensauerei hinterlassen will) könnte durchaus schwierig werden oder ich muß in die Schweiz reisen.
    Die Gemeinschaft, das Zurückblicken, die Liebe kann ich doch auch schon zu gesunden Lebzeiten praktizieren. “Das Abschiednehmen” von Menschen, von Dingen, von Fähigkeiten und Möglichkeiten ist für mich ein lebenslanger Prozess.

  3. Joel meint:

    Ich wusste sofort von wem sie sprechen, im vorletzten Abschnitt und es hat mich auch sehr berührt, als ich gestern darüber las.

    Letzterer beschriebener plötzlicher Tod habe ich am eigenen Leib erfahren und fühlt sich an als ob man ungewollt ein Körperteil amputiert bekommen hat. Es zerbricht etwas, das nie wieder gut zu machen ist.
    Die daraus resultierende Schlussfolgerung von Ihnen, dass man sich den plötzlichen Tod nicht wünschen soll, der Nachwelt zu liebe, kann ich nur zum Teil zustimmen. Es hängt vom Alter ab.
    Wenn dieser Wunsch nach einem langen erfüllten Leben stattfindet und man nicht krankheitshalber, langsam und elendig… nein.

  4. Elisabeth meint:

    Herrn Joel schließe ich mich in seinem ersten Satz an. Erstaunlich, aber sehr berührend, dass so viele Menschen in Gedanken bei jemandem sind, den sie gar nicht kennen.

    Meine eigenen direkten Erfahrungen mit dem Gevatter Tod waren alle durch Krankheit weitgehend vorhersehbar. Das Herzweh war trotzdem unterschiedlich schlimm, dennoch würde ich Frau Kaltmamsells Beobachtung zustimmen: begleiten, den Tod annehmen empfinde ich als ganz wesentliche Bestandteile eines erfüllten Lebens und besser aufzuarbeiten als den urplötzlichen Verlust. Diese Begleitung ist aber auch möglich, wenn man sich in die Schweiz begeben möchte; den Gedanken, sich selbstbestimmt von der Welt zu verabschieden halte ich überhaupt nicht für unmoralisch.

    Für den oben genannten Menschen freue ich mich jedenfalls, dass er eine so liebevolle Begleitung gefunden hat.

  5. Croco meint:

    Mir geht es auch so. Bin so traurig darüber, dass dieses Leben zu Ende geht. Die Umstände sind so fatal. Wir wissen davon und denken an beide.
    Früher dachte ich auch, dass ein plötzlicher Tod erstrebenswert sei.Nun, das ist er nicht, ich habe es lernen müssen. Es ist so wie Du sagst: für all die lieben Menschen um einen rum ist es schrecklich, sich nicht verabschieden zu können. Eigentlich ist es eine Frechheit vom Tod, so schnell zuzuschlagen.

  6. Ladyjane meint:

    Ob unerwartet oder nach langem Abschiednehmen, so meine Erfahrung, immer kann so vieles gelungen sein, immer kann man so vieles verpassen, es kann verheerend sein und es kann in Frieden geschehen, oder auch ein bisschen von allem. Ich spreche als, sagen wir, mittelalte Witwe, deren Mann vor eineinhalb Jahren nach fünf Jahren Kranksein gestorben ist. Ich hatte mich schon einmal zu Wort gemeldet, als Sie den Artikel zur Palliativmedizin verlinkt hatten. Was mir wichtig wäre: Lasst es uns nicht oder nicht nur! zu einer Frage der Machbarkeit, der Optimierbarkeit und der (zeitlichen) Umstände machen. ob loslass- und lebensbegabt oder nicht so, ob schnell oder langsam, ob geliebt oder einsam, irgendwie ist das Sterben und der Tod auch einfach nur schrecklich und erschreckend. Auch ich wünsche den beiden Menschen, von denen hier die Rede war und die ich beide nicht persönlich kenne, dass sie Frieden und Geborgenheit erfahren, so viel als möglich. Und Ihnen, liebe Frau Kaltmamsell, ganz herzlichen Dank, dass Sie dieses Thema immer wieder ansprechen.

  7. Eva meint:

    Auch ich habe gelesenen, was diese Reflexion angestossen haben mag. Für mich (ungefäht Ihr Jahrgang, Frau Kaltmamsell) wollte ich immer schon eine gewisse Zeit bewussten Abschiednehmens, und kenne darauf aus meiner Umgebung überwiegend Unverständnis als Reaktion. Ihre Darstellung lenkt den Blick novh etwas weiter, auf die, die zurückbleiben.
    Eine meiner Lieblingsdichterinnen, Mascha Kaleko, drückte es so aus:
    Den eignen Tod, den stirbt man nur
    Mit dem der Andren muss man leben

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