Journal Samstag, 1. September 2018 – Berlin: Neues Museum und Wannsee

Sonntag, 2. September 2018 um 8:52

Am Nachmittag sollte Familie stattfinden, Herr Kaltmamsell musste ein Berlinnützen für den Vormittag aussuchen. Er entschied sich für das Neue Museum, das er noch nicht kannte. Dorthin spazierten wir in warmer Sonne um die Mittagszeit.

Herr Kaltmamsell spielt jetzt mit dem Gedanken, ein “Alpenzille” in München zu eröffnen.

Bei diesem zweiten Besuch war ich erneut von diesem Museum irritiert: Es hat kein Narrativ. Auch diesmal war ich verdutzt, wenn im selben Raum auf die Vitrinen mit Ausgrabungsfunden aus Berlin (Thema: In Berlin findet man beim Graben interessante alte Sachen) ein Bereich zum Neandertaler folgte – völlig unverbunden, einfach, weil’s halt auch was Altes ist, das irgendjemand mal gesammelt hat. Das größte Kuriositätenkabinett der Welt?

In vielen Räumen erzählten die Informationstafeln fast ausschließlich über die Herren, die die Exponate gesammelt hatten, über ihr Leben und wo sie was unter welchen Umständen erworben und welchem Museum zugedacht hatten. (Dazu passt auch das auffallende Zeigefingergefuchtel auf den Infotafeln, wenn damalige Museumsexponate nach dem Krieg von den sowjetischen Besatzern mitgenommen und bislang nicht zurückgegeben wurden – ich wäre in der heutigen Diskussion um Restitution bei Ausgrabungsfunden aus fernen Ländern und Kulturen ein wenig vorsichtiger mit dem Gefuchtel.) Das ist für Provenienzforscherinnen sicher großartig, doch für gewöhnliche Museumsbesucherinnen eher ein Randinteresse. Am geschlossensten erschien mir die ägyptische Sammlung, hier war noch am ehesten ein roter Faden zu erkennen. Großartig aber wieder das Gebäude und seine auffallende Renovierung.

Recht eingeschränkt war das Museumsvergnügen durch Schmerzen: Herr Kaltmamsell bemühte sich um eine Körperhaltung, die seine Schulterschmerzen linderte, mein rechtes Bein war ein schmerzhafter Komplettausfall und ließ sich fast nicht heben.

Nach einem Getränk in einem Straßencafé nahmen wir den Zug hinaus nach Wannsee: Dort traf sich die Enkelgeneration der Familie (zwischen 40 und Mitte 50), eine Tante hatte in ihre Wohnung geladen, andere Tante/Onkel waren ebenfalls gekommen.

Aussicht vom Balkon.

Kaffeeundkuchen, später deutsches Abendbrot, dazu Erzählungen über das Jetzt und abwesende Verwandte, Erinnerungen an Erlebnisse aus vergangenem Familienleben, Auffrischen von Geschichten, Aufspüren genauer Verwandtschaftsverhältnisse und Vorfahren (mein Herr Schwieger hat einige Jahre dazu ausführlich geforscht).

In hereinbrechender Nacht spazierten wir in einer kleinen Gruppe zum Bahnhof Wannsee und fuhren zurück, ich hörte Geschichten über das Nachtleben im Berlin der frühen 80er.

die Kaltmamsell

3 Kommentare zu „Journal Samstag, 1. September 2018 – Berlin: Neues Museum und Wannsee“

  1. iv meint:

    Meine These zum Neuen Museum: Es ist eigentlich kein Museum mehr, sondern ein (Nach-)Kriegsdenkmal. Als solches funktioniert es hinsichtlich der Architektur m.E. sehr gut, und auch die Provenienz-Hinweise passen dazu – was die Gewichtung betrifft, gebe ich Dir aber Recht: Laut wird der Schatz des Priamos betrauert, noch lauter wird die Anwesenheit der Nofretete gefeiert.

  2. Sandra meint:

    Ich bin keine Akademikerin, lasse mich aber trotzdem gern und gut von Ihrem Blog unterhalten. Manchmal ist es mir „zu hoch“, aber die meisten Ihrer Leser scheinen das Niveau ja gut halten zu können, wenn ich mir einige der geistreichen Kommentare anschaue.
    Das Wort „Narrativ“ musste ich nachschlagen- wieder was gelernt, Danke dafür.

  3. Trulla meint:

    Berliner Nachtleben, da denke ich auch als Nichtberlinerin spontan an Zeiten, als von uns noch keiner dabei war. Aber man hat viel gehört und gelesen, die goldenen Zwanziger sind legendär, die größten Künstler dieser Zeit, weil jüdisch, wurden von den Nazis gemordet. Mutige Kabarettisten (z.B. der großartige Werner Finckh) haben sogar noch den Mund aufgemacht, als die braune Bande schon mächtig war. Einen Eindruck vermitteln die Bücher bzw. Filme “Babylon Berlin“, allerdings eher der dekadenten Art, aber sehenswert. Es wurde gefeiert, als gäbe es kein Morgen. Was sich dann ja leider auch bestätigte.

    Nach dem Krieg war wohl in allem etwas gebremster Schaum, mehr Spießerland mit durchaus verständlicher Sehnsucht nach heiler Welt, gut gezeigt in “Kudamm 56“. Adenauer Ära. Furchtbar eng und kleinkariert. Überall in Deutschland. Wo ein Willy Brandt persönlich noch als nichtehelich geboren angegriffen werden konnte. Ernsthaft gefragt wurde, wo er während des Krieges war. Das waren übrigens Gründe, warum ich mit kindlichem Gerechtigkeitssinn allem Konservativen gegenüber kritisch wurde.

    Wo und wie wohl in den 80ern Ihre Mitfahrer das Nachtleben genossen haben mögen? Auf jeden Fall steppte in Berlin immer der Bär!

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