Journal Samstag, 29. September 2018 – Westerwaldsteig 2: Herborn nach Breitscheid

Sonntag, 30. September 2018 um 8:03

Vom Wecker geweckt, ich hatte ja noch was vor an diesem Urlaubstag. Draußen sah ich Frost auf den Dächern, doch die Sonne schien.

Duschen, Bloggen, Frühstück – ich aß aus Vernunft, genoss aber wirklich den überraschend guten Cappuccino des Hauses.

Abschied vom hübschen, kalten Herborn.

Die Tagesetappe sah nur 15,5 Kilometer vor, bot aber einen Abstecher nach Dillenburg an. Nach nur der Tagesetappe wäre ich selbst mit Bummeln um 15 Uhr am Zielort gewesen – was sollte ich so früh in einem Westerwalddorf? Spazierengehen? Das machte ich doch lieber unterwegs mit dem Abstecher. Gerade bei diesem herrlich sonnigen Wetter.

Seltsam fand ich allerdings die unterschiedlichen Streckenangaben für den Abstecher in Wanderbüchel und auf Schildern: Sie reichten von acht Kilometer Wanderung hin und zurück bis zu 6,2 Kilometer einfach.

Das Ergebnis für die Nachwelt: Ich war zusätzliche drei Stunden nach Dillenburg hin und zurück unterwegs, plus einem Päuschen. Das stellte sich als länger heraus als gedacht; da ich die B&B-Zimmerwirtin am Zielort nicht unnötig warten lassen wollte (ihre Telefonnummer hatte ich ungeschickterweise im Koffer und nicht bei mir), geriet ich ein wenig in Eile.

Doch die Wanderung war sehr schön, gerade die Strecke nach Dillenburg und zurück. Der Abstecher lohnte sich auch wegen eines fliehenden Kaninchens von hinten und zwei aufgeschreckten Rehböcklein an einem Buchenwald am Hang: Ich hatte mich um einen umgestürzten Baum überm Weg ins Holz schlagen müssen und hatte sie damit aufgestöbert.

In Dillenburg steuerte ich das nächstbeste Café für Cappuccino und Klo an. Es war ein italienisches Eiscafé, und der stark akzentuierte Kellner wurde am Nebentisch von einer alten Dame niedergebabbelt (es ging um Wespenstiche und um Antibiotika im Schweinefleisch). Überhaupt machen die Menschen hier bislang einen sehr geselligen und freundlichen Eindruck, grüßen bei Begegnung („Hallo“ scheint hier Standard, ich brauche meine Fremdsprachenkenntnisse mit „Guten Tag“ gar nicht), lächeln.

Es ging sanft bergauf und bergab, meist begleitet von Autogeräuschen der umliegenden Schnellstraßen. Immer wieder schöne Ausblicke auf angeherbstelte Waldhügel. Ich hörte und sah Eichelhäher, auch Elstern, eine Mönchsgrasmücke, Bachstelzen, einen rüttelnden Falken, Termik-kreisende Greifvögel (zu weit weg für eine Identifikation), dazu Krähen, Amseln, Spatzen, Meisen, Wildtauben.

Die Luft war ein wenig zu kalt für ideales Wanderwetter: In der Sonne ging’s ab Mittag ohne Jacke, doch in schattigen Waldstücken brauchte ich die Wanderjacke, schwitzte vor allem bergauf aber, begann gleich darauf bei weniger anstrengenden Abschnitten in der kühlen Luft zu frösteln.

Brotzeitpause machte ich nicht (siehe Eile, außerdem hatte ich keinen Hunger) und kam nach gut sieben Stunden am Zielort Breitscheid an, mit ganz schön schweren Beinen. Die Bewegungsapp hatte 29,6 Kilometer gemessen. Upsie.

Meine späte Ankunft hatte zum Glück keine Probleme bereitet, ich wurde in eines von zwei vermieteten Gästezimmern im Souterrain eines neuen Einfamilienhauses gebracht, gemeinsames Bad, und lernte gleich den anderen Gast kennen, der zu einer Geburtstagsfeier in der Nähe angereist war.

Koffer war angekommen, WLAN vorhanden, doch nun erlebte ich digitales Dorfleben: elend langsames Internet. (Plus Edgeborn. Und Pokéstopleere.) Diesen Post schrieb ich besser mal offline vor.
Aber ich bekam das Zimmer warm.

Abendessen: Eine Packung gesalzene Erdnüsse, ein Apfel und ein Eiweißriegel, ich wollte nirgendwohin mehr gehen. (JAHA, ich habe mich verschätzt.) Hätte ich gewusst, dass der Gästekeller auch eine Gästeküche umfasste, hätte ich wie vor zwei Jahren am Moselsteig eine Dose Linsen eingepackt.

Meine Bandscheiben hatten schon am Morgen gezickt und mir das rechte Bein weggerissen, kamen aber zum Glück erst am Schluss der Etappe nochmal auf die Idee. Um sich abends mit Schmerzen zu rächen. (600 mg Ibu)

Abschied von Herborn:

Gleich hinter Herborn: Die Farbvorgaben für den Tag.

Der oberen Markierung folgte ich.

Diesen Ausguck hat man über Dillenburg gebaut,

damit man darauf runterschaun kann.

Dabei ist Dillenburg, soweit ich das auf einen Blick sehen konnte, wirklich hübsch. Hier das Hessische Landgestüt Dillenburg.

Warm genug für ohne Jacke.

Idyllisches Forsthaus Neuhaus links, etwas weniger idyllische Autobahnbrücke rechts.

§

Dieser Twitter-Faden hat mich nachdenklich gemacht: Woran es liegt, wenn eine Frau nicht vergewaltigt oder missbraucht wird (Tipp: an den Männern).

Meine Geschichte: Ich war Studentin Anfang 20, auf einer Party und betrunken, saß auf dem Schoß eines jungen Manns, der mir schon eine ganze Weile sehr gut gefiel und der ebenfalls betrunken war. Wir küssten uns, er kam mit zu mir, ich bat ihn herein, er stand schon in meinem Flur, als ich das sehr plötzlich sehr gar nicht wollte und sagte: “ICH gehe jetzt ins Bett.” Woraufhin er kurz ein wenig schwankte, mir eine gute Nacht wünschte und ging. Ein wenig hatte ich wegen meines Verhaltens ein schlechtes Gewissen, seines hielt ich für keiner Erwähnung wert.

§

Eine etwas andere Krankengeschichte einer MS-Patientin:
“Losing Touch, Finding Intimacy”.

via @raulde

die Kaltmamsell

7 Kommentare zu „Journal Samstag, 29. September 2018 – Westerwaldsteig 2: Herborn nach Breitscheid“

  1. Herr Kaltmamsell meint:

    Verschärftes Stirnrunzeln! Du brauchst vielleicht wohl tatsächlich einen kleinen Klotz am Bein, der mosert, wenn es um kleine Streckenverlängerungen geht.

  2. die Kaltmamsell meint:

    Länger wird’s nicht, Herr Kaltmamsell, versprochen.

  3. Ulla meint:

    Ich bewundere, dass Sie alleine wandern.Schöne Aufnahmen.

  4. die Kaltmamsell meint:

    Hm, Ulla: Würden Sie einen Mann dafür ebenso bewundern?

  5. Eva meint:

    Liebe Frau Kaltmamsell! Ich lieeebe Ihre Reise- und ganz besonders Ihre Wanderberichte, vielen herzlichen Dank!

  6. Thomas S. meint:

    Schöne Bilder! Bin schon gespannt auf den weiteren Verlauf. Am Ufer der Krombachtalsperre, in der einsamen Vogelwarthütte (kein Strom, kein Wasser) habe ich vor knapp 40 Jahren einen meiner schönsten Urlaube mit meinen Eltern verbracht. Eventuell sind Sie da heute vorbeimarschiert?

  7. die Kaltmamsell meint:

    An der Hütte nicht, Thomas S., aber an dem Stausee – eine schöne Gegend.

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