Journal Donnerstag, 4. Oktober 2018 – Westerwaldsteig 7: Flammersfeld nach Hümmerich (plus über das weibliche Pieseln beim Wandern)

Freitag, 5. Oktober 2018 um 7:19

Schön war sie, die Schlussetappe, mit nochmal allem drin: Bachtäler, weite Aussichten, Waldwege, Weiden, viel bergauf und bergab. Der Himmel blieb grau, erst auf dem letzten Stück zu meiner letzten Unterkunft ging ich in Sonnenschein.

Ich hatte eine unruhige Nacht: Mag das zwar ein Nest ohne Verpflegungsmöglichkeit gewesen sein – eine hin und wieder befahrene Straße reicht schon für Unruhe, außerdem bereiteten mir die Bandscheiben Schmerzen.

Zum Frühstück war die Zimmerwirtin wieder gekommen (am Vortag war das Haus ab 15 Uhr verlassen) und hatte liebevoll einen Platz im Veranstaltungsraum hinter der Gaststube gedeckt. Außerdem noch vier Plätze, anscheinend gab es außer mir weitere Übernachtungsgäste.

Auf dem Weg begegnete ich praktisch niemandem, gerade mal in einer Ortschaft zwei spielenden Kindern. An den Tagen davor hatte ich immer den Duft von überreifen Äpfel gerochen, gestern wanderte ich zum ersten Mal unbeduftet.

Ein großer Teil der Etappe führte durch das Grenzbachtal. Informationsschilder beschrieben, wie das frühere Weide- und Mühlengebiet in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts mit Fichten bewaldet worden war. Seit einiger Zeit wird dieser letzte Schritt rückgängig gemacht: Aus dem Wald wurden wieder Feuchtwiesen, der Grenzbach fließt frei, das Tal wird beweidet. Doch anscheinend reicht der Appetit der Rinder nicht aus, um Bewuchs mit Bäumen zu verhindern: Gestern begleitete mich eine Stunde lang der Lärm von schwerem Gerät, das ich im Grenzbachtal junge Buchen und Büsche entfernen sah. Von der angekündigten ganzjährigen Beweidung mit Galloways und Auerochsen sah ich lediglich Gatter und Hinweisschilder – aber leider kein einziges Rind. Dabei hätte ich so gern mein in England erworbenes und geübtes Wissen um sachgemäßes Durchwandern von Rinderweiden angewendet.

Am Etappenzielort Horhausen guckte ich nach, wie ich zu meiner Unterkunft in einem Nebenort kommen würde – und stellte fest, dass ich mich wieder verschätzt hatte: Es war nochmal ein Stündchen zu gehen. Nicht schlimm, es war ohnehin erst kurz nach zwei. So kam ich insgesamt auf gut 20 Kilometer Strecke in fünfeinhalb Stunden. Die Unterkunft war ein größerer Gasthof, das bedeutete: Echtes Abendessen!

Die Wied.

Ins Grenzbachtal ging’s ganz schön gach runter.

Weiden ohne Tier.


Rast an einer supermodern verglasten Madonna.


Abschied vom Grenzbachtal.

Bester Zimmerausblick bisher.

Cordomblö zum Abendessen, davor Salat vom Buffet und ein Viertel (!) Pfälzer Grauburgunder. Und das am Fenster mit wunderbarem Blick auf Landschaft, meine Welt war definitiv wieder in Ordnung. (Auch wenn Kroketten an mich verschwendet sind: Ich assoziiere mit ihnen viele liebe Menschen, die allein beim Anblick in spitze Freudenschreie ausbrechenn, aber mir sind zahlreiche andere Darreichungsformen von Kartoffeln lieber, unter anderem Kartoffelpüree, Bratkartoffeln, Pommes, Gratin.)

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Kleiner Exkurs über das weibliche Pieseln beim Wandern.
Vor meiner ersten Fernwanderung in den Cotswolds hatten Herr Kaltmamsell und ich uns gründlich über alle möglichen Aspekte des ernsthafteren Wanderns erkundigt (Sie erinnern sich vielleicht noch an die Diskussion über Trillerpfeifen). Unter anderem hatte ich dabei gelernt, dass Taschentücher, also unsere Tempos, bis zu mehreren Jahren brauchen, um zu verrotten: Dass sie mittlerweile so widerstandsfähig sind, dass man sie ohne große Sauerei mitwaschen kann, hat nunmal eine Kehrseite. So ist es also wirklich, wirklich keine gute Idee, Tempos unterwegs als Ersatz für Toilettenpapier zu verwenden – Sie haben vielleicht auch schon bemerkt, wie viele weggeworfene Taschentücher man am Wegesrand sieht.

Toilettenpapier verrottet schneller, doch auch das sollte eigentlich vergraben werden. Doch nein, auch ich führe kein Schäufelchen beim Wandern mit.

Deshalb hier mein Tipp für Klopapierersatz beim Pieseln: Blätter. Die vom Baum. Am Anfang jeder Etappe halte ich Ausschau nach großen Blättern, Ahorn ist nie verkehrt. Von denen pflücke ich eine Hand voll und stecke sie in den Rucksack. Wenn ich mich bei Blasendruck in die Büsche schlage, verwende ich sie.

(Wollte Wanderexpertin Frau Mutti nicht mal was zu dem Thema schreiben?)

§

Was man heutzutage so in der Vogue liest!
“Senator Tammy Duckworth on the Attack that Took Her Legs—and Having a Baby at 50”.
(Und keine Silbe über ihre Kleidung oder den Grad ihrer Attraktivität, übrigens.)

via @raulde

die Kaltmamsell

4 Kommentare zu „Journal Donnerstag, 4. Oktober 2018 – Westerwaldsteig 7: Flammersfeld nach Hümmerich (plus über das weibliche Pieseln beim Wandern)“

  1. lihabiboun meint:

    Was für eine Frau (Tammy Duckworth). Danke für den Hinweis!

  2. Isa meint:

    Aaah… das ist der Trick (die Blätter vorher pflücken!)!!

    Danke… den Tipp habe ich gebraucht.

    :-)

    Ansonsten: ich lese Ihre Reiseberichte sehr sehr gerne.
    Vielen Dank fürs Mitnehmen!

  3. U. meint:

    Über die Sache mit den Taschentüchern hatte ich noch nie nachgedacht. Es gibt auch noch welche, die zerfallen (unfreiwillig in der Waschmaschine getestet…)

    Schön, dass Ihre Westerwaldsteig-Erfahrung tendenziell eine gute war! Ich überlege auch, ob ich mich irgendwann einmal allein auf eine Etappenwanderung mit Gepäcktransport mache. Eine meiner vielen Sorgen ist aber das “allein in einem kleinen Ort ankommen und dort abendessen”, was ich einerseits generell potenziell unangenehm finde (Vision: die allein und verschreckt in der Dorfschenke sitzende fremde Frau, um die herum sich alle kennen) – andererseits bin ich auch noch Vegetarierin, und je ländlicher desto Fleisch…

    Aber das ist ja ein lösbares Problem, ich müsste wohl nur wie Sie eine Notration einpacken, die ggf. ein kleines Hotelabendessen ermöglicht.

    Ich wünsche Ihnen eine gute Heimreise! Vielleicht ist Ihr ICE ja schon am Montabaurer Schloss vorbeigebrettert – da steige ich jeden Morgen ein und jeden Abend aus.

  4. iv meint:

    Cordomblö mit Kroketten! Bist Du sicher, dass Du Dich nicht in die Niederlande verwandert hast?

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