Journal Montag, 19. November 2018 – Bremer Postmoderne

Dienstag, 20. November 2018 um 9:06

Sehr wahrscheinlich bin ich dann doch keine Teamplayerin. Gestern machte ich einen Job alleine, der klassisch von Teams erledigt wird. Und ich war SO froh, dass ich einfach vor mich hin machen konnte, jede Entscheidung selbst treffen (Noch ein bisschen nach links? Ok. Oh, sieht nicht gut aus, wieder zurück. Hiervon drei oder vier Stück? Besser bloß drei. Das hier noch etwas tiefer? Ok!), und nicht jeden Handgriff kommentieren und diskutieren musste, jedes Missgeschick analysieren, alles Unvorhergesehene zurückverfolgen bis in die Urgroßvätergeneration. Bei mir konnte auch niemand auf den letzten Drücker und nach drei Stunden Vorarbeit der anderen eintreffen und all diese Vorarbeit im unüberhörbaren Lauter-Idioten-Tonfall umwerfen.

Bremen hat den Hauptbahnhof schön.

Zudem hatte ich gestern zum mehrfachten Mal die Gelegenheit zur Entgeisterung über die Gestaltung des Bremer CongressCentrums – es ist halt schon bitter, wenn eine legendär klamme Kommune genau zur falschen Architekturepoche Geld hat. Sollte ich es nicht bereits getan haben, tue ich es jetzt: Ich empfehle einen Besuch ernsthaft und dringend. Garantiert haben Sie sowas noch nie gesehen.

Ich war sehr an die Postkarten und Hinsteller erinnert, mit denen ich in den 80ern mein Jungmädchenzimmer geschmückt hatte. Wie in einem Horrorfilm hatte hier eine verrückte Wissenschaftlerin diese Deko zum Leben erweckt und auf Gigantomaße anwachsen lassen.

Nicht dass wir uns missverstehen: Ich finde das Gebäude großartig. Wenigstens hier hat mal jemand mit der postmodernen Architektur im großen Stil ernst gemacht.

Abends war ich mit zwei Freundinnen verabredet, die eigens aus Oldenburg herübergefahren kamen, um mich ins Grünkohlessen einzuweihen. Nach einem kleinen Spaziergang durch die entzückenden Gässchen des ältesten Teils Bremens (leider ist in Bremen nach meiner Erfahrung immer Winter und dunkel), stiegen wir hinab in die Schüttinger Gasthausbrauerei.

(Nein, ich habe nicht alles geschafft. Aber fast.)

In Ordnung, Grünkohl (dieser enthielt Grütze, sehr gute Idee) kann sehr gut schmecken und eine Konsistenz weitab von geschredderter Plastiktüte haben, ich sehe es ein. Auch die mit dem Grünkohl einhergendenden Fleischprodukte schmeckten ganz ausgezeichnet. Ich bekam außerdem reichlich Informationen über die Unterschiede zwischen Bremer und Oldenburger Grünkohl und werde die Mahlzeit wohl oder übel in Oldenburg wiederholen müssen. Eher wohl, denn ich war gestern aufs Angenehmste satt.

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Peter Maxwill kritisiert bei Spiegel online, was mir schon lange aufstößt, verstärkt seit den rassistischen Ausschreitungen in Chemnitz: Die Verwendung der Bezeichnung “Ausländerfeindlichkeit” für Rassismus.
“Hass, für den es keine Worte gibt”.

Viele Medien, darunter auch SPIEGEL ONLINE, berichteten über die Leipziger Studie, meist standen dabei die Ressentiments gegenüber “Ausländern” im Mittelpunkt. Schon möglich, dass in Aachen viele Leser dabei an belgische Zuwanderer dachten und in Flensburger Kneipen eine Debatte über kriminelle Dänen ausbrach. Wahrscheinlicher ist aber, dass viele Deutsche ein Problem mit einigen Religionsgemeinschaften oder Menschen bestimmter Hautfarbe haben.

Was die Leipziger Extremismusforscher untersucht haben, ist also die weitverbreitete Ablehnung von Menschen, die hierzulande häufig als “fremd” wahrgenommen werden. Man könnte also von “Fremdenfeindlichkeit” oder “Fremdenhass” sprechen – gängige Begriffe, die übrigens auch der Autor dieses Artikels in eigenen Texten verwendet hat.

Das Problem ist nur: Wer von Fremdenhass spricht, übernimmt und akzeptiert die Perspektive der Fremdenhasser; der Begriff stellt nicht infrage, was “eigen” und was “fremd” ist und ob diese Einteilung in Gruppen auch nur ansatzweise logisch ist.

via @giardino

Ein Detail ist auch Maxwill durchgerutscht: Eigentlich wird bei “Ausländerfeindlichkeit” nicht nur nicht an Belgier und Dänen gedacht, sondern vor allem nicht an blonde, hellhäutige Belgier und Dänen.

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Ein bisschen Bildergucken: Vater photoshopt sein Kleinkind in gefährliche Situationen, um die Verwandtschaft zu verstören.
“Dad Photoshops Daughter Into Dangerous Situations To Freak Out Relatives”.

via @tknuewer

die Kaltmamsell

8 Kommentare zu „Journal Montag, 19. November 2018 – Bremer Postmoderne“

  1. Ute Katharina meint:

    Das CongressCentrum erinnert an einen riesigen Indoor Spielplatz für Erwachsene. Fehlt nur der Spielsand zu den Liegestühlen ;-)

  2. Anke meint:

    Danke an die Damen aus Oldenburg (*winkt*). Team Grünkohl all the way.

  3. Sjule meint:

    ******************KOMMENTAROMAT**********************

    Gerne gelesen

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  4. Sonni meint:

    Herrje, diese Kinderbilder sind tatsächlich sehr verstörend, nicht nur für Verwandte.

    Wie kommt man auf sowas?

    … fragt sich eine, die ähnliche Horrorsituationen in der Realität erleben musste, eine davon mit dem eigenen Kind. Es ist zum Glück nichts passiert und trotzdem kriege ich bei diesen Bildern Flashbacks vom feinsten 8-O

  5. Margarete meint:

    Danke für Ihre Verbeugung vor dem Bremer Hauptbahnhof!
    Bremen ist überhaupt eine kleine und gemütliche Großstadt mit kurzen Wegen, allerdings nicht zu vergleichen mit München. Ihre schönen Isarkieselsteine haben wir leider nicht, nur einen oder zwei davon in meinem Wohnzimmer.

  6. Sebastian meint:

    La BCC esta multo Memphis! Mio adolescenco!! Grandiosososo!!!

    https://www.memphis-milano.com

  7. die Kaltmamsell meint:

    Espectaculario!
    Wie sind wir aus dieser Jugend eigentlich halbwegs geradeaus rausgekommen, Sebastian?

  8. allegra meint:

    Dieses Kongresszentrum ist ja grauselig. Da friert einen richtig und man wähnt noch den Schweif des Dementoren, der jede Wärme entzogen hat.
    Wer tut denn sowas?

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