Frühsport vor der Arbeit: 45 Minuten Bauchtraining mit vielen Halteübungen.
Nach meinem Arbeitstag gab es ein schnelles Abendessen (Ernteanteilsalat und Marmeladensandwich), weil ich rechtzeitig zur Bürgerversammlung loskommen wollte. Bei diesem dritten Mal kannte ich ja die Örtlichkeit (Turnhalle der Grundschule am Gärtnerplatz) und Modalitäten (nur wer mit Ausweis belegen kann, dass er oder sie hier wohnt, bekommt eine Stimmkarte).
Die Teilnahme war wieder rege, es gab eine Menge Anträge und Anfragen. Deren Thema war zum allergrößten Teil die Verkehrssituation (die Menschen im Bezirk wollen mehr Raum für Räder, Autoverkehr wird fast ausschließlich als Belästigung angesehen), am zweitöftesten wurde Lärm oder potenzieller Lärm durch Feiervolk angesprochen, dazu kamen Meldungen zur bedrängten Situation des Kleingewerbes im Glockenbachviertel und am Gärtnerplatz, zum Schulzustand, zum Silvesterfeuerwerk.
Der Überblick mit Zahlen zur Stadt München fiel aus: Versammlungsleiter Hans Theiss, einer der ehrenamtlichen CSU-Stadträte Münchens, verwies auf die vielen Anträge, denen er Vorrang einräumte. Wichtiger war ja auch der Bericht, den Bezirksausschussvorsitzender Alexander Miklósy über unsere Stadtteile und die Arbeit des Bezirksausschusses erstattete: Unter anderem Stand der Baustelle am früheren Viehmarkt, Probleme mit der Weideninsel in der Isar, steigende Hoteldichte im Bahnhofsviertel (eigentlich soll hier laut Stadtratsbeschluss das Wohnen gestärkt werden), Radparkplätze, dass verhindert wurde, die Auf- und Abbauzeiten des Oktoberfest zu erweitern (das wäre ja noch schöner, die vergangenen beiden Jahre hatten wir Anwohnerinnen die Blockade der Theresienwiese für die jetzt schon vier Monate beklagt).
Miklósy schloss mit dem Appell, sich bei offiziellen Quellen (Bezirksausschussprotokolle) und den Profis von den Medien zu informieren, riet davon ab, sich ein Bild basierend auf Gerüchten im Internet zu bilden. Bei dieser Gelegenheit: Bitte lesen Sie meinen Bericht mit genau dieser Vorsicht. Ich war da und habe mitgeschrieben, doch hier gibt es keine Redakteurin, die meine Sicht hinterfragt, ich habe meine Mitschrift nicht durch Nachfragen bei offiziellen Stellen abgesichert – was Qualität sicherndes Standardvorgehen bei einer seriösen Zeitung ist. Lesen Sie mich bitte also lediglich als einzelne und subjektive Zeitzeugin.
Nächster Standardpunkt auf der Tagesordnung: der Sicherheitsbericht der Polizei. Referent war diesmal der junge neue stellvertretende Leiter der Polizeiinspektion 14. Er berichtete vom Rückgang der Kriminalität (Zahlen 2017 im Vergleich zu 2016), dieses Jahr sei die Tendenz allerdings steigend wegen systematischer Einsätze am Hauptbahnhof. Die markanteste Zahl war für mich: Nur 25 Wohnungseinbrüche im Jahr 2017. In einer wirklich dicht bewohnten und stark frequentierten Gegend (vielleicht gerade deshalb?).
Bis zum Ende des Sicherheitsberichts konnten Anwohnerinnen und Anwohner schriftlich auf einem Formblatt ihre Anträge und Anfragen einreichen, die sie dann selbst am Mikrophon vortrugen oder Versammlungsleiter Theiss vortragen ließen.
Der aus meiner Sicht abgefahrenste Antrag: Vorübergehend in der Kapuzinerstraße alle Verkehrsregeln aufheben und sie als Shared Space nutzen (von einem Herrn, der auf einen siebenmonatigen Aufenthalt “in Argentinien” verwies und wie viel besser der Verkehr dort laufe).
Die seltsamste Anfrage kam zur Migrationsberatung Wohnungsloser Schiller 25. Die anfragende Dame war vor einem Jahr in die Schillerstraße gezogen, fühlte sich durch die Menschen belästigt, die man im Umfeld einer solchen Einrichtung antrifft, und wollte wissen, warum man das Zentrum ausgerechnet dort angesiedelt habe, ob man es nicht nach außerhalb verlegen könne. Die freundliche Erklärung einer offiziellen Dame von der Stadt (nach der Antragsrunde): Im Umfeld des Hauptbahnhofs treffe man zum einen die betroffene Bevölkerungsgruppe hauptsächlich an, zum anderen sei es sehr schwierig, für dieses Thema Räume zu finden, so sei es ein absoluter Glücksfall, dass dem betreuenden Evangelischen Hilfswerk genau dieses Haus gehöre und seit acht Jahren zur Beratung und Betreuung zur Verfügung stehe.
Ich verweise auf die Freundlichkeit der Auskunft, weil ich mich im Gegensatz zu ihr schon sehr laut innerlich fragte, wie jemand ins Bahnhofsviertel und neben das Schiller 25 zieht und dann offensichtlich Meister-Eder-Altstadtidyll erwartet.
Alle Anträge/Anfragen (nicht alle wurden beim Vortragen eindeutig zugeordnet) mit Thema, jeder Punkt eine Person:
- Schutz von Fußgängern durch Zebrastreifen / Fahrradoffensive / Pilotprojekt mit schrittweise weniger Parkplätzen
- Besserer Radweg an konkreter Stelle
- Bessere Kennzeichnung einer Einbahnregelung
- Umwandlung von Autoparkplätzen in Fahrradabstellplätze an konkreter Stelle
- Ablehnung einer entstehenden Petition zur Umwandlung des Gärtnerplatzes in Fußgängerzone
- Unterstützung dieser Ablehnung
- Weitere Unterstützung dieser Ablehnung explizit zugunsten des Autoverkehrs
- Verbesserung des Radverkehrs an zwei konkreten Stellen
- Umwandlung eines Straßenzugs in Einbahnstraße
- Kapuzinerstraße testweise zu Shared Space / Umsetzung Dieselfahrverbot
- Lärmproblem beim Aufbau des Oktoberfests und durch Reisebusse am Bavariaring
- Durchfahrverbot für ein Viertel, nur noch Anlieger / Bepflanzung einer konkreten Stelle
- Lärm durch Kneipen an konkreter Stelle
- Braunauer Eisenbahnbrücke als Fuß- und Radweg nützen / Verbesserung Radweg an konkreter Stelle / Beseitigung diffamierender Graffiti / Begrünung eines umgebauten Platzes / überfüllter Glascontainer
- Bebauungsplan von 1981 / höhere Besteuerung von Zweit- und Drittwohnungen
- Dringende Renovierung der Toiletten einer konkreten Grundschule
- Lärmschutz für einen konkreten Spielplatz
- Privates Silvesterfeuerwerk verbieten
- Schaffung einer Dialogplattform zur Stadtgestaltung
- Gewerbeflächenentwicklungsplanung zur Bewahrung von Handwerk und Kleingewerbe
- Verschönerung Goetheplatz
- Vorübergehendes Belebungsprojekt eines Platzes verstetigen
- Störung durch Migrationsberatung Wohnungsloser Schiller 25
- Vandalismus an einem konkreten Platz
- Erinnerung an Anfragen zu Missständen Gärtnerplatz aus dem Jahr 2016
- Verbesserung der Straßenführung am Gärtnerplatz
- Probleme mit Verstellen eines Fußwegs an konkreter Stelle durch private Baumaßnahmen und Anlieferungen
Der weit überwiegende Teil der Anträge wurde von Männern gestellt (19 von 28), zwei Anträge von Frauen wurden auf Bitte der Antragstellerinnen vorgelesen, von Männern – das führte zu einem etwas einseitigen Bild.
Anschließend nahmen ein paar der anwesenden Fachleute von der Stadt Stellung, Alexander Miklósy ordnete das eine oder andere Thema in größere Zusammenhänge ein, dann stimmten wir über alle Anträge ab (meist positiv).
Durch diesen langen Antragsteil dauerte die Versammlung deutlich länger als in den vergangenen beiden Jahren. Ich war noch zu einer Geburtstagsfeier in einer Wirtschaft eingeladen und radelte nach Untersendling, aber um Viertel nach zehn waren schon alle (wie ich später feststellte: eben gerade) gegangen.
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Es rührt mich schon immer wieder an, wenn Menschen, die ich kenne, ein Buch veröffentlichen. In diesem Fall ist es auch noch ganz selbst gemacht – und brauchte zehn Jahre von Idee bis Existenz.
Immer wieder las ich bei Anke Tröder Geschichten aus ihren Präsentationstrainings, vor allem über junge Frauen: Sie verrieten deutlich mehr über das Selbstbild von Frauen in unserer Gesellschaft als es je ein Feuilletonartikel hätte zeigen können.
Als Anke laut darüber nachdachte, aus diesen Geschichten ein Buch zu machen, war ich begeistert – ich sah sofort, wie viel man daraus auf so vielen Ebenen lernen könnte. Da ich zudem seit vielen Jahren weiß, wie wichtig ihr Ästhetik und Gestaltung sind, die Verbindung von Form und Inhalten, konnte ich das Buch kaum erwarten. Und jetzt wird es wirklich, wirklich wahr: Begrüßen Sie mit einem enthusiastischen und doch vornehmen Applaus (wir wollen ja niemanden erschrecken):
13 Near Misses.
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Wir müssen weiter über den Klimawandel reden.
“Die Sintflut kommt
Über den Klimawandel reden wir noch immer, als sei er ferne Fiktion. Dabei ist längst ein Klimakrieg im Gange. Er wird um CO2 geführt, aber auch um Wahrheit und Schuld.”
In seinem Buch Kampf um Gaia fasst der französische Soziologe Bruno Latour diese Lähmung des reichsten, von den Folgen des Klimawandels am wenigsten betroffenen Teils der Menschheit im Vorsorgeparadox zusammen: Ihr Kind hat einen Schnupfen oder Ihr Auto macht ein verdächtiges Geräusch. Aus Erfahrung wissen Sie, dass es so schlimm nicht werden wird, zum Arzt oder Automechaniker gehen Sie aber doch.
Einem unwahrscheinlichen Schaden vorzubeugen ist das Wesen der Vorsorge. Beim Klimawandel verhält es sich genau andersherum: Jahr für Jahr verwandeln sich Prognosen in Tatsachen. Wenn es noch einen neuen Spin zur Erderwärmung gibt, dann immer nur den, dass alles noch schneller abläuft als befürchtet. Die Eisflächen schwinden dramatischer, der Meeresspiegel steigt früher als angenommen. Des Schadens können wir uns sicher sein – die Maßnahmen, ihn zu begrenzen, treffen wir nicht.
Jeder habituelle Ansatz, der den Klimawandel mit einem Wandel individueller Verhaltensweisen bekämpfen will, trifft auf das Skalierungsproblem: Den Sonnenschein genießen kann jeder für sich allein, ein Verzicht auf Fleisch hätte aber erst dann die erhoffte klimatische Wirkung, wenn er sich zur Massenbewegung entwickelte. Und weil der Fleischkonsum weltweit weiter steigt, empfinden viele es nicht nur als moralisch anmaßend, dass ausgerechnet sie des Klimas wegen auf Fleisch verzichten sollen. Sie finden das Kalkül dahinter auch nicht schlüssig.
Dass eine anspruchsvolle Klimapolitik nicht realistisch ist, behauptet auch die Regierung der USA. Donald Trump – oder der Teil seines Stabs, der sich um Klimapolitik kümmert – leugnet die menschengemachte Erderwärmung neuerdings gar nicht mehr. Er behauptet nur noch, amerikanische Maßnahmen könnten dagegen sowieso nichts tun.
Mir scheint, die beschriebene Haltung der USA ist die der Mehrheit unserer Gesellschaft. Na gut: Fliegen Sie weiter Flugzeug, fahren Sie alle einzeln Ihr Auto – es sind Ihre Kinder und Enkel, die mit den Folgen zurecht kommen müssen, nicht meine. (Und ich bilde mir keineswegs ein, selbst wirklich alles zur Verlangsamung des Klimawandels zu tun.)
Wenn die Menschheit die Erderwärmung auf ein erträgliches Maß reduzieren wollte, müsste der industrialisierte Norden sich so konsequent verhalten, als befände er sich im Krieg. Die EU dürfte dann nicht wie kürzlich darüber streiten, ob sie den CO2-Ausstoß europäischer Autos während der 2020er-Jahre um 30, 35 oder 40 Prozent senken will. Sie müsste Verbrennungsmotoren schnellstmöglich verbieten. Sie müsste auch den Fleischkonsum und die Flugreisen rationieren, sämtliche Altbauten in Styropor verpacken und die Leute dazu zwingen, ihre Smartphones gegen alte Nokias mit einwöchiger Batterielaufzeit einzutauschen.
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Geschichten erzählen als Twitter-Faden: In den Händen einer Meisterin eine tödliche Waffe.
„Gather round, Gentle Readers. It is time I tell the story of the worst decision I ever made in an office. Some of you have heard this. Some have not. Whatever you do in your office today, this week, the rest of this year, you can console yourself by recalling this tale.“
via @MlleReadOn
Unbedingt auch die Replies lesen.