Journal Dienstag, 28. Mai 2019 – Zweiter Einsatz als Schöffin mit viel Fußball
Mittwoch, 29. Mai 2019 um 7:42Urlaubstag hin oder her: Gestern war ich um 9 Uhr zum zweiten Mal als Schöffin geladen. Nachdem ich beim ersten Einsatz etwa zwei Stunden beschäftigt gewesen war, plante ich im Anschluss an den Prozess ums Eck Frühstücken zu gehen, nachmittags vielleicht ins Kino – es war ein regnerischer Tag.
Little did she know…
Als Schöffin weiß man vor der Verhandlung nicht, worum es geht: Das erklärt der hauptamtliche Richter den Schöffinnen direkt vor der Verhandlung. Auf dem Aushang am verschlossenen Sitzungssaal las ich, dass das der Richter sein würde, den ich am Einführungstag für Schöffinen und Schöffen kennengelernt hatte. Kurz nach mir traf eine Frau ein und warf eine Robe über einen der angeschraubten Stühle im Wartebereich. Ich riet: “Sind Sie eine der Anwältinnen?” “Staatsanwältin!” Wir plauderten ein wenig und ich erfuhr, dass es Fußballanwälte gibt und eine Staatsanwaltschaft, die unter anderem auf Delikte im Umfeld von Fußball spezialisiert ist. (Später daheim beim Recherchieren fand ich die Website Fananwälte.)
Wir wunderten uns nach einer Weile, dass außer uns niemand auftauchte, bis die Protokollantin ums Eck bog und uns holte: Die Verhandlung war in einen anderen Saal verlegt worden.
Der Prozess drehte sich um eine Raub-Anklage im Fußballfan-Zusammenhang, und ich lernte eine Menge. Dazu gehörte die Abkürzung SV für Stadionverbot, die Abkürzung TOA für Täter-Opfer-Ausgleich, dass eine medizinische Gutachterin auch dafür eingesetzt wird, einen Arztbericht verständlich zu machen, das schöne Wort “Zueignungsabsicht”. Ich tauchte wie schon in meiner ersten Verhandlung in eine fremde Welt ein, nahm das Taktieren von Staatsanwältin und Verteidigern wahr, die Interaktion von Beschuldigten und Geschädigten (so hieß das bei Gericht).
Zudem interessant: Technik im Gerichtssaal.
Aber: Das Ganze dauerte sechs Stunden. Als es auf Mittag zuging, überlegte ich mit einer kleinen Ebene meiner Aufmerksamkeit (schließlich hörte ich mit der größeren zu), wo ich mittagessen könnte. Als es noch später wurde, träumte ich vor allem von einem Getränk (fürs nächste Mal merken: Wasserflasche mitnehmen, um wenigstens bei Beratung im kleinen Kreis im Richterzimmer einen Schluck nehmen zu können). Der Richter fragte zwar an einer Stelle, ob wir eine Pause machen wollten, doch uns allen war es ein Anliegen, die Verhandlung zu Ende zu bringen.
Raus kam ich also erst um 15 Uhr. Unterm Regenschirm marschierte ich zum Café Lotti, das morgens noch Ziel meiner Frühstückspläne gewesen war. Nach zwei Apfelschorlen und einem Bagel mit Avocado und Tomate war ich wiederhergestellt.
Auf dem Heimweg Besorgungen, den Nachmittag verbrachte ich mit einer weiteren Einkaufsrunde und dem Nachlesen von Zeitung sowie Internet. Fürs Nachtmahl (Herr Kaltmamsell war aushäusig) hatte ich Zutaten für eine Brokkoli-Frittata besorgt.
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Die Rückkehr der Vorlesung – eine interessante Analyse des viel beachteten YouTube-Films von Rezo.
Ich kenne ja einen Lehrer näher (ahem), der schon lange darauf verweist, dass der oft bepöbelte Frontalunterricht mit Vortrag in bestimmten Fällen seine Berechtigung hat, der sogar zur Markierung dieser Unterrichtsphasen ein Rednerpult verwendet: Jetzt gibt’s Info von vorn.
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Gülay Türkmen, PhD, ist Soziologin. Vor zweieinhalb Jahren führte ihr Berufsweg sie an den Soziologielehrstuhl der Uni Göttingen, nachdem sie zuvor in den USA, in UK und in den Niederlanden gelebt hatte. Und zum ersten Mal in ihrem Leben hörte sie ständig: “But you don’t look Turkish!”
Das brachte sie zum Nachdenken über ihre türkische Herkunft. Und weil sie Soziologin ist, dachte sie mit den Mitteln der Soziologie darüber nach, hier eine Zusammenfassung inklusive historischem Abriss der türkischen Einwanderung nach Deutschland:
“‘But you don’t look Turkish!’: The Changing Face of Turkish Immigration to Germany”.
via @vinoroma
die Kaltmamsell5 Kommentare zu „Journal Dienstag, 28. Mai 2019 – Zweiter Einsatz als Schöffin mit viel Fußball“
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29. Mai 2019 um 8:42
Danke an Dich und Hande für den sehr interessanten „But you don’t look Turkish’”-Link. Wieder einmal etwas gelernt! :-)
29. Mai 2019 um 10:07
Ich finde ihre Einsätze als Schöffin höchst spannend zu lesen. Auch das mit den Fußballanwälten kannte ich nicht.
29. Mai 2019 um 11:29
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Gerne gelesen
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29. Mai 2019 um 12:35
Danke für den Link zu dem Artikel von Gülay Türkmen. Ich habe mich durch das Englisch gekämpft, leider gibt es von ihr fast keine deutschen Artikel.
Gerade vor einigen Wochen bei den Türkischen Filmtagen in München habe ich mir gedacht dass sich die nach Deutschland eingewanderten Türken fast gar nicht mehr von den Deutschen unterscheiden. Der Unterschied war nur dass sie sich auf Türkisch unterhalten haben. Dieser kaum merkbare Unterschied bezieht sich aber nur auf die Bildungsschicht, bei anderen sehe ich eher eine Entfernung zur deutschen Bevölkerung.
29. Mai 2019 um 15:18
Ja, der Einsatz als Schöffin ist schon bemerkenswert. Man lernt wirklich nie aus, obwohl ich ja eigentlich fussballinteressiert bin *hüstel*.