Journal Samstag, 11. Mai 2019 – Fit genug für Isarlauf, Kuchenunglück
Sonntag, 12. Mai 2019Nicht so lang geschlafen. Draußen regnete es mit wechselnder Intensität zwischen Tröpfchen und Dauerregen. Nachdem ich weiterhin daran festhielt, die Orthopädenspritze vom Vortag habe eine deutliche Verbesserung gebracht, ließ ich meine Laufpläne (nach vier Wochen Pause) nicht durch Regen stören.
Ich setzte also zum Schutz der Brille vor Tropfen eine Schirmmütze auf, schätzte die Temperatur auf Kniehose-Kurzarmshirt-Weste ein und nahm eine U-Bahn zum Odeonsplatz.
Die Kleidung stellte sich als exakt angemessen heraus, die Bandscheibe meldete sich erst nach der ersten Stunde und ließ sich durch Pausen mit LWS-Mobilisierung bis auf den letzten Abschnitt beruhigen, Regentropfen bekam ich nur am Anfang ein paar ab. Ich lief leicht und vergnügt, genoß es sehr.
Die Isar steht immer noch so niedrig, dass die Kiesbänke ihren Umbau zur Insel vorantreiben.
Die Tram zurück kam kurz bevor ich ihre Haltestelle erreichte: Kurzer Spurt, Dehnen verlegte ich in die Tram.
Auf dem Rückweg holte ich Semmeln. In der Grünanlage vor unserem blieb ich ruckartig stehen.
Bluebells! Ich kannte sie bislang nur aus England, wo ihre Blütezeit unter Wanderern eine eigene Saison ist, aber hier hatte ich sie noch nie gesehen. Wo sie doch mit “Atlantisches Hasenglöckchen” einen der schönsten Blumennamen überhaupt haben.
Daheim erwartete mich der Anruf der hochbewunderten Fotografin fürs große Fest, wir gingen die nötigen Details durch.
Duschen, Anziehen, eine Runde Erledigungen. Unter anderem reklamierte ich den Koffer, den ich erst vergangenen September gekauft hatte: Eine Scharnierabdeckung auf der Rückseite hatte sich halb gelöst. Ich konnte zwar keine echte Funktion des Teils entdecken, aber bei solch einem teuren Stück akzeptiere ich die schnelle Auflösung nicht. Ich war gut vorbereitet und konnte im Kofferladen meinen Part im ruppigen Dialog spielen:
“Sie haben Probleme mit ihrem Koffer.”
“Ja.”
Ich zeige den Schaden.
“Müssen wir einschicken.”
Angestellte geht wortlos hinter den Verkaufstresen.
“Kassenbon, Garantiekarte.”
Ich ziehe beides aus meiner Tasche und reiche es.
Angestellte kopiert die Zettel, schlägt ein A4-Schreibheft auf, trägt meine Reklamation ein (ich habe Gelegenheit zu sehen, dass es für jeden Tag mehrere Einträge gibt).
“Ihr Name.”
Ich buchstabiere.
“Telefonnummer.”
Sie notiert, tackert meine Belege zusammen, reicht sie mir.
Ohne Blickkontakt: “Sie werden verständigt.”
Zurück daheim war es schon nach drei, ich frühstückte Semmeln, las Internet.
Herr Kaltmamsell bestand darauf, die weiteren Einkäufe zu übernehmen (sein Argument “sonst müsste ich arbeiten” überzeugte mich); als er zurück kam, hatte ich alles für den geplanten Sonntagskuchen beisammen: Ich wollte diesen Orangenkuchen als Zitronenkuchen backen.
Das ging natürlich problemlos – nur beim Guss machte ich dann einen entscheidenden Fehler. Ich hatte weiche Butter, Puderzucker und allen verfügbaren Zitronensaft verrührt, doch für einen Guss war mir die Creme noch zu dick. Also goss ich ein wenig Wasser an – und die Creme separierte. Wasser hat also eine grundsätzlich andere Eigenschaft als der (doch auch wasserhaltige?) Zitronensaft.
No na, schmecken wird er trotzdem.
Beim Backen hatte ich entdeckt, dass im Ärmel meiner Hausstrickjacke ein großes Loch war. Gleich mal brutal geflickt.
Von links ein Gemetzel.
Von rechts gar nicht so schlimm.
Wie ich halt vor Monaten auch schon die Ärmelkanten geflickt hatte, die sich auflösten. Nein, schön ist das nicht. Aber das hebt jetzt erst mal wieder und ich muss keine neue Strickjacke kaufen. Auf die Straße gehe ich ja nicht damit.
Zum Abendessen machte Herr Kaltmamsell aus Ernteanteil-Gemüse (aus dem Winterlager Pastinaken, Kartoffeln, frischer Lauch) und getrockneten Pilzen einen Pie mit Blätterteigdeckel.
Schmeckte sehr gut! Zum Nachtisch gab’s wieder Erdbeeren; jetzt hat die Zeit im Jahr angefangen, in der Erdbeeren immer auf dem Einkaufszettel stehen. Auch wenn sie nicht draufstehen.
§
Technik ist toll: Auf dieser Seite des Dachverbands Deutscher Avifaunisten (DDA) (ich erfinde nichts) kann man gucken, wo schon Mauersegler gesichtet wurden.
§
“Ostrenten und Altersarmut
Die Pech-gehabt-Frauen”.
Keine rentenrechtliche Entlastung des Ostens, keine Gleichstellung der in der DDR geschiedenen Frauen mit ihren männlichen Altersgenossen. Wenn es gut läuft, könnte es demnächst einen Härtefallfonds geben für jene Rentnerinnen, die am Existenzminimum leben, obwohl sie ihr Leben lang gearbeitet haben.
Hier wird nochmal erklärt, wie das Rentensystem in der DDR funktionierte – und warum die jetzige Regelung vor allem die DDR-Frauen praktisch übers Ohr haut.
Der eilig von den Regierungen Helmut Kohl und Lothar de Maizière ausgehandelte Einigungsvertrag sah vor, dass für Frauen aus dem Osten das West-Rentenrecht erst ab dem 1. Januar 1997 gelten soll. Bis dahin sollte ein Gesetz erarbeitet und beschlossen werden, das die Anwartschaften der in der DDR-geschiedenen Frauen regelt.
Ein solches Gesetz fehlt bis heute.
(…)
Ostdeutsche Männer – das nur nebenbei – passten exakt ins gesamtdeutsche Recht; ihre Renten genießen bis heute Bestandsschutz.
§
Zusammenfassung der re:publica von Kathrin Janker in der SZ:
“Avantgarde in der Filterblase”.
Nicht nur dass bei mir der “Nicht schon wieder”-Sensor mit Augenrollen anschlug (dass sich auf der re:publica eine Interessensgruppe um sich selbst drehe, wird der Konferenz vorgeworfen, seit man sie überhaupt in der Öffentlichkeit wahrnimmt – dabei gibt es doch genau dafür Fachkonferenzen: um sich mit einem Fachthema zu beschäftigten). Auch dachte ich hier ebenso wie beim Lesen der Zusammenfassungen in der Welt und im Handelsblatt: Die war offensichtlich in komplett anderen Sessions als ich.
Das merke ich zwar auch bei Blogberichten wie denen von Vanessa (erster Tag, zweiter Tag) und diplx (erster Tag, zweiter Tag, dritter Tag), doch die Interessen sind halt verschieden. Im schlechtesten Fall hat man als Teilnehmerin nach Gesprächen das Gefühl, alle wirklich interessanten Sessions verpasst zu haben (ist mir bislang zum Glück nur bei einer re:publica so gegangen).
Im Gegensatz zu Journalisten treffen Bloggerinnen und Blogger allerdings keine absoluten Aussagen über die Veranstaltung oder gar die Gesellschaft / das Internet auf der Basis ihrer individuellen Auswahl. Es liefen parallel bis zu 15 Sessions – da sollte eine offizielle Kommentatorin ein wenig reflektieren, dass in anderen möglicherweise genau das beredet wurde, was sie als abwesend anprangert. Janker behauptet:
Die digitale Community wirkt erschöpft, verzagt und betet den inzwischen fünf Jahre alten Satz des Bloggers Sascha Lobo herunter, das Internet sei kaputt.
Wenn Sie meine re:publica-Berichte gelesen haben, wissen Sie, dass es in zahlreichen Sessions um genau das Gegenteil ging, dass genau die Lösungen aufgezeigt wurden, die Janker einfordert. Interessanterweise, und auch das scheint an ihr vorbeigegangen zu sein, gibt es inzwischen nämlich Daten und Studien, die sogar die Auswirkungen bestimmer Methoden und Mechanismen auswerten – inzwischen gibt es das Web dafür lange genug.
Hier ein Beispiel für reflektierte Ausgewogenheit von Jens Scholz:
“re:publica 2019 – gut zu mögen”.