Archiv für Mai 2019

Journal Samstag, 11. Mai 2019 – Fit genug für Isarlauf, Kuchenunglück

Sonntag, 12. Mai 2019

Nicht so lang geschlafen. Draußen regnete es mit wechselnder Intensität zwischen Tröpfchen und Dauerregen. Nachdem ich weiterhin daran festhielt, die Orthopädenspritze vom Vortag habe eine deutliche Verbesserung gebracht, ließ ich meine Laufpläne (nach vier Wochen Pause) nicht durch Regen stören.

Ich setzte also zum Schutz der Brille vor Tropfen eine Schirmmütze auf, schätzte die Temperatur auf Kniehose-Kurzarmshirt-Weste ein und nahm eine U-Bahn zum Odeonsplatz.

Die Kleidung stellte sich als exakt angemessen heraus, die Bandscheibe meldete sich erst nach der ersten Stunde und ließ sich durch Pausen mit LWS-Mobilisierung bis auf den letzten Abschnitt beruhigen, Regentropfen bekam ich nur am Anfang ein paar ab. Ich lief leicht und vergnügt, genoß es sehr.

Die Isar steht immer noch so niedrig, dass die Kiesbänke ihren Umbau zur Insel vorantreiben.

Die Tram zurück kam kurz bevor ich ihre Haltestelle erreichte: Kurzer Spurt, Dehnen verlegte ich in die Tram.

Auf dem Rückweg holte ich Semmeln. In der Grünanlage vor unserem blieb ich ruckartig stehen.

Bluebells! Ich kannte sie bislang nur aus England, wo ihre Blütezeit unter Wanderern eine eigene Saison ist, aber hier hatte ich sie noch nie gesehen. Wo sie doch mit “Atlantisches Hasenglöckchen” einen der schönsten Blumennamen überhaupt haben.

Daheim erwartete mich der Anruf der hochbewunderten Fotografin fürs große Fest, wir gingen die nötigen Details durch.

Duschen, Anziehen, eine Runde Erledigungen. Unter anderem reklamierte ich den Koffer, den ich erst vergangenen September gekauft hatte: Eine Scharnierabdeckung auf der Rückseite hatte sich halb gelöst. Ich konnte zwar keine echte Funktion des Teils entdecken, aber bei solch einem teuren Stück akzeptiere ich die schnelle Auflösung nicht. Ich war gut vorbereitet und konnte im Kofferladen meinen Part im ruppigen Dialog spielen:
“Sie haben Probleme mit ihrem Koffer.”
“Ja.”
Ich zeige den Schaden.
“Müssen wir einschicken.”
Angestellte geht wortlos hinter den Verkaufstresen.
“Kassenbon, Garantiekarte.”
Ich ziehe beides aus meiner Tasche und reiche es.
Angestellte kopiert die Zettel, schlägt ein A4-Schreibheft auf, trägt meine Reklamation ein (ich habe Gelegenheit zu sehen, dass es für jeden Tag mehrere Einträge gibt).
“Ihr Name.”
Ich buchstabiere.
“Telefonnummer.”
Sie notiert, tackert meine Belege zusammen, reicht sie mir.
Ohne Blickkontakt: “Sie werden verständigt.”

Zurück daheim war es schon nach drei, ich frühstückte Semmeln, las Internet.

Herr Kaltmamsell bestand darauf, die weiteren Einkäufe zu übernehmen (sein Argument “sonst müsste ich arbeiten” überzeugte mich); als er zurück kam, hatte ich alles für den geplanten Sonntagskuchen beisammen: Ich wollte diesen Orangenkuchen als Zitronenkuchen backen.

Das ging natürlich problemlos – nur beim Guss machte ich dann einen entscheidenden Fehler. Ich hatte weiche Butter, Puderzucker und allen verfügbaren Zitronensaft verrührt, doch für einen Guss war mir die Creme noch zu dick. Also goss ich ein wenig Wasser an – und die Creme separierte. Wasser hat also eine grundsätzlich andere Eigenschaft als der (doch auch wasserhaltige?) Zitronensaft.

No na, schmecken wird er trotzdem.

Beim Backen hatte ich entdeckt, dass im Ärmel meiner Hausstrickjacke ein großes Loch war. Gleich mal brutal geflickt.

Von links ein Gemetzel.

Von rechts gar nicht so schlimm.

Wie ich halt vor Monaten auch schon die Ärmelkanten geflickt hatte, die sich auflösten. Nein, schön ist das nicht. Aber das hebt jetzt erst mal wieder und ich muss keine neue Strickjacke kaufen. Auf die Straße gehe ich ja nicht damit.

Zum Abendessen machte Herr Kaltmamsell aus Ernteanteil-Gemüse (aus dem Winterlager Pastinaken, Kartoffeln, frischer Lauch) und getrockneten Pilzen einen Pie mit Blätterteigdeckel.

Schmeckte sehr gut! Zum Nachtisch gab’s wieder Erdbeeren; jetzt hat die Zeit im Jahr angefangen, in der Erdbeeren immer auf dem Einkaufszettel stehen. Auch wenn sie nicht draufstehen.

§

Technik ist toll: Auf dieser Seite des Dachverbands Deutscher Avifaunisten (DDA) (ich erfinde nichts) kann man gucken, wo schon Mauersegler gesichtet wurden.

§

“Ostrenten und Altersarmut
Die Pech-gehabt-Frauen”.

Keine rentenrechtliche Entlastung des Ostens, keine Gleichstellung der in der DDR geschiedenen Frauen mit ihren männlichen Altersgenossen. Wenn es gut läuft, könnte es demnächst einen Härtefallfonds geben für jene Rentnerinnen, die am Existenzminimum leben, obwohl sie ihr Leben lang gearbeitet haben.

Hier wird nochmal erklärt, wie das Rentensystem in der DDR funktionierte – und warum die jetzige Regelung vor allem die DDR-Frauen praktisch übers Ohr haut.

Der eilig von den Regierungen Helmut Kohl und Lothar de Maizière ausgehandelte Einigungsvertrag sah vor, dass für Frauen aus dem Osten das West-Rentenrecht erst ab dem 1. Januar 1997 gelten soll. Bis dahin sollte ein Gesetz erarbeitet und beschlossen werden, das die Anwartschaften der in der DDR-geschiedenen Frauen regelt.

Ein solches Gesetz fehlt bis heute.

(…)

Ostdeutsche Männer – das nur nebenbei – passten exakt ins gesamtdeutsche Recht; ihre Renten genießen bis heute Bestandsschutz.

§

Zusammenfassung der re:publica von Kathrin Janker in der SZ:
“Avantgarde in der Filterblase”.

Nicht nur dass bei mir der “Nicht schon wieder”-Sensor mit Augenrollen anschlug (dass sich auf der re:publica eine Interessensgruppe um sich selbst drehe, wird der Konferenz vorgeworfen, seit man sie überhaupt in der Öffentlichkeit wahrnimmt – dabei gibt es doch genau dafür Fachkonferenzen: um sich mit einem Fachthema zu beschäftigten). Auch dachte ich hier ebenso wie beim Lesen der Zusammenfassungen in der Welt und im Handelsblatt: Die war offensichtlich in komplett anderen Sessions als ich.

Das merke ich zwar auch bei Blogberichten wie denen von Vanessa (erster Tag, zweiter Tag) und diplx (erster Tag, zweiter Tag, dritter Tag), doch die Interessen sind halt verschieden. Im schlechtesten Fall hat man als Teilnehmerin nach Gesprächen das Gefühl, alle wirklich interessanten Sessions verpasst zu haben (ist mir bislang zum Glück nur bei einer re:publica so gegangen).

Im Gegensatz zu Journalisten treffen Bloggerinnen und Blogger allerdings keine absoluten Aussagen über die Veranstaltung oder gar die Gesellschaft / das Internet auf der Basis ihrer individuellen Auswahl. Es liefen parallel bis zu 15 Sessions – da sollte eine offizielle Kommentatorin ein wenig reflektieren, dass in anderen möglicherweise genau das beredet wurde, was sie als abwesend anprangert. Janker behauptet:

Die digitale Community wirkt erschöpft, verzagt und betet den inzwischen fünf Jahre alten Satz des Bloggers Sascha Lobo herunter, das Internet sei kaputt.

Wenn Sie meine re:publica-Berichte gelesen haben, wissen Sie, dass es in zahlreichen Sessions um genau das Gegenteil ging, dass genau die Lösungen aufgezeigt wurden, die Janker einfordert. Interessanterweise, und auch das scheint an ihr vorbeigegangen zu sein, gibt es inzwischen nämlich Daten und Studien, die sogar die Auswirkungen bestimmer Methoden und Mechanismen auswerten – inzwischen gibt es das Web dafür lange genug.

Hier ein Beispiel für reflektierte Ausgewogenheit von Jens Scholz:
“re:publica 2019 – gut zu mögen”.

Journal Freitag, 10. Mai 2019 – Neues Spritzenziel, Festbesprechung, italienische Freitagfeier

Samstag, 11. Mai 2019

Früh aufgewacht, war aber in Ordnung.

Ich wagte mich in einen Sommerrock und trug dazu nackte Beine. Das ging tatsächlich ohne Frösteln, ich kann mich von Strumpfhosen verabschieden.

Vor der Arbeit Orthopädentermin. Nachdem die bisherigen Spritzen an die Nervenwurzel selbst keinerlei Wirkung gezeigt hatten, probierte Dr. Orth. diesmal eine ans Facettengelenk.

U-Bahn in die Arbeit (Radeln wäre schöner gewesen, hätte aber deutlich länger gedauert – und ich war durch den Arzttermin ja eh spät dran). Emsige Arbeit, einige davon hoch konzentriert. Mittags Birchermuesli mit Joghurt sowie eine Butterbreze, die von einer Besprechung übrig geblieben war.

Früher Feierabend, weil Herr Kaltmamsell und ich uns mit den Projektmanagerinnen unseres großen Fests trafen. Schöne Unterredung im Café Marais, wir trennten uns mit einer Liste letzter Entscheidungen, die getroffen werden müssen.

Mit Herrn Kaltmamsell spazierte ich hinüber in den freundlichen Italiener an der Hackerbrücke und feierten den Freitagabend mit dem Überraschungsmenü, Ausgabe Fisch (auch ein kleiner Abschied, denn “Stop eating fish. It’s the only way to save the life in our seas” – laut dem aktuellen UN-Report ist die größte Bedrohung für das Leben in den Meeren nicht Plastik, sondern die Fischerei-Industrie).

Als Wein ließen wir uns einen Altùris Sauvignon aus dem Friaul empfehlen, der mit seiner Blütenduftigkeit gestern Abend genau das Richtige war.

Den ersten Teller, Röstbrot mit gebratenem Lachs und rotem Pfeffer, vergaß ich zu fotografieren. Dann gab es im immer goldener auf unseren Tisch fallenden Abendlicht:

Als Fischsuppe serviert, tatsächlich aber ein ordentliches Stück pochierter Fisch, Garnele, Calamaretti in einer köstlichen Safran-Tomaten-Soße.

Hausgemachte Gnocchi mit Garnele, Zucchini, Spargel, Mozzarella.

Zander mit Spargel, dazu Spinat mit Pinienkernen, Kartöffelchen.

Zwei leichte Cremes, eine als Torte, eine als Nocke, mit Himbeersoße.

Auf den Espresso am Ende hatte ich mich von Anfang an gefreut. Wir waren sehr gestättigt und spazierten wohlig entspannt im letzten Abendlicht nach Hause.

1000 Fragen 821-840

Freitag, 10. Mai 2019

821. Wie gut gedeihen Pflanzen bei deiner Pflege?
Sie überleben. Meist.

822. Fühlst du dich auf einem Campingplatz wohl?
Nein.
Als Kind sahen Campingplätze nach Abenteuer und Aufregung aus, doch wenn wir im Urlaub Freunde oder Verwandte an ihren Zelten/Wohnwagen dort besuchten, fand ich das ganze System schon damals ausgesprochen unkomfortabel. Von den wenigen eigenen Versuchen als Erwachsene (immer nur für eine billige Übernachtung auf dem Weg) bleiben mir der ungemütliche nächtliche Klogang über weite Strecken und das Unbehagen einer Morgentoilette in riesigen Gemeinschaftsbädern im Gedächtnis.

823. Ist es wichtig für dich, was andere Leute von dir denken?
Kommt auf die Leute an, bei manchen schon.

824. Wie heisst dein Lieblingszitat?
Vertraue keiner Einsicht, die sich auf ein inspirational quote verkürzen lässt. (Churchill Einstein Rosa Luxemburg Dalai Lama Plato)

825. Gehst du gern auf Flohmärkte?
Ja. Aber ich tue es höchstens einmal im Jahr.

826. Traust du dich, als erste auf die Tanzfläche zu gehen?
Wenn ich unter Freunden und Freundinnen bin: Ja.

827. Welches Musical hast du zuletzt gesehen?
Das müsste Januar 1987 Cats in Wien gewesen sein.

828. Wie viele Höhen und Tiefen gibt es in deinem bisherigen Leben?
766 einhalb. (Gibt es wirklich Leute, die da mitzählen?)

829. Wann hast du zuletzt zusammen mit anderen gesungen?
Vergangenes Jahr auf der Erstkommion der Nichte.

830. Worüber machst du dir derzeit Sorgen?
Hahaha – wie lange Zeit haben Sie? Und es sind alles lächerliche Kleinigkeiten.

831. Was war das größte Wagnis, das du jemals eingegangen bist?
Das bewegt sich am ehesten im Bereich Kulinarik – ich bin nicht besonders wagemutig. Meine Entscheidungen, die andere als Wagnis bezeichneten, fühlten sich für mich nicht so an: Ich hatte keine Angst davor, die ich hätte überwinden müssen. Das mag ein Widerspruch zur Antwort 830 sein, ist es aber nicht.

832. Was ist die wichtigste Lektion, die du für dein Leben gelernt hast?
Menschen sind verschieden.

833. Hast du einen Traum, der immer mal wiederkommt?
Nein. Aber ich träume auffallend oft von Häusern und Wohnungen. Erst vergangene Woche wieder von einem zweigeschoßigen Neubau-Loft in einer Gartenstadt, innen nahezu ohne Mauern, nach außen ins Grüne fast völlig verfenstert.

834. Führst du manchmal verrückte Tänze auf, wenn dich niemand sieht?
Nein.

835. Bei welcher Hausarbeit bist du froh, dass ein Gerät dafür erfunden wurde?
Wäschewaschen.

836. Wie heißt deine Lieblingsinsel?
Großbritannien.

837. Welches Gehirntraining machst du?
Lesen?

838. Welches Thema würdest du wählen, wenn du eine Mottoparty feiern würdest?
Don’t dress for the job you have, dress for the job you want.

839. Welcher Traum ist unlängst geplatzt?
Da ich praktisch keine Träume habe, können auch keine platzen.

840. Redest du unbefangen über Geld?
Nein.

Quelle: Flow-Magazin.

Zu den Fragen 801-820.
Zu den Fragen 841-860.

Journal Donnerstag, 9. Mai 2019 – Arbeitsrückkehr

Freitag, 10. Mai 2019

Der Wiedereinstieg in die Arbeit war ein harter Schnitt nach den kuschligen re:publica-Tagen in meiner Netzfamilie. Und ich war mit sehr unangenehmen Kopfschmerzen aufgewacht, die den ganzen Tag blieben.

Wetter kühl und sonnig. Nachmittags gemischte Wolken, hin und wieder Regengüsse.

Viel Arbeit in der Arbeit, allerdings angenehm wenig unterbrochen.

Auf dem Heimweg ein paar Lebensmitteleinkäufe, zu Hause Salat und Kresse aus frisch geholtem Ernteanteil mit zugekaufter Avocado, dazu reichte Herr Kaltmamsell Bruschetta. Ich traute mich sogar Alkohol und bat Herrn Kaltmamsell um einen Green Monkey.

Im Bett ein neues Buch: Neil Gaiman, Terry Pratchet, Good Omens. Nach dem langsamen Conrad, The Secret Agent (ein sehr seltsames Buch), wollte ich mal wieder etwas Schnelleres lesen.

Journal Mittwoch, 8. Mai 2019 – Berlin zur re:publica 2019: Konferenztag 3 mit Rückreise

Donnerstag, 9. Mai 2019

Die erste re:publica, auf der ich Mit-Erfinder Johnny Häusler nicht begegnet bin. (Er kümmerte sich um die gleichzeitig laufende TINCON.)

Ich wachte früh auf, ging wieder auf einen mittelguten Cappuccino ins Café ums Eck, bloggte fertig, packte und rollkofferte dann zur Station. Kurzer Stopp unterwegs an einer türkischen Bäckerei, um eine Brotzeit zu kaufen (Frischkäse-gefüllter Kringel).

Auch ein Standard meiner re:publica: Gunter Dueck. Diesmal hieß sein Vortrag “Identifikation von Bullshit und Wert”. Damit begab sich Dueck ins Fachgebiet der Wahrnehmungstheorie – und da ist er nicht daheim. Kombiniert mit seiner Argumentation anhand persönlicher Anekdoten klang das kurz vor Lebenshilfebuch. Andererseits bringt ihn das vielleicht auf die große Lücke, die in seinen Hinweisen auf das widersinnige, unvernünftige Verhalten von Menschen im Management und auf bescheuerte Firmenstrategien klafft: Das damit implizite Ziele erreicht werden (z.B. Burgfrieden, Selbstbestätigung), die genauso wichtig sein können wie die vordergründig deklarierten.

Nette Details: Dueck verwies darauf, dass Menschen beim Lesen ihres Smartphones sehr oft lächeln, lachen oder einfach glücklich aussehen. Viel öfter als beim Lesen anderer Sachen.
Und sein Verweis auf ein Paper, mit dem er und sein Doktorvater 1989 Aufsehen erregt haben: “Identification via Channels”.

Ich holte mir einen weiteren Cappuccino und stellte mich damit plaudernd in die Sonne hinter den Hallen – gestern war es endlich warm genug dafür. Alte Bekannte wiedergetroffen, einander vorgestellt.

Alexandra Borchardt und Teresa Bücker zogen mich zum nächsten Panel: “The new abnormal: Hate, Fakes, Mobbing. Wie machen wir das Netz zu einem besseren Ort?” Mit auf der Bühne waren Markus Heidmeier, Marco Holtz, die ausgezeichnete Moderation machte Nadine Kreutzer. Borchardt präsentierte Forschungsergebnis ihres arbeitgebenden Reuters Institute zu Meinungsfreiheit in der digitalen Welt, basierend auf dem letztjährigen Digital News Report. Interessante Schlussfolgerungen:
– Das, was sie das “Ü60-Phänomen” nannte. Glaube an Verschwörungstheorien und mangelndes Wissen über Medienmechanismen sowie über Bewertung von medialen Informationen finden sich weltweit vor allem bei älteren Menschen. Borchardt appellierte dafür, sich nicht nur bei jungen Menschen um Medienbildung zu kümmern.
– Nie vergessen, dass auch im Internet die Guten und Anständigen die Mehrheit sind.
– “Unterschätzen Sie die Leser nicht”: Appell an die Info-Medien, sich zu überlegen, wie sie ihre Leser produktiv einbinden können.

Letzteres war auch der Schwerpunkt der anschließenden Diskussion, Bücker konnte ihre Edition F als Beispiel anführen. (Abends allerdings die überraschende Nachricht, dass sie die Chefredaktion verlassen wird.)

Bei dieser Gelegenheit fiel mir wieder auf, dass zwar auch dieses Jahr die bedrohlich negativen Seiten der Internetmöglichkeiten zentrales Thema vieler Sessions waren, vor allem aber konkrete Lösungen diskutiert wurden.

“Die Akte Hannibal – ein Werkstattbericht” war der Abschluss meiner re:publica. Angestoßen von Redakteurin Christina Schmidt hat die taz ab 2017 Verflechtungen von Rechtsextremisten in der Bundeswehr und der Polizei recherchiert. Präsentiert und erzählt wurde ein spannender Werkstattbericht. (Running Gag: Wann wurde endlich daraus das Thema einer Talkshow?)

Es wurde Zeit für mich, meinen Koffer abzuholen (eigener Bereich am Eingang der re:publica) und zum Hauptbahnhof zu fahren. Dort aß ich ein wenig Backfisch und eine Streuselschnecke, setzte mich dann in den ICE nach München.

Blühende Landschaften, düsteres Wetter. Ich las in leidlich funktionierendem WLAN auf meinem Laptop Internet. Wie auf der Hinfahrt war der Platz neben mir entspannterweise frei.

Nach vier Stunden war ich wieder unter Bayern, Herr Kaltmamsell holte mich am Münchner Hauptbahnhof ab. Er hatte daheim auch ein warmes Abendessen vorbereitet: Auberginen Tikka Masala. Und er hatte die ersten heimischen Erdbeeren der Saison zum Nachtisch besorgt.

§

Wenn ich ihn nicht aus der Redaktion des Techniktagebuchs kennte (er war auch einer der Vorleser), hätte ich Felix Neumanns Hinweis auf diesen Teil der re:publica sehr wahrscheinlich gar nicht wahrgenommen. Dabei finde ich es hochinteressant, dass sich auch die Kirchennetzgemeinde auf der re:publica getroffen hat:
“Wo ‘gläubige Nerds’ über die digitale Zukunft der Kirche sprechen”.

§

Die Sache mit dem Ausdrucken des gesamten Techniktagebuchs ist jetzt endlich auch eine schöne Geschichte im Techniktagebuch geworden:
“20. März bis 8. Mai 2019
Wir drucken das Techniktagebuch aus und lesen alles vor”.

§

Vanessa Vu hatte ich erst am Montag auf einer re:publica-Bühne gesehen. Jetzt las ich ihre Reportage für die Zeit:
“Vietnamesen in Deutschland
Die neuen Ossis”.

Von einer vietnamesischen Münchnerin habe ich mir mal erzählen lassen, dass es auch in München eine recht große Gemeinde an Einwanderinnen (vor allem Frauen) aus Vietnam gebe. Wenn ich sie richtig verstanden habe, kamen sie als geschlossene Gruppe aus Ostdeutschland nach München, treffen sich immer noch fast an jedem Wochenende zum gemeinsamen Picknick oder anderen Unternehmungen, gedenken zusammen der Todestage ihrer Eltern in Vietnam. (Die ausführliche Geschichte läse ich gerne mal in der Süddeutschen.)

Journal Dienstag, 7. Mai 2019 – Berlin zur re:publica 2019: Konferenztag 2 mit Twitterlesung

Mittwoch, 8. Mai 2019

Sehr gut geschlafen, der Wecker holte mich aus tiefen Schlaf. Gut schlafen mache ich wirklich sehr gerne.

Ich ging zum Morgenaffee wieder in das Café vom Montag, doch diesmal hatte ich keine Lust auf einen zweiten Cappuccino: Anderer Mensch an der Maschine, deutlich schlechterer Kaffee (zu große Hitze tötet Geschmack).

Auf den paar hundert Metern zurück ins Hotel hauten mir Sonnenlicht und Gerüche die schönsten Großstadtgefühle ums Herz. Ich begann zu summen: “Früüüüüüüh am Morgen…”

Es war gestern minimal wärmer, doch Radlerinnen sah ich weiterhin in Wintermantel und mit Handschuhen.

Nachahmenswert: Im Gleisdreieckspark gibt es Trinkwasserbrunnen.

Zurück auf der re:publica freute ich mich wieder an der dieses Jahr besonders gelungenen Gestaltung. Das Motto lautet tl;dr, also too long, didn’t read, und das wird umgesetzt mit Wörtern, Wörtern, Wörtern. Dazu gehört der mächtige Ausdruck des gesamten Moby Dick, der einmal längs durch den gesamten Veranstaltungsort zieht; @tknuewer hat ein Filmchen davon zusammengeschnitten.

“Überall Wissen, aber was wissen wir wirklich?” hieß die Session, in der Tom Buhrow und Mai Thi Nguyen-Kim diskutierten (und erst mal die Maus bejubeln ließen). Zunächst war mir ein wenig müde, als Buhrow meinte, er sei aufgeregt, weil er normalerweise nicht vor so viel jüngeren Menschen spreche – er hatte sich offensichtlich nicht im Publikum umgesehen. Und als erkennbar war, dass er ein ausgesprochen überholtes und eh noch nie treffendes Bild von uns Menschen im Internet hatte. (Und als Nguyen-Kim nicht erstaunt genug war, dass auf ihre Frage, wer im Publikum wünsche, sie würden ihr Smartphone weniger nutzen, nicht mal ein Viertel sich meldeten.)

Doch das Gespräch wurde noch interessant, nämlich als Buhrow und Nguyen-Kim herausarbeiteten, dass heute die Informationen, das Wissen immer stärker fragmentiert wird und wie das die Fliehkräfte in der Gesellschaft verstärkt: Immer mehr suchen Menschen sich ausschließlich die Details an Informationen heraus, die ihre eigenen Ansichten bestätigen. Zudem sind neben Expertinnen und Experten weitere Sprecher getreten, die durch Appelle an Gefühle die Fragmentierung der Gesellschaft weiter vorantreiben. Auch das abschließende leidenschaftliche Plädoyer für Öffentlich-Rechtliche Medien von beiden (Buhrow verwies aufs Grundgesetz, Nguyen-Kim führte auf, dass nirgends weniger abhängiger und fachlich tiefer professioneller TV-Journalismus möglich sei) lohnte sich.

Jetzt wollte ich aber doch einen guten Cappuccino. Ich hatte meinen Bambusbecher dabei und holte mir einen an einem der zahlreichen Expressostände.

Das Techniktagebuch wurde weiter vorgelesen, jetzt übernahm auch ich mal eine Runde.

Weitere Vorlesende:

Tillmann Otter

@cupidissimo

Thomas Wiegold

Kathrin Passig

Nachtrag: Solche ernsthafte Kunst bezieht sich ja immer auf noch viel ernsthaftere Kunst.

Da ich gestern Abend selbst Speakerin war, hatte ich Zugang zur Business Lounge und wurde verpflegt. Ich nutzte das für einen gewaltigen Teller Antipasti.

Gefolgt von einer ordentlichen Portion Spargel – wunderbar auf den Punkt knackig gekocht.

Nachdem ich die Chance genutzt hatte, nach vielen Jahren mal wieder Katrin Scheib in Echt zu sehen und zu sprechen, sah ich mir die zweite Wunsch-Session des Tages an: “Best of DSGVO-Armageddon”.

Netzaktivistin Katharina Nocun und Lars Hohl stellten eine großartige Stunde auf die Beine: Mit dem roten Faden der vier Reiter der Apokalypse führten sie faktenreich und unterhaltsam durch die Vorbereitung, das Ereignis und die Folgen der DSGVO – Flughöhe etwa Anstalt. Kernpunkt: So groß waren die Neuerungen gar nicht, außerdem ist die DSGVO nüchtern betrachtet für Enduserinnen zum weitaus größten Teil ausgesprochen begrüßenswert.

Nachdem ich noch eine Weile mit Mitgliedern der Techniktagebuchredaktion geplaudert hatte, ging es in die letzten Vorbereitung meiner Abendveranstaltung: Twitterlesungs-Revival. In den beiden Stunden davor bekam das Ganze dann doch eine Endform, wurde alles einmal durchgeprobt, ich fühlte mich gut und sicher. Und in den Minuten vor dem Start um 20 Uhr verflog auch die weitere Furcht, nämlich die vor einem möglicherweise leeren Publikumsraum. Es war gut voll – und es wurde gelacht.

Hier zwei Fotos von unserer Lesung von @antischokke.

Es freute mich sehr, @annalist mal wieder zu sehen und zu sprechen, @diktator kennenzulernen, es machte viel Spaß, mit @mspro, @PickiHH und @Björngrau auf der Bühne zu stehen.

Danach recht direkt ins Hotelzimmer.

Nachtrag: Hier unsere Lesung zum Nachgucken.

Aktivieren Sie JavaScript um das Video zu sehen.
https://youtu.be/azXfNBRF2Z8

Journal Montag, 6. Mai 2019 – Berlin zur re:publica 2019: Konferenztag 1

Dienstag, 7. Mai 2019

Aufwachen ohne Matschbirne – so schön!

Das Café des Hotels wird gerade renoviert, also machte ich erst mal Morgentoilette, kleidete mich an und ging raus, um mir in einem naheliegenden Café meinen morgentlichen Cappuccino zu holen. Und dann noch einen.

Zurück im Hotelzimmer bloggte ich, machte nochmal was für unsere eigene Show. Dann endlich ging ich rüber zur Station und damit zur re:publica 2019.

Gleich im Hof traf ich die ersten Internet-Herzmenschen, drinnen am Affenfelsen die nächsten aus der Techniktagebuchredaktion.

Als auch 20 Minuten nach dem offiziellen Beginn der Begrüßung auf Stage 1 immer noch kein Zugang zu Stage 1 war und die Schlange davor bis hinaus in den Hof stand, ging ich gleich zum Ort der Anschlussveranstaltung, die ich mir notiert hatte. (Später erfuhr ich, dass der Zugang sehr wohl schon möglich war, allerdings wegen des Kommens von Bundespräsident Steinmeier genau gefilzt wurde, unter anderem keine Laptops mit rein genommen werden durften – BKA trifft auf re:publica-Realität. Vielleicht hat das einfach nicht zusammengepasst?)

“Heimat my ass … Migration is us” – Es diskutierten Ferda Ataman (Journalistin, hat gerade das Buch Ich bin von hier. Hört auf zu fragen! veröffentlicht), Naika Foroutan (Professorin für Integrationsforschung und Gesellschaftspolitik), Daniel Schulz (Co-Leiter Ressort Reportage und Recherche in der taz), moderiert von René Aguigah (Deutschlandfunk). Ich lernte eine Menge. Unter anderem nahm Ataman die Kategorie “Migrationshintergrund” auseinander, die zwar für Menschen wie mich gilt, weil ich mit einer anderen als der deutschen Staatsbürgerschaft auf die Welt gekommen bin, auch wenn ich selbst nie in meinem Leben migriert bin. Die aber nicht für Menschen gilt, die mit deutscher Staatsbürgerschaft auf die Welt kamen, selbst wenn sie ihre ersten 18 Lebensjahre auf den Kanaren verbracht haben und erst dann nach Deutschland migrierten. Foroutan vertrat die Perspektive der Sozialwissenschaft und wägte fundiert und wohlformulierte die Spannungen innerhalb von Identitätspolitik ab: Sehnsucht nach Gleichheit (Bekämpfung von Kategorien) vs. Sehnsucht nach Benennung von Ungleichheit (erfordert Kategorien). Schulz wiederum erklärte, wie wichtig es für Ostdeutsche wie ihn war, dass die Ausgrenzung und Abminderung von Ostdeutschen durch Forschung belegt wurde.

Schon seit einiger Zeit würde ich ja auf die Frage, welches Studienfach mich im Moment am meisten reizt, Soziologie nennen. Seit dieser Diskussion umso mehr.

Ein Check meiner Mails schmiss mir weitere Aufgaben zu. Schlagartig kehrte die Überforderung zurück, ich war kurz davor, nach dem nächsten Arbeitstreffen meine Zuhörerschaft abzubrechen. Zum Glück wurde ich von den richtigen Menschen in die Arme genommen und bekam doch wieder Lust zum Zuhören. Ein kleines Mittagessen (gefüllte Tapiokatasche) half ebenfalls.

Also eines meiner re:publica-Rituale: Mir von Markus Beckedahl das vergangene Jahr Netzpolitik zusammenfassen zu lassen. “tl;dr – Digital war mal besser”. Wieder hatte er fast ausschließlich schlechte Nachrichten für uns Netzgemeinde, wieder plädierte Markus für Optimismus.

Auch auf diese Podiumsdiskussion hatte ich mich gefreut: “Ist das gerade wirklich das Thema?! Relevanz in digitalen Zeiten” mit Georg Restle, Florian Klenk, Marietta Slomka, Vanessa Vu. Alle erzählten aus ihrem journalistischen Alltag, richtig deprimierend dabei der österreichische Falter-Chefredakteur Klenk (“Sie sehen, österreichische Journalisten dürfen das Land noch verlassen.“).

Eva Horn fasste zusammen “Wie Populisten uns auf Social Media vor sich hertreiben – und was wir dagegen tun können”.

Vor der nächsten Veranstaltung, die ich mir rausgeschrieben hatte, war ein wenig Zeit. Ich holte mir eine Breze und besuchte das Dauerevent des Techniktagebuchs: Das Vorlesen des gesamten, auf eigens dafür angeschafftem Nadeldrucker eigens dafür ausgedruckten, Techniktagebuchs.
“Techniktagebuch – Too long, DID read”.

Ich zitiere aus der Ankündigung:

Das wird natürlich niemandem Spaß machen, weder uns noch euch. Aber macht es etwa Spaß, sich in der Halberstädter Sankt-Burchardi-Kirche 639 Jahre lang “As Slow As Possible” von John Cage anzuhören? War es ein Vergnügen, sich 2011 im ehemaligen Untersuchungsgefängnis von Mittweida 55 Tage lang das Gesamtwerk von Karl May vorlesen zu lassen? Ist es interessant, sich Roman Opalkas Bilderserie “1–∞” anzuschauen? Und doch muss es sein, so ist das eben mit der Kunst.

Hier im Leseeinsatz ist gerade Esther Seyffarth.

Mein letzter Live-Programmpunkt war “Aufräumen im Trollhaus: Hetze und Gegenrede in Kommentarbereichen”, unter anderem weil ich die geschätzte Twitterin Nicole Diekmann mal in Echt sehen wollte. Neben ihr diskutierten Gregor Mayer (Einblicke in den Kommentarmoderationsalltag beim Fernsehsender phoenix), Marc Ziegele (der an seiner Uni Düsseldorf gerade zwei sehr interessante Studien zur Auswirkung von Moderationsarten auf Online-Diskussionen durchgeführt hat – und die Ergebnisse kurz präsentierte), Sonja Boddin (aus dem Vorstand von ichbinhier, einem Verein, der vor allem auf Facebook moderierend in diffamierende Diskussionen eingreift). Angenehm unterschiedliche Perspektiven und Erfahrungen, grundsätzliche Einigkeit, dass überlegte Moderation nützt.

Jetzt war meine soziale Energie wirklich aufgebraucht, außerdem hatte ich Hunger. Ich spazierte in der Nähe meiner Unterkunft in ein Lokal, das ich noch nicht kannte. (Mittlerweile düsterer Himmel, ein paar Regentropfen.)

War in Ordnung, die Garnelen schmeckten sogar ausgezeichnet. Auf dem Rückweg holte ich mir noch ein Eis zum Nachtisch.

Zurück im Hotelzimmer machte ich mir warm (der Tag war wieder sehr kalt geworden, ich behielt auch in die Konferenzhallen fast durchgehend meine Jacke an) und besah mir per Live-Stream die alljährliche Gesellschaftsanalyse von Sascha Lobo auf der re:publica, diesmal betitelt “Realitätsschock”.