Archiv für August 2019

Journal Sonntag, 19. August 2019 – Versagertag

Montag, 19. August 2019

Keines der Vorhaben für den Tag umgesetzt,1 nichts geschafft,2 keine unwiederbringliche Chance an diesem letzten Hochsommertag genutzt,3 nicht losgekommen.4
Bloß weil es mir morgens nicht so gut ging.

Nicht mal so richtig schlecht, ich hatte nachts Kopfweh gehabt, trotzdem schlafen können, aber morgens war das richtig böses Kopfweh. Ibu bewirkte auch nach einer Stunde nichts. Am liebsten wäre ich wieder schlafen gegangen, doch hatte ich plangemäß gleich nach dem Aufstehen meine Bettwäsche abgezogen, sie drehte sich jetzt nass und schaumig in der Waschmaschine. Ersatzsommerbettwäsche rauszukramen und das Bett damit zu überziehen erschien mir ungeheuer mühselig. Lieber teilte ich Herrn Kaltmamsell mit, dass ich übrigens den ganzen Tag so unfröhlich schauen würde, dass das hier nach dem wundervollen und heiteren Samstag übrigens ein Scheißtag werden würde, nur mal zur Klarstellung. Es war der letzte Hochsommertag angekündigt, doch ich würde halt weder die möglicherweise letzte Freibadschwimmrunde des Jahrs absolvieren noch einmal überhaupt mal ein paar Stunden im Naturbad Maria Einsiedel verbringen, sondern mich mit Versagensgefühlen und Bedauern herumschlagen. Zumal es mir mit der Zeit dann doch immer besser ging, ich gegen halb elf eigentlich fit genug für eine Schwimmrunde gewesen wäre. Versagerinverdacht bestätigt, ich war zu nichts zu gebrauchen.

Also nur Duschen und Pflegen, in kurzer Hose Abstecher zur Bank und Semmelholen, Rückweg in bereits erstaunlich heiß herunterprügelnder Sonne mit Umwegen.

Große Freude:

 

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Herr Kaltmamsell hat meine liebste* Schneekugel wieder zum Schneien gebracht! <3 <3 <3 *und einzige verbliebene

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Nach dem Frühstück war die Wäsche eigentlich durch und getrocknet, doch jetzt war ich nicht mal Siesta-müde. Ich setzte mich im Sessel auf den Balkon, las erst die Wochenend-SZ, bemerkte, dass mich das Spiel um die neue SPD-Führung immer noch nicht interessiert, las in den folgenden Stunden Min Jin Lee, Susanne Höbel (Übers.), Ein einfaches Leben zu Ende (na ja, historischer Hintergrund einer koreanischen Familie in Japan 1940-1989 schon interessant, aber sehr holzschnittartig erzählt; ein echtes Geschichtsbuch hätte mir mehr gebracht), unterbrochen von Gängen um ein weiteres Glas Wasser und Gucken, wenn ich Eichhörnchen im Baum hörte.

Zum Abendessen hatte Herr Kaltmamsell einen Gast geladen. Da der Putzmann erst am Montag kommt, sahen Küchenarbeitsbereiche und Bad unappetitlich aus, das änderte ich. Es gab Panisse und Wan Tans zur Vorspeise (mit einem grünen Salat von mir), chinesische Suppe mit Udon-Nudeln und diversen Einlagen als Hauptgericht. Im Tischgespräch erfuhr ich unter anderem Parallelen zwischen der Identifikation einer reifen Wassermelone und einer kranken Lunge durch Klopfen.

Im Bett das nächste Buch angefangen: Granta 148: Summer Fiction.

§

Wir werden wohl nie herausfinden, wie sich dieser ausgezeichnete Text von Schriftsteller Till Raether ausgerechnet in die Online-Brigitte verirren konnte (andererseits: Autorenvertrag?), aber hier ist er – eine interessante Einzelerfahrung von jemandem mit “leichten oder mittleren Depressionen”.
“Depressiv oder ‘nur’ unzufrieden?”.

Es gibt Depressive, die werden “hochfunktional” genannt. Weil sie ihre Depression gerade noch überspielen können, und weil der hohe Energieaufwand, den sie das kostet, durchaus auch dazu führt, dass sie als fleißig und erfolgreich gelten.

Ich betone die Einzelerfahrung, denn es gibt auch andere Depressionsbilder und anderen Umgang damit.

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In meinem Internet wurde vergangene Woche Angela Merkel dafür gefeiert, wie sie in Stralsund auf Angriffe eines AfD-Politikers reagiert hatte. Christian Stöcker analysiert klug, worin Angriff und Gegenrede eigentlich bestanden.
“Wie man mit Fanatikern redet – und warum”.

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Ein Interview mit dem Soziologen Michael Hartmann mit Erkenntnissen, die die Einschätzung einiger Menschen erklären könnten, die traditionellen Medien würden sie belügen.
“Entfremdete Medienelite –
‘Soziale Herkunft prägt Berichterstattung'”.

via @holgi

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Schlaue und kreative Cartoons auf instagram: glennztees.

via @formschub, der gestern mal wieder das Kalauersackerl umgeschmissen hat

  1. Na gut, die Bettwäsche ist gewaschen, die Sonntagszeitung ist aufgelesen, das aktuelle Pflichtbuch auch. []
  2. Na gut, der leicht abgeschubberte Zehennägellack ist renoviert, Haare und Körper waren sauber und gepflegt, Bad und Küche habe ich vor Abendessenbesuch halbwegs geputzt. []
  3. Na gut, den Nachtmittag lesend auf dem Balkon verbracht, einmal quer über den sonnenflimmernden Südfriedhof gegangen. []
  4. Na gut, ich war Semmelholen. []

Journal Samstag, 17. August 2019 – Ratzinger Höhe in anderer Begleitung

Sonntag, 18. August 2019

So gut geschlafen wie schon lange nicht mehr, ich stand berstend vor Energie auf.

Der Morgen war warm und trocken genug für Morgenkaffee auf dem Balkon.

Ich war zum Wandern verabredet, mit einer Freundin wollte ich am Chiemsee den Obst- und Kulturweg Ratzinger Höhe gehen.

Es war ein warmer Tag mit Wolken angekündigt, gutes Wanderwetter. Der Zug nach Prien am Chiemsee war rege genutzt, wir bekamen aber noch Klappsitze.

Die Route kenne ich inzwischen so gut, dass ich keine Beschreibung mehr brauche. Dennoch war ich im ersten Viertel verunsichert, als die Ausschilderung nicht der Wegführung in meiner Erinnerung entsprach – so sehr, dass ich dann doch mal auf der Karte nachsehen wollte. Dazu musste ich allerdings erst ein paar ungeduldige Minuten Funksignal jagen – um letztendlich festzustellen, dass wir genau richtig liefen.

Die Obstbäume am Weg hingen voller Früchte, wir sahen Äpfel in allen Farben und Größen, viele Birnen, zum ersten Mal bekam ich mit, dass auch zahlreiche Zwetschgenbäume den Obstweg säumen – die konnte ich allerdings nur anhand der Beschriftung unterscheiden, im Gegensatz zu den Äpfeln und Birnen sahen die verschiedenen Zwetschgensorten für mich sehr ähnlich aus. Das Wetter hielt sich an die Vorhersagen, nur selten kam auch die pralle Sonne heraus und brannte sofort unangenehm.

Anderen Wanderern begegneten wir kaum, dafür waren viele Raderlinnen und Radler mit und ohne Motor unterwegs.

Ich lief fast durchgehend schmerzfrei und freute mich sehr darüber, erst in der letzten Stunde meldeten sich wieder Hüfte und Bein – aber lang nicht so schlimm, dass ich mich plagen musste.

Ausblick von der Ratzinger Höhe, auf der wir rasteten.

Simssee.

Wir gingen die gut 18 Kilometer in fünf Stunden, kehrten abschließend in Prien ein.

Ich hatte eine für mich sehr seltene Lust auf Kässpatzen, gegenüber gab es Lachstartar.

Die Bahn zurück war ein wenig verspätet und wieder rege genutzt, diesmal saßen wir aber sogar auf richtigen Sesseln. In München holte ich mir auf dem Heimweg noch ein Eis zum Nachtisch.

Die Wanderung hatte mich angenehm ermüdet, ich ging früh ins Bett.

Journal Freitag, 16. August 2019 – Gebrückt mit Gymnastik und orientalischen Gewürzen

Samstag, 17. August 2019

Unruhige Nacht, in den frühen Morgenstunden machten rechtes Knie und Schienbein Schmerzrabatz. Beim Morgenkaffee nahm ich 600er Ibu – und stellte im Lauf des Vormittags und Tags fest, dass ich das vielleicht schon früher hätte tun sollen: Der Schmerz verschwand fast völlig und ich wude beweglicher – da wurde vielleicht doch eine Entzündung mitbekämpft.

Ich hatte an diesem Brückentag frei und freute mich sehr darüber. Bloggen, duschen, dann bügelte ich in 45 Minuten Bügelwäsche weg, damit sie erst gar nicht zum Berg werden konnte. Abstecher zur Reinigung, vielleicht reicht der Sommer noch für diesen Rock.

Am donnerstäglichen Feiertag hätte ich meinen regulären Nach-Reha-Termin gehabt, ich ließ ihn auf den gestrigen Freitagvormittag verschieben und spazierte durch einen sonnigen, milden Tag zum Heimeranplatz. Da mein Geräteprogramm beim ersten Durchgang deutlich länger gedauert hatte als die vorgesehenen 60 Minuten, trat ich den gestrigen Termin lieber früher an. Ich kam dennoch vor der Gruppengymnastik nicht ganz durch, auch ohne Umherirren zwischen Maschinen und Terminal brauchte ich 85 Minuten für das Programm. Gruppengymnastik mit Pezziball, danach absolvierte ich die eine nicht geschaffte Übung im Geräteraum.

Da ich noch Obst und selbst gebackenes Brot daheim hatte, entschied ich mich gegen ein aushäusiges Frühstück. Es gab Honigbrot mit salziger Butter, dann Pfirsich, Birne, Maracuja mit Joghurt und eine große Tasse Milchkaffee.

Den Nachmittag verbrachte ich mit Zeitunglesen auf dem Balkon, schaffte die sommerlich dünne Freitagszeitung, das eher uninteressante Magazin und zwei liegen gebliebene Wochenendausgaben.

Abends war ich mit Herrn Kaltmamsell und Freunden aus Regensburg zum Essen verabredet. Sie hatten das Spice Bazaar hinter der Oper vorgeschlagen, das sich als freundlich und angenehm herausstellte.

Geschmorte Aubergine mit Granatapfel als Vorspeise (und als Aperitif ein Pimm’s mit orientalischer Note).

Geschmorte Lammschulter als Hauptgericht, dazu ein Glas Nero d’Avola.

Machte Lust auf einen weiteren Besuch, zu dem wir beschlossen uns nur durch Vorspeisen zu essen.

Wir saßen lange zusammen, mit Herrn Kaltmamsell spazierte ich durch die Nachtfrische nach Hause.

Journal MittwochDonnerstag, 15. August 2019 – Zurück im Olympiabad und Colson Whitehead, Sag Harbor

Freitag, 16. August 2019

Ausgeschlafen in den Feiertag Mariä Himmelfahrt.

Draußen war es kühl und gemischtwolkig. Ich wollte schwimmen, und im Schyrenbad wäre das mit anschließender heißer Innendusche schon gegangen, doch dann fiel mir ein, dass im August ja die große Halle des Olympiabads fertigrenoviert sein sollte. Ich checkte die Website: Richtig, man konnte wieder in ganzer Pracht schwimmen. Also radelte ich hinaus in den Olympiapark, stellte fest, dass dort gerade Sommerfest gefeiert wurde, umfuhr Buden, Verkaufstände, Hüpfburgen und viele Menschen. Der Eingang ins Olympiabad war immer noch versteckt seitlich, die Renovierung wird noch eine ganze Weile brauchen. So fiel auch in der Schwimmhalle das Licht noch nicht wieder durch die große Fensterfront.

Das Becken ist ganz neu und metallern. Gewöhnen musste ich mich aber nach den Draußenschwimmrunden erst wieder ans warme Wasser, schwamm dann gut und mit Genuss mit wenigen anderen im Becken, legte auf meine 3.000 noch 300 Meter. Cardio-Kondition hätte Lust auf noch mehr gehabt, doch ich muss Rücksicht nehmen auf den Rest der Hardware, die gegenüber Herz-Kreislauf immer mehr abfällt.

Der Himmel hatte inzwischen zugezogen, beim Zurückradeln wurde ich kurz vor Zuhause nassgeregnet.

Kurzes Frühstück mit selbst gebackenem Brot (gut!) und Obst, dann spazierte ich mit Herrn Kaltmamsell zum Treffen unserer Leserunde. Eigentlich war für gestern der jährliche Ausflug in die Sommerfrische zum Chiemsee vorgesehen gewesen, doch wegen des schlechten Wetters hatten wir ihn abgeblasen: Bei dem Regen wäre weder Seeschwumm noch Kaffeeundkuchen auf dem Balkon mit Bergblick möglich gewesen, drinnen konnten wir auch in München sitzen.

Gelesen hatten wir von Colson Whitehead Sag Harbor, erschienen 2009. Auf Deutsch heißt der Roman Der letzte Sommer auf Long Island, was beim Kauf im Buchladen wohl zu gedehnten Blicken und Rechtfertigungsfuchteln “Nein, der ist nicht von Uta Danella!” geführt hatte. Ich hatte das Buch sehr gern gelesen – nach anfänglichem Unmut, weil ich vergeblich auf Handlung wartete. Doch Handlung ist nicht der Antrieb der Erzählung. Der Roman malt viel mehr das Bild einer Zeit und eines Gesellschaftsausschnitts: Ein Sommer in den 80er Jahren auf Long Island, es erzählt ein Teenager, der zu der Schicht der schwarzen Sommerfrischler gehört, die in zweiter Generation wohlhabend und etabliert genug sind, dass sie sich Sommerhäuser auf Long Island leisten können.

Sommerfrische der wohlhabenden New Yorker Mittelklasse auf Long Island ist ja ein etablierter Hintergrund in der Fiktion, ob im Roman oder im Film. Doch erst durch Sag Harbor wurde mit bewusst, dass diese etablierten Bilder rein weiß sind, dass Nicht-Weiße darin nicht vorkommen. Genau das ist der Erzählanlass: Sowohl aus der Perspektive des 15-jährigen Benji als Ich-Erzähler als auch mit der Reflexion des Erwachsenen Ben wird uns weißen Normmenschen beschrieben, was wir bislang übersehen haben. Dass es in den 80ern eine gebildete schwarze Schicht mit Wohlstand gab, dass Rassismus und Bürgerrechtsaktivismus ganz spezielle Auswirkungen auf Familienstrukturen hatten, dass Weiße und Schwarze weiterhin getrennt lebten, aber auch, dass solch ein Sommer auf Long Island unter Teenagern eben die Mechanismen und Codes mit sich trug, die dieser Lebensabschnitt produzieren kann.

Ich fand viele Aspekte dieser Zeit und dieser Familien nahbar und nachvollziehar beschrieben: Zum Beispiel den Job, den Benji im örtlichen Eisladen als Waffelbäcker hat, die Unberechenbarkeit des despotischen Vaters und die Reaktion der Kinder, die Machtverschiebung in der Jungsgruppe durch Autobesitz.

Die Rezeption in unsere Lesegruppe ging auseinander, es gab auch Stimmen, die ein Sommer auf Long Island in den 80ern einfach nicht interessierte.

Draußen blieb es regnerisch und unangenehm. Mit Herrn Kaltmamsell verbrachte ich den Abend vor dem Fernseher: Wir guckten That’s Entertainment Part 2 von DVD an.

§

“Schwangerschaft im sozialen Wandel
‘Eine Frau soll keinen Mann brauchen müssen, um ein Kind zu gebären'”
.

Politikwissenschaftlerin Antje Schrupp spricht über ihr neues Buch, in dem sie unsere impliziten gesellschaftliche Vereinbarungen rund um Schwangerschaft betrachtet sowie ihre Wurzeln und Auswirkungen. Sie stellt Gegenvorschläge zur Diskussion.

§

“Konflikte in der LGBTI-Community
Der alte weiße Schwule versteht die Welt nicht mehr”.

via @niggi

Interessanter historischer Abriss der Befreiungsbewegung von Schwulen und Lesben in Deutschland – die zum Teil sehr unabhängig voneinander verlief.

Journal Mittwoch, 14. August 2019 – Anfassen, Lasagne, Brot

Donnerstag, 15. August 2019

Immer noch eher kühl, doch trocken und sonnig. Ich radelte besonders früh in die Arbeit, weil ich schon um 16 Uhr einen Termin bei meiner Anfasserin hatte, von der ich mich eine Wiederholung des Wunders durch Faszienmassage erhoffte.

Und Wunder werden langsam nötig: Ich hinkte wieder den ganzen Tag vor Hüftschmerz. Die Anfasserin ließ sich erst mal die Lage schildert, empfahl neben Faszienrolle auch einen solchen Ball für die Fußsohlen. Werde ich besorgen. Ihre Massage umfasste auch innere Hüftmuskulatur, in der es die eine oder andere Stelle zu lösen gab. Insgesamt war das Anfassen allerdings lange nicht so schmerzhaft wie das in Bad Steben – mag daran liegen, dass damals in der Reha bereits einiges gelockert worden war. Ich bin gespannt auf die nächsten Termine.

Heimkommen immer noch früher als sonst, ich hatte Vorteig für Roggenschrotbrot angesetzt. Während der endgültige Teig ging, machte ich mit Herrn Kaltmamsell Nudeln: Ich hatte mir klassische Lasagne gewünscht, und weil genügend Zeit war, stellten wir die Nudelplatten dafür selbst her. Basis für die Lasagne war ein grobes Rezept unbekannter Herkunft, das Herr Kaltmamsell als mindestens zehn Jahre alte Datei auf seinem Rechner gefunden hatte.

Die Menge Nudeln (400 gr Mehl, 4 Eier) war doppelt zu viel, aus dem Rest machte Herr Kaltmamsell flugs Tortellini mit Feta-Minze-Füllung und fror sie ein. Die Lasagne wurde sehr gut, am ehesten noch müsste man die sehr große Menge Bechamel reduzieren.

Zuletzt war der Ofen dann vom Brot belegt, das gut geriet (eines ein wenig schepps, weil ungeschickt aufs Blech gekippt).

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Welche Auswirkungen die Treuhand bis heute auf die ostdeutsche Wirtschaftsstruktur hat, erkärt bei Krautreporter Christian Gesellmann:
“Die Treuhand, verständlich erklärt”.

via @holgi

Das mit der Treuhand ist doch schon fast 30 Jahre her, spielt das heute noch eine Rolle?

Ja, auf jeden Fall. Ostdeutsche Kommunen haben im Durchschnitt gerade einmal die Hälfte der Steuereinnahmen (pro Kopf) im Vergleich zu westdeutschen Kommunen. Das steht im Jahresbericht der Bundesregierung zum Stand der Deutschen Einheit. Denn die wichtigste Einnahmequelle für Städte und Gemeinden sind die Gewerbesteuern, die Unternehmen zahlen. Dadurch, dass die meisten Betriebe im Osten nicht den Menschen vor Ort gehören, sondern häufig immer noch die verlängerte Werkbank westdeutscher Betriebe sind, zahlen sie auch den Großteil ihrer Steuern nicht im Osten.

Vor allem aber: Der Artikel erklärt von vorne, warum die Treuhand eingerichtet wurde, was ihre Aufgabe war, wie die wirtschaftliche Ausgangslage aussah. Weitere Themen: Auswirkungen der Währungsumstellung, Rolle der Banken (unabhängig von der Treuhand), namentlich bekannte Betrüger.

Fazit:

Die Treuhand hat letztlich genau das umgesetzt, was ihre Aufgabe war. Als Anstalt kann man ihr eigentlich gar keinen Vorwurf machen, im Gegenteil: Die absolute Mehrheit der Mitarbeiter hätte eher einen Orden verdient für die unglaubliche Belastung, der sie sich ausgesetzt haben.

Aber jetzt kommt das Aber …

Ehrlich: Selbst mich als Ossi, für den das Thema Treuhand wirklich nicht neu ist, hat es bei dieser Recherche manchmal gefröstelt, wie eiskalt die Regierung von Helmut Kohl das Projekt Wiedervereinigung durchgezogen hat. Ich finde aber auch, man darf nicht vergessen, dass die Ostdeutschen diesen Weg auch so wollten, sie haben die CDU gewählt und nicht die Bürgerrechtler, die die Wende gebracht haben und eine ganz andere Vorstellung davon hatten, wie die Wirtschaft privatisiert werden sollte. Die Bürger wollten die D-Mark, keine Anteilsscheine an etwas, von dem niemand wusste, was es einmal wert sein sollte. Und sie wollten die Westprodukte. Und das alles sofort.

Der Artikel geht Schritt für Schritt durch das Thema – könnte 1:1 als Schulbuchtext übernommen werden (kommt das Kapitel im bayerischen… ja was: Geschichts-? Sozialkundeunterricht? überhaupt vor?).

§

Svenja Beller skizzierte schon vergangenes Jahr im Freitag die Entwicklung des westlichen Reisens durch die Jahrhunderte, vom Pilgern über die Bildungstour Vermögender bis zum Konsumreisen, wie nach dem Zweiten Weltkrieg Tourismus eine Industrie wurde – und wo wir jetzt gelandet sind:
“Sonne fürs Ego”.

via @miriam_vollmer

„Die Dritte Welt wird zur Spielwiese der Selbsterfahrung. Einheimische sind zur Kulisse degradiert“, schreibt Spreitzhofer. Der Autor Philipp Mattheis nennt Backpacker in seinem Buch Banana Pancake Trail die „Glückskinder des Westens auf ihrer Stippvisite in die Armut“. Auf ihrem Ausbruch aus der Leistungsgesellschaft bedienen sie sich an der fremden Kultur, als wären sie in einem Supermarkt.

Inzwischen scheinen die einst geschmähten Pauschaltouristen in ihren Ressorts den bereisten Urlaubsländern mehr zu nutzen, mehr Wertschöpfung zu bieten, als individuell durchtrampelnde Rucksacktragende.

Und dann natürlich:

Wie schädlich der Tourismus für das Klima ist, belegt die Studie „The carbon footprint of global tourism“, die eine Gruppe australischer Forscher im Mai im Magazin Nature veröffentlichte. Demnach ist der Tourismus für acht Prozent der globalen Treibhausgasemissionen verantwortlich. Das Ergebnis schockierte die Forscher selbst, sie gingen von einem viermal geringeren Wert aus. Den größten Anteil an den CO2-Ausstößen hat mit einem Viertel wenig überraschend der Luftverkehr. Und die Emissionen werden entgegen aller Klimaschutzvereinbarungen weiter steigen, denn die Tourismusbranche wächst, und zwar weitaus schneller als der Rest der Weltwirtschaft. Allein im Beobachtungszeitraum der Studie zwischen 2009 und 2013 wuchsen die vom Tourismus verursachten Emissionen von 3,9 auf 4,5 Gigatonnen.

(Mal wieder zur Sicherheit: Mich selbst schließe ich immer in den Kreis der Übeltäterinnen ein.)

Journal Dienstag, 13. August 2019 – Rucksack fürs Feuerwehrfangirl

Mittwoch, 14. August 2019

Immer noch grau und kühl, ich kapitulierte und zog Jeans und feste Schuhe an – Sommer aus. Sogar für den Heimweg brauchte ich eine Jacke. Dennoch war ich guter Laune, denn Montagabend war mein bestellter Rucksack eingetroffen: Ich hatte schon lange gemerkt, dass es meinem Kreuz nicht gut tat, eine schwere Kuriertasche zu tragen, auch nicht quer getragen. Da meine derzeitige Arbeitstasche ohnehin bereits unschön abgestoßen ist, sollte ihr Nachfolger also ein Rucksack werden: Bequem, mit breiten gepolsterten Trägern, groß genug für Brotzeit und ein paar Einkäufe. Ein wenig Spaß sollte er mir aber auch bereiten.

(Fotograf: Herr Kaltmamsell)

Es wurde also ein Rucksack aus altem Feuerwehrschlauch.

Dieser erste Praxiseinsatz verlief schon mal positiv: Er saß gut und war bequem, die Fächereinteilung gefiel mir, und die Obsteinkäufe auf dem Heimweg fasste er locker, ohne aus der Form zu geraten. Bei Hitze wird mir darin allerdings drunter zu warm werden.

Herr Kaltmamsell ist ein begeisterter Aufbraucher. Als ich also anregte, das Abendessen um das Glas vom lieben Bruder geriebenen Meerrettich zu bauen, das noch im Kühlschrank stand, plante er gekochtes Rindfleisch mit Meerrettichsoße, dazu neue Kartoffeln aus Ernteanteil. Die Nachbarin hatte sich fürs Blumengießen mit einem heimischen Salat bedankt, den gab’s auch.

Im Fernsehen lief Das Haus am See, von dem ich trotz Starbesetzung noch nie gehört hatte und dessen Beschreibung sich interessant las. Ich wurde tatsächlich in die Handlung gezogen (Sandra Bullock!) und hätte ihn gern ganz gesehen, doch als mich zum dritten Mal eine Werbeunterbrechung völlig rauswarf (die ersten beiden hatte ich zum Aufräumen und für Abendtoilette genutzt), machte ich den Ferneseher aus und las den Rest der Handlung bei Wikipedia.

Im Bett zu Regenrauschen Colson Whitehead, Sag Harbor ausgelesen.

Journal Montag, 12. August 2019 – Regenkühler Arbeitstag

Dienstag, 13. August 2019

Am Sonntag Fenster geschlossen gehalten, damit die Hitze nicht reinkommt. Gestern geschlossene Fenster, damit die Kälte nicht reinkommt. August, du hast einen sitzen.

Weg in die Arbeit in kühlem Regen. Er machte keinen Spaß, ich hätte eine Jacke vertragen. Es regnete den Tag über immer wieder.

Als Mittagessen hatte ich zwei kleine vegetarische Pork Pies dabei, die Herr Kaltmamsell ausprobiert hatte, Füllung auf Linsenbasis, dazu Tomaten aus Ernteanteil. Die Pies schmeckten gut! Nachmittagssnack waren zwei große Nektarinen.

Zu Feierabend war es gerade trocken. Ich spazierte heim über den Hertie am Hauptbahnhof: Stopp in der Unterwäscheabteilung, mir waren in den vergangenen Wochen einige funktionale Unterhosen kaputtgegangen. Mir war insgesamt wacklig und schwindlig, ich hatte das Bedürfnis nach etwas Tröstendem. Da es kühl geworden war und erst mal so bleiben soll, ging ich beim Lindor-Laden unterm Stachus vorbei. Den meide ich im Sommer, weil die Schokokugeln dann zu weich werden, aber jetzt stellte ich eine große Tüte verschiedenster Sorten zusammen.

Daheim erwartete mich Herr Kaltmamsell mit spanischer Hausmannskost: Der Ernteanteil hatte Pisto hergegeben.

(Die spanischen Glasteller sind das Originalste auf dem Tisch!) Zukaufen musste er grüne Paprika, Herr Kaltmamsell hatte türkische spitze verwendet – die sich als scharf herausstellten. Das machte das Pisto zu einem völlig anderen Gericht, schmeckte aber immer noch ausgezeichnet. Zum Nachtisch große Mengen Lindor.

Früh ins Bett zum Lesen.

Na gut, ich gebe es zu: Es kränkt mich, dass dieses Jahr die körperliche Alterung so massiv über mich hereinbricht. Noch vergangenen Herbst wanderte ich sechs Tage durch den Westerwald, jetzt kostet jeder Meter Gehen Schmerzen. Meine Füße sehen auch zehn Jahre älter aus als vor einem Jahr.

§

Immer mehr verstehe ich, woher Verschwörungstheoretiker ihre abstrusen Konstrukte haben, z.B. die von inszenierten Unruhen und Massenmorden: Weil sie selbst auf solche Ideen kommen und sie versuchen umzusetzen. Die New York Times beschreibt am Beispiel Schweden:
“The Global Machine Behind the Rise of Far-Right Nationalism”.

Fueled by an immigration backlash — Sweden has accepted more refugees per capita than any other European country — right-wing populism has taken hold, reflected most prominently in the steady ascent of a political party with neo-Nazi roots, the Sweden Democrats. In elections last year, they captured nearly 18 percent of the vote.

To dig beneath the surface of what is happening in Sweden, though, is to uncover the workings of an international disinformation machine, devoted to the cultivation, provocation and amplification of far-right, anti-immigrant passions and political forces. Indeed, that machine, most influentially rooted in Vladimir V. Putin’s Russia and the American far right, underscores a fundamental irony of this political moment: the globalization of nationalism.

(…)

The distorted view of Sweden pumped out by this disinformation machine has been used, in turn, by anti-immigrant parties in Britain, Germany, Italy and elsewhere to stir xenophobia and gin up votes, according to the Institute for Strategic Dialogue, a London-based nonprofit that tracks the online spread of far-right extremism.

“I’d put Sweden up there with the anti-Soros campaign,” said Chloe Colliver, a researcher for the institute, referring to anti-Semitic attacks on George Soros, the billionaire benefactor of liberal causes. “It’s become an enduring centerpiece of the far-right conversation.”

(Nebenbei taucht eine Funktionsbezeichnung auf, die ja wohl einen traumhaften Eintrag bei “Berufsziele” hergibt: “disinformation specialist at the Swedish Defense University”.)

§

Für den kurzen Lacher zwischendurch.