Journal Sonntag, 19. August 2019 – Versagertag
Montag, 19. August 2019Keines der Vorhaben für den Tag umgesetzt,1 nichts geschafft,2 keine unwiederbringliche Chance an diesem letzten Hochsommertag genutzt,3 nicht losgekommen.4
Bloß weil es mir morgens nicht so gut ging.
Nicht mal so richtig schlecht, ich hatte nachts Kopfweh gehabt, trotzdem schlafen können, aber morgens war das richtig böses Kopfweh. Ibu bewirkte auch nach einer Stunde nichts. Am liebsten wäre ich wieder schlafen gegangen, doch hatte ich plangemäß gleich nach dem Aufstehen meine Bettwäsche abgezogen, sie drehte sich jetzt nass und schaumig in der Waschmaschine. Ersatzsommerbettwäsche rauszukramen und das Bett damit zu überziehen erschien mir ungeheuer mühselig. Lieber teilte ich Herrn Kaltmamsell mit, dass ich übrigens den ganzen Tag so unfröhlich schauen würde, dass das hier nach dem wundervollen und heiteren Samstag übrigens ein Scheißtag werden würde, nur mal zur Klarstellung. Es war der letzte Hochsommertag angekündigt, doch ich würde halt weder die möglicherweise letzte Freibadschwimmrunde des Jahrs absolvieren noch einmal überhaupt mal ein paar Stunden im Naturbad Maria Einsiedel verbringen, sondern mich mit Versagensgefühlen und Bedauern herumschlagen. Zumal es mir mit der Zeit dann doch immer besser ging, ich gegen halb elf eigentlich fit genug für eine Schwimmrunde gewesen wäre. Versagerinverdacht bestätigt, ich war zu nichts zu gebrauchen.
Also nur Duschen und Pflegen, in kurzer Hose Abstecher zur Bank und Semmelholen, Rückweg in bereits erstaunlich heiß herunterprügelnder Sonne mit Umwegen.
Große Freude:
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Nach dem Frühstück war die Wäsche eigentlich durch und getrocknet, doch jetzt war ich nicht mal Siesta-müde. Ich setzte mich im Sessel auf den Balkon, las erst die Wochenend-SZ, bemerkte, dass mich das Spiel um die neue SPD-Führung immer noch nicht interessiert, las in den folgenden Stunden Min Jin Lee, Susanne Höbel (Übers.), Ein einfaches Leben zu Ende (na ja, historischer Hintergrund einer koreanischen Familie in Japan 1940-1989 schon interessant, aber sehr holzschnittartig erzählt; ein echtes Geschichtsbuch hätte mir mehr gebracht), unterbrochen von Gängen um ein weiteres Glas Wasser und Gucken, wenn ich Eichhörnchen im Baum hörte.
Zum Abendessen hatte Herr Kaltmamsell einen Gast geladen. Da der Putzmann erst am Montag kommt, sahen Küchenarbeitsbereiche und Bad unappetitlich aus, das änderte ich. Es gab Panisse und Wan Tans zur Vorspeise (mit einem grünen Salat von mir), chinesische Suppe mit Udon-Nudeln und diversen Einlagen als Hauptgericht. Im Tischgespräch erfuhr ich unter anderem Parallelen zwischen der Identifikation einer reifen Wassermelone und einer kranken Lunge durch Klopfen.
Im Bett das nächste Buch angefangen: Granta 148: Summer Fiction.
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Wir werden wohl nie herausfinden, wie sich dieser ausgezeichnete Text von Schriftsteller Till Raether ausgerechnet in die Online-Brigitte verirren konnte (andererseits: Autorenvertrag?), aber hier ist er – eine interessante Einzelerfahrung von jemandem mit “leichten oder mittleren Depressionen”.
“Depressiv oder ‘nur’ unzufrieden?”.
Es gibt Depressive, die werden “hochfunktional” genannt. Weil sie ihre Depression gerade noch überspielen können, und weil der hohe Energieaufwand, den sie das kostet, durchaus auch dazu führt, dass sie als fleißig und erfolgreich gelten.
Ich betone die Einzelerfahrung, denn es gibt auch andere Depressionsbilder und anderen Umgang damit.
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In meinem Internet wurde vergangene Woche Angela Merkel dafür gefeiert, wie sie in Stralsund auf Angriffe eines AfD-Politikers reagiert hatte. Christian Stöcker analysiert klug, worin Angriff und Gegenrede eigentlich bestanden.
“Wie man mit Fanatikern redet – und warum”.
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Ein Interview mit dem Soziologen Michael Hartmann mit Erkenntnissen, die die Einschätzung einiger Menschen erklären könnten, die traditionellen Medien würden sie belügen.
“Entfremdete Medienelite –
‘Soziale Herkunft prägt Berichterstattung'”.
via @holgi
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Schlaue und kreative Cartoons auf instagram: glennztees.
via @formschub, der gestern mal wieder das Kalauersackerl umgeschmissen hat
- Na gut, die Bettwäsche ist gewaschen, die Sonntagszeitung ist aufgelesen, das aktuelle Pflichtbuch auch. [↩]
- Na gut, der leicht abgeschubberte Zehennägellack ist renoviert, Haare und Körper waren sauber und gepflegt, Bad und Küche habe ich vor Abendessenbesuch halbwegs geputzt. [↩]
- Na gut, den Nachtmittag lesend auf dem Balkon verbracht, einmal quer über den sonnenflimmernden Südfriedhof gegangen. [↩]
- Na gut, ich war Semmelholen. [↩]