Journal Mittwoch, 18. September 2019 – Herr Kaltmamsell hat Geburtstag
Donnerstag, 19. September 2019 um 7:02Dann doch vor dem Weckerklingeln sechs Stunden am Stück geschlafen. Das war wundervoll, reichte aber nicht: Sonst bin ich ja unerträglich morgenmunter, gestern hätte ich beim Anziehen viel darum gegeben, ins Bett zurück zu dürfen.
Aber erst mal musste Herr Kaltmamsell geherzt, geküsst und beglückwünscht werden: Er hatte Geburtstag.
Draußen wieder Sonne, ich kleidete mich noch mal in sommerliches Weiß. Beim Parken des Fahrrads fragte mich eine andere Radlerin durchaus entgeistert, ob mir nicht kalt sei. Da ich eine zugeknöpfte Jeansjacke über langärmligem Shirt, eine über-knie-lange Hose und Halbschuhe trug und wir noch weit von Frost entfernt sind, konnte nur der sommerliche Stil Auslöser ihrer Frage gewesen sein.
Umtriebiger Arbeitstag, mittags Brotreste und Käse, ein paar Trauben. Eine meiner kleinen Internetfreundinnen hatte entdeckt, dass auf der Plattform der VG Wort die Ausschüttungsbriefe für 2018 bereit standen: Ich werde mein Blogheinzelmännchen wieder zu einem sehr großzügigen Essen einladen können.
Nach Feierabend war ich mit Herr Kaltmamsell vorm Dallmayr verabredet: Wir wollten ein Gutscheingeschenk für ein Geburtstagsfestmahl aus Feinkost einlösen.
Aber erst mal Abenteuer: Ich parkte mein Fahrrad hinterm Rathaus erstmals im einzigen zweigeschoßigen Fahrradständer, den ich in München kenne – oben! Das ging erstaunlich leicht, brauchte nur ein wenig Überwindung (man muss die Halterung erst mal zwei Meter rausziehen und runterklappen, allerdings ohne Kraftaufwand, dann das Fahrrad einstellen und samt Halterung wieder ein- und hochschieben).
Da ein Dallmayr-Einkauf bislang immer eine Plastikschalen und -dosen-Schlacht gewesen war, hatte Herr Kaltmamsell zumindest für die Teilchen unter Aspik unsere eigene Plastikdose dabei, die gerne akzeptiert wurde. Für die Feinkostsalätchen nahmen wir die des Hauses, doch uns wurde ausführlich erkärt, dieser Kunststoff bestehe aus Milchsäure und sei wirklich echt ehrlich kompostierbar (es wird sich wohl um diesen Biokunststoff handeln). Die Dallmayr-Papiertüten wurden uns an jeder Station angeboten (wenn ich mir das Straßenbild ansehe, sind sie wohl in München immer noch begehrt), doch wir hatten ja unsere Rucksäcke dabei.
In erster Linie ging es aber auch gestern um Leckereien. Wir sahen uns erst mal gründlich um, nach abgeschlossenem Umbau hatte ich noch nicht ausführlich beim Dallmayr eingekauft. Alles sehr schön, auch wenn ich das Wasserbassin vermisste. Erst kauften wir Häppchen und Feinkost, dann Prager Schinken (frisch vom Bein geschnitten), Lachstartar und Foie gras (letzteres für eine spätere Mahlzeit), italienisches Brot.
Damit spazierten wir durch die sinkende Sonne nach Hause – und feierten Herrn Kaltmamsell.
(Hier die Tafel von der anderen Seite.)
Früh ins Bett, wir waren beide sehr müde.
§
Die grausame Vergangenheit Europas im 20. Jahrhundert ist nicht nur in den regelmäßigen Bombenfunden bei Bauarbeiten gegenwärtig.
“Joachim Kozlowski birgt die Toten des Zweiten Weltkrieges”.
via @claudine
Besonders interessant fand ich die Details, die die Auswirkung der neuzeitlichen Kriegsführung auf den Umgang mit Gefallenen beleuchten – auch das änderte sich durch den industriellen Krieg:
(In Brandenburg) fanden die größten Schlachten auf deutschem Boden statt. Als endlich Frieden war, hatte die DDR kein Interesse an den Toten dieses Krieges, insbesondere, wenn sie der Wehrmacht angehörten. Oft blieben sie, wo sie gefallen waren. Anders als im Westen, wo die meisten Toten inzwischen geborgen und auf zentralen Grabanlagen umgebettet wurden.
Die ersten dieser Anlagen wurden bald nach dem Ersten Weltkrieg eingerichtet. Damals war der Ruf der Hinterbliebenen immer lauter geworden, die toten Väter, Söhne, Brüder mögen endlich heimgeholt werden. Aber angesichts von etwa zwei Millionen Gefallenen sah sich das ruinierte Deutsche Reich 1919 außer Stande, diese Aufgabe zu leisten. Und selbst wenn, von Granaten zerrissene Körper sollten zu Hause niemandem zugemutet werden.
Also wurde beschlossen, Kriegsopfer bleiben in den Ländern, in denen sie zu Tode kamen. Internationale Abkommen sichern ihnen ein dauerndes Ruherecht. Die Pflege der Soldatenfriedhöfe im Ausland übernahm der Volksbund in Zusammenarbeit mit örtlichen Helfern. Heute, 100 Jahre und einen weiteren Weltkrieg später, pflegt er die Gräber von 2,8 Millionen Menschen in 46 Staaten.
Leider muss der Artikel auch darauf eingehen, wie dieses Gedenken von Rechtsextremen verdreht und missbraucht wird.
§
Viel gelernt aus dem Twitterthread, der so beginnt:
Sometimes other white folks ask me the best way to be less of a Clueless White Person without demanding people of color expend effort teaching them, and I have a suggestion that will absolutely work. You won’t wanna do it, but I’m going to tell you anyway.
Besonders ertappt fühlte ich mich bei
die KaltmamsellIn theory, being a woman should make it hard for me to speak up, but I was lucky; I missed that conditioning. My upbringing was largely free of sexism. So I have a very “white dude” tendency to talk over people, and it takes effort to just listen. But it’s so, so worth it.
13 Kommentare zu „Journal Mittwoch, 18. September 2019 – Herr Kaltmamsell hat Geburtstag“
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19. September 2019 um 8:03
Herzlichen Glückwunsch nachträglich dem werten Herrn Kaltmamsell!
19. September 2019 um 8:37
Foie gras? :(
Ich erinnere mich noch gut an diese Demo: https://www.abendzeitung-muenchen.de/inhalt.zweifelhafte-delikatesse-demo-in-der-innenstadt-gegen-den-verkauf-von-tier-stopflebern.6956f7e9-07fe-44fa-86c8-5ed271784e1b.html
19. September 2019 um 10:19
Widersprüche gehören wohl zum Leben dazu! Frau Kaltmamsell, darf ich mir Ihren Krückstock zum Gefuchtel ausleihen? Foie gras? Auch wenn ich Sie bislang nicht als Tierschützerin wahrgenommen habe, verwundert bin ich schon.
Glückwunsch an Herrn Rau!
19. September 2019 um 12:45
Einmal im Jahr erlaube ich es mir auch fois gras zu essen und aus Erinnerung an frankophile Zeit, Froschschenkel und Schnecken. Ach ja, ab und zu Lachs schmeckt mir auch.
19. September 2019 um 17:00
Liebe Kommentatoren-Gemeinde,liebe Kaltmamsell, liebe Trulla, liebe Katharina,
die M. meint, wir sollten ein Spiel spielen. Jeder zählt auf, was er sich diese Woche bereits einverleibt hat. Wir finden u. a. sicher auch bei Ihnen, Katharina und Trulla, etwas, was uns nicht passt. Bei mir waren’s diese Woche ein paar Hundert Gramm Haribo im Einwegplastikeimer. Bieten Sie mehr? Falls Sie lebensmitteltechnisch sündenfrei sein sollten, können wir auch mit den von Ihnen genutzten Verkehrsmitteln, Konsumgegenständen und Ihrem Stromanbieter weitermachen. Sie haben die Wahl.
die M. grüßt Sie.
19. September 2019 um 18:44
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Genau!
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19. September 2019 um 20:32
Alles Gute, lieber Herr Kaltmamsell!
19. September 2019 um 20:46
Ein verspäteter Glückwunsch an Herrn Kaltmamsell, das Sie im selben Monat Gebutstag haben wie Herr Irgendwas ist immer macht Sie mir gleich nochmal sympatischer! Bleiben Sie gesund und munter!
19. September 2019 um 21:20
Vielen Dank für die Wünsche, Ihnen allen; ich arbeite weiter an allem!
19. September 2019 um 21:55
Ups, Herr Kaltmamsell, ob meiner Erregung habe ich Sie glatt übergangen: Alles Gute! Vor allem Gesundheit, Genuss und gute Menschen!
Es grüßt die M.
19. September 2019 um 22:18
Herzlichen Glückwunsch!
Da ich zu denen Verfeinertesittenlosen gehöre, musste ich googeln. Diese von D. ist demnach aus von selbst gewachsenen Organen.
Gerne stelle ich mir vor, wie Frau Kaltmamsell ihre Leser:innen ab und an heftig trollt und sich kugelig lacht.
Ich würde es wohl tun.
Eigentlich zum identitätspolitischen thread: ich glaube, da ist ein Denkfehler drin, oder auch ein unproduktives mindset. Jede, die nicht ganz einer Gruppennorm entspricht, ‚stört‘ die Interaktion, muss mehr ‚arbeiten‘ um anerkannt zu werden, wenn die Eigenschaft stigmatisiert ist. Das ist anstrengend, frustrierend, ungerecht. Durch reine Appelle, an Moral etc wird aber nicht de-stigmatisiert.
Im öffentlichen Raum ergibt sich zwangsläufig ein Dialog, auch über die nicht-normkonforme Eigenschaft. Mich nervt auch oft die Last, zB mein Frausein als Technik-affiner Mensch immer wieder thematisieren zu müssen, meine ,Behinderung‘ immer wieder, vergeblich, erklären zu müssen.
Ich wünschte, ich hätte schon viel früher gelernt, besser mit den Störungen in der Interaktion umzugehen, die ich ja selber auslöse…
20. September 2019 um 10:35
@die M. Haribo versus Stopfleber? Geschenkt. Whataboutism at its best. Glückwunsch.
20. September 2019 um 15:12
Liebe Ricarda,
reingefallen, es war der Einwegplastikeimer. Nehmen Sie’s nicht als Whataboutism, sondern als Versuch eines Hinweises darauf, a) dass wir alle nicht perfekt sind; b) dass wir wegen vermeintlicher Fehler nicht mit dem Finger auf andere zeigen sollten, die uns an ihrem Leben teilhaben lassen. Und am besten auch nicht auf echte Fehler, denn mit denen geht man besser anders um.
Es grüßt die
M.