Archiv für November 2019
Journal Freitag, 29. November 2019 – Kent Haruf, Plainsong
Samstag, 30. November 2019Viel bessere Nacht. Ich bin versucht, das auf die 600 mg Ibu vor dem Schlafengehen zurückzuführen – doch die hatten eine Woche vorher überhaupt keine Wirkung gehabt.
Ich hatte den Wecker früh gestellt, für ein wenig Zeit auf dem Crosstrainer. Die tat mir dann auch gut.
Draußen war es nass und ungemütlich. Ich beschloss, dass ich das Rad auch mal nur deshalb stehenlassen kann, weil ich einfach keine Lust auf Radeln habe, und nahm Tram und U-Bahn in die Arbeit. Zu Mittag ein Stück Brot, Hüttenkäse mit einem Rest Himbeermarmelade (mache ich regelmäßig: Hüttenkäse oder Quark in ein Marmeladenglas mit Marmeladenrest löffeln, umrühren). Nachmittagssnack war ein Apfel und ein Stück schwarze Schokolade.
Den Rückweg hatte ich eigentlich als gemütlichen Spaziergang geplant, doch jetzt regnete es richtig. Ich nahm den ebenso gemütlichen Bus 62, der im Abendverkehr besonders langsam war, und las auf meinem Handy Kent Harufs Plainsong weiter – ein elektronisches Buch hat halt den Vorteil, dass ich es auch dann lesen kann, wenn ich das Kindle, also das Pendant zum physischen Buch, nicht bei mir habe.
Nach einer kurzen Einkaufsrunde im Basitsch war ich früh daheim, machte es mir mit einem Glas Wasser im Sessel bequem und las erst mal den Roman aus. Ich war ebenso angetan davon wie von seinem Nachfolger Eventide; Kent Haruf hat da etwas ganz Besonders geschaffen.
Wie auch im zweiten Band von Harufs Trilogie, Eventide, wirkte die Handlung durch die scheinbare Abwesenheit einer einordnenden Erzählstimme dokumentarisch. Wir befinden uns wieder auf dem US-amerikansichen platten Land, in der fiktiven Gemeinde Holt, Colorado, sehen den Bewohnerinnen und Bewohnern im Alter zwischen zehn und sehr, sehr alt beim Leben und Sterben zu. Und wieder wird hier, anders als gewohnt, den Figuren keine innere Reflexion unterstellt, die wir mitverfolgen könnten. Als Leserin kann ich nur aus ihren Äußerungen und Handlungen rückschließen. Wenn zum Beispiel einer der alten Brüder McPheron am Abend nach der Anfrage ausbricht, ihm sei egal, was sein Bruder meine, das junge schwangere Mädchen werde aufgenommen, Punkt – wird nur indirekt, aber sehr klar, welche inneren Dialoge und Abwägungen in den Stunden davor in ihm rumort haben müssen.
Mein Highlight des ganzen Romans sind diese beiden alten Brüder, Raymond und Harold, und wie sie versuchen, dem ungewollt schwangeren Mädchen Victoria, das von daheim rausgeflogen ist, ein Heim zu geben. Die Beschreibung des Hauses bei ihrer Ankunft führt vor, dass die beiden versucht haben, sich in ihren Blick hinein zu versetzen; wie bewusst sie sich sind, dass sie dem Mädchen vor allem Angst einjagen, sagen sie sogar zu der gemeinsamen Freundin, der Lehrerin Maggie, die sie um diesen Gefallen gebeten hat. Und als Maggie ihnen zukommen lässt, dass Victoria unter dem Schweigen im Haus leidet, dass sie sich abends Gespräche wünscht, “euch wird schon ein Thema einfallen”, machen die Brüder jede Anstrengung, das zu ändern. Nach dem Abendessen setzt Harold an: “We just was wondering… what you thought of the market.” So ziehen sie die zunächst verdatterte Victoria in eine Unterhaltung über Korn- und Viehpreise, denn damit kennen sie sich – im Gegensatz zu jedem anderen Gesprächsthema, das ihnen offensichtlich eingefallen ist – zumindest aus. Victoria springt darauf an und lässt sich einen Abend lang erklären, wie der Kauf und Verkauf von Ackerfrüchten und Vieh funktioniert. Ich schwankte beim Lesen zwischen Lachen und Tränen, so schön.
In diesem ersten Band greift Haruf doch noch hin und wieder zum telling statt reinem showing, zum Beispiel heißt es explizit, dass die beiden Buben Ike und Bobby ihre Tante für bossy halten. Das gibt es in Eventide gar nicht mehr – und macht es meiner Ansicht nach noch besser. (In der Tantenszene kommt auch der einzige Hinweis auf zeitgenössische Technik vor: Sie zeichnet jeden Tag eine Fernsehserie auf, die sie abends ansieht – offensichtlich mit einem Videorekorder, was die Handlung ungefähr in den späten 80ern platziert.)
In dem Vorwort meiner Ausgabe schreibt Romanautor und Literaturwissenschaftler Peter Carey: “Although Ken continually fills the reader’s heart with feelings, he is never, not for a comma, false or sentimental.” Genau diese Qualität des Buchs ließ mich die Luft anhalten, lachen, weinen – ohne dass ich mich manipuliert fühlte.
Ich freue mich sehr, dass es noch einen dritten Band gibt. Aber den hebe ich mir noch eine Weile auf. Für den Moment, in dem ich ihn nötig habe.
Zur Feier des Wochenendes gab es Moscow Mules, ich genoss den Biss des Ginger Beers. Zum Abendessen hatte Herr Kaltmamsell mir mal wieder einen Wunsch erfüllt: Rote Bete, Weißkraut, Sellerie aus dem Ernteanteil waren Borscht geworden.
Der Eintopf war mit reichlich Rind- und Schweinefleisch gemacht (das Rezept stammte aus den 70ern) – die Hälfte hätte gereicht, merken wir uns fürs nächste Mal.
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Eine großartige und herrlich alberne Sammlung auf Twitter, nachdem gefragt wird:
1000 Fragen 961-980
Freitag, 29. November 2019Na, die beiden letzen Chargen werde ich ja wohl noch dieses Jahr schaffen, damit die 1000 Fragen aufgeräumt sind.
961. Wann hast du dich overdressed gefühlt?
Ich kann mich nicht erinnern. Das mag daran liegen, dass ich überhaupt kein Problem damit habe, deutlich festlicher oder förmlicher gekleidet zu sein als meine Umgebung. Allerdings ist mir schon passiert, dass ich funktional falsch gekleidet war, da ich nicht die nötigen Informationen bekommen hatte – das ist aber nicht overdressed.
962. Was machst du mit den Erinnerungen an deine Expartner?
Manchmal bedauern, dass sie verblassen.
963. Hast du schon einmal in einem Schloss geschlafen?
Ich glaube schon (wenn der Parador in Ávila als ein solches durchgeht).
964. Wofür schämst du dich?
Für so viel, dass es kurz vor alles ist.
965. Schreibst du Geburtstagskarten?
Wenn, dann zu Geschenken.
966. An welches ungeschriebene Gesetzt hältst du dich konsequent?
KEIN KNUSPER IN SCHOKOLADE!
967. Wann hast du zuletzt eine Wanderung gemacht?
Im August.
968. Kannst du dir für die Dinge, die dir Freude bereiten, mehr Zeit nehmen?
Ja.
969. Welche Klassiker hast du gelesen?
Sehr viele der englischsprachigen Literaturgeschichte, die meisten während meine Studiums der Englischen Literaturwissenschaft. Es ist mir zu mühsam, sie alle hier aufzulisten.
970. Welche Person aus deiner Grundschulzeit würdest du gern wiedersehen?
Bei einigen Mitschülerinnen und Mitschülern wüsste ich gerne, wie ihr Leben weiterverlaufen ist. Doch wirklich wiedersehen würde ich gerne meine damals sehr junge Erstklasslehrerin Frau Neugebauer.
971. Malst du dir manchmal aus, wie es wäre, berühmt zu sein?
Nein.
972. Welches Museum hast du in letzter Zeit besucht?
Schloss Clervaux in Luxemburg.
973. Experimentierst du gerne beim Kochen?
Eher ungern.
974. Wie wichtig sind Frauen in deinem Leben?
Sehr.
975. Machst du gern Komplimente?
Ja, ich denke nur nicht oft genug daran.
976. Wer ist dein Vorbild?
Niemand.
977. Wann hast du zuletzt einen Tag am Strand verbracht?
Einen ganzen Tag? Das ist so lange her, dass ich mich nicht daran erinnere.
978. An wem orientierst du dich?
Es gibt einige Frauen, die mich auf Ideen bringen (Neusprech: die mich inspirieren), aber orientieren tue ich mich an niemandem.
979. In welcher Hinsicht bist du immer noch ein bisschen naiv?
Ich habe immer noch nicht den Wunsch aufgegeben, Menschen möchten vernunftbasiert und zu ihrem mittel- und langfristig Besten entscheiden. Doch so ist der Mensch nicht.
980. Trägst du Schmuck, der für dich einen Erinnerungswert hat?
Ja.
Quelle: Flow-Magazin.
Journal Donnerstag, 28. November 2019 – Ernteanteilpflichten
Freitag, 29. November 2019Die Nacht war ein wenig besser; aber die nächtlichen Hüftschmerzen, die ich sonst nur auf Wanderurlauben hatte, sind jetzt wohl in jeder Nacht da.
Als ich mich zur Abfahrt bereit machte, merkte ich, dass es regnete. Das musste mir egal sein, ohne Fahrrad war der Tagesplan nicht zu schaffen. Ich wurde auch nur wenig nass, es war nicht sehr kalt.
Emsiger Arbeitstag. Mittags ein Butterbrot aus Selbstgebackenem (am Vorabend aufgetaut), Granatapfelkerne. Es regnete nur hin und wieder ein bisschen, nachmittags wurde es trocken. Das erleichterte mich, ich musste nämlich Herrn Kaltmamsell beim Abholen des Ernteanteils vertreten, er war beruflich verhindert. Also machte ich früher Feierabend und radelte zu unserem Verteilerpunkt in der Goethestraße (ein Agenturbüro im Obergeschoß). Die Kiste brachte ich nach Hause und hatte noch ein halbes Stündchen, bis ich zum Rehasport aufbrechen musste. Ich hatte großen Hunger und aß ein Brot mit Gänseschmalz, räumte ein wenig in der Wohnung, wusch schon mal den Feldsalat für mein Abendbrot.
Rehasport begann mit einer Turneinheit in der Gruppe (freundliche, aufmerksame Trainerin), dann absolvierte ich meine Runde im Geräteraum ohne große Mühe. Auf dem Heimweg kurzer Stopp an der Bank.
Den Feldsalat richtete ich mit Birne und ein wenig Bergkäse an, schmeckte sehr gut. Herr Kaltmamsell kam spät und erschöpft heim, kurzer Austausch von Neuigkeiten, Essensplanung für Freitagabend.
Journal Mittwoch, 27. November 2019 – Schlafmangel
Donnerstag, 28. November 2019Üble Schmerzensnacht, der längste Schlaf am Stück dauerte knapp drei Stunden. Im Moment setze ich meine Hoffnung auf den Termin nächste Woche bei einem anderen Orthopäden, der laut einer Kollegin nicht nur Bilder anschaut, ich bin wirklich erschöpft.
Arbeitstag mit Kopfweh aus Angst und Ärger. In Kombination mit der beschissenen Nacht hätte ich mich nachmittags sehr gerne eine Runde unter den Schreibtisch gelegt. Aber auch das ging vorbei.
Mittags grüne Spitzpaprika, ein Laugenzöpferl, Quark mit eingekochten roten Johannisbeeren.
In der Abenddämmerung den Krähenschwärmen mit besonders großer Sehnsucht hinterher geschaut. Auf dem Heimweg kurzer Abstecher zum Edeka Theresienhöhe, unter anderem Granatäpfel für Brotzeit mitgenommen.
Zum Abendessen zerteilte Herr Kaltmamsell das letzte Stück Ernteanteil, nämlich einen Hokaido, in Spalten und buk ihn im Ofen. Wir aßen ihn mit Käse und Butter, danach reichlich Süßigkeiten.
Ich nahm ein Erkältungsbad, dehnte, legte mich dann sofort ins Bett und las Kent Haruf, Plainsong – gefiel mir gleich wieder so gut wie Eventide, ist dennoch ein bisschen anders als der zweite Band der Trilogie.
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Blicke über den Tellerrand mögen wir ja, gell? Wie wäre es mit einem Blick auf Gemälde von Herrschern außerhalb Europas? Zum Beispiel in Persien?
“Peek Into The Court: Stunning Qajar Portraits”.
via @Hystri_cidae
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Web-Urgestein Anne Roth bloggt über ihren Online-Aktivismus in der Vergangenheit:
“20 Jahre Indymedia – Ein anderes Internet schien möglich”.
Open Publishing, die Möglichkeit, eigene Beobachtungen, Berichte, Meinungen einfach per Formular online zu veröffentlichen, hat die Welt der Medien auf den Kopf gestellt. Heute ist nichts selbstverständlicher, als spontan Bilder, Texte, Videoclips bei Facebook, YouTube, TikTok zu posten und per Twitter weit zu verteilen. Wer Ende der 90er etwas mitzuteilen hatte, brauchte dazu gute Beziehungen zur AStA- oder Lokalzeitung, sonst blieb nur der Leserbrief. Das war mit einem Schlag anders.
(…)
Überhaupt, die Kommentarfunktion.
Genau genommen ist sie ein einziges Missverständnis. Erfunden wurde die Kommentarfunktion, damit unter den veröffentlichten Inhalten von anderen ergänzt werden konnte, was fehlte oder anders gesehen wurde. Tatsächlich war sie auch bei Indymedia mehr oder weniger von Anfang an eine bunte Trollwiese: Beschimpfungen, Verleumdungen, rechte Hetze und persönliche Angriffe beschäftigten die (immer unbezahlt in der Freizeit aktiven) Moderationsteams weit mehr, als sich irgendwer ausgemalt hatte. Ein Versuch, das zu korrigieren, war die Umbenennung der Kommentare in «Ergänzungen», um deutlicher zu machen, dass hier zusätzliche Fakten gefragt waren, und weniger Meinung. Im nächsten Schritt wurden eingehende Kommentare unterteilt in inhaltliche Ergänzungen zum Text und andererseits – alles andere. Erstere wurden gut sichtbar zuerst dargestellt, alles andere blasser, kleiner und mit eingeklapptem Text darunter. Eine Lösung, die sich bedauerlicherweise sonst nirgends durchgesetzt hat, ich halte sie weiterhin für einen sehr sinnvollen Beitrag zu einer konstruktiven Diskussionskultur im Netz.
Journal Dienstag, 26. November 2019 – Freier Tag mit Schwimmen, Öffi-Irrfahrt, Anfassen und Kochen
Mittwoch, 27. November 2019Ein freier Tag also. Die Idee hatte ich anlässlich des Physio-Termins am Nachmittag: Anstatt mir die Zeit von der Arbeit abzuzwacken, konnte ich doch gleich den ganzen Tag abzwacken. Ich stellte mir den Wecker eine halbe Stunde später (konnte ich gut brauchen, das Einschlafen war arg schmerzgestört verlaufen), und da Herr Kaltmamsell nicht zur ersten Schulstunde antreten musste, konnte ich ihm dennoch Milchkaffee servieren.
Noch recht früh machte ich mich auf den Weg zum Dantebad, allerdings schonend mit der U-Bahn. Im Bad war kurz nach halb zehn anscheinend gerade Schichtwechsel, mit mir kamen sehr viele weitere Frauen in die Umkleide und die Duschen. Auch die Schwimmbahnen waren so gut besetzt wie am Samstag, ich musste oft überholen (achtete bei der Beschleunigung aber darauf, nur aus dem Oberkörper zu arbeiten und die Beine weiterhin nur Anemonen-sanft zu wedeln). Aber! Es kam immer wieder die Sonne raus, ich genoss die Luft. Anschließend Dehnen im benachbarten Sprudelbecken.
Auch jetzt geriet ich in einen Schichtwechsel, die Duschen waren sogar überbelegt, manche Frauen mussten warten.
Zum Frühstück steuerte ich das Café Puck an und ließ mir von der MVV-App eine Verbindung anzeigen. Doch gestern klappte das sonst so verlässliche System überhaupt nicht: Die genannte Straßenbahnlinie gab es wohl gar nicht, zweimal verstrich die angegebene (und an der Live-Anzeige angekündigte) Abfahrtzeit an der Haltestelle, ohne dass die Tram auftauchte – ich stand 20 Minuten herum (dass eine andere Linie mich ebenfalls an den Umsteigehalt gebracht hätte, verschwieg die App). Also schlug ich mich auf eigene Faust durch, verirrte mich an der vielspurigen Kreuzung Landsberger/Nymphenburger Straße auf der Suche nach der richtigen Bushaltestelle – und brauchte insgesamt über eine Stunde für eine Strecke, die ich mit dem Rad in nicht mal 20 Minuten zurückgelegt hätte. Meine Laune war nicht mehr sehr ferienhaft (zum Glück hatte ich meinen E-Book-Reader dabei und war mit Lektüre versorgt, sonst hätte ich wahrscheinlich aufgegeben und wäre heim gefahren).
Das Café Puck enttäuschte nicht, ich frühstückte ausgesprochen feudal.
Das da rechts unten ist eine monstermäßige Brioche, warm, schwer, butterduftend. Dazu gab es Hirschschinken, Bergkäse, Zimtquark, Ei, frisch gepressten Orangensaft (ich war so durstig, dass ich mich sofort darauf stürzte), Capuccino, Apfelschorle. Und die Süddeutsche des Tages.
Nicht ganz so gemütlich wie geplant nahm ich die U-Bahn nach Hause. Dort konnte ich gerade noch die nassen Schwimmsachen zum Trocknen aufhängen, bevor ich eine S-Bahn zur Anfasserin nahm. Unterwegs las ich Shulamit Lapid, Mirjam Pessler (Übers.), Lokalausgabe aus – überraschend, denn an sich war die Fortschrittsanzeige erst bei 91%: Mal wieder bestand der Rest aus Werbung und Leseproben. Das ärgert mich immer, auch in gedruckten Büchern: Meine Leseerwartung kommt so gerade bei einem Krimi völlig durcheinander; wenn scheinbar noch ein gutes Stück Buch übrig ist, rechne ich noch nicht mit einer Auflösung des Falls. Insgesamt war mir die Hauptfigur im Verlauf dieses israelischen Provinzkrimis, Lisi Badichi, doch noch ans Herz gewachsen. Ich mochte es, an meine Wochen in Israel erinnert zu werden, amüsierte mich auch über die originalgetreue Darstellung des Alltags einer Lokaljournalistin. Und ich war mir des Alters des Romans bewusst: Es gibt noch kein Internet (meine Güte, waren Rechechern ohne noch aufwendig!) und kein Handy, Lisi hat lediglich einen Piepser.
Frau Physio ließ mich wieder auf ihrem Flur schaulaufen und war eigentlich ganz zufrieden mit der Entwicklung – in diesem Moment ging ich auch rund und hinkte nicht so heftig wie vorher am Tage. Diesmal nahm sie sich meinen zur rechten Hüfte gehörigen Fuß vor. Ich spürte, dass vor allen der Mittelfuß es nötig hatte, weil er knallhart war. Aber auch die Hüftmuskulatur bekam ihre kräftigen Hände zu spüren.
Anschließend hatte ich Einkäufe um den Marienplatz vor, fuhr also mit der S-Bahn bis dorthin durch (und sah als Aufklebern an den Fenstern zum ersten Mal Werbung für Mozillas Firefox). In der Papeterie des Ludwig Beck (danke für den Tipp!) sah ich mich gründlich bei den Notizbüchern um. Bindewerk wäre mir schon sehr sympathisch gewesen, doch in der reichlichen Auswahl gab es nur entweder ein Modell mit Haltegummi drumrum oder eines mit Einmerkeband – keines verfügte über beides (nur Kalender hätte es von Bindewerk mit meiner Idealausstattung gegeben). Meine Wahl fiel schließlich auf ein italienisches Modell von Castelli.
Im Kaufhof holte ich noch Strümpfe, Portwein und Süßigkeiten, bevor ich im Biosupermarkt Zutaten fürs Abendessen besorgte (leider kein frischer Spinat, aber ich war zu faul zu weiterer Suche, also gefrorener). Ich machte das vertraute Palak Paneer nach Germanabendbrot, dazu Naan nach einem neuen Rezept. Fürs Backen des Naan in der Pfanne rekrutierte ich Herrn Kaltmamsell, um nicht in Hektik zu geraten.
Beides wurde ausgezeichnet, mit dem Naan war sogar der Herr zufrieden.
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Es schrieb Direktorin Novemberregen.
Und erhielt als Antwort:
https://youtu.be/zi8ShAosqzI
Wie großartig! Wie vielseitig einsetzbar!
(Norwegischer Humor also. Wieder was gelernt.)
Journal Montag, 25. November 2019 – Nebelnovember
Dienstag, 26. November 2019Ein richtiger Nebeltag. Ich wachte zu sehr trüben Aussichten in den dunklen Morgen auf, die sich in der innersten Innenstadt bis zu meiner Abfahrt etwas lichteten. Doch die Theresienwiese war eine einzige Waschküche,1 und vor meinem Bürofenster sorgten den ganzen Tag gerade mal die winterlichen Saatkrähen für einen wirklichen Kontrast – alles andere war mit übertriebenem Weichzeichner verwischt. Das Heimradeln fühlte sich wie die Dampfwäsche bei der Kosmetikerin an, es war auch nicht sehr kalt.
Mittags die restlichen Linsen vom Linsen-mit-Spätzel-Mahl vom Freitagabend (die restlichen Spätzle, denn Spätzle macht Herr Kaltmamsell nie wenige, waren im Gefrierschrank geparkt), nachmittags ein Stück schwarze Schokolade.
Wenige Übergabegespräche, ich hatte mir den Dienstag freigenommen und freute mich sehr darauf.
Herr Kaltmamsell hatte aus dem Gansgerippe vor zwei Wochen Brühe gekocht, sie war die Basis für ein fleischloses Tom Kha Gai, in das der Pak Choi aus Ernteanteil kam, Chilis aus einem Blumenstrauß und zugekaufte Pilze. Als Aperitif machte ich uns Green Monkeys, weil noch Sahne da war. (Sie merken, wie unsere Speisen- und Einkaufsplanung funktioniert?)
Früh ins Bett zum Lesen.
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Das Weinblog Chez Matze erzählt immer wieder von Besuchen in Weingegenden, wunderschön bebildert. Dieser hier bezauberte mich besonders:
“Die schönsten Weinberge an Saale und Unstrut”.
Wenn ich wieder Wandern kann (TFU TFU TFU), wünsche ich mir eine ausgedehnte Weinbergwanderung.
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Kathrin Passig seziert in einer Kolume für die Frankfurter Rundschau wieder eine weit verbreitete Haltung zu Technik, nämlich die Annahme, es gebe einen übertriebenen und damit schädlichen Technikeinsatz
“Technik ohne Seil”.
Was wir überhaupt als Techniknutzung wahrnehmen und diskutieren, ist meistens der Umgang mit den Neuerungen der vergangenen paar Jahre. Mit den ersten Aufzügen fuhr man nur aufwärts und nahm bergab die Treppe. Auch im Ende der 1920er Jahre erbauten „Karstadt“ am Berliner Hermannplatz fuhren die Rolltreppen tagsüber nur nach oben. Der Rückweg musste zu Fuß zurückgelegt werden – eine perfekt ausgewogene Techniknutzung, aber eine schon lange von niemandem mehr vorgeschlagene.
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Ganz was anderes: Stichwort “Nazikeule” und der Vorwurf, der Begriff “Nazi” werde inflationär verwendet. Sie ist nicht frisch, aber ich fand diese Definition von Martin Lindner sehr hilfreich:
“Was ist ein Nazi?”
(Meine erste Begegnung mit einem Etherpad, Winken zu Martin Lindner.)
- Ist das überhaupt noch ein sinnvoller Vergleich? Selbst ich kenne Waschküchendunst ja nur noch, weil meine polnische Großmutter darauf beharrte, ihre Bettwäsche auszukochen, und zwar in einem gemauerten Zuber im Keller ihres Wohnblocks, in dem sie schwitzend mit einem hölzernen Paddel rührte. [↩]