Halbe Stunde vor Wecker aufgewacht. Eigentlich wollte ich noch ein wenig dösen, aber dann ging wieder Gerumpel im Müllkammerl unter meinem Schlafzimmerfenster los.
Die programmierte Waschmaschinenwäsche aufgehängt, festgestellt, dass der 25 Jahre alte Trockner entfuselt werden muss und bis dahin erst mal nicht geht, also noch mehr Wäsche in der Wohnung verteilt.
Früher in die Arbeit gefahren – zu früh, denn der Bäcker Zöttl auf dem Weg hatte noch keine Laugenzöpferl, von denen ich eines für meine Brotzeit geplant hatte, das Lieferfahrzeug legte gerade erst an. Statt dessen zwei Brezen gekauft – und jetzt weiß ich, dass der Zöttl Brezen genau so macht, wie ich sie am liebsten mag (die unkanonische Vorliebe verrate ich aber nicht, weil ich mich ein bisschen dafür schäme).
Mittags also zwei Brezen, Hüttenkäse mit dem letzten Rest Latwerge. In der Post eine besonders schöne Briefmarke.
Wissen Sie: Ich sammle nämlich Briefmarken. Das heißt: Wenn ich eine schöne Briefmarke auf einem Brief sehe, schneide ich sie mitsamt möglichst vollständigem Stempel aus (die finde ich nämlich auch interessant) und werfe sie in eine Schachtel in einem Schränkchen, das im Flur meiner Wohnung steht. Seit 18 Jahren. Wenn der Brief in meinem Sekretärinnenbüro ankommt und nicht an mich adressiert ist, frage ich die Empfängerin, ob ich die Briefmarke haben kann. In meinem früheren Berufsleben bekam ich Post aus fernen Landen, bis von Südeseeinseln, diese Briefmarken fand ich besonders aufregend. Ich habe weiterhin keine Ahnung von Philatelie, plane auch nicht, irgendwelche Alben anzulegen – ich sammle einfach. (Und sehe eine Zukunft, in der nach meinem Tod meine dann sehr spärliche Hinterlassenschaft aufgelöst wird und sich die professionellen Auflöser ganz kurz wundern, dass jemand, die so sorgfältig dafür gesorgt hat, möglichst wenig Mühe mit ihrem Nachlass zu machen und sogar Bücher, Kleidung und Geschirr in den letzten Lebensjahren fast vollständig abgeworfen hat, bis zuletzt ausgerechnet ein Kistlein Briefmarken besitzt.)
Früher Feierabend, es war noch nicht mal ganz dunkel. Ich brauche nach sechs Jahren ein neues Notizbuch, Anforderungen DinA6, liniert oder kariert, Einmerkebändchen, stabil mit einem Gummi rum (weil ich es einfach in meine Taschen werfe und es sonst aufklappen und zerküllen würde), möglichst von einem kleinen, am besten auch noch lokalen Hersteller.
Das jetzige Notizbuch hat zusätzlich eine schmale Klappe zwischen den Deckeln, die die Seiten schützt. Ich hatte es im Semikolon-Laden in der Hohenzollernstraße gekauft (Hersteller Legami Milano), und dahin radelte ich gestern wieder (ziemlich kalt, aber trocken) – nachdem ich mich im Internet versichert hatte, dass der Laden dort noch ist. Es stellte sich heraus, dass das Internet fehlinformiert war: Die Dame, die in dem Laden Werkhaus an der früheren Adresse des Semikolon stand, berichtete, dass er schon vor einem Jahr geschlossen hatte.
Ohne große Hoffnung radelte ich zu dem anderen schönen Papierladen, den ich halbwegs in der Nähe wusste, zu Carta Pura. Doch wie erwartet gab es dort zwar wunderschöne handgefertigte Schreibbücher, aber nichts davon Taschen-tauglich. Ich werde im Internet bestellen müssen.
Daheim war Herr Kaltmamsell bereits startklar für die Zubereitung des Abendesssens: Ich hatte mir Linsen mit Spätzle gewünscht. Erst mal gab es aber Wochenendanfangs-Alkohol (Gin Tonic): Oft meide ich nämlich abends Alkohol nicht nur aus Migräne-Angst, sondern auch weil ich einen klaren Kopf für Konzentration auf meine Abendlektüre behalten will. Gestern war mir das egal.
Zum Essen öffnete ich die Flasche Wein vom Vollcorner, mit der man mich vor zwei Wochen beim Einkaufen betrunken gemacht hatte:
La Marchesana Rosso Pasito, ein apulischer Primitivo, der zum Teil aus angetrockneten Trauben hergestellt ist und Restsüße hat – den konnte ich mir besonders gut zu den Linsen vorstellen. Auch Herr Kaltmamsell war angetan von dem ungewöhnlichen Geschmack, zu den Linsen passte er erst so richtig, als ein wenig Essig dran war.
Wir waren beide von der Woche erledigt und zusätzlich vom Alkohol müde, dadurch noch früher im Bett als unter der Woche.
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Sacha Baron Cohen (ja, der), hat den International Leadership Award der Anti-Defamation League (ADL) erhalten. Auf dem ADL’s 2019 Never Is Now Summit on Anti-Semitism and Hate hielt er die Keynote Adress – nach eigener Aussage zum ersten Mal als er selbst auf der Bühne. (SO britisch!)
Er erweis sich als kluger und beredter Denker und Sprecher (falls sie mal ein Beispiel für eine gute Rede suchen), hier der Text auch in Schriftform.
via @hatr
Unter anderem erklärt Sacha Baron Cohen die Absichten hinter seiner Art vom Comedy. Sein Argument und eine Rechtfertigung, warum ausgerechnet er die Keynote Speech hielt: Seine Witze – ebenso wie Demokratie – funktionieren nur auf der Basis eines gemeinsamen Glaubens an bestimmte Fakten (er gibt ein paar Beispiele in character).
Democracy, which depends on shared truths, is in retreat, and autocracy, which depends on shared lies, is on the march.
Er nennt die großen Internet-Konzerne die “greatest propaganda machines in history”:
On the internet everything can appear equally legitimate.
Voltaire was right, “those who can make you believe absurdities, can make you commit atrocities.” And social media lets authoritarians push absurdities to billions of people.
Cohen plädiert für eine Regulierung von Social Media Plattformen:
“Freedom of speech is not freedom of reach.”
(Mir gefällt übrigens der Titel der Veranstaltung sehr gut, “Never is Now”, weil er sich gut auf das deutsche “Niemals wieder” übertragen lässt: Niemals wieder ist jetzt.)
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Noch ein wenig Niedlichkeit zum Wochenende, diesmal in Comic-Form:
“Things We Realized After We Rescued a Shelter Dog”.
via @claudine