Nachdem es in den Bürgerversammlungen des Münchner Stadtbezirks 2 Ludwigsvorstadt-Isarvorstadt in den vorherigen Jahren vor allem um die Sicherheit und den Raum von Rad- und Fußverkehr gegangen war, stand im Mittelpunkt der gestrigen jährlichen Bürgerversammlung das Recht auf Autoverkehr, vor allem in stehender Form. Von der ungewöhnlich hohen Anzahl von über 60 Anträgen bezog sich mehr als ein Drittel auf die neue Verkehrsführung in der Fraunhoferstraße.
Ich hatte bereits der Lokalpresse entnommen, dass im Juli die Fraunhoferstraße als Pilotprojekt in einer von den Anwohnern als Hauruck-Aktion empfundenen Maßnahme von allen ca. 130 Parkplätzen befreit wurde, statt dessen beidseitig mit einem aufgemalten Radweg ausgestattet – hier zeigt die Website des Bayrischen Rundfunks Bilder. Anträge genau dafür hatte es in den vergangenen Bürgerversammlungen bereits gegeben, meiner Erinnerung nach waren sie aber abgelehnt worden – zu verwegen hatte die Idee geklungen.
Nun ist der Aufruhr groß: Antrag um Antrag für Sonderhalte- und -parkrechte der Anwohner (auch der Seitenstraßen, die nach eigenen Aussagen jetzt noch schwieriger einen Parkplatz finden), von ausschließlichem Parkrecht für Anwohner über Sonderanlieferzonen, besserer Markierung der bereits eingerichteten solchen Zonen bis zu sofortigem Abbruch des Pilotprojekts. Dazu mehrere Anträge auf Einführung einer Tempobeschränkung auf 30 Stundenkilometer – die jetzt scheinbar breitere Straße, die ja schnurgerade von der Blumenstraße bis an die Isar führt, ist wohl zur Rennstrecke geworden. Und schließlich einige als Anträge formulierte Appelle, künftig doch bitte die Anwohnenden in Planung miteinzubeziehen, zumindest aber vorher ausreichend zu informieren (gemeint war vermutlich: direkt und individuell zu informieren, denn selbstverständlich waren Beschluss und Planung öffentlich gewesen und veröffentlicht worden).
Mit großer Mehrheit angenommen wurde davon lediglich das letzte Thema, alle anderen Details stießen auch in der gestrigen Bürgerversammlung auf unterschiedliches Echo (sogar einer der Anwohner hatte einen Antrag auf weiteren Ausbau des neuen Radwegs gestellt inklusive baulicher Abgrenzung zur Straße mit Mauer oder Pflanzen) – es gab immer wieder unwillige Zwischenrufe (eine Bürgerversammlung sieht keine Diskussion vor, sondern nur Anträge oder Anfragen, auf die am Ende und vor Abstimmung Fachleute von der Stadt wenn möglich reagieren).
Klar wurde für mich mal wieder: Farbe auf der Straße ist keine Infrastruktur, solche punktuellen Eingriffe in den Straßenverkehr vergrößern die Verkehrsmissstände in der Innenstadt eher. Es braucht dringend einen übergreifenden Plan. (Und ich nahm mir vor, möglicht bald mal selbst in der Fraunhoferstraße vorbeizuschauen: Da dürfen wirklich Autos nirgends auch nur mal kurz anhalten?)
Bürgermeisterin Christine Strobl leitete die Versammlung (sie wird in der nächsten Kommunalwahl nicht mehr kandidieren, ich werde sie vermissen), die Grundschul-Turnhalle, in der wir uns wieder trafen, war richtig voll. Sie präsentierte anfangs Lage und Zahlen der Stadt München und unseres Stadtbezirks 2. Strobl legte Wert darauf, dass die Stadt München nie eigene Wohnungen verkaufe, sondern im Gegenteil aufkaufe, dass ohnehin Infrastruktur wie Stadtwerke nie privatisiert worden sei (hätten schließlich Bürgerinnen und Bürger durch ihre Steuern finanziert). Die Finanzen sehen sehr gut aus, die Schulden der Stadt (derzeit 680 Mio. Euro) werden weiter reduziert, die Steuereinnahmen sind auf einem Allzeit-Hoch, die Stadtbezirke erhalten höhere Budgets zur eigenbestimmten Verwendung (Strobl forderte dazu auf, Ideen für den Einsatz dieser Gelder einzureichen).
Der neue Bezirksratvorsitzende Andreas Klose von der Rosa Liste, Nachfolger seines vergangenes Jahr verstorbenen Parteifreunds Alexander Miklosy, berichtete vor allem über die großen Bauprojekte im Viertel. Unter anderem erfuhr ich, dass der Bau des neuen Münchner Hauptbahnhofs erst 2033 so weit sein wird, dass wir uns über die Gestaltung des Bahnhofsvorplatzes unterhalten können. Klose verwies darauf, dass in unserem Stadtbezirk 2 das Budget auch ausgegeben wird (womit seinen Worten zufolge andere Stadtbezirke Schwierigkeiten haben) – für ihn der Beleg, wie lebendig und quirlig das Viertel ist.
Programmpunkt Polizeibericht: Polizeidirektor Hans Reisbeck nannte Zahlen aus der Polizeistatistik, nach denen die Kriminalität weiter sinkt, unter den Straftaten Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz den größten Anteil haben (Bahnhofsviertel halt), es im vergangenen Jahr allerdings lediglich 25 Wohnungseinbrüche gab. Der Verkehr nehme zu, es habe aber weniger Unfälle mit Fußgängern oder Radfahrern gegeben – schrecklicherweise kamen dabei zwei Radler ums Leben.
Unter den Anträgen gab es neben der Fraunhoferstraße ein weiteres Schwerpunktthema: Geruchsbelästigung am Schlachthof, einige Anwohner erkundigten sich oder forderten schnelle Abhilfe. Dazu gab jemand vom Referat Gesundheit und Umwelt gleich nach Abschluss der Antragsstellungen Auskunft: Ursache ist eine neue Abwassertechnik seit Anfang des Jahres. Der Betreiber installiere derzeit eine Luftreinigungsanlage, die hoffentlich das Geruchsproblem löse. (Der Antrag einer Anwohnerin, den Schlachthof ganz zu schließen, weil sowas nicht in die Stadt gehöre, wurde übrigens mit großer Mehrheit abgelehnt.)
Weitere Anträge und Themen (insgesamt ein Drittel von Frauen gestellt, zwei Drittel von Männern) – fast ausschließlich zu Verkehr:
- Anregungen zur Verschönerung von Plätzen im Viertel (immer unter Aufgabe von Parkplätzen)
- mehr Anwohnerparkplätze (mehrfach)
- Verbot von privatem Silvesterfeuerwerk (angenommen)
- Nutzung der Braunauer Eisenbahnbrücke auch als Fußgänger- und Radlbrücke über die Isar (ein Evergreen in der Bürgerversammlung – aber die Bahn will nicht)
- Zuparken von Gehwegen durch Fahrräder und E-Roller
- Verkehrsberuhigungen bestimmter Straßenabschnitte
- Fußgängerüberwege über die Wittelsbacherstraße
- Verbesserungen Radwegführung, mehr Grünbepflanzung (alle solche Anträge wurden angenommen)
- Fütterungsverbot von “Raben” (schön wär’s, das sind alles Krähen – so oder so abgelehnt)
- ein seit Jahrzehnten verfallendes Haus in der Geyerstraße
- Installation von Überwachungskameras zur Verhinderung von Graffiti (abgelehnt)
- Lärmbelästigung durch eine 23-Stunden-Bar
- Wohnbebauung Viehhofgelände nicht profitorientiert gestalten (angenommen, eh)
- Gärtnerplatzfest
- Maßnahmen “gegen Obdachlose” am Gärtnerplatz und in der Reichenbachstraße (abgelehnt)
Dieses Jahr begleitete mich Herr Kaltmamsell – dem ich erst als wir saßen verriet, dass es sehr wahrscheinlich fast nur um ein Thema gehen würde (er liest keine Zeitung), nämlich um die Fraunhoferstraße. Die vielen Anträge und die geteilten Meinungen bei der Abstimmung per Handzeichen (es musste vielfach durchgezählt werden, da die Mehrheit nicht auf den ersten Blick ersichtlich war) verlängerten diese Bürgerversammlung bis kurz vor elf; das nächste Mal, meinte Herr Kaltmamsell, lasse er sich lieber wieder von mir erzählen.
Einer der letzten Anträge, über die abgestimmt wurde, setzte die Stimmung des Abends auf versöhnlich: Bewohnerinnen eines Hauses an der Wittelsbacherstraße, die direkt an die Isar grenzt, wünschten sich auf der Höhe ihres Hauses einen “sicheren Zugang zur Isar”, um im Sommer darin baden zu können, also eine Treppe oder eine kleine Plattform. Allgemeines Schmunzeln bei der Antragsverlesung, und als er zur Abstimmung kam, hörte ich hinter mir ein leises “Gönn ihnen”: Antrag angenommen, der Stadtrat wird sich damit befassen.
§
Vielleicht, vielleicht, vielleicht werden meine Hüftbeschwerden besser.
Seit dem Tag nach dem kräftigen Anfassen fühlen sich einige BänderFaszenMuskelstränge nicht mehr ganz so fest an und lassen mir mehr Beweglichkeit. Zum Beispiel kann ich mit fast geschlossenen Beinen stehen (Leidensgenossinnen wissen, wovon ich schreibe). Auch die Nacht auf gestern war gut.
Ein klarer, sonniger Tag. Und es war Tag der grünen Welle, ich flog geradezu mit dem Rad in die Arbeit. Den Rückweg versuchte ich über die Theresienwiese zu nehmen, in den vergangenen Jahren war sie um die Zeit wieder passierbar – nicht dieses Jahr, es steht noch eine Menge Oktoberfest rum.
§
Für Edition F schreibt Josephine Apraku:
“Warum ich weißen Menschen ab sofort nicht mehr von meinen persönlichen Rassismuserfahrungen erzählen werde”.
An mich wird, wenn ich schreibe, auf Podien spreche und manchmal wenn ich Workshops gebe, häufig die Erwartung gerichtet, dass ich explizit meine Rassismuserfahrungen schildere. Weiße Menschen hoffen für ihr eigenes Lernen zu Rassismus auf persönliche Erfahrungsberichte von Schwarzen Menschen/PoC, die ihnen einen Einblick in deren Erleben geben. Dabei ist das Internet voll von haarsträubenden Berichten, Tweets, Facebook-Posts, Videos, Blogeinträgen und Podcasts, in denen Menschen detailliert ihre alltäglichen Gewalterlebnisse schildern: Ich denke spontan an den Hashtag #metwo auf Twitter und diverse Videos rassistischer verbaler oder körperlicher Angriffe. Es ist also nicht so, als wären weiße Menschen auf die Schilderung meines persönlichen Traumas angewiesen, um Rassismus verstehen zu können. Außerdem: All die Zeugnisse, die teilweise brutalster rassistischer Gewalt ein Bild geben und die im Internet für alle frei verfügbar sind, haben bisher nicht zu mehr Empahtie oder einem gesellschaftlichen Wandel geführt.
(…)
Ich – Schwarze Menschen und Menschen of Color – müssen unseren eigenen Schmerz, unsere alltägliche Ausgrenzung nicht wieder und wieder zur Verfügung stellen, um für Weiße Räume des Lernens zu ermöglichen.