Gestern war das große weihnachtliche Familientreffen bei meinen Eltern: Bruderfamilie mit dessen Schwiegermutter, meine lieben Schwiegers, Herr Kaltmamsell und ich.
Nicht sonderlich weihnachtlicher Hauptbahnhof. Wie fuhren durch sonniges, kühles Wetter.
Der Flieder im elterlichen Garten hat breits grüne Knospen.
Das Menü: Köstliche Hühnerbrühe mit Eierstich und Nudeln, zarte und knusprige Gans mit Selleriepüree, Blaukraut, Rosenkohl, Kartoffelknödeln, zum Nachtisch Rotweincreme aus dem Packerl.
Zimttorte zum Nachmittagskaffee.
Dazu Fröhlichkeit, Geschichten aus meines Vaters erste Jahre in Ingolstadt, Urlaubspläne, Lebenspläne.
In der Bahn und abends daheim las ich Judith Kerr, Bombs on Aunt Dainty, und war sehr im London des Zweiten Weltkriegs, erlebte mit hochgezogenen Schultern Bombennächte in Kellern, erinnerte mich an die Mischung aus Verheißung und Ratlosigkeit einer 18-Jährigen. Heimweh nach England, von dem es sich in den vergangenen Jahren doch herausgestellt hatte, dass es ohnehin nur in meiner Vorstellung existierte.
All der Eggnogg von Heilig Abend sorgte nochmal für morgentliche Migräne, diesmal griff ich zum Triptan – und hatte einen nur leicht verspäteten, aber nahezu normalen Tagesanfang.
Ich merkte die lange Krafttrainingpause vor der jüngsten Einheit an den hinteren Oberschenkelmuskeln: So lustig, wenn man nicht weiß, wo die Hüftverkampfungen aufhören und wo der Muskelkater anfängt!
Das Wetter war windig-regnerisch, den ganzen Tag so düster, dass die Lichter eingeschaltet bleiben mussten. Aber nur rumzusitzen, das spürte ich, würde meinem nahezu Ganzkörperschmerz wiederum auch nicht gut tun, also ein halbes Stündchen Crosstrainer. In den vergangenen Wochen hatte ich viel über die blutjunge Musikerin Billie Eilish gelesen, zuletzt James Cordens Carpool Karaoke mit ihr gesehen (darin: das Kinderzimmer ihres Bruders, in dem sie mit ihm ihr erstes Album aufgenommen hat) (!), nun war ich neugierig auf ihre Musik und hörte beim Strampeln Don’t Smile at me durch: Gefällt mir! Ihre Art zu singen, zwischen Chanson und Burlesque, erinnert mich an Lana del Rey, die ich auch mag. Vorm Fenster peitschte der Wind Regengüsse durch die kahlen Kastanien.
Zum Frühstück eine Salatgurke mit Rest Knoblauchjoghurtmajo, ein Brot mit Rillettes vom Vorabend, ein letztes Stück Apfelkuchen.
Ich las Judith Kerr, When Hitler stole Pink Rabbit aus. Nicht jede Kindheitserinnerung muss ein Kinderbuch sein – dieses ist eines. Die Geschichte ist interessant und durchaus ein Zeitzeugnis, doch die Stimme richtet sich ganz offensichtlich an jemanden, der kein Hinterfragen von Erinnerungen erwartet, der der naiven Erzählerinnenstimme ganz vertraut. Versprengte Doppelbödigkeit entsteht eher zufällig, wenn mehr oder weniger aufgesetzt Informationen eingeflochten werden, die die Protagonistin erst rückblickend bekommen haben kann. Als Kinder-/Jugendbuch aber sehr schön.
Dazu ein Teller Plätzchen.
Herr Kaltmamsell saß gestern arbeitend am Schreibtisch (er muss sich die Urlaubstage am Jahresanfang in Venedig freischaufeln), tauchte aber irgendwann neben mir auf und bot einen Spaziergang an (er! mir! freiwillig!). Bei diesem supergreislichen Wetter hätte ich es geschafft, den ganzen Tag drin zu bleiben, aber dieses Angebot stimmte mich um: Im wirklich Dunklen machten wir uns auf Richtung Theresienwiese, in leichtem bis mittleren Regen.
Gehen fiel mir sehr schwer, also wurde es eine kurze Runde in Trippelschritten.
Daheim bereitete ich ein wenig den Nut Loaf vor, den es beim großen Familienweihnachtsessen am Donnerstag als vegetarische Variante geben sollte.
Zum Nachtmahl weitere Reste vom Vorabend.
Ich ließ mir mal wieder ein Entspannungsbad ein, in der Hoffnung auf eine entspannte Nacht.
Heilig Abend fiel auch dieses Jahr auf den 24. Dezember und begann mit einem sonnigen Morgen. Ich wiederum begann mit Brotbacken: Schwarzwälder Kruste. Während der wenigen Handgriffe bloggte ich und las Internet.
Schlimme Zustände im Hause Kaltmamsell: Von den fünf Lampen über Arbeitsfläche und Herd funktioniert derzeit genau eine. Doch weil wir beide derzeit zu faul für Ursachenforschung und Reparatur sind, holte ich kurzerhand eine alte Klemmleuchte aus dem Keller – die sogar noch eine passende Glühbirne enthielt.
Als das Brot gebacken war (ich war nicht recht zufrieden, da es im Ofen in die Breite gegangen war statt nach oben), startete ich meine Sportrunde mit Crosstrainer, Dehnen und Kräftigung; gestern ließ mich die beleidigte Rippe auch ein paar klassische Bauchmuskelübungen machen.
Bis Mittag hatte der Himmel zugezogen, es begann kräftig zu regnen. Mittagsfrühstück war der Rest Kürbiscurry sowie Granatapfel und Orange.
Zeitunglesen, immer ein Auge auf das ausgesprochen feindselige Wetter: Zum Spaziergang “Wir suchen das Christkind” (kein 24.12. ohne) wollte ich gegen vier aufbrechen, da ich wusste, dass dann wieder Blechbläser im Alten Südfriedhof Weihnachtslieder spielen würden.
Erstes Weihnachtsgeschenk: Schlag 16 Uhr hörte der Regen auf, der Himmel wurde blau. Ich checkte den Regenradar: Das war tatsächlich das Ende des Regengebiets, auf Stunden kein weiteres in Sicht. Wir zogen also mit lediglich einem kleinen Talisman-Schirm los.
Blauer Himmel überm Nußbaumpark (er heißt nicht nach der Botanik so, sondern nach dem Mediziner Johann Nepomuk von Nußbaum, der im nahegelegenen Alten Südfriedhof begraben liegt).
In genau diesem Friedhof wurde bereits Weihnachtsmusik gespielt; wer konnte, sang mit.
Wir fanden sogar die entsprungene Ros’ (mittlerweile kein seltener Anblick mehr im Dezember).
Zurück über den Gärtnerplatz und die Synagoge.
Als wir an St. Matthäus vorbei kamen, standen die Türen offen, doch es war gerade kein Gottesdienst. Ich nutzte die Gelegenheit und ging zum ersten Mal in 20 Jahren Nachbarschaft hinein (bislang kannte ich das Innere ja nur aus der Tagesschau, wenn dort aus Gottesdiensten mit dem Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland, Heinrich Bedford-Strohm, berichtet wurde). Erster Eindruck nicht ganz so geschlossen und harmonisch wie von außen, vielleicht ergibt sich doch mal eine Gelegenheit für ausführliche Besichtigung.
Ich kann weiterhin nicht schnell gehen, deshalb waren wir nach anderthalb Stunden Spaziergang ein wenig angefröstelt und machten daheim erst mal heißen Tee.
Den ganzen Tag und Abend ging’s in unserem Vielparteien-Mietshaus rund: Anscheinend waren wir dieses Jahr nicht nur nicht die einzigen, die Heilig Abend nicht zur Familie fuhren – den Geräuschen nach fanden dieses Jahr die Familienfeiern hier statt.
Weihnachtlich geschmücktes Wohnzimmer!
Wir begannen den Heiligen Abend mit Eggnoggs.
Zu den Eggnoggs hatte Herr Kaltmamsell Käse-Gougères gebacken. Als zweiten Gang gab es von ihm vorbereitete Rillettes de Tours (Schweinernes), dazu die Schwarzwälder Kruste vom Vormittag.
Nächster Gang war Artischocke mit Knoblauch-Joghurtmajo. Nachtisch: Bônet, der italienische Schokoladenflan, der zu meiner Überraschung nicht die erwartete Flan-Konsistenz hatte, sondern deutlich fester war.
§
Dass mein Twitter das beste von der Welt ist, merken Sie ja schon an den monatlichen Lieblingstweets. Hier ein paar weitere Beispiele außer der Reihe, die keine Einzeltweets sind.
1.
Dies ist der Beginn eines ganz wundervollen Threads über Lebensumstände auf dem Land (“guys”) versus in der Stadt (“places”).
2.
Hier zeigt eine Twitterin, warum man mit Geschlechterstereotypen sehr vorsichtig sein sollte:
When I was 12, I remember my friends stepdad (who was a firefighter) comment on how he felt women didn’t belong in the fire department because “no girl could ever lift a grown man” lol anyways, fuck you Craig. pic.twitter.com/C4dU0MOtW5
Lesenswert auch die vielen Beispiele in den Replys (inklusive den vereinzelten “aber einem männlichen Feuerwehrmann vertraut man einfach mehr, kannste nix machen”).
3.
Wenn Sie dem preisgekrönten und renommierten Pianisten @igorpianist folgen, bekommen sie derzeit schlimme Dinge auf der Melodica vorgetrötet.
Sie könnten mit dieser Kostprobe von Igor Levit anfangen.
Ich erinnere mich an eine Kindheitsfreundin, die im selben Wohlblock wohnte und Melodica spielte, wodurch ich dieses Instrument kennenlernte. Ich verstand nie, was es sollte: Klang noch schlimmer als die Blockflöte, die ich selbst lernte, und hatte nicht mal coole Stücke oder erwachsene Virtuosinnen, auf die man hinarbeiten konnte.
Apropos und weil sich über Blockflöte immer lustig macht wird: Es gibt großartige Blockflötenmusik, da mag sie sich noch so gut für Häme und Schimpf eignen.
Ausgeschlafen. Der Tagesplan bestand in Sportrunde inklusive ausführlicher Kräftigung, Wohnungputzen, letzten Einkäufen (die große Runde erledigte Herr Kaltmamsell), Brotteig ansetzen, Hl.-Abend-Nachtisch zubereiten.
Aber erst mal gemütlich zu Morgenkaffee bloggen und Twitter lesen.
Crosstrainerstrampeln war ok, aber nicht maximal beflügelt. Dehnen, Oberkörper- und Bauchübungen (die vom Fahrradsturz beleidigte Rippe hindert mich im Liegen immer noch am Anheben der Schultern) kosteten mich Überwindung.
Das Wohnungputzen stand an, weil unsere beiden Putzmänner drei Montage hintereinander nicht kommen. Gestern war der mittlere davon, und man sah die Pause bereits deutlich. So richtig ganz und gründlich putzten wir nicht, aber ich nahm mir die Oberflächen in Küche und Bad vor, punktuelles Staubwischen (halt da, wo er mich am meisten störte), Herr Kaltmamsell saugte die Wohnung ordentlich durch.
Für Einkäufe steuerte ich Eataly an. Ich ging gezielt an der Synagoge am Jakobsplatz vorbei, und nach all den Jahren mit Münchner Chanukkas muss ich es mir gestehen: Ich finde den großen Chanukka-Leuchter an der Synagoge einfach scheußlich. Vor allem unbeleuchtet sehen die Lichterenden aus, als seien sie noch nicht ausgewickelt, das Gestell wie von einer Baustelle gemopst. Er passt in meinen Augen auch nicht zur Architektur der Synagoge. Aber unverwechselbar ist er durchaus.
Im Eataly herrschte kurz vor eins das erwartete Gewusel. Bei Obst und Gemüse sah ich mich nach Orangen um und entdeckte, dass es bereits welche von der späten Sorte Tarocco gab! Die nahm ich mit. Außerdem einen Granatapfel, für den Nachtisch Amarettini di Saronno (bei denen ich daheim entgeistert feststellte, dass sie nicht mal Mandeln enthielten, sondern nur Mandelgeschmack: sie waren mit Aprikosenkernen hergestellt).
Die angebotenen Artischocken waren mir zu klein gewesen, also ging ich dafür zum Viktualienmarkt, den ich sonst ja meide (einmal zu oft übers Ohr gehauen worden). Ich sah an drei Ständen welche, an den schönsten war kein Preis angegeben. Ich fragte danach: 7 Euro 95. Pro Stück. Als ich schnaufte, das sei ja ein echter Weihnachtspreis, musste ich mich belehren lassen, das nunmal die Saison zu Ende sei und es erst wieder im Sommer welche gebe. (In Italien hat man also zwischen November und März Wahnvorstellungen.) Ich kaufte die zweitschönsten an einem anderen Stand für 4,50 Euro das Stück.
Das Wetter war nasskalt, es regnete immer wieder leicht. Daheim fror ich und machte mir erst mal Chai. Frühstück war eine Scheibe selbstgebackenes Brot mit Ziegenfrischkäse, außerdem drei Orangen mit Joghurt.
Ich setzte für die Schwarzwälder Kruste Sauerteig und Vorteig an. Später machte ich italienischen Schoko-Flan Bônet nach diesem Rezept. (Idee von @katha_esskultur, nachdem @DonnerBella auf Twitter um Inspiration für ein – in ihrem Fall weiteres – Weihnachtsdessert gebeten hatte.)
Start in ein neues Buch: Judith Kerr, When Hitler Stole Pink Rabbit. Hatte ich vor vielen Jahren mal in deutscher Übersetzung gelesen, vielleicht sogar in der Schule, interessierte mich jetzt wieder, weil ich dieses Jahr anlässlich ihres Todes so viel über Judith Kerr gelesen hatte. Herr Kaltmamsell hat alle Bände der Trilogie und empfiehlt vor allem den zweiten. Aber schon im ersten fand ich überraschende Alltagsdetails, die mir als Jugendlicher sicher nicht aufgefallen waren (z.B. dass in Berlin Buben und Mädchen ganz selbstverständlich miteinander spielten, in Zürich aber streng getrennt).
Als Nachtmahl servierte Herr Kaltmamsell srilankesisches Kürbiscurry mit Cashews und ganzen Gewürzen, auf meinen Wunsch mit ganz un-srilankesischem Naan als Beilage.
§
Meine diesjährige Weihnachtsgeschichte hat Maximilian Buddenbohm fürs Goetheinstitut geschrieben: “Es darf etwas mehr sein”.
Der Adventspaziergang der Familie Kaltmamsell fiel dieses Jahre auf den 4. Advent, einen düsteren, regnerischen Tag.
Herr Kaltmamsell und ich machten uns schwer bepackt zum Bahnhof auf, dieses Jahr hatte ich einen Rollkoffer zu Hilfe genommen. Wir trugen nicht nur die Geschenke für die Familie sowie Stollen und Plätzchen, sondern auch einen Stapel Kochbücher, den ich ausgemustert hatte: Ich kochte nie daraus, blätterte auch nicht darin – vielleicht hatte jemand aus der Familie dafür Verwendung.
Wegen schwerer Bepackung ließen wir uns auch von meinem Vater mit dem Auto abholen.
Weihnachtsdeko in Mutters Haus dieses Jahr sehr zurückhaltend.
Als die Bruderfamilie eintraf, machten wir uns auf den Weg: Dieses Jahr ohne Anfahrt, wir gingen gleich von meinem Elternhaus los.
Ich erfuhr, dass es hier einen Trimmdich-Pfad gab, mit dem Panther aus dem Ingolstädter Stadtwappen in 80-er Aerobic-Kleidung. Außerdem lernte ich viel über die verschiedenen Funktionen von Aufklebern mit politischer Botschaft.
Das Überraschungsziel (meine Eltern verheimlichen uns immer, wo wir essen werden) war der Kastaniengarten in Oberhaunstadt. Wir wurden sehr herzlich umsorgt, die vertrauenserweckend überschaubare Speisenkarte bot auch den vegetarisch essenden eine schöne Auswahl. Ich bestellte einen Wintersalat (mit Würfeln von Sellerie und Roten Beten) und geschmorte Ochsenschulter mit Wirsing, war mit beidem sehr zufrieden.
Zurück ging es über einen anderen Weg und in munterem Gespräch mit der Schwägerin und den Nifften. Im Elternhaus servierte meine Mutter zu Punsch, Tee und Kaffee nicht nur Plätzchen und Stollen, sondern auch einen eigens gebackenen Mohnstollen. Weiter munteres Geplauder.
Zum Zug zurück war unser Gepäck trotz Geschenkeeinsammeln leicht genug geworden, dass wir den Weg durch leichten Regen zu Fuß zurücklegen konnten.
Abend mit Häuslichkeiten. Im Bett las ich Saša Stanišić, Herkunft aus. Dieses hat mir am besten von den drei Büchern gefallen, die ich von Stanišić kenne (mit Vor dem Fest hatte ich sogar Probleme gehabt). Oft wird in den Rezensionen auf die Sprache verwiesen, zu Recht: Stanišić verwendet sie nicht nur angenehm frei von Klischee, sondern immer wieder in eigentlich nicht vorhergesehener Weise mit treffendem Effekt, macht scheinbar einfach Wörter dadurch sichtbar – das ist schön. Durch die eigentliche Geschichte, nämlich seine eigene Kindheit in Bosnien und seine Kindheit und Jugend in Heidelberg, wurde mir beschämend spät bewusst, welch fundamentaler Unterschied es ist, ob jemand freiwillig und gezielt in ein bestimmtes Land eingewandert ist, oder nur zufällig als Flüchtling, Hauptsache weg und in Sicherheit. (Mal wieder werde ich wütend über die unbrauchbare Kategorie “Migrationshintergrund” – sie wirft Menschen mit komplett unterschiedlichen Lebenswegen und Problemen in einen Topf.)1
Und dann das mit der titelgebenden Herkunft. Manchmal macht sich die Erzählerstimme über ihre eigenen intellektuellen Reflexionen lustig, indem sie diese als Antwort auf lediglich menschlich nett gemeinte Fragen der Verwandtschaft zitiert – wodurch sie völlig gekünstelt und irrelevant klingen. Dabei sind sie es doch nicht, möchte ich die Stimme trösten, mach dir die Gedanken ruhig weiter. Diese Weigerung, mich über Herkunft definieren zu lassen (oder über mein Gender oder meine Körperform etc. pp.), kenne ich selbst nur zu gut. Vielleicht kann ich es abkürzen: Die Weigerung, mich definieren zu lassen. Punkt.
Sehr gut gefielen mir:
– Die Beschreibung der Dynamik in der Gruppe Heranwachsender aus vielen verschiedenen Ländern.
– Die liebevollen und erzählerisch immer verzweifelteren Versuche, die Großmutter in Višegrad aufzufangen, die in Demenz versinkt.
– Die große Freundlichkeit und Güte, die aus der Erzählerstimme spricht, die sich auch bewusst ist, wie viel Glück sie mit zufälligem Wohnort, mit Schule, mit Lehrerinnen und Lehrern hatte – auch mit konkreten Menschen bei Behörden.
Ich kann mir vorstellen, dass man mit dem Roman im Deutschunterricht viel machen kann (das habe ich von Herr Kaltmamsell gelernt: dass sich für den Unterricht am besten Bücher eigenen, mit denen man Was Machen kann): Zum Beispiel Recherchieren über den jugoslawischen Bürgerkrieg, die Geschichte von Flucht nach Deutschland seit dem 2. Weltkrieg (angefangen mit den Vertriebenen), Emigrationsliteraturen der Welt im Vergleich, Untersuchen der oben beschriebenen sprachlichen Effekte.
Jetzt, wo keiner guckt, packe ich meine tiefsten Geheimnisse aus: Mein Faible für Burlesque (DITAAAA!). Über ein instagram-Bild der Blogess stieß ich auf diese Website mit den atemberaubendsten Negligees. Hier könnte ich stundenlang blättern und mich wie die Models fühlen. (Allerdings erstaunt mich die Lücke Schuhwerk: Dazu müssten dringend edle Seidenpantöffelchen mit Federpuschel anegboten werden.)
Erst kürzlich erfuhr ich von einem jungen Burschen, der mit deutscher Herkunft und Staatsbürgerschaft in einem lateinamerikanischen Land aufwuchs und jetzt nach Deutschland kam, hier große Schwierigkeiten hat, sich auch im schulischen Leben zurecht zu finden. Im Gegensatz zu mir wird er nicht als “Migrationshintergrund” verzeichnet, wobei ich in Deutschland geboren und aufgewachsen bin, deshalb auch nie Schwierigkeiten hatte, mich zurecht zu finden. [↩]
Das Wetter draußen war immer noch regnerisch, über den Tag wurde es immer kühler. Um halb elf wollte etwas in mir hektisch werden und Sport streichen, weil ich dann so spät zu letzten Einkäufen loskommen würde. Doch es erwachte rechtzeitig etwas anderes, das erkannte: Ja mei, dann kommst’ halt in die Menschemassen, probier’s mal mit Gelassenheit.
Also in Ruhe Sportkleidung angezogen, Musik auf die Ohren gesetzt, 30 Minuten Crosstrainer gestrampel, gedehnt, Orthopäden-Hausaufgabe Bankstütz und seitliche Bauchmuskeln erledigt. Die leisen Symptome einer aufziehenden Erkältung in den Atemwegen störten nicht.
Ich musste nochmal los, denn: Den einzigen Online-Einkauf eines Geschenks hatte ich versemmelt. Dafür kann der Online in diesem Fall überhaupt nichts: Ich hatte eine veraltete Paketstation-Adresse angegeben.
Und es hatte gute Gründe gehabt, dass ich das Geschenk direkt bestellt hatte: Offline gab es das nicht, auch nicht bei den größten Anbietern dieser Produktart in der Stadt. Ich werde das Geschenk, um das ich mich als erstes gekümmert hatte, nachreichen müssen. Zefix.
Daheim frühstückte ich Laugenzöpferl mit Schinken, zwei große Stücke Apfelkuchen – und ein wenig frisch gebratene Schweinefleischreste, die mir Herr Kaltmamsell anreichte: Er hatte Schweinebauch verarbeitet, die Kruste und die Rippen davon nicht benötigt und zu Kruste und Spareribs gebraten.
Zwei Großaktionen standen bis Abend an: Einpacken der Weihnachtsgeschenke, denn am Sonntag würde ich sie zum Adventspaziergang zur Familie mitnehmen, und Bügeln. Ersteres birgt ja wegen meiner Ungeduld und meiner Ungeschicklichkeit großes Zorn-Potenzial, also ging ich es betont gemütlich an: Ich machte immer wieder Pausen, wenn mir etwas anderes einfiel (gemischte Weihnachtsmusik anschalten, E-Mail-Schreiben, Telefonat mit Mutter, in dem wir einander Gelassenheit fürs Geschenkeeinpacken zusprachen), war außerdem gut vorbereitet, und ich fing mit den einfachsten Wickelformaten an.
Zum Bügeln hörte ich aber andere Musik, ich wollte mich nicht für die eigentlichen Weihnachtstage abstumpfen.
Herr Kaltmamsell hatte den Nachmittag in der Küche nicht nur mit Schweinefleisch für die Heilig-Abend-Pastete verbracht, sondern auch Abendessen zubereitet: Der Sellerie aus Ernteanteil wurde ein kleine Portion der bewährten Sellerie-Lasagne, aus einem Teil des mächtigen Ernteanteil-Butternut machte er Kürbis-Kartoffel-Ziegenfrischkäse-Klößchen (gerieten innen ein wenig zu feucht, schmeckten aber sehr gut).
Erst am Freitag war in meiner Twitter-Timeline der Hashtag #Hanukkakitsch aufgetaucht – und glitzernd öffnete sich ein Tor in eine mir völlig neue Welt. Bisheriger Spitzenreiter:
Boyz II Menorah: ‘A Week and a Day’
Nun, ich hatte wirklich lange Pause, deshalb eine gewissen Ergebenheit: Migräne. Sie meldete sich morgens um fünf, ließ mich um halb sieben noch Morgenkaffee machen und trinken, schickte mich dann aber energisch wieder ins Bett. Alle Pläne hinfällig: Vollbremsung.
Da die Migräne nur aus starken Kopfschmerzen und lediglich mittelgroßem Elend bestand, ließ ich den Triptanhammer weg und versuchte es mit Ibu und Schlaf. Zwischenaufstehen um elf für ein Glas Wasser, Fertigbloggen und Zähneputzen (mit geputzten Zähnen fühle ich mich immer gleich nur noch halb so krank), dann zurück ins Bett. Als Herr Kaltmamsell um halb eins aus der Arbeit kam (FERIEN!), war ich halbwegs wieder ok und hatte Lust auf Aufstehen. Gleichzeitig meldeten sich erste Symptome einer Erkältung. Mehr Ergebenheit.
Geduscht und gekleidet machte ich mich auf zu Lebensmitteinkäufen fürs Wochenende im Basitsch. Die Münchner Luft war immer noch mild, aber der Himmel, den ich vormittags noch sonnig gesehen hatte, zog zu.
Daheim großes Frühtstück: Rest Topinambursuppe vom Vorabend, eine mächtige Scheibe selbst gebackenes Brot mit Krustenschinken.
Im Ernteanteil dieser und der vorhergehenden Woche waren Äpfel gewesen, zusammen genug für einen Apfelkuchen mit Streuselkruste. Also buk ich einen. Beim Schälen der Äpfel dufteten mich vor allem die an, deren rote Schale auch die oberste Schicht des Fruchtfleischs färbte.
Zeitunglesen, ich spüre Ermüdungserscheinungen bei immer noch einer Analyse des Wandels von politischer Kultur und schlichtem menschlichen Anstand in den USA – mittlerweile müsste Bürger-Bigotterie olympisch geworden sein. Die immer neuen Analyse des Brexitschlamassels überblättere ich inzwischen: Die Mehrheit der Briten hat uns EU-Bürgern vier Mal die Türe ins Gesicht geworfen, beim Brexit-Referendum 2016, bei den Parlamentswahlen 2017, bei der Europawahl 2019 und jetzt noch heftiger und lauter bei den erneuten Parlamentswahlen. You are on your own now, mates. (Wobei mein Mitgefühl weiterhin den vielen Leidtragenden dort gehört.)
Besonders interessiert las ich den Artikel im SZ-Magazin, in dem Christina Fleischmann ihren Weg zur Entscheidung über einen Kirchenaustritt (katholisch) beschreibt. Sie spricht mit Kirchenvertretern, Expertinnen und Experten, erzählt von ihrer religiösen Vergangenheit und macht es sich wirklich nicht leicht (€). “Zwischen Himmel und Erde”.
Bei mir war der Prozess ganz anders verlaufen. Ich hatte mich erst mal durch Austritt von einem Verein losgesagt, dessen Politik und Handeln ich in allermeister Hinsicht nicht vertreten konnte. Dann hatte ich mich mit dem Kern von Religiosität beschäftigt, dem Glauben – und festgestellt, dass er mir abhanden gekommen war (habe ich hier mal beschrieben). Damit war das Thema für mich beendet.
Abends war ich mit Herrn Kaltmamsell zu einer Weihnachtsfeier im Freundeskreis verabredet. Ein Tablett mit Almendrados in der Hand, Käse und ein halbes selbst gebackenes Brot im Rucksack nahmen wir einen Bus nach Untergiesing. Dort Menschen kennengelernt, von denen ich schon viel gehört hatte, manchmal seit Jahren, mich sehr darüber gefreut, den Tagesablauf eines teuren hiesigen Elitegymnasiums erfahren (Zusammenfassung: “Gefängnis”), Katzen gestreichelt. Einer Freundin von meinen Hüftbeschwerden erzählt, erst durch ihre Erschütterung wurde mir wieder bewusst, wie massiv die Beeinträchtigung meines Alltags und meiner Lebensqualität derzeit ist.
Als wir kurz vor Mitternacht heim fuhren, regnete es heftig.