Journal Montag, 30.März 2020 – Prinzessinnensekt aus dem Bioladen
Dienstag, 31. März 2020 um 6:23Vielleicht hätte ich die lange Siesta am Sonntag doch lieber bleiben lassen sollen: Ich schlief sehr schlecht, obwohl mich keine Schmerzen wachhielten. In meinen Träumen tauchte erstmals die Corona-Quarantäne auf.
Radfahrt im leichten Schneewirbel, zumindest war es nicht frostig.
Emsiger Tag, an dem mir dieser Cartoon genau einen Smalltalk zu spät begegnete.
Mittags eine große Portion Eintopf vom Vorabend, in der Mikrowelle erwärmt, nachmittags eine Semmel und Schokolade.
Auf dem Heimweg Besorgungen vom Vollcorner: Jetzt wird Kundschaft durchgezählt, man bekommt am Eingang einen Einkaufswagen (und kann nur von den Einkaufswagenverteilenden von draußen reingelassen werden), großes Plakat mit Verhaltensregeln, Lücken u.a. im Nudelregal. Ich kaufte Orangen, Birnen, Handseife, Apfelmus, nichts davon in größeren Mengen als sonst.
Ebenfalls mitgenommen habe ich diesen Spumante: Er steht seit Weihnachten auf einem Sondertisch und sticht in dieser Bio-Umgebung heraus wie ein weher Finger – Glitzer hat man hier normalerweise nicht. Aber Glitzer brauchte es gestern, also erbarmte ich mich des Flakons. Und der Spumante schmeckte gut!
Nachtmahl waren zum einen Rote Bete aus Ernteanteil: Herr Kaltmamsell machte zweierlei Pürees daraus, eines nach Ottolenghi mit Joghurt, Knoblauch, Olivenöl, das andere mit Tahini. Außerdem gab es Käse zu Weizensauerteigbrot aus der Fritz Mühlenbäckerei.
Abendunterhaltung war eine reizende Sendungsidee des Bayerischen Fernsehens: Jobtausch über Ländergrenzen hinweg, diesmal “Oberbayerische Trachtenschneiderinnen in Schottland”. Zwar viel daran offensichtlich gestellt und geskripted, aber es blieb genug für Sehvergnügen.
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Zum Glück mehren sich in meinem Internet die Stimmen, die sich über all die Tipps und Angebote gegen Langeweile in der Quarantänezeit wundern, weil WELCHE LANGEWEILE BITTE?! Bei mir ähnlich: Zu all den kulturellen Online-Angeboten (Podcasts, Lesungen und Sendungen zum Nachhören), die ich schon bislang nicht schaffte, kommen jetzt täglich neue und absolut wundervolle kulturelle Online-Angebote, die ich zusätzlich nicht schaffe. Nächsten Freitag und Montag habe ich frei, vielleicht hole ich dann ein uraltes Strickzeug raus, um endlich ein paar der offenen Tabs wegzuhören.
Jetzt beginnen ja eigenartigerweise viele Menschen, selbst Brot zu backen (während ich mir mein gewohntes Brotbacken verkneife, um den kleinen Bäcker um die Ecke zu unterstützen). Jemand, der nicht erst Anfang März damit angefangen hat, ist Seamus Blackley: Er hat ein Jahr lang daran gearbeitet, altägyptisches Brot nachzubacken – mit Hefekulturen aus altägyptischen Ausgrabungsfunden.
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Laurie Penny ist Expertin für Science Fiction und für End-of-the-world Fiction. Ihr ist aufgefallen, was auch ich seit einiger Zeit denke: Diese weltweite Katastrophe ist überhaupt nicht wie im Film (außer vielleicht dem US-amerikanischen Topos von Wissenschaftler vs. Bürgermeister des Touristenorts). Penny hat darüber einen Artikel geschrieben:
“This Is Not the Apocalypse You Were Looking For”.
Was sich bislang als richtig herausgestellt hat, kommt nicht aus einem Katastrophenfilm, sondern aus der Occupy-Bewegung vor zehn Jahren:
“It is easier to imagine the end of the world than the end of capitalism.”
To the rich and stupid, many of the economic measures necessary to stop this virus are so unthinkable that it would be preferable for millions to die. This is extravagantly wrong on more than just a moral level—forcing sick and contagious people back to work to save Wall Street puts all of us at risk. It is not only easier for these overpromoted imbeciles to imagine the end of the world than a single restriction on capitalism—they would actively prefer it.
die Kaltmamsell
7 Kommentare zu „Journal Montag, 30.März 2020 – Prinzessinnensekt aus dem Bioladen“
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31. März 2020 um 7:09
Nunja, in den letzten drei Wochen, war “mein” Bäcker stets leergekauft, wenn ich hinkam. Außerdem ist es ein zusätzlicher Kontakt – zumindest letzte Woche war da immer noch Barzahlung – für nur ein Lebensmittel.
Und jetzt sitzen wir erstmal komplett zuhause, bis die Testergebnisse meines Mannes da sind. Und ich bin verdammt froh, dass ich Brot backen kann.
Könnte ja natürlich auch Brot kaufen gehen, immerhin hat mir ja keiner direkt verboten rauszugehen, der Arzt hat nur den Mann darum gebeten in der Wohnung zu bleiben. Obs mir die deutlich über sechzigjährige Verkäuferin danken würde?
Es ist sicher gut die Bäcker, Metzger, Gemüsebauern nach wie vor mit den eigenen Euros zu unterstützen. Und ich hoffe sehr, das in fünf Tagen auch wieder zu tun.
Es ist aber vollkommen logisch und minimiert die Ansteckungsgefahr in einem großen Supermarkt “alles” einzukaufen. Und idealerweise auch so viel, dass man nur alle ein, zwei Wochen einkaufen muss.
31. März 2020 um 10:46
Da der diesjährige IBP neulich hierzublog schonmal Thema (= Absage) war, ist vielleicht dies von Interesse:
Literaturpreis: Ingeborg-Bachmann-Preis wird im Internet vergeben
https://www.zeit.de/kultur/literatur/2020-03/literaturpreis-ingeborg-bachmann-digitale-preisverleihung
31. März 2020 um 11:04
Ich bin eine von denen, die solche Tipps für eine gute Zeit zu Hause (dienstlich) veröffentlicht. Wann ich sie selbst nutzen kann? Keine Ahnung. Die Arbeitsberge werden jeden Tag größer statt kleiner.
Aber ich bekomme das Feedback, dass es Menschen gibt, die jetzt vielleicht nicht unbedingt mehr Zeit, aber mehr Sorgen haben. Und dass sie sich freuen, dass sie die Zeit nicht selbst füllen müssen, sondern Anregungen bekommen, wie sie die Sorgen wegschieben, sich ablenken, mit den Kindern eine noch nicht ausprobierte Idee gegen Lagerkoller umsetzen, … können.
Ich selbst höre so oft es geht Igor Levit zu, live oder zur guten Nacht. Und das tägliche Shakespear-Sonnett von Patrick Stuart in der Homeoffice-Mittagspause geht auch. (Und natürlich hier lesen, wenn auch nicht jeden Tag – hab ich schonmal Danke gesagt? Nein, dann jetzt. Von Herzen.)
Dass ich nicht Fenster putze, Japanisch lerne, irgendeine Superkraft entdecke und ausbaue – es wird auch ohne gehen.
31. März 2020 um 11:29
Sehr interessant, Vera S.: Bislang hatte es geheißen, die Satzung mache eine Ausrichtung des Bachmannpreises über Internet unmöglich. Das war auch die Begründung gewesen, warum vor ein paar Jahren eine ansteckend erkrankte und deshalb quarantänierte Kandidatin nicht teilnehmen konnte: Live-Lesung von daheim und übertragen in den Saal verbiete die Satzung.
31. März 2020 um 11:33
>>> SAVED MY DAY <<<
Merci beaucoup
Stay well, you and yours
31. März 2020 um 14:03
Die Resterampe im Supermarkt dauert mich auch immer. So schöne Sachen! Und nur weil sie für das Publikum unpassend eingekauft wurden, will sie jetzt keiner.
Und dann stehen die Trüffelpralinen oder die wunderbaren Mojosaucen rum. Und dürfen dann heim mir mir.
Ich kauf sogar Kuchen beim Bäcker zur Zeit.
Sonst gibt es nachher keinen Bäcker mehr
2. April 2020 um 21:01
Ahhh … der Pizzolato, die gleichen Gedanken hatte ich auch im hiesigen Biomarkt – und war auch gleich voll verliebt! Und schmecken tut er auch! Und mich freut es sehr, daß Sie den Vilstalschäfer entdeckt haben – der ist bei uns im Landkreis zuhause un dich bin jeden Freitag auf unserem Wochenmarkt dort – die Joghurts sind auch ganz großartig! Und eine Lammschulter haben wir letztens auch gebraten, die wir dort gekauft haben – sehr fein! Viele Grüße aus Landshut!