Journal Samstag, 21. März 2020 – Neue Putzroutine und Voldemorting

Sonntag, 22. März 2020 um 8:00

Da wir sehr früh ins Bett gegangen waren (natürliche Scham hindert mich an einer präzisen Angabe), dauerte Ausschlafen lediglich bis halb sieben – hey, eine Stunde später als an Arbeitstagen! Das Wetter draußen war wie angekündigt regnerisch und kalt. Ich plante um von Gymnastik-Dehnen-Yoga, dann Putzrunde – zu Putzen am Anfang, weil ich merkte, dass ich mich sonst nicht ins Yoga würde fallen lassen können.

Also Hausputz mit Herrn Kaltmamsell, alles außer Bodenwischen (das ist ohne Kinder und Haustiere doch sicher nur alle vier Wochen nötig?). Absurderweise erwischte mich das world out of joint-Gefühl ausgerechnet hier: Als ich das Wohnungsputzen dauerhaft durchdachte und -plante, weil völlig unabsehbar ist, wann unsere Putzmänner wieder kommen können.

Dabei laut meine Playlist “Halligalli” gehört. Jetzt kennen also auch die Nachbarn meinen Musikgeschmack – sonst höre ich, wenn überhaupt, fast nur über Kopfhörer Musik.

Bewegungsrunde mit ausführlicherer Kräftigung, weil ich ja Zeit hatte. Yoga machte im frisch selbst geputzten Wohnzimmer gleich noch mehr Spaß.

Der Ernteanteil hatte den ersten Spinat enthalten: Den feierten wir mit Verarbeitung zu Eggs florentine mit Crumpets.

Ich hatte den Wasserfilter ausgewechselt, das bedeutete nahezu entkalktes Wasser für edlen Tee: Ich machte uns eine Kanne Lapsang Souchong.

Die Wochenend-SZ war schneller durch als sonst: Wo nichts stattfindet, kann man auch nichts berichten. Und Metaartikel über dieses Phänomen oder feuilletonistische Spekulationen über die Folgen der Pandemie für Gesellschaft und Wirtschaft wollte ich nicht lesen.

Dass die Woche dann doch ganz schön voll war, merke ich daran, dass sich die ungelesenen Texte in den mir wichtigsten Blogs (also meine Favoritenliste im RSS-Reader) stauten: Ich las fast eine Woche hinterher.

Fürs Abendessen wollten wir die örtliche Gastronomie unterstützen und uns etwas in einem Restaurant holen. Nur dass praktisch keines der vielen Lokale in unserer Nähe eine aktuelle Meldung auf der Website hatte, sei sie “wir sind völlig geschlossen” oder “bei uns kann man Essen bestellen und abholen”. Es wurde dann die Cordobar, die eine umfangreiche Liefer- und Abholkarte hatte. Telefonisch bestellte ich Tapas für zwei und machte mich auf den Weg. Das bot mir Gelegenheit wahrzunehmen, dass Gehen mich weiterhin sehr anstrengte und dass das regnerische Draußen ausgesprochen unattraktiv war.

Auf dem Heimweg sah ich, dass in der Hans-Sachs-Straße auch das indische Lokal Palast der Winde Mitnehmspeisen anbietet, ebenso das Heimwerk an der Müllerstraße.

Zu einem galicischen Weißwein gab es also gemischte Tapas und Nachrichten, dass die Infektionskurve in Deutschland weiterhin exponenziell ansteigt. Ich hoffe, wir haben alle genug Geduld, die Eindämmungsmaßnahmen durchzuhalten, denn ein möglicher Effekt wird sich laut Experten erst nach zehn Tagen zeigen.

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Im Techniktagebuch-Chat tauchte der Begriff “Voldemorting” auf, und ich wusste sofort, was er bezeichnet. In meinen letzten Jahren bei MAN wurde der Name des Aufsichtsratsvorsitzenden fast nie ausgesprochen, er wurde durch seinen Wohnort ersetzt: “Und dann müssen wir es noch nach Salzburg schicken.” “Herr XXYY muss sich wohl einen neuen Job suchen, er musste gestern nach Salzburg.”

Davor kannte ich das Phänomen beim damaligen Verleger des Donaukurier, bei dem ich volontiert und gearbeitet habe. Auch hier nahm man den Wohnort, um seinen Namen nicht aussprechen zu müssen: Was “der Aloisiweg” wollte, war Gesetz. (Allerdings gab es als Alternative “der Alte”.)

Im Chat tauchte “Voldemorting” auf, weil viele nicht “Corona” sagen oder schreiben. Zum Beispiel die Orthopädiepraxis, in der ich am Donnerstag war und die auf einem Schild um Sicherheitsabstand zur Empfangstheke “wegen der derzeitigen Situation” bat.

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Positive Nebenwirkung “der Situation”: All die neuen Online-Angebote von Museen und Theatern veschaffen Behinderten einen Zugang, von dem sie schon immer träumten, zum Beispiel dem Rollifräulein.

die Kaltmamsell

8 Kommentare zu „Journal Samstag, 21. März 2020 – Neue Putzroutine und Voldemorting“

  1. FrauZimt meint:

    Das Voldemorting ist mir in den letzten Tagen auch schon an mir selbst und an Arbeitskollegen aufgefallen, ohne das ich aber einen Namen dafür gehabt hätte. Wir sprechen von “der Situation”, jeder weiß, welche gemeint ist, jemand “ist positiv getestet worden” und alle wissen, das es kein Aidstest und auch kein Schwangerschaftstest war…

  2. Joël meint:

    Ja, dieses world out of joint-Gefühl hatte ich gestern auch. Und dass ich das ganze Feuilleton Gedöns über die Pandemie auch nicht mehr lasen mag.
    Vielleicht hilft es ja Ihnen zu wissen dass Sie damit nicht alleine da stehen.

  3. Margarete meint:

    Alles fühlt sich irgendwie so surrealistisch an. Vielleicht können wir etwas daraus machen?

  4. Sandra meint:

    Ebenfalls noch kinderlos und tierfrei, putzen wir nur bei Bedarf. Fällt was runter oder sieht es in der Sonne schmutzig aus, wird geputzt. Das kann auch gut nur 1x im Monat sein. Von festen Rhythmen, wie jeden Freitag oder so halte ich nix, das stresst mich nur.
    Wichtiger finde ich saugen. Ich hasse es, wenn es unter den Hausschuhen knirscht. Daher läuft bei uns fast täglich der Saugroboter. Das war eine Anschaffung, die ich erst meinte, nicht zu brauchen, aber inzwischen bin ich begeistert davon.
    Durch einen Onlinezeitungsartikel stießen wir gestern auch auf einige Restaurants, die nun vieles to Go anbieten. Auch unser Buchladen fährt aus (Einwurf in den Briefkasten auf Rechnung). In den Nachrichten wurde gestern sogar eine Cocktailbar gezeigt, die ausliefert. Not macht erfinderisch. Finde ich super und sollte man wirklich unterstützen.

    Mein Mann hat mir auch gerade erklärt, warum es Voldemorting ist (ich hab den Namen erkannt, aber den Zusammenhang nicht verstanden)- lustige Umschreibung :)

  5. Margarete meint:

    Putzig.

  6. Christin meint:

    Voldemorting – ach, ja, same here. Ich bin leider auch nachrichtentechnisch beruflich dauerdran. Und wir werden kommende Woche mal nach und nach die diversen Restaurants mit To-Go-Service ausprobieren. Vor allem die der kleineren, die super kochen, aber eben keine riesige Fangemeinde haben.

    Aber was ich eigentlich schreiben wollte: Da ich bei den älteren Beiträgen nicht mehr kommentieren kann: Hab grad den 7-Pfünder in der abgespeckten Version gebacken (Roggenmehl ist aus und ich hab mit Müh und Not noch Körner ergattert) – sieht phantastisch aus, duftet ebenso und ich bin sehr gespannt. Danke für den Tipp!
    (Und ich hab grad eine Getreidemühle bestellt. So.)

  7. Christine meint:

    Der zu voldemortende Mensch wird hier in der Tat “Voldemort” genannt.

    Mein Mann liest mit unserer Tochter(8) gerade Harry Potter. Die Kleine hat eine große Schwester aus der ersten Ehe meines Mannes. Leider hat sie zu uns den Kontakt abgebrochen und wir wissen nicht einmal den Grund. Das trifft meine Tochter sehr hart. Aber seit sie nicht mehr “Laura” oder “meine Schwester” sagen muss, sondern sie “Voldemort” nennt, kann sie besser über die Situation reden.

    Darüberhinaus wurmt mich auch, dass es in den Nachrichten im Moment nur um CoVid geht. Ich habe die – durchaus berechtigte – Angst, dass jenseits des Nachrichtenfokus Dinge passieren, die uns zum Nachteil gereichen. Man muss da lediglich einen Blick nach Ungarn werfen.

  8. Stedtenhopp meint:

    Voldemorting – den Begriff hatte ich bis heute nie gehört, aber das Phänomen kenne ich wohl. In meinem allerersten Job war das “die Zwölf”. -12 war die Durchwahl der Intendantin, und aus “oha, die 12 ruft an” wurde sehr bald auch “die Zwölf stellt sich ja vor, dass wir dasunddas tun”. Naja, die Frau hatte auch generell ein Voldemort-ähnliches Einschüchterungspotential und Image.

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