Journal Samstag, 18. April 2020 – Der zweite Haarschneideversuch meines Lebens

Sonntag, 19. April 2020 um 7:20

Der Tag ging spät los: Nach angenehm langer Pause erwischte mich in den Morgenstunden wieder eine Migräne. Ich haute mit dem Triptanhammer drauf und schlief bis neun, dann waren nur noch leichte Benommenheit davon übrig.

Putzplan: Gestern Klo, Bad, Küche, am Sonntag Staubwischen und Möbelpflege. Ich ließ mir Zeit für Gründlichkeit, und obwohl ich wirklich ungern putze, brachte ich mich in geduldige Stimmung. Es ist aber auch zu erstaunlich, was alles in einer Wohnung schmutzig werden kann: Alles! Und praktisch von allen Seiten! Mit meiner ausgesprochenen Putz-Unlust kollidiert leider, dass ich gerne sauber wohne – keineswegs in klinischem Maß, aber halt ohne sichtbaren oder fühlbaren Dreck.

Dauerte also zwei Stunden. Anschließend noch – ohne vorheriges Krafttraining – ein Stündchen Crosstrainer mit Musik. Wirklich keine Lust hatte ich allerdings nach dem Duschen auf einen Gang zum Semmelholen, zumal bei dem wunderbar warmen Frühlingswetter wieder viel zu viele Menschen ohne Abstand unterwegs sein würden. Ich entschied mich fürs Frühstück um 15 Uhr für ein Stück Käse, dann Quark und Joghurt mit Orange.

Dabei beobachtete ich das Vogelgeschehen auf dem Balkon. Buntspechte sind seltsam: einerseits total schreckhaft – die geringste Störung vertreibt sie vom Meisenknödel -, andererseits machen sie sich ständig durch ihren TSCHECK-Ruf bemerkbar. Zum Beispiel würde ich ich den Buntspecht an der Vogeltränke wahrscheinlich gar nicht bemerken, wenn er mich nach dem Anflug nicht mit seinem TSCHECK! TESCHECK! auf sich aufmerksam machte. Doch dann schaut er nach jedem Schluck furchtsam um sich und stiebt bereits bei einem sich bewegenden Blatt davon. Vielleicht sind Buntspechte einfach nicht besonders schlau?

Der schmale und elegante Hausamslerich hingegen benimmt sich wie ein Gutsbesitzer. Als ich mit Herrn Kaltmamsell auf dem Balkon stand, um ihm etwas auf der Wiese davor zu zeigen, landete Herr Amsel keine Armlänge von mir entfernt auf den Balkonsims, beäugte uns und bewegte sich erst weiter, als wir ihm den Balkon ganz überlassen hatten. Dann trank er und besang ausführlich sein Revier (dafür musste er nicht mal den Schnabel öffnen).

Nachmittagssnack: Herr Kaltmamsell hatte ein historisches irisch-walisisches Rezept für Apple Pie mit Kartoffelteig ausprobiert.

Schmeckte gut, aber den Teig kann ich mir vor allem für herzhafte Füllungen vorstellen, für irgendwas Pilz- und Petersilielastiges.

Weitere Alltagsänderungen durch die Corona-Einschränkungen:

Mein erstes und bisher einziges Mal selbst Haareschneiden war mein Versuch, aus dieser Puppe irgendeine interessante Spielmöglichkeit herauszuholen:

(Lieb gemeintes Geschenk der spanischen Verwandtschaft zu meinem zweiten Geburtstag, doch ich konnte mit Puppen einfach nichts anfangen – man beachte den Transportgriff auf dem Foto.)

Gestern gab es ein zweites Mal: Herr Kaltmamsell hatte gedroht, sich selbst die Haare zu schneiden, weil er seit Wochen dringend einen Friseur braucht, Friseure aber seit Wochen geschlossen sind. Außer ich würde das erledigen.

Mir standen ein elektrischer Langhaarschneider sowie eine Nagelschere zur Verfügung. Ich ging vorsichtig vor, nahm mit dem Langhaarschneideaufsatz vor allem Menge, schnitt die untere Kante in fransige Zacken, wie ich es meinen Friseur machen hatte sehen, schnitt die Ohren frei, ganz oben ließ ich alles, wie es war. Das Ergebnis hatte lustige Ecken und Kanten, war aber insgesamt eindeutig kürzer als vorher. Ziel erreicht, bis zur Wiedereröffnung der Friseurläden Anfang Mai sollte das reichen.

Vorher:

Nachher:

Definitiv besser als der Crew Cut, den ich der Puppe seinerzeit verpasste (nicht dokumentiert). Kurz nach Foto brach ein Gewitter mit Regen los – vielleicht kann ich mit Haareschneiden auf dem Balkon Regen machen? (War aber nur eine kleine, tapfere Wolke: Sie gab zwar alles, aber das reichte nicht mal für 15 Minuten. Der Geruch war dennoch sensationell.)

Außerdem Bettwäsche (zum Einwintern, jetzt gibt’s die Sommerüberzüge) und Handtücher gewaschen, da ich aber gerade mal Twitter gelesen hatte und noch nicht mal die Wochenendzeitung, hatte ich trotzdem abends das Gefühl, zu nichts gekommen zu sein.

Zum Nachtmahl servierte Herr Kaltmamsell aus dem Römertopf Perldinkel mit Gemüse und ein wenig Lamm, dazu eine Gurken-Apfel-Limetten-Salsa, die ein ausgezeichnetes Salätchen war.

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Und dann war da noch die Musiklehrerin, die den ultimativen Song zur Verarbeitung der Corona-Scheiße schrieb.

via @spreeblick

die Kaltmamsell

8 Kommentare zu „Journal Samstag, 18. April 2020 – Der zweite Haarschneideversuch meines Lebens“

  1. Lempel meint:

    Ich würde auch weiterhin Friseurbesuche tunlichst vermeiden. Für Normalos ist der Friseurbesuch neben einer Fahrt mit dem ÖPNV die derzeit wahrscheinlichste Infektionsquelle:
    – kein Abstand möglich
    – Personal hat viel wechselnden Kundenkontakt
    – meistens enge Räume, die schlecht zu lüften sind
    – anders als z.B. Zahnärzte ist das Personal mit Hygienekonzepten weniger vertraut und schlechter mit Material versorgt.
    Dazu auch:
    https://www.zeit.de/wissen/2020-04/corona-lockerungen-tests-infektionsketten-schulen-friseure-kontaktverbot
    So schnell sieht von meiner Familie keiner mehr einen Friseur. Sohn (7) hat gestern zur Selbsthilfe gegriffen und selbst seinen Pony geschnitten. Er trägt jetzt meinen Topfhaarschnitt zur Einschulung 1982 auf.

  2. Croco meint:

    Ist doch gut geworden, der Schnitt.
    Das Essen im Römertopf sieht super aus.
    Ich mach das Prinzip sehr: Zutaten reinkippen, alles in den Backofen, nach zwei Stunden nachgucken und aufessen.

  3. Nina meint:

    Gut, dass sie nicht zur Nagelschere zum Haareschneiden gegriffen haben. Seitdem meine Mutter meinem kleinen Sohn mal mit selbiger die Haare geschnitten hat, hab ich recht anschaulich gelernt, dass Nagelscheren gebogen sind und insbesondere damit geschnittene Ponies eine sehr lustige Kurve bekommen.
    Und hach, Kleinkaltmamsell auf dem
    Foto ist ja Zucker!

  4. arboretum meint:

    Meiner Beobachtung nach machen Buntspechte TSCHECK! TSCHECK!, um den anderen Vögel zu signalisieren, dass sie erst gar nicht auf die Idee zu kommen brauchen, jetzt hier irgendetwas abhaben zu wollen. Meiner hackt die anderen auch gnadenlos, wenn sie es trotzdem versuchen. So mancher Spatz musste das schon schmerzhaft erfahren. Ist hingegen kein Vogel weit und breit zu sehen, gibt der Buntspecht kein TSCHECK! TSCHECK! von sich, sondern futtert, was das Zeug hält. Ich erkenne es immer am Geräusch, wenn es im Vogelhäuschen plötzlich klopft. Leider ist es mir noch nicht gelungen, ihn zu fotografieren, er ist kamerascheu und haut sofort ab, egal wie ich mich anschleiche. Gut möglich, dass der Buntspecht auf Ihrem Balkon nicht wegen der Blätter sondern Ihretwegen davonstob.

  5. pamela meint:

    vor meinem elternhaus steht ein strommast aus holz, an dem oben eine etwas lockere blechplatte montiert ist. meine mutter (69) erzählt, dass auf dieses blech, seit sie denken kann, regelmäßig ein buntspecht klopft. offenbar handelt es sich um eine tradition, die von buntspecht-generation zu buntspecht-generation weitergegeben wird. verständlich, denn es macht einen wirklich beeindruckenden krach.

  6. Joël meint:

    Huch, den Haarschnitt hatte ich verpasst !!!
    Das sieht aber ganz ordentlich aus.

  7. Susanne meint:

    Kann man das Apple-Pie-Rezept irgendwo nachlesen? Ich würde das gern ausprobieren.

  8. Herr Kaltmamsell meint:

    Das Variationen eines solchen Kuchens gibt es da und dort, gerne mal als typisch irisch; hier ist das Originalrezept, an das ich mich gehalten habe. (Ich hoffe, der Link funktioniert.)

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