Archiv für April 2020

Journal Donnerstag, 16. April 2020 – Rückkehr der Wärme

Freitag, 17. April 2020

15 Minuten vor Wecker aufgewacht, weil es im Traum an der Wohnungstür geklingelt hatte.

Der allmorgentliche Bankstütz (2x 90 Sekunden mit Beinheben) nervt, den mache ich wirklich sehr ungern – vermutlich weil ich mich selbstverständlich zu einer Intensität zwinge, die auch “was bringt” (Fachausdruck). Der ebenso allmorgentliche Seitstütz dagegen ist überraschenderweise erträglich und zwickt inzwischen nicht mehr in der LWS – vielleicht lagen meine langjährigen Probleme damit an der Abfolge der Übungen, also eher daran, was ich immer direkt davor gemacht hatte.

Yogarunde gestern für Rücken und Hüfte: Den Krieger werde ich mit diesem rechten Hüftgelenk in keiner Variation beidseitig hinbekommen – was schade ist, denn mit linkem tragenden Bein fühlen sich alle sehr gut an.

Auf dem Radweg in die Arbeit kam mir eine Joggerin entgegen, die mit ausgebreiteten Armen lief. Nach meinen Erfahrungen ist das vermutlich die einzige Möglichkeit, für angemessenen Abstand zu sorgen, erfordert allerdings auf die Dauer sehr fitte Schultern.

Wieder ein emsiger Arbeitstag, zur Brotzeit gab es das restliche selbstgebackene Brot, ein paar Radeln Ahle Wurscht, ein Stückchen Käse, eine Birne. Diesmal machte ich nicht so spät Schluss. Das Wetter war sehr viel milder geworden, ich brauchte auf dem Rad keine Jacke.

Käse-Einkauf auf dem Viktualienmarkt, ich war die einzige mit Mundschutz. Gerade wenn die Temperaturen so oder gar höher bleiben, werden die Leute ihn in der Stadt nicht ohne Zwang tragen, auch nicht in Geschäften.

Frühes Nachtmahl, weil Herr Kaltmamsell verabredet war (zu einem Videotreffen): Ein Teller aufgetauter Borscht von vor ein paar Wochen, eine Schüssel Salat aus Ernteanteil, ich holte mir zum Nachtisch den Rest Erdnusseis aus der Gefriere.

Einer Empfehlung folgend sah ich mir die schöne Biografie von Margaret Atwood auf arte an:
“Margaret Atwood – Aus Worten entsteht Macht”.

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Das Zusammenspiel von gesellschaftlichen Entwicklungen und Innenausstattung:
“How Infectious Disease Defined the American Bathroom”.

oder: Werden künftige Neubauwohnungen ein Waschbecken gleich bei der Wohnungstür bekommen?

via @MaikNovotny

According to Kelly Wright, who teaches American history at the University of Cincinnati and specializes in the historic use of color in architecture, one of the reasons 19th century wallpaper was so heavily patterned was that flies were so prevalent in homes at the time: The busyness of the walls helped mask the flies and related stains. As sanitation became more of a consideration, easily cleaned white tiles or painted walls became more popular.

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Dass ich Theaterbesuche vermisse, kann ich nicht behaupten, aber schade finde ich schon, dass ich die restlichen Vorstellungen meines Kammerspiel-Abos in dieser Spielzeit nicht sehen werde. (Vergangene Woche kam ein handgeschriebener, fotokopierter dreiseitiger Brief des Ensembles mit Schilderung und Bedauern der Situation.) Andere Menschen vermissen Theater mehr – und haben zum Beispiel auf Tiktok verschiedene Arten der Schlussverbeugung systematisiert.

Journal Mittwoch, 15. April 2020 – Glastellerkomplettierung

Donnerstag, 16. April 2020

Eigentlich gut geschlafen, doch in den letzten Stunden machte ein Teil meines Gehirns ganz realistisch konkrete Pläne und Listen, sodass ich nicht mehr tief einschlief (aber auch nicht wach genug wurde, um die Punkte aufzuschreiben, damit Ruhe ist).

Gestern war als Frühsport wieder der Crosstrainer dran. Fürs Radeln in die Arbeit trug ich diesmal lieber Handschuhe, war eine gute Idee.

Auf den Straßen und in den Büros schien es mir bereits bedeutend lebendiger und lauter zu werden, da wurde wohl schon präventiv gelockert.

Dichter Arbeitstag, die “Situation” erzeugt in meinem Job eher mehr als weniger zu tun. Mittags eine Scheibe vom selbst gebackenen Brot und viel Waldorf-Salat.

Frühlingsfarbe Ahorn und Kastanie.

Es wurde ein eher späterer Feierabend.

Auf dem Heimweg radelte ich beim Vollcorner für Joghurt und Obst vorbei, es war wärmer geworden. (Paare beim Einkaufen, die erstaunt sind, nicht als Einzelperson zu gelten und nur getrennt und mit je einem Einkaufswagen zum Abstandhalten eingelassen zu werden.)

Daheim erwartete mich ein Paket von meinem Bruder: Er hatte auf dem Speicher den Restbestand an spanischen 70er-Glastellern von meinen Eltern gefunden (zwei kleinere Größen) und mir angeboten, ich nehme sie mit Begeisterung. Als Überraschung steckte auch ein Glas selbst geriebener Meerrettich im Paket: Es hätte eigentlich schon vor Ostern eintreffen sollen und unser Osterfrühstück bereichern.

Zum Abendessen unterstützten wir wieder die benachbarte Gastronomie, es gab Salat mit gebratener Mozzarella, ein Sandwich, Bowl mit Gemüse in Kokossauce.

Journal Dienstag, 14. April 2020 – Matt Ruff, Lovecraft Country

Mittwoch, 15. April 2020

Trotz frühem Weckerklingeln munter aufgewacht. Frühsport: Rumpfkräftigung, Dehnen, eine Runde Mady-Yoga.

Überraschung beim Radeln in die Arbeit durch Sonne: Es war saukalt geworden, ich hätte Mütze und Handschuhe vertragen.

Im Westend sah ich auffallend viele parkende Autos, die laut Kennzeichen von weit (Paderborn) bis sehr weit her (Slovakei) kamen, geschätzt 20 Prozent. Gar nicht quarantänig.

Emsiger Tag mit interessanter Recherche. Vormittags aß ich gegen den großen Hunger eine Hand voll Nüsse, mittags gab es eine Scheibe selbst gebackenes Brot, ein Ei, ein wenig Schinken, Nachmittagssnack war eine Birne.

Beim Heimradeln kurz vor sechs war es immer noch sehr kalt – aber sonnig: Wenn schon, hätte es doch bitte auch gleich regnen können, es ist viel zu trocken.

Ich machte uns Sahnecocktails Green Monkey, zum Nachtmahl servierte Herr Kaltmamsell gebratene Nudeln und Waldorf Salad.

Im Bett las in ich hinein in Mark Holt, Munich ’72. The Visual Output of Otl Aicher’s Dept. XI. Ich hatte das Buch durch Beteiligung an der Kickstarter-Finanzierung mitermöglicht, vor ein paar Wochen war der 536-Seiten-Prügel geliefert worden (nach einer Ehrenrunde, weil der Paketdienst GLS behauptet hatte, das sei nicht meine Adresse). Mark Holt hat das Werk im Alleingang recherchiert, geschrieben, gestaltet und drucken lassen, selbst die Versendung organisiert er selbst – der erste Blick ins Ergebnis von vier Jahren Arbeit beeindruckte mich sehr. Gleich mal gelernt: Die Symbole für die Sportarten, die ja bis heute verwendet werden, stammen von Gerhard Joksch. Hier die Website zum Buch, man kann es auch ohne Kickstarter-Beteiligung kaufen.

Am Montag hatte ich ja Matt Ruff, Lovecraft Country ausgelesen, bis zuletzt sehr angetan.

Das “Lovecraft” im Titel hatte mich ursprünglich abgeschreckt, aber vielleicht hätte ich dem Lovecraft-Experten an meiner Seite genauer zuhören sollen, als er sich enttäuscht von dem Roman äußerte – weil er eben fast nichts mit Lovecraft zu tun habe. Dann hätte ich das Vergnügen der Lektüre nämlich schon früher gehabt. Lovecraft Country erinnert mich wie keine anderes von Matt Ruffs Bücher an seinen legendären Erstling Fool on the hill (anders gesagt: Wenn Sie zu den vielen Menschen gehören, die mit Fool on the hill nichts anfangen können, ist Lovecraft Country sehr wahrscheinlich auch nichts für Sie): Wir haben viel Mythologie im Hintergrund, aber ein ganz neuzeitliches Setting, in dem sie durchgespielt wird.

Verkauft wurde der Roman im Genre Horror – das konnte ich nicht nachvollziehen. Wir haben das klassische Set-up einer Gruppe von Helden und Heldinnen (!), die sich in einer feindlichen Umgebung durchschlagen müssen. Und ich fand es einen großartigen Kunstgriff von Ruff, dass er das mit einer Gruppe von Schwarzen in den rassistischen USA der 1950er durchspielt: Für sie ist praktisch jeder Schritt lebensbedrohlich, wenn Weiße beteiligt sind. Sie können sich nicht frei bewegen, sie sind konstant der Willkür von Behörden und weißen Nachbarn oder Passanten ausgesetzt – selbst im Hauptort der Handlung Chicago.

Übernatürliches spielt schon auch eine Rolle, doch charmanterweise sind es die weißen Freimaurerlogen, von denen die bösartige magische Gefahr ausgeht (im Kontrast zum rassistischen Stereotyp, das POC mit Aberglauben, Voodoo und Magie besetzt).

Ich hatte großen Spaß an dem vielfältigen Hintergrund der Protagonisten-Familien, von denen eine den Verlag führt, der den Safe Negro Travel Guide herausgibt (dank des gleichnamigen Films kannte ich das reale Vorbild Green Book), in der es einen jugendlichen Comic-Zeichner gibt, eine sehr ernsthafte Hobby-Astronomin – und den unehelichen Nachkommen eines großen weißen Logenvorsitzenden. Es gibt mehrere und sehr verschiedene Frauenfiguren, auf der ersten Abenteuerreise rettet eine davon den Männern der Gruppe mehrfach den Arsch.

Rassismus ist dominantes Thema: Die USA sind aufgeteilt in Jim Crow-Gegenden und andere, Farbige werden strukturell und individuell von Bildung und Wohlstand ferngehalten. Ich wünschte, das wäre heute anders, doch heute beträgt dort das durchschnittliche Einkommen afroamerikanischer Familien ganze 61 Prozent des mittleren Einkommens weißer Familien (Quelle), und bis heute kommt es regelmäßig vor, dass Schwarze in den USA ohne Grund von der Polizei getötet werden und ohne wirkliche Konsequenzen (-> Black Lives Matter). Als Weiße in einem dominant weißen Land kann ich mir das nicht vorstellen.

Ich empfand es als geschickten Kunstgriff, wie Matt Ruff die grotesken Details des US-Rassismus’ als Antriebskraft für einen klassischen Gruselroman nutzt. Oder wie es auf der Buchausgabe heißt, die mir Herr Kaltmamsell geliegen hatte und die das Aussehen eines Pulp-Heftchens imitiert: “America’s demons exposed!”

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Die taz über den zusammenbrechenden Altkleidermarkt und stillstehende Fabriken in Bangladesch und Indien:
“Bekleidungsindustrie leidet unter Corona:
Das Elend der vollen Schränke”.

Ich fühle mich bereits überfordert von all den Meldungen über die negativen Auswirkungen, die die Corona-Krise schon jetzt hat – weswegen ich alle Spekulationen über künftige wirtschaftliche Schäden ignoriere.

Journal Ostermontag, 13. April 2020 – Ruhiger Osterabschied

Dienstag, 14. April 2020

Wieder eine gute, erholsame Nacht.

Noch ein strahlend sonniger und warmer Frühlingstag, noch ein ruhiger Morgen mit Milchkaffee und gemütlichem Bloggen.

Sportprogramm: Nach ausführlicher Rumpfkräftigung und Dehnen gönnte ich mir ein Stündchen Crosstrainer mit Musik bei gekipptem Fenster.

Zum Frühstück restlichen russischen Salat und zwei Scheiben Hefezopf.

Auf dem sonnigen Balkon wurde ich über Lovecraft Country steinmüde: Siesta!

Danach zurück auf den Balkon zu meinem Buch. Nachmittagsnack Grapefruit mit Joghurt. Am späteren Nachmittag wurde es deutlich frischer: die angekündigte Kaltfront.

Dennoch setzte ich meinen Plan um, nach Abschluss der Romanlektüre ein wenig raus zu gehen, und humpelte um die Theresienwiese. Es war gar nicht so viel los, doch das rücksichtslose Verhalten der Spazierenden, vor allem wenn sie zu zweit unterwegs waren, zwang mich immer wieder zum Hakenschlagen. Nächster Spaziergang erst in strömendem Regen, wenn die Schirme für Abstand sorgen.

Highlight am Ende meiner Runde: ein Falke. Ich sah ihn erst über der Goethestraße zwischen Pettenkoferstraße und Beethovenplatz. Dann in der Nußbaumstraße am Klinikneubau: Er ließ sich erst auf einem Dach-Eck nieder, dann flog er auf Fenstersimse, erst eines, dann ein anderes. Da ich ja derzeit sehr langsam unterwegs bin, freute ich mich an der eingehenden Beobachtung, bevor der Falke in die Schillerstraße bog.

Daheim tischte Herr Kaltmamsell das Abendessen auf.

Zicklein auf kastilische Art aus dem Ofen, aber mit Wurzelwerk, hauptsächlich aus Ernteanteil.

Journal Ostersonntag, 12. April 2020 – #12von12

Montag, 13. April 2020

Tag ohne Gelderwerbsarbeit – ich kann mal wieder bei #12von12 mitspielen! Hier der Hintergrund.

Wecker auf sieben – obwohl ich die vergangenen Tage immer um diese Zeit von selbst aufgewacht war, riss mich der Wecker gestern aus tiefem Schlaf in die Orientierungslosigkeit.

1 – Der übliche Beginn des Daheim-Tages: Ich mache für Herrn Kaltmamsell und mich Milchkaffee. Nachdem der nächstgelegene Alnatura in der Sonnenstraße geschlossen hat (das Haus wird abgerissen) und der die für meine Zwecke ideale Milch verkaufte (Bio, Vollmilch, nicht “länger haltbar”, sondern lediglich pasteurisiert, gut schäumbar), suchen wir immer noch nach einem verlässlichen Nachfolger. Zum Merken: Die Rewe Bio “Frische Vollmilch” ist super. (Dicht gefolgt von der Dennree Weide-Vollmilch, die ich im Vollcorner bekomme.)

2 – Das rechtzeitige Aufstehen war nötig, damit ich genug Zeit zum Backen des Osterzopfs hatte. Ich verwendete wieder das Rezept von Frau Brüllen (hat auch bei mir die besten Ergebnisse), als Flechtanleitung für die beiden Stränge funktionierte endlich unfallfrei diese Videoanleitung (die Merkhilfe der überkreuzten Arme ließ den Groschen fallen). Der Zopf gelang sensationell fluffig.

3 – Um zehn waren wir zum Osterfrühstück mit der Bruderfamilie und meinen Eltern verabredet – Corona-Quarantäne-bedingt per Jitsi zusammengeschaltet. Wir zeigten einander die Bestanteile unserer Ostertafeln, Frau Schwägerin hielt selbst bemalte Ostereier einzeln in die Kamera (eine künstlerische, kreative Familie: es war viel Schönes und viel Lustiges dabei), wir erzählten einander vom Alltag unter diesen Ausnahme-Umständen, tauschten auch Quarantäne-Haarschneidetipps aus – Herr Kaltmamsell kramte noch während dessen seinen vor vielen Jahren gekauften Langhaarschneider hervor. Bevor er damit selbst Hand an sich legt, werde ich wohl ein paar YouTube-Videos konsultieren und zur Tat schreiten.

4 – Ostertafel-Detail: Dieses Eichhörnchen-Stövchen habe ich in den Anfangszeiten der Online-Aktionen bei ebay ersteigert.

Gegen Ende unseres Frühstücks schafften es auch die lieben Schwiegers in die Video-Runde (der technisch sehr versierte Herr Schwieger konnte uns nur sehen und hören, aber selbst nicht senden; erst auf seinem einzigen Windows-Rechner kamen wir zueinander). Nach gut zwei Stunden und mit sehr vollen Bäuchen verabschiedeten wir uns ins Offline.

5 – Ich holte erst mal meinen Morgensport nach und wiederholte die Yoga-Einheit Rücken bei Mady, die beim ersten Mal gleich Muskelkater erzeugt hatte.

6 – Auf dem Balkon reckte das Hasenglöckchen Blütenknospen in die Sonne. Es war wieder ein herrlicher Tag, ich las ein paar Stunden Matt Ruff, Lovecraft Country – und war sehr angetan von dem Roman. Da ich mit einem Lovecraft-Experten zusammenlebe, aus dessen Erzählungen ich ein wenig Wissen abbekommen habe, hatte mich der Titel bei Erscheinen 2016 abgeschreckt: Ich kann weder mit Lovecrafts konkretem Horror-Kosmos noch überhaupt mit Fantasy-Mythologie etwas anfangen. Jetzt stellte sich heraus, dass sich die Romanhandlung nur sehr entfernt darauf bezieht.

Um mich herum heftiger Amselradau, ich hörte auch, dass die Nachbarn einigen Besuch hatten. Vor allem aber: Es war so wunderschön, in meinem idealen Lesesessel in der lauen Luft mit leichten Frühlingsdüften zu sitzen, hocherfreuliche Lektüre vor mir, der Sonnenschein gebrochen durch die immer größer werdenden Kastanienblätter. Ich sah immer wieder aus meinem Buch auf und freute mich bewusst an meinem Genuss.

7 – Die Tulpen verabschieden sich.

8 – Specht-Besuch auf dem Balkon.

9 – Kurze Lesepause, um den Geschirrspüler auszuräumen.

10 – WAS??!

11 – Ich kann nämlich auch mal einen Tag vor allem rumsitzen, hier der Beweis. (Keine Ahnung, woher das eine Stockwerk kommt: Ich habe die Wohnung nicht verlassen.)

12 – Noch ein bisschen weiterlesen im Bett.

Journal Samstag, 11. April 2020 – Einkaufen mit Mundschutz

Sonntag, 12. April 2020

Gut und ausgeschlafen.

Diesmal plante ich den Ablauf des freien Tages um: Um nicht zu spät zu letzten Einkäufen zu kommen, machte ich mich nach Morgenkaffee und Bloggen sportfertig, ging dann aber erst mal raus.

Erstes Mal Einkaufen mit Atemschutz: Der Bügel über der Nase verhindert zwar durch dichten Abschluss des Rands ein Anlaufen der Brille – doch es schnauft sich darunter schon arg schwer. Und man verstand mich sehr schlecht beim Einkaufen, unter anderem landete so eine Frühstückssemmel mehr als gewünscht in der Tüte. Ich steuerte die Lebensmittelabteilung des Kaufhofs am Marienplatz an; wegen Sperrung aller anderen Abteilungen des Kaufhauses war sie nur über den Eingang im U-/S-Bahn Marienplatz zu erreichen. Ich bekam alles von der Einkaufsliste inklusive reduzierter Osterschokolade, zum Abstandhalten blieb ich halt immer wieder in den Gängen stehen, bis raumgreifende einkaufende Paare vorbei waren (bitte gehen Sie doch wenn möglich einzeln Einkaufen). Wer mir aber am unangenehmsten zu nahe kam, war das Sicherheitspersonal, das ausnahmslos keinen Mundschutz trug und eigentlich zur Sicherung des Abstandhaltens engagiert war.

Nußbaumpark.

Zurück zu Hause Kraftübungen, Dehnen und ein Stündchen auf dem Crosstrainer. Ein Laugenzopf zum Frühstück, dann war Zeit für Brotmachen: Die Vorteige für die Schwarzwälder Kruste hatte ich am Vorabend angesetzt

Während der einzelnen Schritte der Brotteigbereitung bügelte ich das Stündchen, das sich in den vergangenen Wochen an Bügelwäsche angsammelt hatte. Dazu hörte ich:
“Spiegel liest mit Bov Bjerg
Hinterm ‘Auerhaus’ kommen die ‘Serpentinen'”.

Volker Weidermann unterhält sich mit Bov, dieser liest ein paar Ausschnitte aus seinem neuen Roman. Nervigerweise wurde das Ganze alle fünf Minuten unterbrochen von doppelt so lauten Werbespots immer derselben Firma – noch dazu ein Business-to-Business-Unternehmen, sodass ich nicht mal aus Protest bei denen nicht einkaufen kann, weil ich eh nie in die Lage kommen werde. Obwohl ich die vorgelesenen Stücke sehr genoss (der Roman ist so dicht, dass sich die Hörbuchfassung vermutlich sogar empfiehlt) kann ich deshalb die völlig zerhackte Sendung nicht empfehlen. Empfehlen kann ich allerdings einen Klick auf den Link oben, um das herzallerliebste Foto von Bov Bjerg anzusehen.

Während der einzenen Schritte des Brotteigbackens las ich auf dem Balkon die Wochenend-SZ, mit dem Brotergebnis war ich zufrieden.

Nachdem die Sonne den Balkon verlassen hatte, trug ich meinen Teil zum Abendessen bei: Herr Kaltmamsell bereitete Ensaladilla rusa zu (ein Klassiker der spanischen Küche und der Tapas-Theken meiner Kindheit: Russischer Salat), ich steuerte die Mayonnaise bei, nach idiotensicherer Methode.

Nächste Küchenaktivität: Ich rieb die Rote Bete, die ich morgens gekocht hatte, fürs Osterfrühstück – als typisch polnische Osterbeilage muss sie gerieben sein, Pürieren kommt nicht in Frage. Abschließend knetete ich den Teig für den Osterzopf und stellte ihn zum kalten Über-Nacht-Gehen in den Kühlschrank.

Nachtmahl also Ensaladilla rusa, der hervorragend schmeckte, dazu ein interessanter Cannonau die Sardegna von Sella & Mosca. Im Fernsehen entdeckten wir bei RTL II Das Leben des Brian – jetzt wurde es richtig österlich.

Journal Karfreitag, 10. April 2020 – Carolin Emcke, Wie wir begehren auf dem Balkon

Samstag, 11. April 2020

Unruhige Nacht wegen Kopfweh, das mich schon am Donnerstagnachmittag geplagt hatte und das eindeutig keine Migräne war. Ein Aspririn am Morgen half.

Beim Aufstehen bemerkte ich Muskelkater am gesamten Rücken. Ich war sehr verwundert, denn die 20 Minuten Yoga am Donnerstag hatten doch nur aus Dehnenübung bestanden. Erst später fiel mir die ausgiebige Brücken-Position ein, die durchaus angestrengt hatte. Die sollte ich wohl öfter machen.

Gestern, an diesem weiteren strahlenden und warmen Frühlingstag, war nach ausgiebiger Kräftigung und Dehnung wieder Crosstrainerstrampeln dran. Ich fand interessant, das mich dabei ganz andere Musik ansprach als während meiner Strampelrunden davor.

Nach Duschen und Anziehen ging ich raus in den wundervollen Tag. Ich verband das Semmelholen mit einem kleinen Umweg über den Südfriedhof.

Einsamer Spielplatz im Nußbaumpark.

Alter Südfriedhof.

Die Kastanie vorm Haus legt sich ins Zeug.

Auf meinem Gang hatte ich in den Straßen aus offenen Fenstern gehört: einmal Balalaika, einmal Klarinette, einmal Klavier – jeweils auf hohem Niveau. Brav daheim geblieben.

Mit dem mittäglichen Frühstück verspielete ich jegliche Chance auf Auswanderung nach Hessen: Die übrigen Grie Soß vom Vorabend streckte ich mit dem Saft einer halben Zitrone und verwendete sie als Dressing für den ersten Salatkopf aus Ernteanteil der Saison.

Den Nachmittag verbrachte ich, unterbrochen von einem Stündchen Siesta, lesend auf dem Balkon.

Die frischen Kastanienblätter leuchteten wie hunderte kleine Lampions.

Zum Nachtmahl hatte ich mir Kalbsleber mit Äpfel und Zwiebeln auf Feldsalat gewünscht – und bekam das Gericht.

Meine Balkonlektüre war Carolin Emcke, Wie wir begehren. Ich mag ihre Stimme ohnehin, in diesem Buch faszinierte mich, wie verschieden unser Heranwachsen gewesen ist, auch wenn wir im selben Jahr im selben Land geboren sind und unser Abitur auf derselben Schulart gemacht haben. Tochter aus gutem Hause in Norddeutschland ist halt eine andere Ausgangsbasis als Gastarbeiterkind in oberbayerischer Provinzstadt (wobei ich bezeichnenderweise die Herkunftsausnahme bin, die sich Emcke explizit im altsprachlichen Zweig eines humanistischen Gymnasiums nicht vorstellen konnte).

Eine große Gemeinsamkeit: Wir wurden beide von guten Lehrerinnen und Lehrern geprägt, ziehen bis heute von ihnen erlerntes heran. In Carolin Emckes Fall nahm ein Musiklehrer die zentrale Rolle ein: Die Schilderung des Unterrichts bei ihm zieht sich als roter Faden durch das Buch, und die verschiedenen Aspekte von Musik, die sie dadurch und selbst entdeckte. (Bei mir war das ja der Griechischunterricht bei Herrn Nusser in meinen letzten drei Schuljahren.) Doch sehr unterschiedlich wieder unsere Sexualität, wobei noch der unbedeutendste Unterschied ist, dass Caroline Emcke seit ihrem 26. Lebensjahr Frauen begehrt: Schon ihre Beschreibung der Rolle von Sexualität in ihrer Jugend war mir komplett fremd, das kannte ich alles nur aus viel späteren Erzählungen.

Wichtig und erhellend fand ich die Beschreibung, was Schweigen über Sexualität von klein auf anrichtet: Auch ich kämpfe bis heute damit, dass zwar Fortpflanzung thematisiert wurde, nicht aber Sex – der in meiner repressiv katholischen Umgebung zusätzlich mit einem erbarmungslosen Moralkorsett verbunden war.

Auf erfreulichste Weise überholt war der letzte Abschnitt des Buchs: Das leidenschaftliche Plädoyer für eine Gleichstellung der schwulen und lesbischen Ehe mit der heterosexuellen. Es bleibt als Argumentationshilfe nützlich, wenn rechte und grundgesetzfeindliche Kräfte eine Aufhebung fordern.

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Mich erreichen fast keine Corona-Märchen (ich mag den verwässerten und missbrauchten Begriff “Fake News” nicht), Beweis für die Vernunft meiner Familie und Freunde sowie für die sorgfältige Zusammenstellung meiner Twitter-Timeline. Alle paar Tage schaue ich allerdings in Kanäle, die sich mit dem Faktencheck solcher Märchen beschäftigten, z.B. in den von AP-Associated Press:
“NOT REAL NEWS: A week of false news around the coronavirus”.