Journal Montag, 11. Mai 2020 – Perlentauchen
Dienstag, 12. Mai 2020Gestern war Yogamorgen, eine halbe Stunde ruhiges Dehnen. Das tat so gut, dass ich die Schlussentspannung abkürzte, weil ich halt schon wieder voll da war.
Die Vorhersage hatte Regenwetter und heftigen Temperatursturz angekündigt, aber es gab ein wenig Aufschub: Ich radelte ungestört in die Arbeit.
In der Arbeit bekam ich endlich Hilfe bei der Perlenrettung: Vergangene Woche war im Büro meine lange Perlenkette gerissen, und da die Perlen nicht geknüpft waren, sondern nur aufgefädelt, sprangen sie in alle Richtungen – eine durch die Löcher der oberen Heizungsabdeckung. Ich sah sie durch die Löcher der Fensterbank, brachte auch Werkzeug von daheim mit, doch schaffte ich es mit keinem, die Perle herauszuangeln. Gestern klappte die Hilfe einfach die vordere Abdeckung weg (das hatte ich auch versucht, war aber nicht energisch genug gewesen), schon bekam ich meine Perle.
Mittags selbst gebackenes Roggenbrot (aus der Gefriere) mit Schweinsbraten vom Sonntag und Meerrettich belegt, nachmittags Flachpfirsiche und (völlig geschmacksfreie) Aprikosen.
Aus dem Augenwinkel sah ich immer wieder einen Falken fliegen und wie zwei Krähen ihn zu verjagen versuchten.
Am Nachmittag regnete es immer wieder. Ich überlegte lange hin und her, ob ich mit dem Fahrrad oder der U-Bahn heimfahren sollte. Am Ende siegte der Aspekt, dass ich ja am Ende zuhause sein würde und nasswerden nicht schlimm ist. Ich bekam dann auch nur ein paar Tropfen ab.
Nachtmahl waren Nudeln mit Sugo vom Kartoffelkombinat und viele Süßigkeiten.
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Mal eine Gegenperspektive zur derzeitigen Entwicklung der Rollenverteilung in Hetero-Partnerschaften:
“Corona und die neue Realität der Frauen”.
Autorin Katrin Wilkens berät seit 2011 Frauen nach der Babypause, einen passenden Job zu finden.
So ist über die Jahre eine ungeplante, aber hoch spannende Markterhebung über die bundesdeutsche Frauenbefindlichkeit entstanden. Nimmt die Bundeswehr auch Frauen ab 50? (Ungern.) Kann man auch vorbestraft in der Justiz arbeiten? (Ja.) Gibt es einen finanziell tragfähigen Markt für Engelexperten? (Oh ja. Wachsend). Der Soziologe Pierre Bourdieu würde mir die Lebensläufe dieser Frauen aus den Händen reißen. Weil man an den Ideen so viel Habitus, Distinktion und Mode ablesen kann.
Am Anfang meiner Beratungstätigkeit, vor neun Jahren, war die aufkeimende vegane Küche ein Renner. Jede zweite Frau wollte ein veganes Café eröffnen: Anfangsinvestitionen, Personalknappheit und Kundenströme völlig außer Acht lassend. Jahre später fanden alle die Kreuzfahrt-Branche hoch spannend: so viel neue Diversität, fremde Länder, Hedonismus.
Seit Corona merken meine Kollegen und ich einen radikalen Trend in der Berufsberatung: Wolkenkuckucksheime und Konsum haben Kurzarbeit angemeldet. Wenn jetzt Frauen zu uns in die Beratung kommen, dann mit einem neuen Zug im Gesicht: Realität schlägt Traum. “Ich möchte etwas machen, was meinen Mann entlastet, er arbeitet bei der Lufthansa und wahrscheinlich nicht mehr lange”, “mein Mann ist Arzt und hat derzeit 40 Prozent weniger Patienten, wir brauchen mein Einkommen”, “bitte etwas Systemrelevantes, eine Idee, die sicher ist”.
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Frauen wollen die Familien mit absichern und ja, auch sich selbst absichern. “Wer weiß, ob mein Mann noch meine Rente mitfinanzieren kann” habe ich vor drei Jahren noch nicht gehört. Jetzt ständig.
via @franziskript
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Bei schlimmen Ereignissen hat es sich in serösen Medien inzwischen etabliert, verschiedene Aspekte explizit unter der Überschrift “Was wir wissen” und “Was wir nicht wissen” zu berichten. Zur Corona-Pandemie wünsche ich mir inzwischen Ähnliches – auch um falschen Erwartungen an die Wissenschaft gegenzuarbeiten. Annette Mende hat für die Pharmazeutische Zeitung zusammengetragen, welche Aussagen es derzeit auf die Frage “Was ist Covid-19 für eine Krankheit?” gibt, und zählt klinische Erfahrungen in der ganzen Welt auf.
“Der ganze Körper ist betroffen”.
Welche der zahllosen Beobachtungen aus Fallserien mit zum Teil nur einer Handvoll Patienten, die jetzt in aller Eile öffentlich gemacht werden, am Ende tatsächlich Bestand haben werden, ist nicht abzusehen.
via @mspro