Archiv für Mai 2020

Journal Montag, 11. Mai 2020 – Perlentauchen

Dienstag, 12. Mai 2020

Gestern war Yogamorgen, eine halbe Stunde ruhiges Dehnen. Das tat so gut, dass ich die Schlussentspannung abkürzte, weil ich halt schon wieder voll da war.

Die Vorhersage hatte Regenwetter und heftigen Temperatursturz angekündigt, aber es gab ein wenig Aufschub: Ich radelte ungestört in die Arbeit.

In der Arbeit bekam ich endlich Hilfe bei der Perlenrettung: Vergangene Woche war im Büro meine lange Perlenkette gerissen, und da die Perlen nicht geknüpft waren, sondern nur aufgefädelt, sprangen sie in alle Richtungen – eine durch die Löcher der oberen Heizungsabdeckung. Ich sah sie durch die Löcher der Fensterbank, brachte auch Werkzeug von daheim mit, doch schaffte ich es mit keinem, die Perle herauszuangeln. Gestern klappte die Hilfe einfach die vordere Abdeckung weg (das hatte ich auch versucht, war aber nicht energisch genug gewesen), schon bekam ich meine Perle.

Mittags selbst gebackenes Roggenbrot (aus der Gefriere) mit Schweinsbraten vom Sonntag und Meerrettich belegt, nachmittags Flachpfirsiche und (völlig geschmacksfreie) Aprikosen.

Aus dem Augenwinkel sah ich immer wieder einen Falken fliegen und wie zwei Krähen ihn zu verjagen versuchten.

Am Nachmittag regnete es immer wieder. Ich überlegte lange hin und her, ob ich mit dem Fahrrad oder der U-Bahn heimfahren sollte. Am Ende siegte der Aspekt, dass ich ja am Ende zuhause sein würde und nasswerden nicht schlimm ist. Ich bekam dann auch nur ein paar Tropfen ab.

Nachtmahl waren Nudeln mit Sugo vom Kartoffelkombinat und viele Süßigkeiten.

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Mal eine Gegenperspektive zur derzeitigen Entwicklung der Rollenverteilung in Hetero-Partnerschaften:
“Corona und die neue Realität der Frauen”.

Autorin Katrin Wilkens berät seit 2011 Frauen nach der Babypause, einen passenden Job zu finden.

So ist über die Jahre eine ungeplante, aber hoch spannende Markterhebung über die bundesdeutsche Frauenbefindlichkeit entstanden. Nimmt die Bundeswehr auch Frauen ab 50? (Ungern.) Kann man auch vorbestraft in der Justiz arbeiten? (Ja.) Gibt es einen finanziell tragfähigen Markt für Engelexperten? (Oh ja. Wachsend). Der Soziologe Pierre Bourdieu würde mir die Lebensläufe dieser Frauen aus den Händen reißen. Weil man an den Ideen so viel Habitus, Distinktion und Mode ablesen kann.

Am Anfang meiner Beratungstätigkeit, vor neun Jahren, war die aufkeimende vegane Küche ein Renner. Jede zweite Frau wollte ein veganes Café eröffnen: Anfangsinvestitionen, Personalknappheit und Kundenströme völlig außer Acht lassend. Jahre später fanden alle die Kreuzfahrt-Branche hoch spannend: so viel neue Diversität, fremde Länder, Hedonismus.

Seit Corona merken meine Kollegen und ich einen radikalen Trend in der Berufsberatung: Wolkenkuckucksheime und Konsum haben Kurzarbeit angemeldet. Wenn jetzt Frauen zu uns in die Beratung kommen, dann mit einem neuen Zug im Gesicht: Realität schlägt Traum. “Ich möchte etwas machen, was meinen Mann entlastet, er arbeitet bei der Lufthansa und wahrscheinlich nicht mehr lange”, “mein Mann ist Arzt und hat derzeit 40 Prozent weniger Patienten, wir brauchen mein Einkommen”, “bitte etwas Systemrelevantes, eine Idee, die sicher ist”.

(…)

Frauen wollen die Familien mit absichern und ja, auch sich selbst absichern. “Wer weiß, ob mein Mann noch meine Rente mitfinanzieren kann” habe ich vor drei Jahren noch nicht gehört. Jetzt ständig.

via @franziskript

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Bei schlimmen Ereignissen hat es sich in serösen Medien inzwischen etabliert, verschiedene Aspekte explizit unter der Überschrift “Was wir wissen” und “Was wir nicht wissen” zu berichten. Zur Corona-Pandemie wünsche ich mir inzwischen Ähnliches – auch um falschen Erwartungen an die Wissenschaft gegenzuarbeiten. Annette Mende hat für die Pharmazeutische Zeitung zusammengetragen, welche Aussagen es derzeit auf die Frage “Was ist Covid-19 für eine Krankheit?” gibt, und zählt klinische Erfahrungen in der ganzen Welt auf.
“Der ganze Körper ist betroffen”.

Welche der zahllosen Beobachtungen aus Fallserien mit zum Teil nur einer Handvoll Patienten, die jetzt in aller Eile öffentlich gemacht werden, am Ende tatsächlich Bestand haben werden, ist nicht abzusehen.

via @mspro

Journal Sonntag, 10. Mai 2020 – Kluges gehört und gelesen

Montag, 11. Mai 2020

Gut und bis fast halb acht geschlafen – herrlich. Aber dadurch war der Sonntag halt auch gleich mal kürzer. Ich wachte zu Regen auf, der aber nicht lange anhielt.

Auf dem Crosstrainer eine Stunde Podcast gehört, Was denkst du denn? von Journalistin Nora Hespers und Bildungsphilosophin Rita Molzberger, große Empfehlung:
“Episode 86: Macht und Verschwörung”.

Es geht um Wissen, Macht durch Wissen, um falsche Ansprüche an Wissenschaft, geschlossene und offene Weltbilder. Vor allem aber: So viele kluge und fundierte, vorsichtige und vorläufige Einsichten, so viele Verweise, so viele Scherze (ich werde ja immer wehrlos, wenn kluge Frauen in Dialekt ausbrechen), das Bernsteinzimmer hat einen Auftritt, und die abschließende Idee von Rita Molzberger ist: “Vielleicht lern ich einfach Osmose.”

via @holgi

(Eigentlich spreche auch ich lieber von “Verschwörungsmythen” statt “Verschwörungstheorien”, weil Letzteres den Anschein von Verifizierbarkeit suggeriert, doch die beiden spielen dann so schön mit dem Gegensatz zu “Verschwörungspraxis”, dass es wieder passt.)

Ich hängte gleich noch 20 Minuten Strampeln zu Musik dran.

Nach Duschen und Anziehen sorgte ich für Mittagsfrühstück: Ich briet den großen Pak Choi aus Ernteanteil mit Knoblauch und Olivenöl, servierte mit dem (inzwischen recht hart gewordenem) Rest Pizzabrot vom Vorabend.

Freude am Blumenstrauß, dessen Duftblüte immer erst abends loslegt.

Mittlerweile schien wieder die Sonne und es war warm. Ich setzte mich wieder auf den Balkon und las das Romanmanuskript zu Ende – es gefiel mir weiterhin ganz ausgezeichnet. Als Snack Pfirsiche und Aprikosen mit Joghurt (fast wäre es zu Scones gekommen, doch Herr Kaltmamsell reagierte auf mein Angebot “Soll ich Scones backen?” nicht mit “JA!”, sondern mit “Ähhhh…” – das war zu wenig). Dann zog ich mir die Wochendend-SZ auf den Schoß. Doch nach einer Weile zog es mich ins Draußen, ich machte mich auf einen Spaziergang in den Alten Südfriedhof. Bei meinem derzeitigen Tempo reicht der für eine Stunde.

Ich war umgeben vom Duft der Bärlauchblüten, hin und wieder unterbrochen von Flieder, und bewunderte die vielen Farben der Akeleien.

Nachtmahl war ein echtes Sonntagsessen: Herr Kaltmamsell hatte Schweinsbraten mit Knödeln gemacht, die Knödel allerdings aus Fertigteig. Es schmeckte herrlich.

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Carolin Emckes1 Journal ist weiterhin sehr lesenswert – weil es, anders als der Titel suggeriert, nicht nur um die Pandemie geht. Die aktuelle Ausgabe macht sich unter anderem Gedanken über die Menschenverachtung der 3052 Seiten starken NSU-Urteilsbegründung, über Flüchtlingsrettungsboote und Auswirkungen der Reisebeschränkungen auf die Crew – und, ja: auch über Lobby-getriebene Lockerungen.
“Woche 7: Von Hack statt Leber, von lobbygetriebener Lockerungswillkür – und vom Trost spendenden Fischreiher.”

  1. Auch nach Jahren des Zitierens schreibe ich ihren Namen immer erst mal falsch. Komme mir keiner damit, mein Nachname “sei aber schon ganz schön schwierig”, zefix. []

Journal Samstag, 9. Mai 2020 – Mehlprobleme?

Sonntag, 10. Mai 2020

Gut geschlafen, aber schon kurz nach sechs aufgewacht. Blogpost war nur noch fertigzumachen, die Twitter Timeline bald weggelesen. Immer wieder trat ich auf den Balkon, um in den Morgen zu schnuppern und mir vorzustellen, wie ein Isarlauf gerade gestern aussehen würde.

Schon um 9 Uhr lag ich sportfertig im Wohnzimmer auf der Matte: Zeit genug für alle Gymnastikübungen, die Arzt und Physio in den vergangenen Monaten geraten hatten. Anschließend eine gute Stunde Crosstrainer bei zunächst trübem Himmel, doch langsam kam die Sonne heraus.

Nach Duschen und Anziehen machte ich mich zu einer Besorgungs- und Einkaufsrunde in sehr warmem Wetter auf. Vorher überprüfte ich, ob der Einkaufslistenpunkt “Weizen 550” auch wirklich abgearbeitet war. Als Herr Kaltmamsell mich vorm Schrank sah, fragte er, ob “wir” vielleicht ein Mehlproblem hätten.

Von links oben nach rechts unten: Roggen 1370, Roggen Vollkorn, Roggen 1150, Dinkel 630 (1x fast leer, 1x voll), Roggenschrot, Pizzamehl 00, Weizen Vollkorn, Weizen 812, Weizen 1050, Weizen 550, Weizen 405 (1x fast leer, einmal voll). “Problem” ist hier ja wohl höchstens das Fehlen von doppelgriffigem Mehl und Roggen 997. (Das Kichererbsenmehl ist kein Getreide und steht daher bei den Hülsenfrüchten.)

Zunächst brachte ich meine beiden Radierungen von Katia Kelm zum Rahmen. Wegen kompletter Ahnungslosigkeit ließ ich mich umfassend beraten, nur als man mir Rahmen in der passender Farbe andiente, merkte ich an, das Resultat solle nicht Deko sein, sondern Kunst ausstellen. Die Beraterin ging auch darauf ein, ich bestellte also eine Rahmung ohne Passepartout, um auch die rohen Ränder der beiden Blätter sichtbar zu machen.

Im Kaufhof am Marienplatz besorgte ich in der Kosmetikabteilung (erreichbar durch den Haupteingang Rosenstraße, alle anderen Bereiche mit Tüchern abgesperrt) meinen Standard-Kajalpinsel von Artdeco – mit dem vom Body Shop produziere ich auch nach fünf Monaten Übung Klecksereien, der kommt als Korrekturstift nach Tränenkatastrophen durch Radlfahren in die Büroschublade.

In die Lebensmittelabteilung gelangt man weiterhin nur durch das U-Bahn-Untergeschoß, auch hier alle anderen Bereiche abgetrennt; in der Ferne sah ich eine Angestellte edle Handtaschen mit einem Wedel entstaubten. Das frische Lebensmittel-Sortiment war deutlich ausgedünnt – nachvollziehbar, wenn kaum jemand einkauft. Und so suchte ich vergeblich nach schlichtem Frischkäse, Doppelrahmstufe: Im Kühlregal standen zwar ca. 25 Sorten von Light über mit Joghurt, Meerrettich, Kräutern, Ananas und sonstigem Kram – aber keine, die man für einen Kuchenguss verwenden könnte. Backpläne also um eine Woche verschoben.

Am Alten Peter sah ich mehrere Polizei-Mannschaftswagen, später erfuhr ich, dass auf dem Marienplatz eine Demo gegen die Pandemie-Eingrenzungsmaßnahmen stattgefunden hatte (was dann so aussah – ich würde ja facepalmen, wenn ich mir dafür nicht ins Gesicht fassen müsste).

Ein dringender Einkauf waren neue Hausschuhe für Herrn Kaltmamsell, Birkenstock Arizona. Durch ein Geschenk vor vielen, vielen Jahren (ich hatte nicht mehr mit ansehen können, dass er in einem Paar herumlief, das nur noch aus Fetzen bestand) war ich zuständig geworden für seine Hausschuh-Ausstattung. Und sein aktuelles Paar war wieder kurz vor Fetzenzustand. Ich musste ein wenig anstehen, weil in den kleinen Laden nur immer drei Personen gleichzeitig eingelassen wurden – und holte mir dabei, wie ich am Abend feststellte, einen leichten Sonnenbrand im Ausschnitt: Meine Haut ist halt dieses Jahr mangels Wandern oder Joggen überhaupt keine Sonne gewohnt.

Auf dem Rückweg Obst am Standl Sendlinger Tor eingekauft: Man riet mir zum Lagern der Aprikosen, Flachpfirsiche und Erdbeeren im Kühlschrank, dadurch gebe es “keine Fruchtfliegen”. Da wir ja alle wissen, dass Obst nicht in erster Linie Fruchtfliegen anzieht, sondern die Fuchtfliegen mit dem Obst geliefert werden, stellte ich daheim gleich mal die bewährte Falle auf. (Und Obst mag ich wirklich, wirklich nicht kühlschrankkalt.)

Daheim frühstückte ich die ebenfalls frisch besorgten Semmeln und machte es mir dann mit dem Romanmanuskript der Freundin auf dem Balkon gemütlich.

Nochmal die Kastanienblütenpracht genossen, der nächste heftige Regen oder Wind wird sie beenden. Lauteste Stimme der örtlichen Vogelwelt weiterhin aus Mönchsgrasmückenkehle, die Buchfinken und Meisen klingen im Vergleich geradezu kläglich.

Dazwischen erledigte ich noch den Erledigungspunkt für Samstag: Eine Zimmerpflanze brauchte seit vielen Monaten einen größeren Topf, den bekam sie endlich.

Fürs Nachtmahl war ich zuständig, ich machte Pizza mit diesem Teig basierend auf Lievito Madre.

Ließ sich mittelgut verarbeiten, ähnlich wie dem Lievito-Madre-Brot am Wochenende zuvor fehlte dem Teig die Spannung eines richtig guten Glutengerüsts.

Geschmack sehr gut.

Abendunterhaltung war eine Doku über Kraftwerk aus dem Jahr 2013, die arte anlässlich Florian Schneiders Tod nochmal in die Mediathek gestellt hatte.

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Eine sehr schöne und runde Geschichte im Techniktagebuch: Gabriel Yoran schreibt über Einzelhäuser und Heizungstechnik in Neuengland 2015, die für ihn als Europäer ausgesprochen fremd und rückständig war.
“Ein Kindertraum von Infrastruktur: Winter in New England”.

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Im Atlantic macht sich Charles Fishman Gedanken über die Rolle, die das Internet in der aktuellen Pandemie gespielt hat, vor allem für die USA. Kurzfassung: Ohne Internet hätte es eine echte Katastrophe gegeben, komplett außer jeglicher Kontrolle – und vielleicht sollten wir auch den vielen unsichtbaren Menschen danken, die das verhindert haben.
“The System That Actually Worked”.

Almost the entire nation now seems to be online at the same time, many of us using two or three devices at once—for urgent work meetings and talking with Mom, for college chemistry lectures and neighborhood yoga classes, for grocery shopping and video binge-watching. Digital life has rushed to fill the gaps created by social distancing, allowing some semblance of normalcy and keeping some parts of the economy open for business. Indeed, the things the internet lets us do are a big part of the reason people are comfortable staying confined to home, and are able to. To the degree that any institution is keeping American society knitted together during this crisis, it’s the internet.

(…)

The simplest explanation for why the pandemic hasn’t broken the internet is that the internet was designed to be unbreakable, at the very beginning. (The early precursor to the internet, ARPANET, was designed to survive a nuclear attack by rerouting network signals.)

(…)

That design philosophy is very different from the way much of the rest of the U.S. economy operates. The pandemic has shown us the downside of perfectly optimized systems—from the supply of ICU beds and virus-sampling swabs to the availability of baker’s yeast. We’ve been desperately short of all three of those things precisely because we’ve spent years tweaking supply chains so we have only exactly the amount we can use right now, without the “waste” of empty ICU beds or idle swab-making machines. In that way, what has saved the internet—redundancy, flexibility, excess capacity—reflects not just a different design philosophy, but a different underlying economic philosophy as well.

Journal Freitag, 8. Mai 2020 – #rpREMOTE-Tränchen

Samstag, 9. Mai 2020

Gestern freute ich mich beim Gewecktwerden schon sehr aufs Wochenende mit Ausschlafmöglichkeit.

Es war ein halbes Stündchen Yoga dran. Ich erwackelte mir einen Einbeinstand auch rechts – und zahlte anschließend mit Komplettverweigerung des Hüftgelenks beim Gehen, ich hüpfte einbeining (ich hatte doch bloß Sorge gehabt, dass die Muskulatur rechts komplett atrophieren würde!).

Radeln im sonnig-milden Frühlingsmorgen in die Arbeit – die Mauersegler schrillten jetzt auch beim Fliegen, sowohl über der Ludwigsvorstadt als auch überm Westend.

Vorm Rechner im Büro heulte ich erst mal eine Runde: Ich hatte auf den Clip des zusammngeschnittenen Abschlussgesangs der virtuellen re:publica, also der #rpREMOTE geklickt.

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https://youtu.be/qC5RVwiKDSE

Und ich kannte so viele Mitwirkende!
(Selbst hatte ich zwar einen Anlauf zum Mitmachen genommen und das Stück ein paar mal durchgeübt – doch nachdem ich feststellte, wie schwierig es war und wie überhaupt nicht meine Stimmlage, hatte ich aufgegeben.)

Mittags Bananen mit Quark und Dickmilch – schmeckte mir überhaupt nicht, vielleicht mag ich gerade keine Bananen. Ich aß dennoch die Schüssel leer, Hunger halt. Nachmittags eine Mandarine und Schokolade, schon viel besser.

Diesmal machte ich rechtzeitig Feierabend, um noch genug Energie für Blumenkauf im wiedereröffneten Laden zu haben, den ich auch beruflich frequentiere. Frau Floresblumen (mir fällt gerade ein, dass ich ja in Spanien auf dem altkastilischen Dorf einen Großonkel tío Flores hatte, kurz für Florencio, das muss ich ihr mal erzählen) stellte mir einen Strauß zusammen, der auf meine Bitte etwas mit Duft enhielt und anstonsten nach ihrer Beschreibung im Stil “Vogelwuid” gehalten war – ich freute mich sehr.

Es war deutlich wärmer geworden, Temperatur definitv jackenlos und kurzärmlig, nackte Beine und Arme nicht übertrieben.

Daheim hielt ich mich erst mal mit Häuslichkeiten geschäftig und setzte Pizzateig mit Lievito Madre für Samstag an – ich war nämlich viel zu früh hungrig. Danach war zumindest schon mal Zeit fürs Wochenendeinläuten mit Drinks:

Erdbeergintonic. Während Herr Kaltmamsell zum Nachtmahl Seeteufelgulasch zubereitete, verlängert mit gekochten Kichererbsen, schnippelte ich die restlichen Erdbeeren für den Nachtisch. Das Seeteufelgulasch verstand sich sehr gut mit den Hülsenfrüchten, in die allerdings ein Steinchen geraten war, auf das ich biss – zum Glück nur Schreck, kein Schaden.

§

Ranga Yogeshwar präzisiert in der FAZ meine Wahrnehmung der vergangenen Wochen: Wie der anfängliche Schreck über die Corona-Pandemie gemeinsames zielgerichtetes Handeln ermöglichte, das Nachlassen dieses Schrecks aber direktemang zu Egoismen und Unvernunft führte.
“Phase zwei”.

Zuerst waren Bürger, Politik und Wissenschaft in der Corona-Krise im Gleichklang. Das ändert sich rapide, und das ist gefährlich.

(…)

In dieser [ersten] Phase erleben wir eine bemerkenswerte Konsonanz. Politik und weite Teile der Gesellschaft sind sich einig. Die Wissenschaft liefert die Argumente und belegt die verkannte Dimension der Pandemie. In Talkshows wird nicht gestritten, sondern erklärt und informiert. Wir lernen von den Experten, die uns das exponentielle Wachstum verdeutlichen, die Infektionsmechanismen erläutern oder die Zuverlässigkeit von PCR-Tests ansprechen. Auch die Bundeskanzlerin erläutert die relevanten Unterschiede bei leicht veränderten Reproduktionszahlen.

(…)

Das zweite Kapitel der Pandemie hat begonnen, eine Phase gekennzeichnet von Widerstand, Wut und Anschuldigung. Zu Zeiten der Pest richtete sich der Volkszorn gegen Ketzer, Juden oder Frauen, heute erleben wir diese bemerkenswerte Wende der Politik im Verhältnis zur Wissenschaft.

(…)

Wir wollen keine analytischen Denker, die uns schlechte Nachrichten verkünden und uns weiterhin einsperren wollen, sondern wünschen uns Erlöser, die uns von der Last dieser ansteckenden Geißel befreien.

Dieser Leidensdruck erzeugt aberwitzige Erklärungskonstrukte. Da erscheinen lange Aufsätze, die allen Ernstes vorrechnen, dass es diese Epidemie gar nicht gibt, sie sei lediglich ein Artefakt, das Ergebnis einer gestiegenen Testquote. Andere fragwürdige Studien und Interviews mit Scheinexperten behaupten, dass es keinen Lockdown brauchte oder dass das neue, unbekannte Virus weit weniger gefährlich sei als behauptet.

Die dritte Phase, die Yogeshwar nach Erfahrungen mit Katastrophen wie der in Fukushima und mit Blick auf die Geschichte prognostiziert: kollektive Verdrängung.

via hmbl

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Sind Väter schlechtere Eltern? Weil Biologie? Mai Thi Nguyen-Kim sieht sich die Forschungslage dazu an.

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https://youtu.be/TkkHKU_lLqU

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Die Damen hinter Gofugyourself haben ja seit Wochen fast nichts mehr Aktuelles zu berichten, Veranstaltungen mit roten Teppichen, die sie sonst zeigen, sind alle abgesagt. Statt dessen stellen sie Fotostrecken aus dem Archiv zusammen, unter anderem diese wundervolle zum 60. Geburtstag von Emma Thompson.

Journal Donnerstag, 7. Mai 2020 – re:publica-Licht

Freitag, 8. Mai 2020

Aufwachen kurz vor Weckerklingeln, ich sprang erfrischt aus dem Bett – was derzeit so aussieht, dass ich mich an den Bettrand setze und mich mit den Händen in den Stand abdrücke, weil ich mich nicht auf Hüftkraft zum Aufstehen verlassen kann. Gestern war Crosstrainertag, ich bin bei jeder Runde erleichtert, dass das noch geht.

Auf dem Weg in die Arbeit unter wolkenlosem Himmel freute ich mich an dem ganz besonderen Licht Anfang Mai, an dieser speziellen Kombination von Einfallswinkel der Morgensonne und dem unterschiedlichen Frühlingsgrün der Bäume plus Blüten. Gleichzeitig wurde ich wehmütig, denn genau dieses Licht verbinde ich mit Berlinaufenthalt zur re:publica: Gestern fand sie zum ersten Mal online statt. Ich hoffe, dass ich Zeit finde, die eine oder andere Session hinterherzugucken.

Winziger Lichtblick ganz ganz hinten am Horizont: Für Ende Juli habe ich einen Sprechstundentermin in der Klinik bekommen, die mir hoffentlich irgendwann ein künstliches Hüftgelenk einbaut.

Typisch Hüftarthrose: Gefühlt standen beide Füße gerade, die kaputte Hüfte drehte tatsächlich aber den rechten Fuß nach außen.

Mittags Glasnudelsalat vom Vorabend, nachmittags zwei Mandarinen. Als ich nach der Arbeit das Gebäude verließ, wurde ich von warmer Luft überrascht. Nachdem ich am Vorabend beim Heimkommen noch energisch die Heizung aufgedreht hatte, setzte ich mich gestern daheim erst noch ein wenig auf den Balkon.

Nachtmahl waren aus dem frisch geholten Ernteanteil Spinat mit Erdnusssoße und Kopfsalat, dann noch ein Stück Käse und zum Nachtisch Schokolade. Zur Abendunterhaltung holten wir die neueste Folge Die Anstalt nach. Besonders begeistert war ich von den kreativen Formaten der einzelnen Nummern, nachdem ja auch diesmal ohne Publikum und nicht als Ensemble gespielt wurde.

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Dieser Nachruf im Guardian auf Florian Schneider gefällt mir am besten, auch weil er die Entwicklung und Bedeutung von Kraftwerk in der Musikgeschichte nachzeichnet. Ich bin immer noch verwundert, wie ich als Zwölfjährige beim zufälligen Hören derart auf Kraftwerk ansprang. Und immer noch denke ich daran rum, welchen Einfluss ausgerechnet diese schlichten Kindermelodien in abgefahrenen Klängen und ihr 70-er verkopfter Düsseldorfer Kunstansatz weltweit hatten.
“Florian Schneider obituary”.

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Über den gestrigen Eintrag zu #friyties auf instagramm musst ich sehr lachen (und die Krawatte ist besonders schön):

I am resigned to the fact that the world will never see a gravestone carved with the words “Here lies Stephen Fry: Always stylish and expensive—sexy, sometimes suggestive, sometimes blatant or tarty”

§

Lustig.

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https://youtu.be/PM-dwTBDTE0

Journal Mittwoch, 6. Mai 2020 – Frisch und klar

Donnerstag, 7. Mai 2020

Gestriger Morgensport sollte eine weiteres vertrautes Programm aus Fitnessblender zur Rundumkräftigung sein. Doch zum ersten Mal brach ich mittendrin ab: Die wehe Hüft hinderte mich an fast allen Übungen, und zwar durch immer energischere Schmerzen in Hüftgelenk, Hüftbeuger, Leiste. Ich war traurig, denn dieses Programm hatte mir immer besonders viel Spaß gemacht. Meine Welt wurde plötzlich ein wenig kleiner.

Draußen klarte es immer weiter auf, allerdings bei sehr frischen Temperaturen.

Mittags Orange und Maracuja mit Quark und Dickmilch, nachmittags Nüsse und Schokolade. Ich konnte mich sehr schlecht konzentrieren und arbeitete im Schneckentempo.

Auf dem Heimweg Abstecher in einen weitläufigen Supermarkt für die Brotzeit der nächsten Tage. Die Menschen tragen brav Atemmaske, doch sie halten immer weniger Abstand – ich musste an der Kasse mit ausgestrecktem Arm und Mahnung dafür sorgen.

Zum Abendbrot hatte Herr Kaltmamsell wieder gezaubert:

Sechuan-Auberginen,

Glasnudelsalat mit Garnelen und Soja-Hack.

Abendunterhaltung: Während Herr Kaltmamsell eine alte Freundin in Amerika sprach (Facebook Videochat), las ich Internet und ließ im Fernsehen Grey’s Anatomy laufen.

§

Was ist anders an COVID-19-Erkrankten auf der Intensivstation? Intensivpflegerin Svenja Vögeli im Interview:
(Caveat: Mich entlastet es ja oft zu wissen, was genau auf mich zukommen könnte. Wenn Sie medizinische Details eines schweren COVID-19-Verlaufs eher belasten, dann lesen Sie das besser nicht.)
“‘Die Patienten werden sehr schnell sehr still'”.

§

Der wirklich langmütigen Bio-Chemie-Lehrerin Croco platzt ein bisschen der Kragen angesichts der derzeitigen Forderungen von Politik und Eltern an Lehrerinnen und Lehrer:
“Corona dreiunfünfzig”.

Himmel noch mal! Wir haben uns das doch auch nicht ausgesucht.
Und dass Kinder nicht motiviert sind, ist uns bekannt. Das ist unser Beruf. Das ist die Didaktik, die Kunst des Lehrens, die wir anwenden. Es ist tatsächlich nicht nur eine Wissenschaft, sondern eine Kunst, Kinder und Jugendliche in großen Gruppen bei Laune zu halten. Warum sind wir nach 6 Stunden Unterricht platt und haben das Gefühl, einen Bahnhof geputzt zu haben? Mit dem Spüllappen?
Wir wissen genau, was Eltern mitmachen zur Zeit.
Genau das ist sonst unsere Arbeit.
Wir achten Eure, und wir hätten gerne, dass ihr unsere auch achtet.

§

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https://youtu.be/8jDROj236R4

Bin schwer verliebt – vielleicht kommt da die Elektrikertochter durch. (Oder der Quatschkopf. Poteto/Potato.) (Und passt ein winziges Bisschen als Nachruf auf den kürzlich verstorbenen Florian Schneider, Mitgründer von Kraftwerk.)

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https://youtu.be/Hh9pm9yjmLs

Journal Dienstag, 5. Mai 2020 – WmdedgT

Mittwoch, 6. Mai 2020

Am 5. jedes Monats fragt Frau Brüllen: Was machst du eigentlich den ganzen Tag – WmdedgT.

Wecker um halb sechs nach gutem Schlaf.

Die Cafetera zog nicht so recht: Sie brauchte 15 Minuten zum Durchlaufen und produzierte Espressokonzentrat. Das tut sie manchmal, und ich habe noch nicht herausgefunden, woran das liegt. Vielleicht ist sie wetterfühlig. Nach dem Rechneraufklappen bat mich eine Twitter-Umfrage um Teilnahme, na gut. Sie drehte sich um Belästigung und Missinformation – doch vor allem lud sie so langsam, dass sie sehr viel Zeit in Anspruch nahm. Und viele meiner Antworten waren davon geprägt, dass ich ja nicht öffentlich twittere (was allerdings am Anfang abgefragt wurde), außerdem mit viel Mühe unerwünschte Inhalte (Werbung, Likes von andere, Folgeempfehlungen) ausgefiltert habe. Meinen Blogpost über den Vortag hatte ich bereits geschrieben, ich musste ihn nur noch gegenlesen und freischalten.

Draußen wieder der Gesang der Mönchsgrasmücke.

Ich wechselte in Sportkleidung. Zwei Runden Bankstütz mit Fußheben, zwei Runden Seitstütz, dann Schulter- und Rückendehnen im Sitzen – meine Mindestübungen. Gestern war danach wieder Strampeln auf dem Crosstrainer dran, ich verlängerte um die Zeit, die ich bei Heimarbeit nicht zum Büro radeln musste.

Beim Ausschwitzen räumte ich Küche, Schlafzimmer, Arbeitsplatz, füllte eine Waschmaschine heiße Buntwäsche. Duschen und Anziehen – nach den Frier-Erfahrungen der Woche zuvor zog ich zur schwarzen Jeans die allerdicksten Socken über die dünnen Baumwollsocken an, übers T-Shirt meinen dicksten Norwegerpulli, den ich den ganzen milden Winter über nicht gebraucht hatte. Heizung und heißen Tee gab es eh.

Kurz nach acht Arbeits-Laptop aufgeklappt, losgearbeitet. Wie schon die Woche zuvor irritierte mich der Wechsel von MacOS zu Windows. Sonst sind meine Anker: Touchpad/Laptoptastatur = Apple, Mouse und große Tastatur plus großer Bildschirm = Windows. Jetzt kam ich beim Windows-Laptop vor allem bei den Short-Cuts ständig aus dem Konzept und musste darüber nachdenken, was ich eigentlich gerade tat.

Der Himmel lückenlos grau, hin und wieder regnete es ein bisschen. Der Geräuschkulisse nach lief das Versicherungsbüro unter uns in Normalbetrieb.

Zwischendurch ein GUTER Cappuccino, die Cafetera zickte wieder. Wäsche aufgehängt. Beim gelegentlichen Aufschauen vom Bildschirm sah ich Buntspecht, Buchfink, Blau- und Kohlmeisen sowie Amsel auf dem Balkon, Eichhörnchen in der Kastanie. Sehr intensives und anstrengendes Arbeiten, Hauptarbeit war Redigieren und Korrekturlesen eines umfangreichen und komplexen Dokuments.

Mittags schnippelte ich in der Küche Birnen, aß sie mit einem Stück Roquefort und dem Rest misslungenen Brots vom Sonntag über Tageszeitungslektüre. Nachmittagsnack war eine Hand voll Nüsse. Weiter hochkonzentriertes Arbeiten bis an meine Grenzen. Ich machte fast pünktlich Feierabend. Hände und Füße hatte ich trotz aller Anstrengungen nicht warm gekriegt.

Für nach der Arbeit hatte ich Schirmkauf geplant: Ich fühle mich inzwischen reif für einen richtigen schönen erwachsenen Schirm aus dem Schirmladen. Und so steckte ich eine Stoffmaske ein und spazierte über die Sendlinger Straße zum Rathaus, an dessen Ostseite es einen winzigen Schirmladen gibt – der allerdings geschlossen war. Nicht weiter schlimm, ich hatte vor allem einen Anlass zum Rausgehen gebraucht. Wenn ich schon mal in diesem Eck war, schaute ich in der Kosmetikabteilung des Ludwig Beck nach einer Rasierseife für Herrn Kaltmamsell: Er hatte vergeblich nach einer ohne Plastikdose als Füllung für seine edle Holzdose gesucht. Wie erwartet gab es sie beim Ludwig Beck, als Nachfüllung für exakt solch eine Holzdose. (Corona-Maßnahmen: Am Eingang bekam ich ein laminiertes Nummernschild für den Überblick über die Anzahl Kunden, Bereiche waren abgesperrt, alles Personal trug Mundschutz, am Ausgang gab ich mein Nummernschild wieder ab.) Und dann kaufte ich auf dem Heimweg am Standl Rindermarkt gleich noch die ersten Erdbeeren der Saison.

Gehen war allerdings ausgesprochen schmerzhaft: Um das Holen des Abendessens Marke “Wir unterstützen die benachbarte Gastronomie” bat ich Herr Kaltmamsell (während er fort war, schnippelte ich Erdbeeren). Es wurde Vietnamesisches vom Chi Thu.

Von oben Banh Mi Bo, Salat aus grüner Papaya mit Garnelen, Reisnudelschale mit knusprigen vegetarischen Frühlingsrollen. Schmeckte besonders gut!

Danach war wieder Leserunde, auch diesmal virtuell und über Jitsi. Wir sprachen auf meine Bitte über Aldeous Huxley, Brave New World. Nur drei von uns hatten den Roman überhaupt gelesen. Wir sprachen darüber, wie schlecht er gealtert war und wie wenig uns vor 30 oder 40 Jahren die brutale Frauenfeindlichkeit aufgefallen war. (Ausführlich besprochen hatte ich ihn hier.) Für die nächste Runde im Juni verabredeten wir uns optimistisch in einem abgelegenen und wenig besuchten Biergarten.

Meine Mutter rief an und wollte uns nach dem nächsten Schritt der Corona-Lockerung gleich für den Sonntag einladen – ich handelte sie auf ein Wochenende später runter. Zum Tagesabschluss gab es die Erdbeeren.

§

Die deutsche Automobilindustrie, die unsere heimische Wirtschaft seit Jahrzehnten in einem monopolisierten Klammergriff hält und meiner Überzeugung nach ebenso lang nachhaltige Zukuftsorientierung verhindert, die zur finanziellen Bereicherung ihrer Eigentümer und ihres Managements Kunden weltweit belogen und betrogen hat – dieselbe deutsche Automobilindustrie fordert jetzt eine neue Abwrackprämie. Die Wirtschaftswoche, ganz sicher nicht grün-alternativen Gedankenguts verdächtig, hat sich 2010 die wirtschaftlichen Folgen des ersten solchen Geschenks an die deutsche Automobilindustrie angesehen:
“Erschreckende Bilanz der Autoverschrottung”.

Nun, da die Prämie in Deutschland und allen Nachahmer-Staaten ausgelaufen ist und die Verkaufszahlen für die Post-Abwrackprämien-Ära vorliegen, kann Bilanz gezogen werden für eine der teuersten Konjunkturspritzen der deutschen Geschichte. So viel vorne weg: Die Bilanz ist verheerend.

(…)

Die simple Wahrheit ist: 27 Millionen Steuerpflichtige haben zwei Millionen Autokäufern 2500 Euro geschenkt.

SURPRIIIIIIIIISE!

Repeat after me: Die Zukunft der Mobilität kann nicht in privatem Autobesitz liegen.