Archiv für Juni 2020
Journal Montag, 28. Juni 2020 – Blicke vom Fußweg aus
Dienstag, 30. Juni 2020Zu Regengeräuschen aufgewacht, doch diese paar Tropfen sollten mich auf dem Rad nicht stören.
Allerdings hatten sie sich bis nach Morgenkaffee mit Bloggen, nach Kraftübungen, nach Yoga (diesmal von der schweißtreibenden Sorte), nach Duschen und Anziehen kontinuierlich zu ernsthaftem Regen gesteigert – missgelaunt griff ich mir den Regenschirm und nahm die U-Bahn in die Arbeit. Als der Regen kurz vor Mittag aufhörte, war allerdings mein erster Gedanke: Halt, weiterregnen, das war noch lange nicht genug! Das Wetter kann es mir also ultimativ nicht mehr recht machen.
Der Vormittag bestand fast ausschließlich aus Querschüssen. Alles, was ich geplant hatte, schmuggelte ich bröckchenweise dazwischen. Nachmittags vielerlei Ärger (überrascht und enttäuscht) – aber auch der Genuss, mit Menschen zusammenzuarbeiten, mit denen alles läuft wie ein Tanz: kleine Signale geben, auffangen, alles fließt und benötigt nur geringe Energie (vielleicht nenne ich die künftig Niedervolt-Kolleginnen und -Dienstleister).
Zu Mittag gab es Nudeln mit Pulpo in Tomaten vom Vorabend und Kirschen aus Bruderfamilies Garten.
Der Arbeitstag wurde länger, und ich hatte überhaupt keine Lust auf U-Bahn, dafür umso mehr auf frische Luft. Ich ging also zu Fuß nach Hause, gemütlich getrippelhinkt dauerte das 50 statt der gesunden 35 Minuten von früher.
Sie wissen ja sicher schon gar nicht mehr, wie die Bavaria aussieht.
Am Kaiser-Ludwig-Platz wird seit einigen Wochen gebuddelt. Jetzt am Abend war die Baustelle verlassen, ich konnte in die Abgründe gucken, die ich mit dem Fahrrad immer umkurve.
Fernkälteleitungen. (Dieser Post war für mich Anlass, diesem Schlagwort nachzugehen, dem ich auf den Bautafeln begegnet war – hochinteressant.)
Daheim traute ich mich doch wieder Alkohol und machte uns Erdbeer-Gintonics. Während Herr Kaltmamsell zum Nachtmahl Reste aß, darunter Pulpo-Reste, hatte ich erst mal auf längere Zeit genug von Pulpo und bekam die Zucchini aus Schwägeringarten gebraten mit einem Omelette.
Zum Nachtisch gab es den Cherry Pie, den der Herr nachmittags zubereitet hatte, mit allen Kirschen, die er den zahlreichen Würmern aus ihren gierigen Pfötchen reißen konnte.
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Als die Weilheimer Apothekerin Iris Hundertmark vor zwei Jahren ankündigte, dass sie ab sofort keine Homöopathie-Mittel mehr anbieten würde (allerdings ist sie verpflichtet, sie auf Anfrage zu bestellen), machte das eine Welle. Die Süddeutsche hat nachgehalten, was aus ihr und ihrer Apotheke geworden ist: Zu meiner Bestürzung ist sie die einzige homöopathiefreie Apotheke Deutschlands geblieben. (Leider nur gegen Geld zu lesen.)
“Nein, hier gibt es keine Globuli”.
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Auch die Süddeutsche hat das Handbuch für Zeitreisende gelesen, Jutta Person schreibt:
“Pack den Auerochsen ein”.
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instagram-Tipp: @womeninstreet stellt Fotografinnen vor, die bemerkenswerte street photography machen – sehr, sehr verschieden.
Journal Sonntag, 28. Juni 2020 – Familiengeburtstag
Montag, 29. Juni 2020Im Bett des Herrn Kaltmamsell aufgewacht, in das ich in den sehr frühen Morgenstunden umgezogen war, weil mein leichter Schlaf durch seine Geräusche gestört wurde. Er protestierte, weil er früher als ich wach geworden war und so nicht an seinen Rechner und seinen Morgenmantel rankam. (Eigentlich möchte er, dass ich ihn in diesen Fällen wecke und wegschicke, doch das hatte ich nicht übers Herz gebracht.)
Auf dem Balkon war es bereits so warm, dass ich gründliches Fensterschließen tagsüber beschloss.
Aufgenommen auf meine Bitte von Herrn Kaltmamsell, echter #boyfriendsofinstagram.
Ausführliche Gymnastik, ein Stündchen auf dem Crosstrainer. Gegen Unterzucker knabberte ich einen Haferkeks und einen Apfel. Kurz nach Mittag machten wir uns auf den Weg zum Bahnhof: Ein Zug sollte uns zu einer Familiengeburtstagsfeier bringen.
Dem Hopfen geht’s gut.
Wir hatten den Tipp bekommen, am Bahnhof Ingolstadt Audi auszusteigen – dem Neuzugang unter den Ingolstädter Bahnhalten. In postypokalyptischer Umgebung zwischen Hightech-Fabrikzaun und Parkhaus-Rohbau (was man im Norden Ingolstadts richtig, richtig gut machen kann: parken) gab es eine Bushaltestelle, von der aus ein Bus uns zur Feier brachte. Einen solch perfekten Öffi-Zubringer hat es in Ingolstadt in den vergangenen 30 Jahren nicht gegeben, ich war verwirrt.
Auf der angenehm temperierten Terasse gab es Kaffee und vielerlei Kuchen. Es freute mich sehr, die befreundete Verwandtschaft mal wieder zu sehen. Außerdem bekamen wir einen Eimer voll Ernte, zum Teil selbst aus dem Baum geholt:
Kirschen, Gürkchen, Zucchini, den Kohlrabi hatte Herr Kaltmamsell im Rucksack.
Im München hat es zu regnen begonnen, wir gönnten uns eine Tram nach Hause. Daheim machte Herr Kaltmamsell aus Pulpo vom Vortag eine tomatige Soße und servierte sie mit Spaghetti. Zu sanftem Regenrauschen ging ich zu Bett.
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Viel verlinkt in meinem Internet, gestern fand ich beim Morgenkaffee Zeit für die Lektüre: Für Geo waren Vivian Pasquet und Daniel Etter mehrere Wochen während der heftigsten Corona-Krise im Universitätsklinikum Bonn.
“Um Leben und Tod: Aus dem Inneren einer Corona-Klinik”.
Hört man als Laie nur sehr viel Piepen, Pumpen und Klopfen, können die Pflegekräfte mehr als 50 Alarmtöne unterscheiden: Knick im Kabel, Medikament leer, Lungenmaschine streikt; Irgendwas-ist-ab-Alarm, Sauerstoffsättigung zu niedrig, Blutdruck zu hoch; Dialyse gestartet, Luftblase im Schlauch, Blutkonservenkühlschrank zu warm. Herzstillstand-Alarm. Einmal, auf einer Weihnachtsfeier, machten sie bei Keksen und Glühwein ein „Alarmton-Quiz“.
(Oder warum ich von Anfang an zuckte, als es hieß, dann sollten halt Fabriken mal schnell auf die Produktion von Beamtmungsgeräten umstellen – als wenn es sich sowas Simples wie Kaffeemaschinen handelte.)
Journal Samstag, 27. Juni 2020 – Vollbremsung
Sonntag, 28. Juni 2020Nachts war es nur Kopfweh, nach dem Aufstehen stellte sich dann doch heraus: Migräne. Ich legte mich nochmal hin, nahm mein Triptan und schlief bis kurz vor zwölf – mit üblen Träumen, in denen ich durch Dummheit mich und andere in ausgesprochen unangenehme Situationen brachte und vor Selbsthass brannte.
Danach das übliche Programm: Benommenheit, beim Morgenkaffee auf dem Balkon leise Trauer über den verlorenen Tag (noch dazu ein echter, aber nicht heißer Sommertag), Reiz-Filter löchrig, daher Überflutungsgefühl und Assoziationen-Querschläger (der Herr, der vor dem Nebengebäude eine rauchte, war darin mit seiner Kappe, schlampigen Jacke und zerknitterten dunklen Stoffhose ein alter kastilischer Bauer, dem ich umgehend einen Stock in der Nicht-Zigaretten-Hand dazudichtete – um nur leicht verwundert festzustellen, dass es sich wahrscheinlich einfach um einen Studenten des benachbarten Forschungsinstituts handelte).
Einige Kohlmeisen trauten sich trotz meiner Anwesenheit an den Meisenknödel am Balkon. Aber Tischmanieren, also Tischmanieren hatten die nicht. (Herr Kaltmamsell will mir ja nicht glauben, dass die Stadttauben, die er konsequent vom Balkon vertreibt, in Wirklichkeit Aufräumfunktion für die Sauerei haben, die die Kohlmeisen und Buntspechte hinterlassen.)
Ich guckte diesen Fischadlern beim Fliegenlernen zu, während einen halben Meter vom Bildschirm entfernt Kohlmeisen Körner pickten, ihr Kopfgefieder aufstellten und glätteten – wäre eine leicht bizarre Situation gewesen, hätte nicht Donald Trump das Bizarrometer in den vergangenen Jahren so gründlich neu kalibriert, dass die Bizarrheit von Situationen wie dieser inzwischen unter der Messbarkeit liegt.
Nagelpflege mal 10 (Füße nur zum Teil, ich habe nächste Woche endlich mal wieder einen Termin zur Fußpflege), Duschen und Anziehen. Zum Rauskommen ging ich Semmelholen (und weil ich Appetit darauf hatte). Das Thermometer am Juwelier Fridrich in der Sendlinger Straße zeigte 25 Grad, doch es fühlte sich in schwüler Luft wärmer an.
Frühstück um vier Uhr war selbst für meine Verhältnisse extrem. Andererseits: Vier Stunden nach Aufstehen war sogar eher früh.
Bügeln der Wäsche von zwei Wochen. Das mache ich zwar nie gerne, aber gestern war mir schwindlig und ich fühlte mich krank, gleichzeitig wollte ich einige der ungebügelten Stücke gerne zur Verfügung haben, doch der Sonntag war verplant und ich wusste, dass ich mich am Montag ärgern würde, wenn der Bügelstapel dann immer noch da ist. Überwindungsüben.
Zeitunglesen auf dem Balkon, bis Herr Kaltmamsell zum Abendessen rief. Er hatte mit Tintenfisch experimentiert: Vormittags (während ich meine Migräne ausschlief) hatte er beim Verdi zwei große Pulpos gekauft, den einen wie gewohnt in viel kochendes Wasser gegeben, die Hitze abgedreht und ihn drei Stunden darin gegart, den anderen hatte er ohne Wasser im eigenen Saft gegart. (Meinen verspäteter Hinweis, dass nur ein Teilen desselben Exemplars ausgeschlossen hätte, dass das Ergebnis vom Rohstoff abhing, wischte er weg: So weit wäre er eh nicht gegangen.) Jetzt haben wir sehr viel garen Pulpo, den ersten Teil servierte er gebraten mit gebratenem Mangold aus Ernteanteil und Bulgur vom Vortag:
Dieser im eigenen Saft gegarte war sensationell zart, hätte vielleicht sogar eine kürzere Hitze vertragen. Für Nachtisch drehten wir noch eine Draußenrunde und spazierten zur nächstgelegenen Eisdiele.
Daheim stellte ich fest, dass das Netzkabel meines Laptops zerspleißt war, ließ diesmal die Provisorien bleiben sondern bestellte sofort ein neues.
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Unter all den klugen Sachen, die Maximilian Buddenbohm geschrieben hat, ist diese die möglicherweise bislang klügste:
“Planlos? Okay.”
(Wobei das ebenso möglicherweise die Quintessenz des Buchs Dinge geregelt kriegen – ohne einen Funken Selbstdisziplin sein könnte, aber das habe ich immer noch nicht gelesen. Dann hat Maximilian sie dennoch brillant formuliert.)
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Ein Lob der Lokalpolitik von Lenz Jacobsen – aber auch die Analyse, warum sie so agieren kann:
“Es gibt ein politisches Leben jenseits der Hauptstädte”.
Spätestens hier droht die Begeisterung für die Gestaltungskraft der Bürgermeister in ein antipolitisches Vorurteil zu kippen: Hier die lokalen Macher und Problemlöser, da die fernen Politiker, die nur reden und nichts zustande bringen. Der Ruf der Bundespolitik ist längst auch in Deutschland so schlecht, dass viele Lokalpolitiker behaupten, genau das nicht zu sein: Politiker. Sie wollen um keinen Preis in einen Topf geworfen werden mit den Talking Heads aus Bundestag und Tagesschau, mit der oft verklausulierten Sprache und den schalen Minimalkompromissen.
Dabei ist dieser Unterschied im Ansehen eine direkte Folge der Arbeitsteilung. “Die Art von Stadtregierung, die Emanuel so rühmt, ist überhaupt nur deshalb möglich, weil sich heute vor allem die Nationalstaaten um die Staatsfinanzen und Kriegsführung tragen”, merkt David Runciman in der London Review of Books an. Diese Arbeitsteilung sei “ein moderner Luxus” für die Städte, schreibt Runciman. Denn früher, bevor die Nationalstaaten sich gründeten, “waren die Städte wie Nationen, nur kleiner, instabiler und mit mehr Gewalt.”
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Ein guter Journalist geht dahin, wo’s schwierig ist. Versucht Fragen zu beantworten, die unbeantwortbar scheinen. Zum Beispiel: Wer hat eigentlich das Bild entworfen, das auf allen Dönertüten prangt?
“Jäger des verflixten Dönerlogos”.
Auch beim Verein türkischer Dönerhersteller in Europa ATDID, den es wirklich gibt, auch wenn die Homepage aktuell vor allem aus Blindtext besteht, kann man mir nicht helfen.
Journal Freitag, 26. Juni 2020 – Von Rosen und Nelken bei “d’ junga Leit”
Samstag, 27. Juni 2020Weil ich morgens nur Minimalsport plante, hatte ich mir den Wecker auf eine halbe Stunde später als sonst gestellt. Doch nach unruhiger Nacht (u.a. wegen geselliger Nachbarn mit Balkongästen) wachte ich sogar früher als üblich auf.
Wir spielten Lieferlotterie: Nachdem wir für eine angekündigte Weinlieferung über DHL den ganzen Samstag davor für Besetzung unserer Wohnung gesorgt hatten und dann doch keine Lieferung kam, hatte ich das Weinpaket auf den gestrigen Freitag terminiert – obwohl Herr Kaltmamsell erst ab halb elf daheim sein würde. Wir erlosten den Hauptgewinn: Lieferung erst, als jemand da war.
Nachdenken über den Umstand, dass niemand in Rente/Pension/Ruhestand gehen kann, ohne dass alle, alle das als “wohlverdient” bezeichnen. Möglicherweise das hartnäckigste epitheton ornantium der Gegenwart, möglicherweise gibt es demnächst einen Duden-Eintrag in einem Wort: Wohlverdienterruhestand. Befürchten Sprecher und Sprecherinnen, dass ohne dieses Attribut dem scheidenden Kollegen Drückebergertum unterstellt wird? Soll das eine Wort im Vorbeigehen Wertschätzung für das gesamte Arbeitsleben ausdrücken? “Viel zu früher Ruhestand” geht aber auch nicht, ebenso wenig “mitten aus dem Arbeitsleben gerissen”. Hat schon mal jemand eine Alternative gehört oder gelesen?
Mittagessen waren Birnen mit Quark und Kefir, dazu eine Breze, eine weitere Breze als Nachtmittagssnack.
Auf dem Heimweg von der Arbeit kaufte ich Blumen. Ich wollte gerne Rosen, weil ich immer wieder an wundervollen Rosen in Vorgärten vorbeiradle. Im Ratsch mit der Blumerin lernte ich, dass “d’junga Leit” sich derzeit nicht für Rosen interessieren, sondern möglichst wilde Zusammenstellungen möchten, wie auf Wiesen. Ich bot den Begriff “instagram-Strauß” an. Wir kamen auf unpopuläre Blumen, zum Beispiel Nelken – und ich erfuhr, dass es davon inzwischen ganz wundervolle gibt. (Und dass junge Kundschaft durchaus offen für sie ist, solange man ihnen nicht verrät, dass es sich um Nelken handelt.)
Wochenendverschönerung.
Ich kam früh genug heim, dass vor dem Abendessen noch Zeit für einen Aperitif (Negroni) auf dem Balkon war und für Lesen.
Nachtmahl waren Spare Ribs vom Herrmannsdorfer (die schlachten selbst, auch das trägt sicher zu den hohen Preisen bei – aber ich ließ mir mal von einem der Mitarbeiter an der Fleischtheke des Ladens am Vikutalienmarkt erzählen, dass alle, die dieses Fleisch verkaufen, auch mal in der Schlachterei gearbeitet haben müssen), dazu Bulgur mit Gurke, Paprika, Salzzitrone (!).
Einen Teil der Rippchen garte Herr Kaltmamsell im Speiseföhn, den größeren wie gewohnt im Backofen – letztere gerieten deutlich besser. Dazu eine Glas Rosé aus dem frisch eingetroffenen Weinpaket: Mont Clou Cabernet Sauvignon-Syrah Rosado, sehr intensiv und kräftig. Eiscreme Pistazie und Gianduia zum Dessert.
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Der Wert von Kunst ist ja nicht darüber definiert, dass sie jemand Bestimmtem gehört. Der Wert von einem Kunstwerk besteht doch in dem, was es an Gefühlen, Gedanken, Diskursivität in die Welt bringt.
Daniel Richter
Artikel über lebende Künstlerinnen und Künstler interessieren mich selten. Noch viel weniger will ich von ihnen Aussagen über das eigene Werk lesen, ihre Aussage soll bitte das Kunstwerk sein (dazu zähle ich auch Literatur).1 Deshalb überraschte mich, wie interessiert ich die ausführliche Geschichte im Süddeutschen Magazin las, in der Autor Peter Richter die Entstehung eines Gemäldes von Maler Daniel Richter mitverfolgt (€):
“Wie entsteht ein Kunstwerk?”
- Katia Kelms Ausführungen lese ich auch deshalb so gerne, weil sie Techniken erklärt und Mechanismen der Kunstwelt, nicht aber ihr eigenes Werk interpretiert. [↩]
Journal Donnerstag, 25. Juni 2020 – Gezähmte Wärme
Freitag, 26. Juni 2020Beim frühen Aufstehen sommerliche Düfte, gemischtwolkiger Himmel. Gymnastik und Crosstrainer.
Die Wolken sorgten dafür, dass mein Büro nicht zu warm wurde und ich die Fenster gekippt lassen konnte. Während Basel und Ostfriesland 28 Grad meldeten, blieb es in München bei knapp über 20.
Bei einem kurzem Blick zur Seite sah ich vormittags durch eine Jalousienlücke einen Eichelhäher – überraschend und erfreulich. (Apropos: Wenn Sie auf ungewöhnliche und großartige Vogelfotos stehen, und auf gute Geschichten dazu, dann folgen Sie doch auf Twitter @birdturntable.)
Mittags Pfirsich und Maracuja mit Quark und Kefir, nachmittags eine Hand voll Nüsse und schwarze Schokolade.
Angenehmer Arbeitstag, hätte lediglich früher enden können. Auf dem Heimweg Stopp auf der Theresienhöhe bei einem anderen als gewohnten Drogeriemarkt: dm führt derzeit keine Wäschedesinfektion mit Duft (nicht die fünf Filialen, in denen Herr Kaltmamsell und ich suchten) – den ich aber gerade bei dunklen Sportsachen gegen Schweißgestank schätze. Bei der Konkurrenz bekam ich eine. Im benachbarten Supermarkt kaufte ich noch ein paar Lebensmittel.
Zum Nachtmahl gab es eine Schüssel Ernteanteil-Salat mit Tahini-Dressing und dann viel Erdbeeren mit Sahne. Die Saison geht zu Ende.
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Wenn es um ihren Tee geht, HÖRT FÜR BRITEN DER SPASS ABER AUF! (Nicht wirklich.)
“US woman sparks transatlantic tea war with brutal online brew”.
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Tanz geht immer und überall – hier unterstreichen Betonboden und Regen sogar die Anmut des Ballettschülers Anthony Mmmesoma Madu.
via @vilsrip
Journal Mittwoch, 24. Juni 2020 – Ted Chiang, Stories of your life and others
Donnerstag, 25. Juni 2020Aufgewacht kurz vor Weckerklingeln in einen traumhaften Sommermorgen. Gymnastik und Yoga (Rücken) vor offener Balkontür.
Auf der Theresienwiese radelte ich an einer vierköpfigen Graugans-Herde beim Grasen vorbei – mal sehen, was sich DIE NATUR in diesem Oktoberfest-freien Jahr noch so zurückholt.
Mittags Laugenzöpferl und ein Stückchen Käse, nachmittags Flachpfirsiche mit Hüttenkäse.
Auf dem Heimweg radelte ich beim Vollcorner vorbei für Obst, Milchprodukte und mein Abendessen Rahmspinat mit Ei – Herr Kaltmamsell war aushäusig. Kleines Unglück beim Auspacken daheim: Der Eierkarton öffnete sich, als ich ihn aus meinem Rucksack zog. Ein paar Eier, die ich einzeln aus dem Rucksack angelte, waren beschädigt, es gab also deutlich mehr zum Nachtmahl als geplant.
Abendprogramm: Lesen auf dem Balkon in herrlichen Sommerdüften, ich begann Natascha Wodin, Sie kam aus Mariupol.
Am Vorabend hatte ich Ted Chiang, Stories of your life and others ausgelesen.
Eine Empfehlung von Herrn Kaltmamsell, da der Geschichtenband auch die Vorlage für den Film Arrival enthält, der mir überaus gefallen hatte. Veröffentlicht wurden die Geschichten erstmals alle Anfang der 1990er.
Allen Erzählungen ist der nicht-realistische Duktus gemeinsam, das gefiel mir sehr gut. Es wird immer ein “What if” durchgespielt, das mehr oder weniger weit hergeholt ist, speculative fiction. Eine Mathematikerin, die in tiefe Depression fällt, nachdem sie den Beweis erarbeitet, dass 1=2 (“Division by Zero”). Der Trupp Bergleute, der für den Turmbau zu Babel engagiert wird, als dieser so hoch ist, dass er an den Himmel stößt: Die Bergleute sollen nach oben durchgraben (“Tower of Babylon”).
Und dann eben die Lingustin, die von Militär enagiert wird, nachdem Außerirdische landen, damit sie Kommunikation mit den Besuchern ermöglicht (“Story of your life”). Mir gefiel die filmische Umsetzung der grundsätzlich anderen Wirklichkeitswahrnehmung der Aliens im Film besser als in der Erzählung, in der sie zwar explizit erklärt wird, sogar mit Grafiken, aber nur in der Vermischung von Verbformen auch umgesetzt, z.B. “I remember when you’re fourteen. You’ll come out of your bedroom…” (Interessanterweise beschäftigt sich eine aktuelle Videounterhaltung des Online-Magazins Beziehungsweise weiterdenken mit genau diesem Vergleich: “Aus der Zeit gefallen (1): Über den Film ‘Arrival’ und die Kurzgeschichte ‘The Story of Your Life'” – leider ist das keine Darreichungsform für mich, auch nicht in anderthalbfacher Geschwindigkeit – mir fehlt die Geduld, ich möchte sowas lieber lesen. Hier also lediglich der ungeprüfte Hinweis.)1
In “Seventy-two letters” werden falsche naturwissenschaftliche Annahmen Ende des 19. Jahrhunderts als richtig angenommen und als Basis für eine Geschichte verwendet – auch das eine brillante Idee. Eine andere Erzählung spielt in einer heutigen Welt, zu deren Alltag das regelmäßige Erscheinen von Erzengeln gehört – die zum einen Wunder vollbringen, aber auch ziemlich viel kaputt machen; was davon der oder die einzelne abkriegt, ist recht erratisch (“Hell is the absence of God”).
Geschrieben sind die Texte alle sachlich und geradeaus, handwerklich sehr sauber, die Sprache tritt hinter die Ideen zurück. Lesenwert ist auch der Anhang mit seinen “Story Notes”. Ich kann mir vorstellen, dass diese Unauffälligkeit der Sprache sehr arbeitsintenisiv ist: Viel mehr als diese Erzählungen hat Chiang nicht veröffentlicht.
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Unser Kartoffelkombinat liefert ein Trostpflaster für das ausgefallene Mitgärtnern: Blogposts mit Rundgängen durch die Gärtnerei und Beschreibungen der Abläufe.
“Ein Tag in Spielberg: 03.06.2020”.
So kann Gemüseanbau funktionieren, bei dem nicht nur keine Lebensmittel durch halb Europa gekarrt werden müssen, sondern auch keine Arbeitskräfte.
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Beim Anblick dieser Aufräumaktion im Lake District leiste ich ein stilles Gelübde: Sollte ich je wieder richtig wandern können, werde ich immer, immer, immer eine Mülltüte dabei haben und unterwegs Müll einsammeln. (Hatte ich in Irland bereits an Wanderern gesehen.)
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Welcher Kultur-Clash es im Zweiten Weltkrieg gewesen sein muss, als schwarze US-amerikanische Soldaten in Großbritannien in eine Welt ohne Segregation nach Hautfarben kamen, wurde mir erst durch Andrea Levys Roman Small Island klar.
Gestern las ich dann über die Battle of Bamber Bridge: In der Nacht von 24. auf 25. Juni 1943 widersetzten sich in Lancashire schwarze GIs der weißen US-Militärpolizei.
“Black troops were welcome in Britain, but Jim Crow wasn’t: the race riot of one night in June 1943”.
§
- Schrieb sie direkt bevor sie in einem Wurmloch mit YouTube-Schnippseln von Hannah Gadsby und der Ellen-Show verschwand, glauben Sie mir einfach kein Wort. [↩]