Archiv für Juni 2020

Journal Dienstag, 23. Juni 2020 – Beim Griechen den Abend versommert

Mittwoch, 24. Juni 2020

Ein herrlicher Sommermorgen, selbst die kühle Luft, die beim Morgenkaffee durch die offene Balkontür wehte, trug das Versprechen eines Tags am Badesee herein. Das halt ein ganz normaler Arbeitstag nicht einlösen könnte.

Zumal ich meine Runde auf dem Crosstrainer aus Rücksicht auf die Nachbarn bei geschlossenem Fenster strampelte.

Kurzärmliges Radeln in die Arbeit, die fehlende Eichhörnchensichtung beim Sport wurde ausgeglichen durch eines, das vor mir die Beethovenstraße kreuzte. (Hier neue Höhen an Eichhörnchenniedlichkeit.)
Auch mittags radelte ich los: Ich holte in der Innenstadt meine frisch geknüpfte Perlenkette ab und genoss das Radeln sehr.

Zu Mittag hatte ich mir am Montag die beiden lila Ernteanteil-Kohlrabi gehobelt und mit Sonnenblumenöl, Dijonsenf, Zitronensaft, Salz, Pfeffer als Salat angemacht. Schon beim Hobeln hatte ich entdeckt, dass einer der beiden sehr holzig war, und zwar nicht nur außen – das kann man ja wegschneiden -, sondern auch innen holzharte Fasern hatte. Aber weggeworfen wird nichts, das Marinieren über Nacht hatte die Spreißeln auch etwas aufgeweicht, gestern hatte ich halt viel zu kauen.

Lasst-mich-einfach-hier-liegen-Moment: Ich musste mir zum x-ten Mal im Leben Prozentrechnen herleiten (wie viel Prozent von x ist y?). Das heißt, ich probierte Rechenwege aus, bis etwas rauskam, was wahrscheinlich aussah.1 Mal wieder war ich fassungslos, dass man so durch einen Schulabschluss kommt (ich habe zwar Mathe-Abitur, aber Prozentrechnen hätte ich mir auch zu Abiturzeiten mühsam herleiten müssen). Dreisatz kann ich auch nur, weil ich ihn regelmäßig fürs Backen und Stricken brauche.

Den sonnigen, aber nicht heißen Abend nutzte ich mit Herrn Kaltmamsell für ein Auswärtsessen bei unserem Lokalgriechen Melina Merkouri (ich hatte reserviert – was sich als gut Idee herausstellte, ab 19 Uhr standen die Leute Schlange für einen Tisch).

Wir bestellten die Vorspeisen für zwei und aßen uns daran satt: Spinatsüppchen im Kaffeekännchen, Calamari, Auberginenscheiben, Zucchinipuffer frittiert, gefüllte Paprika, Schafskäsecreme, Tarama, Tsatsiki, Bohnensalat, Pita.

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Ein Bürgerrat hat in Frankreich Klimapolitik erarbeitet:
“Tempolimit, Flughafenverbot und Klimasteuer”.

Der französische Klimarat ähnelte an den sieben Wochenenden, an denen er für seine Beratungen zusammentrat, einem arbeitsamen Seminar: Die Teilnehmenden hörten Vorträge von Klimawissenschaftlern und darüber, wie Wohnhäuser zu isolieren und Felder klimafreundlich zu bewirtschaften seien. Sie studierten in Kleingruppen die Steuervorschriften für Aktienkonzerne und beschäftigten sich mit den CO2-Emissionen auf der Autobahn. Damit erledigten sie im Schnelldurchgang die Arbeit einer kompletten Ministerriege.

Das Prinzip Bürgerrat hatte ich vor zwei Jahren in Irland kennengelernt, wo er den Gesetzesentwurf zu Abtreibung erarbeitet hatte.

Mir scheint das eine deutliche bessere Alternative zur Basisdemokratie, in der immer die Gefahr besteht, dass die am lautesten schreienden Populisten den größten Einfluss auf die Entscheidung haben. Ob die deutsche Verfassung das wohl hergibt?

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Immer eine gute Idee: Genauer hinsehen. Vor allem wenn eine Geschichte zu gut klingt. Auch ich kicherte am Sonntag bei der Vorstellung, die leeren Ränge bei Donald Trumps Wahlveranstaltung in Tulsa könnte von einer Welle Schabernack-Anmeldungen seiner Gegner verursacht worden sein. Im Lauf des Tages gab es erste Relativierungen, die Washington Post dröselt jetzt den Hintergrund genauer auf:
“Did TikTokers and K-pop fans foil Trump’s Tulsa rally? It’s complicated.”

Ergebnis: Der Schabernack wäre die bessere Pointe, der wahrscheinlichere Hintergrund aber ist noch viel besser – die US-Wähler haben tatsächlich umgedacht, der Trump-Populismus zieht nicht mehr.

  1. y durch (x durch 100) übrigens. []

Journal Montag, 22. Juni 2020 – Keine Balkonbank

Dienstag, 23. Juni 2020

Morgensport Yoga, wieder die Runde Hüftdehnung ohne Belastung.

Beim Radeln in die Arbeit den Linden- und Kamillenduft der Theresienwiese genossen.

Schmerzen in kaputter Hüfte, im Kreuz, im Unterleib – ich wechselte Stehen und Sitzen ab, doch ohne Erfolg. Eventuell gesellten sich zur blöden Scheißdreckshüfte mal wieder Menstruationsbeschwerden? So oder so: Ibu half.

Gleich nach der Mittagspause (Ernteanteilfenchel als Salat mit Orange und Minze, eine Scheibe Brot) regnete es nochmal kurz und kräftig. Nachmittags Flachpfirsiche.

Da die neue Balkonbank während meiner Arbeitszeit und der von Herrn Kaltmamsell geliefert werden sollte, hatten wir unsere Nachbarn um Annahme gebeten – die sich gern bereit erklärten.
Und dann nicht da waren, als die Bank geliefert wurde. Also kein Abendessen auf der neuen Bank, die Anlieferung wird wohl nur mit einem Tag Urlaubnehmen funktionieren.

Nicht zu später Feierabend, es kündigen sich ein paar Sommertage an. Herr Kaltmamsell servierte zum Nachtmahl Orecchiette mit Ernteanteil-Broccoli, sehr gutes Abendessen. Und er war freundlich genug, sein Rezept für die spanischen Kutteln auf meine Kochseiten zu stellen.

Früh ins Bett um weiter Ted Chiang, Stories of your life and others zu lesen.

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In Stuttgart (STUTTGART) gab es Samstagnacht gewalttätige Randale in der Innenstadt, so richtig mit geballten Angriffen auf die Polizei, eingeschlagenen Schaufensterscheiben, Plünderungen. Während die Behörden noch versuchen herauszufinden, in welche falschen Film genau das bitte möglich war, lieferte @mostly_to auf Twitter die Erklärung – bereits 2009 aufgedeckt. (Mich hatten sie ja bereits beim Titel “Grüß Gott, Herr Cowboy”.)

Aktivieren Sie JavaScript um das Video zu sehen.
https://youtu.be/xJ12cte4Gw8

Journal Sonntag, 21. Juni 2020 – Mit spanischer Küche

Montag, 22. Juni 2020

Wohlig ausgeschlafen.

Auf dem Balkon roch es herrlich nach mildem Sommermorgen, ich versuchte meine Traurigkeit zu kanalisieren in die Hoffnung, dass ich im Sommer 2021 wieder wandern kann.

Nachdem auch alle weiteren Suchen nach Filmen, die ich gerne sehen würde, erfolglos waren, Netflix gekündigt. Das ging überraschend einfach, selbst der Tonfall der Kündigungsbestätigung war sympathisch.

Am Montag soll unsere neue Balkonbank geliefert werden. Nachdem ich am Samstag getönt hatte, dass ich dann ja wohl am Sonntag den Balkon dafür putzen werde, konnte ich Herrn Kaltmamsell manipulieren, dass er das tat (und verschwand währenddessen in die andere Ecke der Wohnung auf den Crosstrainer, um seine Plagen nicht mitansehen zu müssen) (weil ein schlechtes Gewissen hatte ich schon).

Zum Frühstück Lievito-Madre-Brot aus der Gefriere, Schokerdbeeren und Kirschen. Das Draußen war eher düster und wenig einladend, ich verbrachte den Nachmittag auf der Innenseite der Balkontür, las und sah den Vögeln am Meisenknödel zu.

Statt Sonntagskuchen kochte ich nach langem mal wieder spanischen Milchreis wie von Yaya, arroz con leche.

Parallel bereitete Herr Kaltmamsell schon mal das Abendessen vor: Kutteln nach Madrilener Art, callos a la Madrileña. Die etwas exotischen Zutaten wie die würzige Blutwurst morcillla hatte ich in der Woche davor in Mittemeer bekommen.

Neben Internetlesen ließen wir den Poirot-Film Das Böse unter der Sonne von 1982 laufen.

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Mit dieser Geschichte hat die 80-jährige Helga Schubert den diesjährigen Bachmannpreise errungen. Das kann ich nachvollziehen – und erst dadurch wurde mir klar, dass sie mit ihrer Stimme eine Alterslücke füllte:
“Vom Aufstehen”. (pdf)

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Frau … äh … Mutti hat nach zwei Jahren Imkerei zum esten Mal Honig geschleudert und das wunderbarerweise mit viel interessantem Inkereiwissen in ihrem Blog festgehalten:
“20. Juni 2020”.

Journal Samstag, 20. Juni 2020 – Mittsommer in der Acetaia

Sonntag, 21. Juni 2020

Unruhige Nacht, trotz kühler Temperaturen hatten die Hinterhausnachbarn wieder Balkongäste. Deren Spaß direkt unter meinem Schlafzimmerfenster (Abschied?) weckte mich um zwei trotz Ohropax, dann schlief ich ziemlich lang nicht wieder ein.

Aufwachen noch vor sieben, gelassener und gemütlicher Morgen zu grauem Himmel. Ausführliche Gymnastik, ausführliches Crosstrainerstrampeln.

Als ich zu einer kleinen Besorgungsrunde aufbrach, wurde der Himmel gerade dunkelgrau. Ich schaffte es aber, alle Vorhaben mit dem Auf- und Abschwellen des zugehörigen Wolkenbruchs abzustimmen.

Vor ein paar Wochen war mir ja eine lange Perlenkette gerissen. Einer der vielen Gründe, aus denen ich gerne in der Großstadt lebe: Mir fielen sofort zwei Läden in der Innenstadt ein, die wahrscheinlich Perlenketten knüpfen – oder zumindest einen Kontakt dafür haben. Gleich beim ersten hatte ich Glück – und der freundliche Herr mit stahlgrauer Mähne, ebensofarbigem Schnauzer und in Hippie-goes-Guerilla-Kleidung fing sofort mit der Reparatur an.

In diesen Laden war ich in genau dem Moment gebogen, als es zu schütten begann. Mir fiel ein, dass ich meine nächste Station über eine überdachte Einkaufspassage (Hofstatt) erreichen konnte. Also wartete ich nur wenige Minuten auf ein leichtes Nachlassen des Regengusses und schnellhumpelte über die Straße zur Passage. Ich schlängelte mich durch die vielen Menschen, die hier Schutz gesucht hatten, am anderen Ende der Passage wartete ich wieder kurz auf weiteres Regenabklingen und hoppelte zum Schuhgeschäft. Hier musste ich zwar warten, bis eine Höchtzahlkundin Platz für mich machen würde, wurde aber schon mal in den trockenen Eingangsbereich gebeten.

Im Laden holte ich lediglich etwas ab: Der Schuhersteller Ecco bietet die Möglichkeit, Produkte online zu bestellen und an ein Geschäft eigener Wahl liefern zu lassen. Das hatte ich mit roten Sandalen gemacht, denn von Ecco haben mir bislang alle Sandalenmodelle gepasst – und andernfalls hätte ich sie nicht nehmen müssen. Doch auch diesmal passten die Schuhe, ich kaufte.

Lebensmitteleinkäufe hatte ich eigentlich weiter entfernt geplant, doch in der Passage gab’s ja auch einen Supermarkt. Ich kehrte durch den jetzt sanften Regen zurück, besorgte Lebensmittel und Frühstückssemmeln. In der jetzigen Tröpfelstärke wurde ich auf dem Heimweg nur wenig nass.

Bei Frühstückbesorgungen hatte mich Unvernunft überwältigt: Eigentlich kaufe ich seit Jahren keine Marmelade mehr, denn wir bekommen so viel geschenkt (oder kochen selbst ein, nämlich Orangemarmelade), dass erst mal die wegmuss. Was bei unserem sehr geringen Marmeladenverbrauch sehr lange dauert. So hatte ich seit Jahren kein Pflaumenmus mehr bekommen, das ich eigentlich besonders gerne esse; gestern hatte ich trotzig eines gekauft – und genoss meine Semmeln damit sehr.

Nachmittags statt Kuchenbacken: Erdbeerschokolieren. Eigentlich hätte es die wie jedes Jahr um die Zeit auf der Geburtstagsfeier meines Bruders gegeben, doch wegen SITUATION keine Feier. Nach vielen Jahren machte ich sie also mal wieder selbst und dachte innig an meinen Bruder.

Zeitunglesen bis zu meiner Abendverabredung: Ich hatte zur Sonnwend einen Tisch in einem der schönsten Gastgärten Münchens reserviert, in der Acetaia. Nur dass halt wirklich kein Draußenwetter war, ich dieses Jahr um das Erleben der Dämmerung am längsten Tag unter freiem Himmel gebracht wurde.

Gegessen haben wir dennoch ausgezeichnet, und der Innenraum der Acetaia ist ja auch besonders schön – vor allem der Terrazzoboden entzückt mich jedes Mal.

Es gab ein Glas Franciacorta vorab (Ca’del Bosco – wunderbar), und dann, begleitet von einem Verdicchio dei Castelli di Jesi Stefano Antonucci 2017:

Rindertatar mit Fenchel für uns beide (Erkenntnis: ist mir lieber als Carpaccio).

Frische Schafskäseravioli mit Butter, Majoran und Aceto Balsamico Tradizionale – nahmen wir auch beide, jeweils eine halbe Portion.

Wolfsbarsch für mich, Steinbutt für den Herrn.

Nach Dessert war uns nicht, wir begnügten uns mit einem guten Espresso als Abschluss.

Als wir gegen halb zehn zurück zur U-Bahn-Station Rotkreuzplatz spazierten, war es noch hell.

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Katha Seiser erklärt im ORF die Vielfalt von Kohlrabi – und ich lernte gleich mal drei Dinge: Was Kohlrabi holzig macht, warum auch im Newsletter unseres Kartoffelkombinats immer darauf hingewiesen wird, man solle den Kohlrabi ohne Blätter lagern, und was man mit diesen Blättern machen kann.
“Lebensmittelkunde Kohlrabi”.

Nachtrag: Auf instagram hat Katha aufgeschrieben, wie sie die Blätter gefüllt hat.

Journal Freitag, 19. Juni 2020 – Zahnpflege, Pralinen und Wild

Samstag, 20. Juni 2020

Gestern war komplett sportfrei, weil ich um halb acht einen Termin bei der Zahnärztin hatte (Zahnreinigung und jährlicher Check) – Aufstehen um fünf ist selbst mir als Preis zu hoch (den würde ich nur für eine hochsommerliche Laufrunde an der Isar vor der Arbeit zahlen – das Licht! -, und wir wissen, wie das derzeit mit Laufrunden ist).

Radfahren war schon wieder gestrichen: Aus dem düsteren Morgenhimmel lösten sich bereits erste Tropfen. Ich nahm die U-Bahn nach Schwabing.

Informations- und Stimmungsaustausch mit der vertrauten Zahnreinigerin (alles in Ordnung, aber schon auch Kurzarbeit seit Monaten), wieder ordentliche Zähne bekommen, Zahncheck durch Ärztin (alles in Ordnung – wenigstens dieser Teil meines Körpers widersteht weiterhin dem altersbedingten Abbau), Informations- und Stimmungsaustausch mit ihr über die SITUATION (inklusive Kurzvortrag über die Wirkung selbst von leichten Atemmasken, denen alle im Bereich Zahnmedizin aus guten Gründen und Evidenz-basiert vertrauen).

Ab neun regnete es dann in München. Und wieder kämpfte in mir der Konflikt zwischen “Der Bauer braucht den Regen” (und wir als Kartoffelkombinat sogar sehr) und männooooooichwillaberSommer…

Gut sortierbare und machbare Arbeit in der Arbeit. Mittags Erdbeeren mit Kefir und ein Kanten Brot, nachmittags Kirschen.

Zum Schluss hatte ich noch die eine oder andere Stunde Bastelarbeit – aber nichts Gefährliches mit Tesa oder sonstigem Bapp (Bayerisch für Klebstoff) und Schere, sondern mit Software (und auch da bar jeder Gestaltung – na gut, Farbcodierung war dabei). Das machte Spaß.

Da ich eine Öffi-Tageskarte hatte, fuhr ich nach Feierabend ins Lehel: Pralineneinkauf in der Schokoladengalerie, wo man eher klassische Ware anbietet, handgefertigt. Ich bat um eine von jeder Sorte.

Auch in dieser Gegend Münchens war ich länger nicht gewesen, also spazierte ich Schaufenster- und Hauseingang-bummelnd Richtung Isartor. Und wieder überschätzte ich mein Gehvermögen, die letzten hundert Meter war mir nur langsames Trippeln möglich.

Zum Nachtmahl hatte ich mir Fleisch gewünscht (selbstverständlich mit anständigem Hintergrund). Und weil wir durch die Sendung quer am Donnerstagabend erfahren hatten, dass die Jägerinnen und Jäger derzeit (SITUATION = geschlossene Restaurants) nicht wissen, wohin mit dem Wild, das so oder so geschossen werden muss, war Herr Kaltmamsell auf den Viktualienmarkt Wild kaufen gegangen. Nach Mojitos als Aperitif (Ernteanteil-Minze) gab es Wildschweinlende mit Spitzkrautsalat (Ernteanteil) und Champignons.

Zum Nachtisch Pralinen, die hervorragend schmeckten (Lavendel!).

§

Wieder eine ausführliche (und wunderbar lesbare) Analyse der Lage Großbritanniens von Laury Penny und was das mit Downton Abbey zu tun hat.
“Tea, Biscuits, and Empire: The Long Con of Britishness”.

Every nation-state is ninety percent fictional; there’s always a gap between the imaginary countries united by cultural coherence and collective destinies where most of us believe we live, and the actual countries where we’re born and eat breakfast and file taxes and die. The U.K. is unique among modern states in that we not only buy our own hype, we also sell it overseas at a markup.

Zum ersten Mal lese ich auch explizit, wie sehr Briten weltweit persönlich von diesem Image profitieren (“Living in a place where all you have to do is say something in your normal accent to be told you’re clever and wonderful is all very well, until you start believing it.”) und denke sofort an die Einwanderergeschichten nach München aus dem Bekanntenkreis: Der Brite mit amüsanten Anekdoten seiner Einbürgerungsbürokratie (“They loved me!”) im Gegensatz zu den erschreckenden der Griechin (auch in bayerischen Amtsstuben kann Bestechung helfen – immaterielle, wenn man zum Beispiel bei einem Arbeitgeber angestellt ist, der unerhältlich rare und begehrte Eintrittskarten hat).

Lavish Britscapist vehicles like Downton Abbey, The Crown, and Belgravia are more popular with Americans than they are at home. Trudging through Finsbury Park in London on a cold morning last Christmas, a poster advertising The Crown had been gleefully tagged “royalist propaganda” by some local hero with a spray can. My American friends were confused when I explained this to them. “Don’t you like your royal family?” They asked. No, I explained. We like Hamilton. The stories we export lay bare the failing heart of Britain’s sense of itself in the world — the assumption that all we have to do, individually or collectively, is show up with a charming accent and say something quaint and doors will open for us, as will wallets, legs, and negotiations for favorable trade deals.

This is a scam that works really well right up until it doesn’t.

(…)

The impression I was given as a schoolgirl was that we were jolly decent to let the Empire go, and that we did so because it was all of a sudden pointed out that owning other countries wholesale was a beastly thing to do — of course old boy, you must have your human rights! Really, we were only holding on to them for you.

(…)

If you love your country and don’t own its difficulties and its violence, you don’t actually love your country. You’re just catcalling it as it goes by.

§

Der Thai Enquirer schreibt über die USA im Sprachstil, den US-amerikanische Medien sonst verwenden – herrlich entlarvend.
“Foreign Affairs: Unrest continues for a seventh day in former British colony”.

via @afelia

Apropos Umkehrungen: Letzthin dachte ich an einer Version von My Fair Lady mit vertauschten Geschlechterrollen herum (ich hörte auf dem Crosstrainer gerade “Why can’t a woman be more like a man?”): Die Suffragette aus der Upper Middle Class Ende 19. Jahrhundert, sehr belesene Linguistin mit Forschungshintergrund in den Elendsvierteln Nordenglands, die mit einer subalternen Freundin einen jungen Burschen um Covent Garden aufgabelt, der dort als Lastenträger arbeitet. Sie schließen eine Wette ab, ob sie ihn nach Generalüberholung in einen der renommierteren Londoner Clubs als Gentleman einschleusen können.
Neben korrekter/posher Aussprache bringen sie ihm Männerphrasen bei, die jede inhaltliche Aussage ersetzen und dennoch den Anschein von Checkertum verleihen – also das Pendant zum weiblichen “How kind of you to let me come”.
“Why can a man not be like a woman?” würde ebenfalls wunderbar mit umgekehrten Geschlechterrollen funktionieren, ebenso “I’m an ordinary woman”.

Journal Donnerstag, 18. Juni 2020 – Sommerfeierabend im Seecafé

Freitag, 19. Juni 2020

Unruhige Restnacht nach Klogang, wie schon in der Nacht zuvor. Freude über das Licht, das beim Weckerkingeln das Schlafzimmer erhellte: Es kündete von blauem Himmel.

Erwähnte ich, dass mich die tägliche Orthopäden-empfohlene Gymnastik total annervt? Wo ich sonst nie verstanden habe, warum mir für meine geliebte sportliche Bewegung Disziplin unterstellt wurde, muss ich mich jetzt tatsächlich loben. (Allerdings merke ich ja an Steigerung, dass die Übungen anschlagen: Mittlerweile halte ich den Bankstütz 2×2 Minuten mit Füßeheben, beim Seitstütz bin ich bei 27 Wiederholungen – sauber ausgeführt – auf beiden Seiten.) Zur Belohnung gibts dann halt Spaß und Genuss in Form von Crosstrainer (gestern) oder Yoga.

Mein Fahrrad stand ja noch vorm Büro, also musste ich trotz schönem Wetter mit der U-Bahn in die Arbeit – die im Gegensatz zu meinen Fahrten in den Vorwochen bereits wieder unangenehm dicht besetzt war.

Endlich mal ein ruhig-emsiger Tag in der Arbeit. Mittags Quark/Kefir/Netzmelone, nachmittags eine Hand voll Nüsse. Anlass für pünktlichen Feierabend sollten wieder Einkäufe (Obst) sein, doch als sich zeigte, dass das ein sonniger Tag blieb, hatte ich eine bessere Idee: Ich verabredete mich mit Herrn Kaltmamsell im Westpark im Café Gans am Wasser. Und zwar schon um fünf!

Ich machte mich also wirklich mal pünktlich vom Acker, radelte die wenigen Minuten zum Westpark – und es war herrlich im Café.

Herr Kaltmamsell reichte Aperol Spritz an, zwischen den Gästen (ganz andere Leute als bei uns ums Eck im Schnitzelgarten) spazierten Stockenten, auf dem See, wir erzählten einander von unseren derzeitigen Lektüren.

Reichlich angetüdelt radelten wir einen mir völlig unbekannten Weg über Brücken und Stege zur Theresienwiese und gingen noch eine Runde Einkaufen im Edeka – der ja mein Edeka geworden ist und den ich bei dieser Gelegenheit mal Herrn Kaltmamsell zeigen konnte.

Frugales und köstliches Nachtmahl:

Zum frisch geholten Ernteanteil-Kopfsalat (der ein ausführliches Vollbad brauchte, da er durch Regenüberschwemmung durchgeerdet war) briet uns Herr Kaltmamsell ein Omelett.

Erdbeeren aus der Rosentagsfest-Geschenkschüssel, die die perfekte Erdbeergröße hat.
(Als Gastgeschenke hatte es vergangenes Jahr ja kleine Rosenstöckchen im Topf gegeben – und nun posten Gäste regelmäßig Fotos vom Gedeihen der ihren, meist eingepflanzt. Ich bin sehr bewegt und gerührt. Unsere sind umgehend eingegangen wie alle nicht superrobusten Pflanzen auf unserem Balkon.)

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Das Bachmannpreislesen bekomme ich über Kommentare auf Twitter mit.

Clemens Setz bedichtet eine Nebenerscheinung der Virtualisierung des Bewerbs:
“Die Klagenfurter Räder zur Literatur”.

Bester Bachmannpreis-Sehnsuchtstweet: Blättersound.

Journal Mittwoch, 17. Juni 2020 – Feierabendmachübung

Donnerstag, 18. Juni 2020

Yoga-Morgen (rundum Dehnen mit Atmen), aber vorher eine Extrarunde Gymnastik.

Ich hatte Herrn Kaltmamsell um Hilfe gebeten, früher Feierabend zu machen, vielleicht indem er mir Aufgaben stellt, für die ich pünktlich(er) das Büro verlasse. Gestern sollte das ein Einkauf sein, für den ich in den Osten der Stadt musste, Herr Kaltmamsell unterstützte das mit Einkaufsaufträgen, bei denen er streng guckte.

Es war trocken und sogar ein wenig freundlich, Radeln in die Arbeit war sehr schön. Ich freute mich umso mehr auf das feierabendliche Radeln quer durch die Stadt – nur dass sich pünktlich zum nicht-späten Feierabend der Himmel sehr bedrohlich verdunkelte und der Regenradar aufziehende Gewitter zeigte. Ich dachte ein wenig herum, ließ dann leicht verärgert das Fahrrad stehen und nahm die U-Bahn zum Ostbahnhof: Im etwas umgezogenen Mittemeer wollte ich Spanisches einkaufen. Der Laden sah frisch bezogen aus, einige Regale und Bereiche waren noch ohne Ware. Doch ich bekam Wein, Käse, Brat-Chorizo, Paella-Reis, Kaffee. Bis ich heimkam, hatte es noch nicht geregnet, dann legte es so richtig los. Mein Trost: Mit dem Rad hätte ich deutlich länger gebraucht und wäre auf dem Heimweg klatschnass geworden.

Obwohl ich tagsüber nur ein Käsebrot und als Snack einen Eiweißriegel gegessen hatte, fühlte ich mich innerlich verklebt, als hätte ich eine ganze Süßigkeitenschublade geleert. Herr Kaltmamsell hatte Spaghetti mit Tomatensoße gekocht, die stellten sich als genau das Richtige zum Abendessen heraus, danach hatte ich sogar noch Lust auf Schokolade.

Kurzer Blick in die Eröffnung des Bachmannpreises, live im Internet übertragen (hier die Klagenfurter Rede zur Literatur 2020 von Sharon Dodua Otoo, “Dürfen Schwarze Blumen Malen?”), dann Fernseher aus.

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Thomas Knüwer bespricht:
“‘Bad News’: ein Buch räumt auf mit Filterblasen-Mythos und Medien-Selbstbejubelung”.

Zwar kann ich gleich bei dieser Gelegenheit einen Mechanismus beobachten, der schon lange gut empirisch belegt werden kann: Ich fühle mich angezogen von und halte für besonders glaubwürdig Informationen, die meine Einstellung bestätigen. Und gebe sie hier gleich weiter. Doch (jetzt wird’s paradox) besagen diese Informationen, dass das Internet eben gerade nicht Filterblasenbildung, Echokammern und rekursiven Gedankenaustausch begünstigt.

Die nachweisbare Polarisierung unserer Gesellschaft lässt sich vielleicht doch besser mit dem Mechanismus der Gruppenzugehörigkeit, mit Tribalismus erklären.

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“Diese sexistischen Frauenfiguren sollten aus Filmen verschwinden”.

Ich mochte den Artikel allein schon für das Benennen des Haargummi-Problems: Filmheldinnen müssen auch Action-Szenen mit wallendem langen Haar bestreiten, was doch furchtbar unpraktisch ist – gebt ihnen einen Haargummi!

Ich liebe Filme und Serien, aber zu oft werden Frauen vereinfacht und nur so dargestellt, wie sich Männer eben Frauen vorstellen.

Ich glaube nicht mal, dass die männlichen Drehbuchautoren sich so Frauen vorstellen (falls sie nicht seit 20 Jahren in einem Männerkloster leben), sondern dass sie sich Frauen in Fiktion so vorstellen (-> movie tropes) und diese Muster als übliches Handwerkszeug benutzen.