Journal Dienstag, 23. Juni 2020 – Beim Griechen den Abend versommert
Mittwoch, 24. Juni 2020Ein herrlicher Sommermorgen, selbst die kühle Luft, die beim Morgenkaffee durch die offene Balkontür wehte, trug das Versprechen eines Tags am Badesee herein. Das halt ein ganz normaler Arbeitstag nicht einlösen könnte.
Zumal ich meine Runde auf dem Crosstrainer aus Rücksicht auf die Nachbarn bei geschlossenem Fenster strampelte.
Kurzärmliges Radeln in die Arbeit, die fehlende Eichhörnchensichtung beim Sport wurde ausgeglichen durch eines, das vor mir die Beethovenstraße kreuzte. (Hier neue Höhen an Eichhörnchenniedlichkeit.)
Auch mittags radelte ich los: Ich holte in der Innenstadt meine frisch geknüpfte Perlenkette ab und genoss das Radeln sehr.
Zu Mittag hatte ich mir am Montag die beiden lila Ernteanteil-Kohlrabi gehobelt und mit Sonnenblumenöl, Dijonsenf, Zitronensaft, Salz, Pfeffer als Salat angemacht. Schon beim Hobeln hatte ich entdeckt, dass einer der beiden sehr holzig war, und zwar nicht nur außen – das kann man ja wegschneiden -, sondern auch innen holzharte Fasern hatte. Aber weggeworfen wird nichts, das Marinieren über Nacht hatte die Spreißeln auch etwas aufgeweicht, gestern hatte ich halt viel zu kauen.
Lasst-mich-einfach-hier-liegen-Moment: Ich musste mir zum x-ten Mal im Leben Prozentrechnen herleiten (wie viel Prozent von x ist y?). Das heißt, ich probierte Rechenwege aus, bis etwas rauskam, was wahrscheinlich aussah.1 Mal wieder war ich fassungslos, dass man so durch einen Schulabschluss kommt (ich habe zwar Mathe-Abitur, aber Prozentrechnen hätte ich mir auch zu Abiturzeiten mühsam herleiten müssen). Dreisatz kann ich auch nur, weil ich ihn regelmäßig fürs Backen und Stricken brauche.
Den sonnigen, aber nicht heißen Abend nutzte ich mit Herrn Kaltmamsell für ein Auswärtsessen bei unserem Lokalgriechen Melina Merkouri (ich hatte reserviert – was sich als gut Idee herausstellte, ab 19 Uhr standen die Leute Schlange für einen Tisch).
Wir bestellten die Vorspeisen für zwei und aßen uns daran satt: Spinatsüppchen im Kaffeekännchen, Calamari, Auberginenscheiben, Zucchinipuffer frittiert, gefüllte Paprika, Schafskäsecreme, Tarama, Tsatsiki, Bohnensalat, Pita.
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Ein Bürgerrat hat in Frankreich Klimapolitik erarbeitet:
“Tempolimit, Flughafenverbot und Klimasteuer”.
Der französische Klimarat ähnelte an den sieben Wochenenden, an denen er für seine Beratungen zusammentrat, einem arbeitsamen Seminar: Die Teilnehmenden hörten Vorträge von Klimawissenschaftlern und darüber, wie Wohnhäuser zu isolieren und Felder klimafreundlich zu bewirtschaften seien. Sie studierten in Kleingruppen die Steuervorschriften für Aktienkonzerne und beschäftigten sich mit den CO2-Emissionen auf der Autobahn. Damit erledigten sie im Schnelldurchgang die Arbeit einer kompletten Ministerriege.
Das Prinzip Bürgerrat hatte ich vor zwei Jahren in Irland kennengelernt, wo er den Gesetzesentwurf zu Abtreibung erarbeitet hatte.
Mir scheint das eine deutliche bessere Alternative zur Basisdemokratie, in der immer die Gefahr besteht, dass die am lautesten schreienden Populisten den größten Einfluss auf die Entscheidung haben. Ob die deutsche Verfassung das wohl hergibt?
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Immer eine gute Idee: Genauer hinsehen. Vor allem wenn eine Geschichte zu gut klingt. Auch ich kicherte am Sonntag bei der Vorstellung, die leeren Ränge bei Donald Trumps Wahlveranstaltung in Tulsa könnte von einer Welle Schabernack-Anmeldungen seiner Gegner verursacht worden sein. Im Lauf des Tages gab es erste Relativierungen, die Washington Post dröselt jetzt den Hintergrund genauer auf:
“Did TikTokers and K-pop fans foil Trump’s Tulsa rally? It’s complicated.”
Ergebnis: Der Schabernack wäre die bessere Pointe, der wahrscheinlichere Hintergrund aber ist noch viel besser – die US-Wähler haben tatsächlich umgedacht, der Trump-Populismus zieht nicht mehr.
- y durch (x durch 100) übrigens. [↩]