Archiv für Juni 2020

Journal Dienstag, 16. Juni 2020 – Kurze Lunte

Mittwoch, 17. Juni 2020

Aufwachen zu Regenrauschen, Crosstrainerstrampeln mit Licht.

Auf dem Weg in die Arbeit hatte der Regen den Aggregatszustand Gischt: Ich wurde nicht sehr nass, doch meine Brillengläser waren bereits nach wenigen Metern durch Wassertropfen unbrauchbar.

Innerlich sehr kurze Lunte – nicht nur wegen des Scheißwetters und Sommerentzugs, sondern wegen aller möglichen Technik- und Ablaufprobleme. (Vernünftig weiß ich natürlich, dass ich einfach verwöhnt bin vom Technikfunktionieren und mich nur deshalb empfindlich gestört fühle, wenn ein Zugriff, ein Klick, ein Formular nicht funktionieren und mich daran hindern, meine eigentliche Arbeit zu tun.)

Mittags ein dickes Butterbrot aus selbst gebackenem, nachmittags ein halbes Dutzend Aprikosen. Nachmittags bemerkte ich auch an meinem etwas angestrengtem Blinzeln auf den Bildschirm, dass es draußen heller geworden war: Kein Regen mehr! Erleichternderweise hielt die Trockenheit bis abends an, es war auch etwas milder geworden.

Heimradeln mit offener Jacke, die ich nach einem Stopp für ein paar Supermarktbesorgungen sogar für den Rest des Weges im Fahrradkorb verstaute. Um die Theresienwiese bekam ich endlich eine richtige Nase voll Lindenduft.

Herr Kaltmamsell hatte angekündigt, dass er eher spät heimkommen würde, aber das Abendessen mitbringen (Pizza). Um mich bis dahin von meinem knurrenden Magen abzulenken, machte ich untern anderem meine Fingernägel – der Nagelhärter wirkt übrigens, keine Splittereien mehr.

Die Pizza (einmal Calzone, einmal Quattro Quesoni) war gut und befriedigend, dann gab es noch (viel) Schokonüsse und später Erdbeeren.

§

Wir (Kartoffelkombinat) sind in National Geographic. (Hier bitte Emoji mit weit aufgerissenen Augen einfügen.)
“Gemüse-Genossen: Das Prinzip der solidarischen Landwirtschaft”.

Nicht erwähnt wird, dass die Corona-Epidemie dennoch Auswirkungen auf unsere Anbaugenosssenschaft hat. Zwar beschäftigen wir keine Wanderarbeiter, sondern stellen nur fest an (und zwar auch über den Winter: Zu den vielen Dingen, die ich beim Kartoffelkombinat gelernt habe, gehört, dass Gärtnerinnen und Gärtner üblicherweise über den Winter stempeln gehen wie die Angestellten im Baugewerbe.). Doch es gibt derzeit kein Mitgärtnern der Genossenschaftsmitglieder an den Sonntagen, es wird kein gemeinsames Sugo-Einkochen stattfinden, und wie wir das mit der Jahresversammlung anstellen, ist noch ungewiss. (Auch das mit dem Kauf unserer Anbaufläche ist etwas verzerrt dargestellt: Landwirtschaftlicher Boden ist einfach in den vergangenen Jahren sehr teuer geworden.)

Journal Montag, 15. Juni 2020 – Durchgeregnet

Dienstag, 16. Juni 2020

Frühes Aufstehen lief gut.

In der Yogarunde ein sehr angenehmes Rumpeln im kaputten Hüftgelenk, danach konnte ich mehrere Stunden gut gehen. (Bevor es wieder wie vorher klemmte und brannte, kaputt bleibt kaputt.)

Es regnete gestern durchgehend in verschiedenen Stärken. Aber ich hatte sehr keine Lust auf U-Bahn, also Radeln mit Regenjacke, so stark regnete es ja auch nicht, ebensowenig war es richtig kalt. Außerdem hatte ich mittags eine Erledigung vor, für die ich das Rad brauchte. Die Regenjacke hielt, die Jeans war nach nicht mal einer Stunde im Büro trocken.

Sehr unruhiger Start in den Arbeitstag. Um nicht zu sagen höllisch. Guerillakampf bis zur Mittagspause (Räucherfisch von bayerischen Seen, selbst gebackenes Brot). Kurz nach Mittag machte ich mich auf zu beruflicher Besorgung, “Dienstgang”. Nach dieser Radlrunde brauchte die Hose im Büro ein bisschen länger zum Trocknen.

Jajaja, ich habe sehr wohl noch die Expertenaussage im Ohr, dass es mindestens drei Wochen Regen bräuchte, um die Trockenheit der vergangenen Jahre halbwegs zu kompensieren. Aber müssen die ausgerechnet jetzt sein? Wenn ich ganz nah an Linden vorbeikam, konnte ich riechen, wie sie fast vergeblich versuchten zu duften. Ach, ein bisschen Lindenduft wäre schon schön.

Eigentlich war mein Vorsatz für die nächsten fünf endlosen Fünf-Tage-Wochen (dann eine Woche mit einem freien Tag) halbwegs pünktlicher Feierabend, um nicht völlig vor die Hunde zu gehen. Gestern klappte das schon mal nicht.

Beim Heimradeln ein drittes Mal mit nasser Hose angekommen, diesmal wechselte ich gleich in trockene Schlumpfklamotten. Für Instant-Entspannung machte ich uns Negronis, Herr Kaltmamsell servierte zum Nachtmahl Auberginen und Zucchini Tikka Masala, schon beim Heimkommen hatte es nach den Gewürzen geduftet – köstlich.

Wir nutzen Netflix: Marvel-Fanboy Herr Kaltmamsell suchte Jessica Jones aus. Wir sahen die erste Folge mittelinteressiert, Herr Kaltmamsell lieferte anschließend den comic-historischen Hintergrund zu den Figuren – schon interessanter.

Journal Sonntag, 14. Juni 2020 – Zurück zum kalten Regen

Montag, 15. Juni 2020

Sehr lang geschlafen – bei erstem Aufwachen um halb sechs hatte Regen gerauscht, Schlafen war ganz klar eines der Top-Vorhaben für diesen Sonntag.

Gemütliches Bloggen, gemütliche Gymnastik, gemütliches Strampeln auf dem Crosstrainer. Wie angekündigt war der Sommer ebenso schlagartig vorbei, wie er für zwei Tage gekommen war, draußen war es den ganzen Tag kalt, grau und ab Nachmittag regnerisch.

Weiterhin Specht-Show auf dem Balkon. Der ältere Jungspecht (erkennbar an rotem Fleck oben auf dem Kopf) kann jetzt allein am Knödel fressen, der jüngere (Flauschi) wird noch gefüttert, gestern von Papa.

Fürs Frühstück holte ich Semmeln. Unterwegs machte ich einen Zeitungsredakteur auf Straßenumfrage glücklich, weil ich mich auf seine vorsichtige Ansprache sofort bereit erklärte, etwas zu meinen Urlaubsplänen zu sagen und mich fotografieren zu lassen: Ich war in einem sehr früheren Leben für Zeitung oder Radio oft genug selbst in dieser unangenehmen Situation, habe kein Problem mit Öffentlichkeit (hüstel), es handelte sich um ein akzeptables Medium – und es wird eh niemand sehen, der mich kennt. Interessantes Detail: Er schrieb auf seinem Smartphone mit, tippend – fotografierte aber mit richtigem Fotoapparat.

Frühstück nach einem letzten Stückchen Lach-Tarte also zwei Semmeln. Netflix-Nutzen: Ich sah mir Tig Notaros Show “Happy to be here” an. Unterhaltsam – aber kein Vergleich zur Vielschichtigkeit und Tiefe von Hannah Gadsby.

Eine Runde Bügeln, Nachmittagssnack eine letzte Zitronenschnecke aus der Gefriere. Familientelefonat zu Geburtstagfeiern in Zeiten der Pandemie und dem anstehenden Schulanafang mit Wechselschicht.

Zum Nachtmahl hatte Herr Kaltmamsell ein Stück Zicklein aufgetaut, das gab es langsam gebacken aus dem Ofen mit Gurkensalat.

Abendunterhaltung wieder von Arte: Billy Elliot, der mir schon seinerzeit im Kino sehr gut gefallen hatte. Und die männlich besetzte Schwanensee-Aufführung will ich immer noch sehen.

Wohnungräumen für Putzmann, schweren Herzens die nächste Arbeitswoche vorbereiten.

Ins Bett zu Regenrauschen.

§

Barack Obama über “Call-out culture”: Andere konsequent auf ihr Fehlverhalten hinzuweisen.
“If all you’re doing is casting stones, you’re probably not going to get that far.”

Journal Samstag, 13. Juni 2020 – Richtig Sommer, zweiter und letzter Tag

Sonntag, 14. Juni 2020

Sommertag Nr. 2, ganz herzlichen Dank!
(Dankbarkeit auch dafür, dass mich das kaputte Hüftgelenk weiterhin gut schlafen lässt.)

Für meinen Morgenkaffee zog es mich auf den Balkon, von wo ich herrliches Morgenlicht sah. So richtig sommerwarm war es allerdings nicht, trotz Bademantel und Socken war ich ordentlich durchgekühlt, als ich die zweite Maschine Wäsche füllte (Bettbezug und Handtücher waren dran) und mich zum Sport fertigmachte. Doch schon bei Gymnastik mit Ehrenrunde wurde mir warm, die große Einheit Crosstrainer bei geöffnetem Fenster brachte mich wieder richtig ins Schwitzen.

Fertig für Einkaufsrunde:

In der Sonne war es richtig heiß, und es stellte sich selbstverständlich als sehr schlechte Idee heraus, die neuen Schuhe gleich mal barfuß zu tragen. Ich hatte Nylon-Kniestrümpfe für Sandalenprobieren dabei und streifte sie unterwegs schnell über, um komplettes Blasenzerfetzen zu verhindern – bekanntlich Berliner Schick.

In einem Schuhladen beim Gärtnerplatz fragte ich vergeblich nach Tracey-Neuls-Sandalen, bekam aber eine freundliche Empfehlung. Über Viktualienmarkt und Feinkostabteilung des Kaufhof zurück. Zum Frühstück gab es ein Laugenzöpferl sowie Plattpfirsich und asiatische Mango mit Joghurt.

Den Nachmittag verbrachte ich auf dem Balkon, es war dort selbst im Schatten wärmer als im Wohnzimmer und ich genoss es. Nützen, nützen, nützen, denn schon ab Sonntag sollte es das mit Sommer auf unabsehbare Zeit gewesen sein.

Also gleich mal Eiskaffee.

Ich las Internet und die Wochenendzeitung. Das Geräusch von Nagezähneschaben auf Nussschale machte mich auf ein Eichhörnchen im Baum aufmerksam.

Dafür hatte ich mir aber die Spiegelreflexkamera von Herr Kaltmamsell geholt.

Auf der Suche nach einem bestimmten Foto stellte sich heraus: Auch ich habe einen #StapeldesGrauens. Nämlich ein Kistlein Fotoabzüge in Drogeriemarktumschlägen, und zwar die zwischen den ins Album eingeklebten (also bis 1996, hier endet das jüngste Fotoalbum) und den digitalen (beginnen ab 2004). Sie sind nahezu unsortiert und, wie ich jetzt feststellte, sauber verdrängt. Warum nur erfüllt mich jede (!) Konfrontation mit meinem früheren Ich mit Scham und Traurigkeit? Zumindest warf ich die Kiste nicht einfach ungesichtet weg, sondern schob sie nur schnell zurück in die Kommode, in der ich sie gefunden hatte.

Zum Nachtmahl packte Herr Kaltmamsell den Speiseföhn für verschiedene Föhnexperimente aus:

Panisse (rechts) geriet sehr gut, der panierte Seidentofu war allerdings am Föhnkörbchen hängengeblieben.

Auch die Zucchinischeiben litten unter Klebenbleiben. Die Zwiebel-Bahji und Auberginen-Pakoras gab’s dann aus der Pfanne. Zu trinken machte ich uns Pimm’s, weil Sommer.

Neues von Netflix: Ist ja nicht so, dass ich nur scrollen würde. Was ich unter anderem vergeblich gezielt suchte: Die Neuverfilmung David Copperfield (gibt’s bei Amazon), Mad Max (zum Auffrischen), Mad Max: Fury Road (zum Nachholen), Emma (gibt’s bei Amazon, YouTube und Google), The Lady in the Van (gibt’s bei Amazon, YouTube und Google), The Favourite (gibt’s bei Ama…). Und von dem, was mir als Alternativen angeboten wurde, fühlte ich mich unverstanden bis beleidigt.

Aber! Ich hatte ja noch das aktuelle Programm von Hannah Gadsby, Douglas. Das wurde die Abendunterhaltung und unterhielt mich sehr gut.

§

Carolin Emcke versucht, strukturelle Ausgrenzung zu erklärten (wie sie zum Beispiel People of colour widerfährt):
“Rassismus:
Raus bist du”.

Ein Gedankenexperiment: Nehmen wir an, es gälte die Regel, dass nur Menschen von einer Körpergröße über 1,85 Metern in die Oper gehen dürften. Alle anderen nicht.

(…)

Ob sie es wollen oder nicht: Die Körpergröße ist relevant, weil ihr von außen eine Bedeutung zugeschrieben wird, weil sie entscheidet, wer in die Oper darf und wer nicht.

(…)

Es illustriert, was bei dem aufgeregten Diskurs um “Identitätspolitik” gern unterschlagen wird: Wer sich wehrt gegen Ungleichbehandlung oder Ausgrenzung, muss notgedrungen oft in Kategorien argumentieren, die selbst erst durch die Ausgrenzung entstanden sind.

Journal Freitag, 12. Juni 2020 – Schifferlfahrn am Ammersee

Samstag, 13. Juni 2020

Ein wunderschöner Tag. Wie angekündigt war gestern plötzlich Sommer. Ich unterdrückte meinen Instinkt, der noch auf Jeans, Schnürschuhe und Jacke eingestellt war, und kleidete mich für unseren Ausflug an den Ammersee in Röckerl, T-Shirt und Sandalen, cremte mich gründlich mit Sonnenschutz ein. Tatsächlich war das bei unserem Aufbruch um 9 Uhr genau richtig, ich vermisste nicht mal ein Jäckchen.

Wir waren schon so früh unterwegs, weil ich recherchiert hatte, dass die Ammersee-Raddampfer einen sehr reduzierten Fahrplan hatten. Für diesen St. Brück in den Pfingstferien und mit herrlichem Wetter, an dem ich viele Menschen prognostizierte, steuerte ich also die erste Fahrt um 11 Uhr an.

Auf der Hinfahrt sah ich im S-Bahnhof Stachus viel Kinnschutz, in den Wagen selbst aber fast 100 Prozent über Nase und Mund. Ich genoss das Rausschauen vom ersten Kilometer an: Grüne, sonnenbestrahlte Landschaft, die immer voralplicher wurde! Darin erspähte ich einige Falken.

Corona-Modalitäten am Bootssteg: Ab Betreten des Stegs Maskenpflicht, Personal mahnte immer wieder zu Abstand in der Warteschlange. Auf dem Dampfer selbst galt innen Maskenpflicht, die nur auf den Außenplätzen und dort nur beim Sitzen aufgehoben war. Über die Hälfte der Sitzplätze war gesperrt, um für Abstand zu sorgen, ein Angestellter sammelte unsere Fahrscheine ein, auf der wir Kontaktdaten notiert hatten.

Mein eigentlicher Wunsch für den Ausflug war eine Fahrt nach Dießen gewesen, um mich dort umzusehen, doch derzeit gibt es nur Rundfahrten ohne Anlegen.

In der Herrschinger Bucht: Graugänse, Kanadagänse, Stockenten, Blässhühner und ein Haubentaucher – für mich eine seltene Sichtung. Unterwegs auf dem See sahen wir auch Möwen. Niedliche, elegante Möwen, nicht etwa solche eindeutigen Dinosaurier.1

Die Herrsching, der größte Raddampfer der Flotte (der nur aus Tradition so heißt, aber mit Dieselantrieb fährt).

Blick zurück aufs Kurparkschlösschen.

Dießen nur aus der Ferne.

Es war herrlich auf dem Schiff, in wärmender Sonne, mit erfrischendem Wind, wundervoller weiter Aussicht, Bergpanorama.

Zu Mittag wollten wir beim Seewirt gleich beim Anlegeplatz essen, doch ohne Reservierung wurden uns die einladend leeren Tische verwehrt. Wir setzten uns nebenan in den Biergarten: Mit Aussicht auf den See gab es Leberkäs mit Pommes für mich, Obazda mit Breze für den Herrn (und das letzte Drittel meines Tellers, das ich nicht schaffte). Nach Ewigkeiten hatte ich mal wieder Lust auf eine Cola: Schmeckte umgehend nach Kindheit und Urlaub.

Spazieren wollte ich auch noch. Da wir das Ufer Richtung Süden von unseren Wanderungen gut kannten (die Zeiten, als dieses Stündchen Fußweg gerade mal ein Auftakt war, scheinen sehr lang her), nahmen wir den Weg Richtung Norden. Mein getrippelt-gehumpeltes Tempo machte die Wanderschuhe, die Herr Kaltmamsell angelegt hatte, zum Witz.

Mittlerweile hatten sich Parks und Liegewiesen am See gefüllt, auf den Wegen in ungefähr gleichen Zahlen Spaziergänger/Wanderer und Radelnde, letztere über die Hälfte mit Motorantrieb. Aber noch war es nicht so voll, dass man sich nicht freundlich arrangieren konnte.

Zurück in Herrsching gab es ein italienisches Eiserl. In einem Fischladen besorgte ich das Abendessen, dann setzten wir uns in die S-Bahn zurück nach München.

Dort noch ein paar Besorgungen, dann las ich auf dem Balkon Internet und Zeitung, immer wieder unterbrochen durch Vogelschau.

Nachtmahl:

Oben eine geräucherte Lachsforelle aus dem Ammersee, unten ein geräucherter Saibling aus dem nahen Starnberger See. Herr Kaltmamsell hatte auf meine Bitte eine Honig-Senf-Sauce dazu angerührt, ich hatte einen Tomatensalat zubereitet. Es blieb genug Räucherfisch für Bürobrotzeit nächste Woche übrig. Nachtisch waren Erdbeeren mit Sahne.

Fürs Abendprogramm wieder bei Netflix nach Filmen geschaut (Fernsehserien interessieren mich gerade mal genug, dass ich sie neben dem Internetlesen laufen lasse, genau deshalb war Netflix nie attraktiv für mich) – es war nichts dabei, was ich sehen wollte.

§

Die Metamorphose des Maximilian Buddenbohm ist abgeschlossen: Nach drei Monaten Heimschule seiner beiden Söhne kann er das Leben nur noch in Textaufgaben denken.
“Seite 12, Aufgaben 1 bis 15”.
(Wer sagt denn, dass das Erarbeiten von Schul-Tests nicht genau so vonstatten geht?)

  1. Hier der ornithologische Hintergrund. []

Journal Donnerstag, Fronleichnam, 11. Juni 2020 – ‘schbin Netflix

Freitag, 12. Juni 2020

Ausgeschlafen. Als ich nach dem Aufwachen fast nochmal halb wegdämmerte, hinderte ich mich daran: Ich weiß inzwischen, dass mir das gar nicht gut tut, sondern mich schwächt und zerschlägt.

Ich genoss es, nichts vorzuhaben. So konnte ich mir weiterhin einreden, dass ich das Regenwetter gut finde, weil dringend nötig.

Frühstücksbrötchen gebacken. Da in den Kommentaren zum Rezept einige Nachbäckerinnen geklagt hatten, nach dem Abkühlen seien die Semmeln hart gewesen, dampfte ich besonders heftig und buk sie nicht zu dunkel.

Es wurden gute Semmeln, doch bekam ich immer mehr Zweifel am den Vorgehen, wie es im Rezept beschrieben wird: Es passt zum einen nicht zu Frühstückssemmeln für Zeiten, an denen normalweise gefrühstückt wird (weil sie so erst vier bis fünf Stunden nach dem Aufstehen serviert werden können), zum anderen nicht zu den Fotos. Eine kalte Über-Nacht-Gare der geformten Teiglinge würde zu beidem viel mehr passen: Dann würde es bis zum Servieren nur anderthalb Stunden dauern, und die kleinen Bläschen auf der Oberfläche der Semmeln im oben verlinkten Originalfoto sowie die große, unregelmäßgige Porung innen sind typisch für lange und kalt gegangene Teiglinge. Das werde ich beim nächsten Mal probieren.

Nach Gymnastik und ausführlichem Crosstrainerstramplen (perfekt durch Eichhörnchensichtung) gab es die Semmeln zum Frühstück mit Butter, Orangenmarmelade, Honig. Ich sah auf dem Balkon, dass auch Kleibers ihren Nachwuchs zu unserem Meisenknödel bringen – Jungkleiber interessierte sich aber mehr für die über dem Knödel liegende Nische in der Decke.

Nachdem Hannah Gadsby bereits ein neues Programm herausgebracht hat, wurde mein Wunsch, ihr “Nanette” von 2018 mal ganz zu sehen, so groß, dass ich mich doch bei Netflix anmeldete – nur dort gibt es die Show zu sehen. Der Anbieter gewährt ja gratis 30 Probetage, ich werde mich schon rechtzeitig abmelden. Und wenn nicht: Ich stellte fest, dass die von mir präferierte Version 12 Euro im Monat kostet – das könnte ich verschmerzen.

Wie so viele war ich am Ende von Hannah Gadsbys Show schwer mitgenommen (und hatte erst angesichts des vollen Sydney Opera House begriffen, wie erfolgreich Gadsby zu diesem Zeitpunkt bereits war). Der graue Regenhimmel hatte Platz gemacht für gemischte Wolken vorm blauem Himmel, ich ging raus, um nach dem Alten Südfriedhof zu sehen.

Erst mal kam ich nicht weit, weil mich nach 200 Metern ein Regenguss in einen Hauseingang scheuchte. Doch ich hatte ja nichts vor, konnte also den Tropfen eine Weile aus anderer Perspektive als dem Wohnzimmerfenster zusehen.

Auf dem Südfriedhof scheuchte mich der nächste Guss bei gleichzeitigem Sonnenschein unter eine Buche. (Die Robinienblüte ist dieses Jahr in Regen und Kälte komplett duftlos vorbeigegangen.)

Meine Gedanken wanderten vor allem zu dem zurück, was Hannah Gadsby über tension erklärt hatte, wie sie als Comedian damit für Pointen arbeitet, oder eben in diesem Fall ihr Publikum mal damit allein lässt. Worum es ihr eigentlich geht, was sie durch das Kleinmachen ihrer Geschichte als Pointen aber verhindert hat: connection. Dazu kam, dass DonnerBella gestern ausführlich und sehr klug genau darüber gebloggt hatte: über Verletzlichkeit und Verbindung – “We’re fallin’ apart and it feels fantastic*”. Vielleicht ist es gerade diese Anspannung, die fast jeder Umgang mit Menschen bei mir auslöst, die mich Kraft kostet, nur bei wenigen Menschen durch die Energie aufgewogen wird, die ich aus der Begegnung gewinne, die mich fast nur allein entspannt sein lässt, im Grunde menschenscheu macht. Vielleicht.

Gestern durfte ich fürs Abendessen sorgen. Es gab eine Lachs-Dill-Tarte nach Delia Smith, allerdings mit dem Quarkteig, den ich noch in der Gefriere hatte, und mehr Füllung. Dazu Tomatensalat.

Zu meiner eigenen Überraschung sah ich für die Abendunterhaltung nach, was es denn noch so auf Netflix gab. Es wurde der Film Ocean’s 8, trotz der eher gemischten Kritiken seinerzeit. Nett, aber doch eher flach. Ich liebe das Genre Gaunerfilme und mochte Ocean’s Eleven sehr. Die Frauenbesetzung war zwar sensationell, doch mir fehlten die echten Twists – und Ocean’s Eleven hatte es bei gleicher Länge und mehr Action geschafft, allen Figuren eine reiche Hintergrundgeschichte zu geben. In Ocean’s 8 war es gerade mal die Modedesignerin Rose Weil, alle anderen bekamen nicht mal klar voneinander abzugrenzende Charaktere. Aber! Sandy Bullock spricht ausführlich Deutsch, das sie ja von ihrer deutschen Mutter und ihrer deutschen Großmutter gelernt hat (im Film trägt der Grabstein unter dem ihres Filmbruders Danny Ocean den Namen von Bullocks Mutter Helga Meyer).

Journal Mittwoch, 10. Juni 2020 – Restaurantverabredung im Neni

Donnerstag, 11. Juni 2020

Gestern Morgen nahm ich mir sportfrei (bis auf die orthopädischen Minimalübungen), stellte den Wecker vor – und wachte sogar früher als sonst auf. Energisch legte ich mich für eine Dreiviertelstunde nochmal hin.

Als ich mich von Herrn Kaltmamsell verabschiedete, sah ich wieder einen Jungspecht auf der Balkonbrüstung sitzen – aber der war deutlich flaumiger = jünger als der mir bereits bekannte: mehr Jungspechte!

Arbeitsvormittag mit viel Lauferei, mittags ein Apfel und ein Hummus-Brot vom Zöttl – Einstimmung aufs abendliche Essengehen. Nachmittags Hüttenkäse.

Das Wetter blieb kalt, regnerisch und grau, ich war sehr froh über die Notfall-Strickjacke im Büroschrank, die ich sonst über den Sommer daheim lagere.

Ich machte pünktlich Feierabend, denn ich war mit Herrn Kaltmamsell zu einem ersten richtigen Restaurantbesuch nach Ende der Schließungen verabredet: Im weiträumigen Neni.

(Herr Kaltmamsell hat nach dem Friseurbesuch am Dienstag SEHR kurze Haare, und ich muss mich noch immer daran gewöhnen.)

Wir setzten vor dem Eintreten unsere Stoffmasken auf, wurden an unseren Tisch gebracht: Die Hälfte der Tische war entfernt worden oder mit Schilder unbesetzt gehalten, alle Angestellten trugen Atemmasken. Statt Speisekarten lag auf unserem Tisch ein Zettel mit QR-Code: Damit holten wir uns die Speisekarte auf unsere Telefone. Die Auswahl war nicht so groß wie bei unserem ersten Besuch vergangenes Jahr, enthielt aber genug Köstlichkeiten. Zu einem israelischen Sauvignon Blanc Mount Hermon Yarden gab es:

Labneh.

Rote-Beete-Hummus, Falafel, Babaganoush.

Hamshuka, Korean Fried Chicken Salad, Süßkartoffelpommes.

Ich hatte das ausführliche Essengehen mit Herr Kaltmamsell sehr vermisst: Damit schaffen wir immer eine Situation, ausführlich zu erzählen, auch einfach ziellos über Gedankengänge und Befindlichkeit zu plappern – und so das Gegenüber ins eigene Leben mitzunehmen. Was im alltäglichen Zusammenleben gerne mal untergeht.

Sehr voll spazierten wir zurück und gerieten in einen weiteren Regenschauer des Tages.

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Die weiße US-Amerikanerin Robin DiAngelo hat ein Buch geschrieben, wie wir wohlmeinenden Weißen Rassismus erhalten und verstärken: White Fragility. Hier ein Interview, was sie damit meint.

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https://youtu.be/6O27_yBQ8Qc

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Die Allbright-Stiftung hat mal wieder durchgezählt:
“Führung von Familienunternehmen: Kaum Chancen für Frauen”.

Viele deutsche Familienunternehmen präsentieren sich gerne als Firmen mit einer ganz besonderen gesellschaftlichen Verantwortung. Doch wenn es darum geht, Frauen in Führungspositionen zu bringen, endet das Engagement offenbar. „Bei der Karriere von Frauen haben sie einen blinden Fleck“, stellt Wiebke Andersen, Mitgeschäftsführerin der Allbright-Stiftung, fest.

Und sie kann das auch mit Zahlen belegen: In den Geschäftsführungen der 100 größten deutschen Familienunternehmen arbeiten nur knapp sieben Prozent Frauen, in absoluten Zahlen sind es 30 Frauen und 406 Männer. Das belegt eine Studie der Allbright-Stiftung, bei der Andersen Mitautorin ist. Zum Vergleich: Bei den 30 Dax-Unternehmen sind es immerhin 15 Prozent.

(…)

In der Führung der 100 größten Familienunternehmen gibt es allein mehr Thomasse und Michaels als Frauen insgesamt.

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Benjamin von Brackel nimmt sich für die Zeit ein heikles Thema vor: Die ökologischen Auswirkungen von Offshore-Windparks.
“Was da alles lebt!”

Dafür hat von Brackel eine Forschungsfahrt begleitet, die herausfinden sollte, wie sich Offshore-Windanlagen auf das marine Ökosystem auswirken:

Das ist nicht einfach: Ökosysteme sind extrem komplex, und das gilt ebenso für die Forschung daran – zumal in einem Feld wie der Windenergie, in dem wirtschaftliche und politische Interessen dominieren.

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Zur Erinnerung: Während Sie heimlich vorm Spiegel mit der Rundbürste ihre Oscar-Dankesrede üben, denke ich mir heimlich meinen Kandidatinnenfilm für den Bachmannpreis aus. (Ja was? Sie haben doch AUCH noch nie in einem Film mitgespielt oder ihn mitproduziert?) Sehr schön ist dieses Jahr die Vorstellung der Kandidatin Hanna Herbst.

Mal sehen, ob ich Zugucken schaffe: Dieses Jahr findet der Bachmannpreis 18. bis 21. Juni wegen der Corona-Pandemie ohne reales Zusammentreffen statt, Kandidaten/Kandidatinnen sowie Jurymitglieder werden einzeln zusammengeschaltet. Hier die Übertragungstermine.

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Warum ich mein Internet liebe, neues Kapitel:
@novemberregen meckert auf Twitter über halbleer verkaufte Gläser Würzbrühe, sie werde sich beschweren, was Frau Brüllen auf die Idee bringt, in ihrem Blog über Beschwerdehotlines, unconfirmed complaints und APQRs zu berichten – SERVICEBLOG!
“090620 Mfg”.