Journal Dienstag, 25. August 2020 – Kaufhausliebe
Mittwoch, 26. August 2020 um 6:09Nach guter Nacht (nur zwei Unterbrechungen) erfrischt aufgewacht.
Ich wagte nach fast zwei Wochen wieder Bankstütz und Seitstütz – nicht nur ging es (weit entfernt von der Dauer prä-Hexenschuss), danach fühlte ich mich auch besser.
Sonniger, warmer Tag mit hin und wieder Wolken. Arbeit in der Arbeit reichlich, aber gut machbar. Mittags rote Paprika und ein Pfirsich, ein Stück Blauschimmelkäse. Nachmittagssnack eine wundervolle, riesige Nektarine.
Nach Feierabend fuhr ich erst mal die Münzen unserer Urlaubskasse zur Bank (Pandemie-bedingte Kartenzahlung hatte dazu geführt, dass das Füllen des Topfs doppelt so lange wie sonst gedauert hatte). Dann radelte ich weiter zum Hertie am Hauptbahnhof. Große Kaufhausliebe: Nicht nur bekam ich im Erdgeschoß Nicki-Tücherl für meinen Sport-Schweiß, sondern auch in der Wäscheabteilung zwei akzeptable Nachthemden fürs Krankenhaus.
Deutsches Abendbrot: Frische Salzgurken waren die Grundlage, dazu hatte Herr Kaltmamsell Schinken besorgt, getrocknete Blutwurst, Salami, Käse, Eier hartgekocht, in der Gefriere war noch ein Stück selbstgebackenes Brot gewesen. Nachtisch Schokolade.
§
Wer sich ein Bild von dem G’schwerl machen möchte, das in immer größerer Zahl den Park besetzt, neben dem ich wohne (und immer häufiger in unseren Hinterhof dringt):
“Ein einziger Tritt, der ein Leben verändert”.
Möglicherweise tragen wir Anwohnenden die Last des Polizei-Erfolgs, dass die “Stammsteher” am Hauptbahnhof durch die Durchsetzung des Alkoholverbot dort vertrieben wurden. Doch sie haben sich nicht etwa wundersam in Luft aufgelöst – sondern sind ein Häuserl weiter gezogen. In den Nußbaumpark. Nachdem in den vergangenen zehn Jahren bereits die Wohnungsflüchtlinge (denn nein: das sind keine Obdachlosen), die vom Bordeaux- und Orleonsplatz verjagt wurden, hierher kamen. Die Gruppen, die sich ab morgens im und am Park sammeln, werden immer größer.
§
“Helen Macdonald: The Things I Tell Myself When I’m Writing About Nature”.
Am besten gefällt mir:
3.
Don’t make the space pre-industrial.This is such a classic genre move it’s almost automatic, and it works in the same way wildlife art hardly ever shows evidence that humans have ever existed. If there are burned-out cars and shotgun-addled road signs, or a creek full of trash and a high-security perimeter fence alongside the singing nightingale, don’t leave them out. That’s how this world is. Honor it.
§
Die aktuelle Ausgabe Granta (152, Still Life) gefällt mir sehr gut. Wie das Thema bereits andeutet, geht es in einigen der Texte um Aspekte der Corona-Ausgangsbeschränkungen.
Ein Beitrag kommt von Leanne Shapton, die ich 2013 mit ihrem großartigen Buch Swimming Studies kennengelernt hatte. Schon damals hatte sie Erzählung und Malerei verbunden. In Granta beschreibt und malt sie Dinge in ihrer Wohnung, mit denen sie sich mangels Bewegungsfreiheit beschäftigt. Wieder bin ich gefangen.
“Still Life”.
19 Kommentare zu „Journal Dienstag, 25. August 2020 – Kaufhausliebe“
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26. August 2020 um 10:35
Was ist ein Wohnungsflüchtling?
26. August 2020 um 10:42
“Wer einmal fragt ist zwei Sekunden dumm, wer nicht fragt bleibt es für immer” sagte meine weise Großmutter immer. Deshalb auch meine Frage:
“Was ist ein Wohnungsflüchtling”?
Danke für Ihre Erklärung.
26. August 2020 um 13:07
Dem Begriff “Gschwerl” kann ich nur zustimmen und fast ist das noch zu lieblich bayrisch ausgedrückt, Kriminelle würde es noch besser treffen. Ich frag mich nur, warum unser Kommunaler Überwachungsdienst immer einen großen Bogen um den Park macht….
Gut, dass wir demnächst eine Ortsbegehung mit dem OB haben.
26. August 2020 um 14:12
Ach, Rainer, KVR-Gendarmen und echte Polizei sind dort praktisch täglich, in unseren Hinterhof spaziert regelmäßig ein Polizist mit Suchhund (vermutlich nach Drogenverstecken). Der Effekt ist der eines aufgestobenen Taubenschwarms: Ein bis zwei Stunden drücken sich die Gruppen dann 100 Meter weiter herum, dann sind sie wieder da, wo sie vorher waren.
Sowas ist nun wirklich nicht mein Fachgebiet, aber ich bin sicher, dass es zu solchen Zuständen Forschung gibt, außerdem Erfahrung aus anderen Städten: Meiner Laienmeinung nach kann nur ein gründliches Konzept zur Lösung führen, nicht einfach noch mehr Polizei.
26. August 2020 um 14:22
In Münchner Medien, Sabine Kerschbaumer, taucht der Begriff seit Jahren für diese Leute auf, die eigentliche eine Wohnung haben, aber die meiste Zeit in Gruppen saufend und störend an den entsprechenden Hotspots der Stadt verbringen.
26. August 2020 um 14:43
Ich bin ein wenig unangenehm berührt von Ihrem (wiederholten) Gebrauch des Wortes “G’schwerl”. Ich kenne das noch von meiner Bayerischen Großmutter, und sie hat es immer im Sinne von “Pack, Gesindel” und ähnlichem verwendet.
So wird es auch auf diversen Websites (etwa bayrisches-woerterbuch.de) “übersetzt”: Bagage, Gesindel, Gesocks, Lumpenpack, Pack.
Es befremdet mich, wenn so von Menschen gesprochen wird.
Würde Sie auch schreiben “Wer sich ein Bild von dem Gesocks machen möchte, das in immer größerer Zahl den Park besetzt, neben dem ich wohne…”?
Immerhin sprechen Sie von Menschen. Nervige Menschen, das gebe ich gerne zu, anstrengende Menschen, vielleicht sogar gefährliche Menschen, aber immer noch Menschen.
Der sprachliche (und gedankliche?) Schritt vom Gesindel/ Gesocks/ Pack zum (menschlichen) Ungeziefer ist dann unter Umständen nicht mehr besonders groß.
Ich unterstelle Ihnen nicht ein solch verachtendes Menschenbild, ich wollte nur dalassen, dass mir die Wortwahl Gänsehaut verursacht.
26. August 2020 um 17:27
Danke für die Erklärung und einen schönen Abend :-)
26. August 2020 um 17:34
Für mich als alteingesessene Münchnerin klingt „G’schwerl“ viel abgemilderter als “Bagage, Gesindel, Lumpenpack, Pack”.
Als grobes Schimpfwort habe ich das nie betrachtet. Zu beachten ist dass der Bayer in seinen Aussagen immer etwas gröber ist als in anderen Landesteilen.
26. August 2020 um 19:00
gesundheitstipps unterlasse ich gerne. aber trotzdem möcht’ ich eine erfahrung hier deponieren: die krankenhaus-nachthemden haben was. vor allem: man kann sie im prinzip dreimal täglich frisch kriegen. und wenn man, wie ich, schwitzt als ob es kein morgen gäbe: super! wenn man – schon versucht, kein vergleich – nach einer op kurz- oder längerfristig absolut nicht aufstehen darf, einen schlauch aus irgendwelchen gewachsenen oder geschnittenen körperöffnungen heraushängen hat (oder auch mehrere, aus denen dann irgendwelche mehr oder weniger odoeur-behafteten flüssigkeiten tröpfeln, fliessen oder abgelassen werden): frisches nachthemd ist super!
kurzum: so viele nachthemden kann man, mit verlaub, gar nicht kaufen, dass man immer rechtzeitig ein frisches anziehen kann. und sowieso ruinieren die diversen medizinischen salben, tinkturen, was auch immer jedes material mehr oder weniger gründlich.
also: lieber die krankenhausunsäglichkeit aushalten – riechen halt nicht so wie die heimische wäsche, fallweise ein wenig nach chlor oder sonstigen desinfektionsmitteln, aber: man kriegt sie.
und ich persönlich hätt, mit verlaub, so ein nachthemd das ich sowieso nur im krankenhaus angezogen hätte, bitteschön, unmittelbar nach der entlassung entsorgt, allein schon aus erinnerungsgründen.
ich war schon einige viele male im krankenhaus. glaubt mir einfach, oder denkt zumindest darüber nach.
etwas ganz anderes ist natürlich ein hübscher, kuscheliger und der jahreszeit angepasster schlafrock aka morgenmantel aka was-auch-immer. der sollte übrigens ein wenig über die knie reichen, einen einfachen verschluss vorne haben, so weit sein dass man sich auch, die vorderteile übereinanderschlagend, darin verhüllen kann ohne teilweise im freien zu stehen, und man sollte sich wirklich, wirklich darin wohlfühlen – die braucht man dann nämlich auch auf kur und/oder rehab. gerne erst zuhause ausprobieren, und dann ein zweites exemplar anschaffen.
und die “schönen” krankenhausnachthemden werden für die ersten krankenbesuche zu hause aufbewahrt …
26. August 2020 um 21:28
Nachdem ich dort schon vorbeigelaufen bin, muss ich sagen, dass mir nicht der Begriff Gänsehaut verursacht, sondern leider die schiere Anzahl dieser Menschen, die dort rumhängen und -grölen. Der bayerische Begriff ist für mich passend, man könnte auch Tunichtgute sagen, wäre das besser?!? Ich wäre auch sehr unglücklich über diese Nachbarschaft, und ja, dafür braucht es sicherlich einen Plan auf lange Sicht.
Liebe Grüße
Eva
27. August 2020 um 6:30
Danke für den Hinweis auf die swimming studies!
Grüße,
Poupou
27. August 2020 um 8:41
@Defne, @Eva – Nun ist mein Unbehagen eher noch größer geworden.
Als Berlinerin kann ich durchaus derbe Sprache aushalten (und benutzen). Aber Menschen mit “das [irgendwas]” zu bezeichnen, entmenschlicht sie in meinen Augen und schafft eine Distanz vom Sprecher zu den so bezeichneten Menschen.
Jeder Sammelbegriff spricht den Menschen ihre Individualität ab – “die” Frauen ist genauso bescheuert wie “die” Säufer oder, weil es der Bürger gern etwas kuschelig hat und der eigenen Meinung nach außen hin gerne die Spitze nehmen möchte, “die Tunichtgute”.
Sprache ist, wie Leibniz so treffend sagte, ein Spiegel des Verstandes, und zu meinem Unglück reagiere ich auf Sprache manchmal empfindlich und kann dann leider meine Klappe nicht halten. Man möge mir verzeihen.
@die Kaltmamsell – Sie erwähnten ja schon öfter die aktive Bürgerbeteiligung in Ihrem Viertel – gibt es denn jenseits von mehr Polizeipräsenz, die ein ja wohl offensichtlich bestehendes Problem lediglich verlagert, andere Ansätze und Ideen?
27. August 2020 um 9:24
@kelef : in meinen Kreisen (Guks) wirken jüngere, orientierte Patienten, die tagelang freiwillig ein sogenanntes Flügelhemd tragen, immer ein bisschen sehr komisch.
27. August 2020 um 12:17
Das ist in München schon immer die Strategie, um mit nicht so präsentablen Bürgern – Dauerarbeitslose, Drogenkranke, psychisch Kranke, sozial Abgehängte… umzugehen: Man erhöht den Verfolgungsdruck durch Polizeikontrollen alle paar Minuten, Platzverweise, Videoüberwachung, Alkoholverbote, unfreundliche Stadtmöblierung (z.B. die neueren Sitzbänke an Haltestellen, auf denen man nicht liegen kann) etc. Dadurch verlagern die Betreffenden ihre Aufenthaltsorte, z.B. vom Hohenzollernplatz zum Hbf zum Sendlinger Tor zum Orleansplatz, jeweils 1 Ort für ein paar Wochen bis Monate, und dann von vorn. Hilfreicher wäre es meiner Meinung nach, die Ursachen anzugehen vor allem mit einer aktivieren Sozialpolitik und Hilfe für Kranke und Belastete statt Verfolgungsdruck, aber es ist halt München. Hier leidet man nicht öffenrlich bzw. eben nur an ganz wenigen, wechselnden Orten öffentlich, gestorben wird daheim (die meisten Betreffenden haben eine Wohnung). Hauptsache, es sieht alles präsentabel aus…
27. August 2020 um 20:35
@AnnaMathilde
So, jetzt würde ich das von Leibniz etc. gerne wieder auf das vorliegende Problem runterbrechen: DAS Kind z. B. ist auch nicht entmenschlicht….
Ich glaube, Sie wissen schon, wie es gemeint war! Ich weiß nicht, ob Sie den Link zum Zeitungsartikel gelesen haben. Ich finde, das klingt deutlich mehr nach Entmenschlichung.
Schönen Abend noch,
Eva
28. August 2020 um 7:27
Ach @Eva – Jetzt wollen Sie mich aber missverstehen, oder?
Und ja, ich habe den verlinkten Artikel gelesen. Was hat das damit zu tun, dass ich über die Wortwahl hier Anwesender verwundert bin?
@kecks – Diese Münchener Strategie führt ja wohl vordergründig auch zu Erfolgen, zumindest kurzfristig und für einige wenige – und auf die kommt es der Stadt wohl an.
Und – ich lehne mich mal weit aus dem Fenster – ich vermute, die Anwohner:innen des Nussbaumparks interessieren sich auch nicht mehr für “das Problem”, wenn es erfolgreich woanders hin verlagert wurde.
Ich habe auch keine Patentlösung, es gibt sicher auch keine, mit der allen geholfen wird.
Ich denke nur: Bei der Sprache fängt es an, denn Sprache ist immer eng mit dem Denken verbunden. Und bedenklich wird es eben nicht erst, wenn Menschen Worten Taten folgen lassen, sondern schon ein paar Schritte vorher.
Nochmal: Ich unterstelle hier niemandem eine menschenfeindlich Gesinnung, Sie sind sicher alle sehr wohlmeinende tolerante Menschen.
Aber eben nicht unfehlbar und manches geschieht doch einfach aus Gewohnheit, vielleicht auch ein bisschen Bequemlichkeit und ohne böse Absicht.
Ist es wirklich so furchtbar, wenn dann von außen jemand kommt und sagt “Hey, das stößt mir auf”?
Ist es so schwer zu sagen “Hups, das war mir nie so bewusst, da denke ich mal drüber nach”?
Warum dieser vehemente Abwehrreflex?
Zählen nur noch Likes und gegenseitiges Schulterklopfen, was für gute Menschen wir alle doch sind?
28. August 2020 um 10:38
Sehr geehrte @AnnaMathilde,
jetzt haben Sie bei aller Eloquenz doch ein wenig, so scheint mir, die Bodenhaftung verloren. Ihre Interpretationsgabe beeindruckt, schießt aber weit über‘s Ziel hinaus.
Danke, dass Sie mir völlig unzynisch keine Menschenfeindlichkeit unterstellen und mich sogar vermeintlich tolerant finden.
Und ja, es ist wirklich furchtbar (In meinen Augen), wenn jemand von außen kommt und sich anmaßt, nur er selbst wisse Bescheid. Seien Sie sich sicher, dass ich das, was ich von mir gegeben habe, sehr wohl durchdacht habe. Nein, es ist mir nicht „hups“ mal so kurz zum liken über die Lippen gekommen. Warum auch? Darum ging es in der bisherigen Debatte auch gar nicht.
Von meiner Seite ist jetzt alles gesagt.
Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag,
Eva
28. August 2020 um 19:15
@kelef. Guter zusätzlicher Tipp. Ein nicht zu dicker vielleicht. Im KH ist es ja doch warm. Danke!
29. August 2020 um 10:23
Wie Sie meinen @Eva :-)
Ich wünsche Ihnen – ganz unzynisch übrigens, denn ich meine alles genauso wie ich es sage – noch ein schönes Leben.
Und nun wollen wir die anderen hier nicht mehr langweilen.