Journal Montag, 17. August 2020 – Urlaub in München: KZ-Gedenkstätte Dachau
Dienstag, 18. August 2020Wecker auf sieben, denn wir hatten Pläne.
Die sich dann doch verschoben, denn Herr Kaltmamsell hatte morgens einen Arzttermin, der sich durch Warten deutlich länger hinzog als vorhergesehen. So war es fast elf, als wir uns auf den Weg machten: Nach Dachau in die KZ-Gedenkstätte. Ich war noch nie dort gewesen. Eigenartigerweise gehörte sie nicht zum Standard-Ziel unserer Schulausflüge, später hatte es sich nicht ergeben, und nun stand der Ort seit Jahren auf meiner Mal-im-Urlaub-machen-Liste. Mir war bang vor dem Besuch, auch wenn mir klar war, dass er nicht so schlimm werden würde wie die Station Auschwitz-Birkenau auf meiner Polenreise 2006.
Wir setzten uns mit Brotzeit (Käsebreze, Nussbreze) in die S-Bahn nach Dachau. Vom Bahnhof aus schaukelten wir 45 Minuten durch die Dachauer Peripherie, obwohl der Weg nur 2,5 Kilometer betragen sollte: Der Bus 726, der als Verbindung zur KZ-Gedenkstätte auf deren Website angegeben ist, den mir auch die MVV-Fahrplansuche als Zubringer für gestern genannt hatte, auf den zudem alle Hinweisschilder beim Verlassen des S-Bahnhofs zum Erreichen der Gedenkstätte weisen – dieser Bus 726 fährt derzeit wegen Baustellen nicht dorthin. Eine freundliche Einheimische mit diesen Geheimwissen sprach zwei weitere hilflos umherblickende Passagiere im Bus an, wo sie denn hinwollten, und als diese die KZ-Gedenkstätte nannten, informierte sie sie über die Fahrstreckenänderung und wie sie trotzdem an Ziel kommen könnten. Dieser Info folgten auch wir, ich kam allerdings gründlich verärgert an.
Im Besucherzentrum orientierten wir uns und gingen hinüber zum Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers. Es war ein bewölkter, eher kühler Tag (aber noch weit von Jacke entfernt), jetzt begann es leicht zu regnen. Wir stellten uns also gleich mal am Eingang zur Dauerausstellung im ehemaligen Wirtschaftsgebäude an. Darin verbrachten wir die nächsten zwei Stunden.
Die Ausstellung war sehr informationsdicht, die Angaben und Exponate auffallend sorgfältig erklärt (was ist ein Original, was eine Replik? was wissen wir sicher, was ist eine Schlussfolgerung? wie war der genaue Ablauf und woher wissen wir das?). In fast allen Räumen lagen auf Pulten Ordner mit Kopien von Orginaldokumenten zum Durchblättern (derzeit allerdings wegen der Corona-Hygienemaßnahmen gesperrt). Ich hatte den Verdacht, dass bekannte Argumente von Holocaust-Zweiflern bis -Leugnern bereits mitbedacht waren und fühlte mich bedrückter als ohnehin in solch einer Umgebung.
Inhaltlich hatte die Ausstellung zwei Schwerpunkte: Sie schilderte zum einen das System und die Entwicklung von Konzentrationslagern in der NS-Diktatur (naheliegend, da das KZ Dachau das erste war, also das Pilot- und Vorbildprojekt, und zudem das einzige, das die ganzen zwölf Jahre betrieben wurde). Zum anderen wurde die Geschichte dieses konkreten Lagers in Dachau aufgeschlüsselt, in allen Phasen und mit vielen Einzelschicksalen (die meisten mit unbekanntem Todesdatum). Vieles wusste ich vorher (z.B. dass hier zunächst vor allem politisch Missliebige inhaftiert wurden, ich erinnere mich an Erzählungen von Zeitzeugen in meiner Kindheit, dass man bei politisch heiklen Äußerungen gescherzt habe “pass bloß auf, sonst kommst’ nach Dachau!”), vieles war mir nicht bewusst, unter anderem dass bis zur letzten Phase nur Männer in Dachau inhaftiert wurden, wie viele Spanier unter den Häftlingen waren, wie oft Häftlinge zwischen den Konzentrationslagern des gesamten Reiches transportiert wurden.
Daneben erklärten eigens gestaltete Schilder mit historischen Fotos die einstige Funktion der heutigen Ausstellungräume.
Als wir nach draußen traten, war es sonnig geworden und schlagartig heiß. Wir sahen uns auf dem Gelände um, besichtigten die religiösen Gedenkstätten (die der Christen sauber nach katholisch, evangelisch, russisch orthodox getrennt), den Krematoriumsbereich.
Auch wenn mir das Gehen mittlerweile ziemlich schwer fiel, wollte ich den Rückweg zum Bahnhof unbedingt zu Fuß machen: Dieser “Weg des Erinnerns” folgt “der Strecke, auf der ein Großteil der Häftlinge zu Fuß, in Zügen oder Lastwagen das Konzentrationslager erreichte”.
Ich war sehr froh, als ich mich im Zug zurück nach München setzen konnte. (Morgens war ich so beweglich und fit gewesen, dass ich zwei Paar Schuhe auf dem Boden sitzend geputzt hatte – MIT dazwischen schnell mal aufstehen!)
Zurück ins Leben und in die Gegenwart ließen wir uns mit einem Eisbecher beim Sarcletti am Rot-Kreuz-Platz holen. Daheim legte ich mich erst mal flach hin, um Hüfte und Kreuz zu entspannen.
Nachtmahl: Mediterranes Ofengemüse.