Archiv für Oktober 2020
Journal Freitag, 30. Oktober 2020 – Glatte Beine, erster Apfelkuchen
Samstag, 31. Oktober 2020Auf der neuen Matratze lag und schlief es sich ganz wunderbar und mit nur wenigen Unterbrechungen, nach denen ich sofort wieder einschlief.
Gestern packte ich das Trainingsprogramm für daheim an, das mir die Rehaklinik zusammengestellt hatte. Es erwies sich als nur so mittel: Für manche Übungen mangelte es mir an Ausstattung (Step, Wackelkissen), andere konnte ich nicht machen, weil ich nicht auf der operierten Seite liegen kann. Ich setzte um, was ich konnte (Theraband und Matte sind ja vorhanden), hängte noch ein paar Bodenübungen aus dem bisherigen Programm dran. Und freue mich schon sehr auf die Nach-Reha nächste Woche mit einem Sportprogramm für meinen aktuellen Zustand.
Zu meiner Überraschung hatte ich schon um 10 Uhr Hunger, es gab Muesli mit Joghurt.
Noch in der Klinik hatte ich für gestern einen Termin zur Beinenthaarung mit Wachs vereinbart (weil ich mich ja bis auf Weiteres nicht runterbeugen darf), zu dem fuhr ich in die Maxvorstadt. Und wenn ich schon mal da war, nutzte ich den Fotoautomaten im U-Bahnhof Josephsplatz für mein Langzeitprojekt.
U-Bahn an den Marienplatz, um im niederländischen Käseladen Henri Willig alten Ziegenkäse zu kaufen, im Hofbräuhausmühlenladen Pizzamehl 00. Nach Hause krückelte ich lieber, als die U-Bahn zu nehmen: Zum einen war mir die Bahn zu voll, zum anderen mochte ich die milde Herbstluft. Auf dem Weg wurde ich allerdings schon immer langsamer, brauchte die Krücken als Entlastung. Umweg über die Bank, auch bei fast konsequenter Kartenzahlung war mir nach zwei Monaten das Bargeld ausgegangen.
Zurück daheim machte ich mich ans Kuchenbacken, es sollte Holländischen Apfelkuchen geben (allerdings mit Rübenzucker, denn ich wundere mich eigentlich jedesmal, wenn in hiesigen Rezepten Rohrzucker gewünscht ist: ich wohne in einer Zuckerrübengegend, warum sollte ich von weit her importierten Zuckerrohrzucker verwenden?) (Zumal Zuckerrohr im Anbau ökologisch wohl deutlich problematischer ist als unsere Zuckerrüben.)
In der Rührschüssel oben ein weiterer Versuch mit Lievito Madre, der Samstag backfertig sein soll.
Der Kuchen schmeckte gut, vor allem mit Sahne, ich mochte den besonders knusprigen Teig, die Marzipannote war allerdings nur sehr schwach. (Als quasi Mittagessen hatte ich den restlichen Spaghettikürbis ohne alles gegessen, ein Brot dazu, Mandarinen hinterher.)
Die Zeitung kommt seit gestern wieder auf Papier, nur das SZ-Magazin las ich abschließend im Bett im hochgelegten Füßen. Es wurde unverschämt früh dunkel.
Zum Nachtmahl gab es auf meinen Wunsch short ribs, Herr Kaltmamsell hatte dafür eine schöne Zwerchrippe besorgt und garte sie langsam im Ofen. Gemüse drumrum und Kartoffeln für Brei dazu aus Ernteanteil. Der Kartoffelbrei war mir zu dünn geraten, ich hatte zu viel Milch erwischt.
Im Bett neue Lektüre: James Rebanks, English Pastoral.
§
Dieser Landwirt und Schafzüchter James Rebanks schreibt einen Tagebucheintrag im New Statesman, im Grunde einen Statusbericht. (Auch in seiner Familie hat die Fernbeschulung alles verändert.)
“The future of English farming, Tosh the sheepdog puppy, and parenting in lockdown”.
Auch wenn er sich auf UK bezieht, ist das in Deutschland nicht viel anders abgelaufen:
We built a postwar society on the idea that we should outsource food production to about 1 per cent of the population. We gave that 1 per cent every mechanical and chemical tool available and bullied them into producing the cheapest food in history, by handing all our food-purchasing power to a few giant supermarkets that know exactly how to drive down prices without breaking our flimsy regulatory rules.
Now there aren’t any more corners to cut. Cheapening food beyond a certain point gets ugly, mean and world-destroying. Milk is now cheaper to buy than bottled water – imagine what you have to do to produce milk for that price (it’s not cute).
§
Indi Samarajiva weist darauf hin, welch riesige Lücken in der westlichen, reichen Berichterstattung über die weltweite Corona-Pandemie klafft:
“The Overwhelming Racism Of COVID Coverage”.
For your own health, see us. Learn about how early, aggressive action in Mongolia prevented them from having any local transmission at all. Learn about how Ghana used pooled testing to make the most of scarce resources. Learn how Sri Lanka shut down completely for two months with just 100 cases, and is now completely normal.
Journal Donnerstag, 29. Oktober 2020 – Regen und Krücken, Bürokratisches
Freitag, 30. Oktober 2020Etwas unruhige erste Nacht daheim, doch ich bekam genug Schlaf.
Früher Wecker, um Herrn Kaltmamsell vor der Arbeit Milchkaffee servieren zu können. Die Sportrunde verschob ich, da sie vor meinem Arzttermin zu gehetzt worden wäre.
Es regnete, eine blöde Kombination mit Krücken. Ich schlüpfte in eine alte Wanderjacke mit Kapuze und nahm einen Bus zum Orthopäden. Wir freuten uns gemeinsam über die erfolgreiche OP, planten Weiteres. Ich bin jetzt bis Ende November krank geschrieben, wahrscheinlich gehe ich schon im Dezember wieder in die Arbeit mit stufenweiser “Wiedereingliederung” (langsames Hochfahren der täglichen Arbeitsstunden nach längerer Krankheit, in dieser Zeit zahlt die Deutsche Rentenversicherung weiter Übergangsgeld; Dauer und Stundenzahl legt der behandelnde Arzt fest).
Nach Apothekenabstecher (ich soll noch eine Woche Blutgerinnungshemmer nehmen) nahm ich eine angenehm leere U-Bahn zum Stachus. An einem Obststandl an der Sonnenstraße kaufte ich umfassend Obst für die nächste Woche ein.
Daheim großer Hunger, doch die Mittagessenszubereitung wurde unterbrochen durch vorzeitige Lieferung meiner neuen Matratze und Lattenroste (sowie Mitnahme der alten).
Laut Spielanleitung (ja, ich bin das, die Gebrauchsanweisungen liest) muss sie erst mal eingelegen werden und das bitte ganzflächig. Wie praktisch, dass jetzt die bayerischen Allerheiligenferien beginnen und ich Herrn Kaltmamsell bitten kann, mir dabei zu helfen.
Jetzt aber Mittagessen: Ich bereitete lösliche Hühnerbrühe zu und erhitzte darin ein weiteres Viertel Spaghettikürbis, mit selbst gemachtem Harissa geschärft. Das Essen wurde kurz von einer Elektroniklieferung für Herrn Kaltmamsell unterbrochen.
Erwachsenenerledigungen: Wäsche aufhängen / in den Trockner werfen, Krankschreibung an Arbeitgeber und Krankenkasse schicken, neue Matratze überziehen, Arbeitsrechner hochfahren und im Postfach nach dem Rechten sehen. Weil die Rentenversicherung den Reha-Bescheid so spät geschickt hatte, waren diese drei Wochen auf meinem Zeitzettel als AWOL eingetragen, ich musste ein wenig mit der Personalabteilung korrespondieren.
So voll ich nach der Mittagssuppe auch gewesen war: Sie hielt nicht lange vor. Ich aß Birne, Mandarine, Kiwi, Marmeladenbrot.
Im Bett auf der neuen Matratze (fühlte sich schon mal gut an) las ich mit hochgelegten Beinen Zeitung und weiteres Internet, guckte die Regierungserklärung von Kanzlerin Merkel nach (sie zitiert Mai Thi Nguyen-Kim! Angela Merkel ist eine Freundin der Sonne!).
Für die nächste Spielzeit verlängerte ich mein Kammerspielabo – auch wenn völlig unklar ist, ob und wie es überhaupt Vorstellungen geben wird, ist diese Unterstützung das Mindeste für mich, die ich nicht um meine Existenz bangen muss.
Das Abendessen durfte ich kochen. Herr Kaltmamsell hatte eingekauft und den Ernteanteil der Woche abgeholt, aus dem Chinakohl daraus bereitete ich ein Pfannengericht mit Chili und Rosinen (getrocknete Minze statt frischer).
Schmeckte ok, aber der nächste Chinakohl wird anders verarbeitet.
Im Bett las ich Alicia LaPlante, Turn of Mind aus, ihren Erstling von 2011. Die Grundidee ist wirklich gut und hervorragend umgesetzt: Wir begleiten den ganzen Roman über Dr. Jennifer White aus Ich-Perspektive, eine orthopädische Chirurgin in Ruhestand. Das Besondere an dieser Perspektive: Jennifer ist dement, die Geschichte wird mit ihren verworrenen Alzheimer-Schnipseln erzählt. Und: Ihr wird offensichtlich vorgeworfen, dass sie ihre beste Freundin Amanda ermordet hat, ihr anschließend mit chirurgischer Kunstfertigkeit vier Finger einer Hand entfernt. Wir folgen Jennifer durch bessere Tage, an denen sie mit ihren beiden erwachsenen Kindern halbwegs vernünftig kommunizieren kann, durch die immer häufigeren schlechten Tage, an denen sie völlig ohne Orientierung ist, manchmal triggern Details Erinnerungen an ihre Vergangenheit und wir erfahren dadurch Vorgeschichte. Im selben Maß, in dem Jennifer in ihrer Erkrankung versinkt (jetzt lebt sie längst in einem Pflegeheim), wird die implizite Erzählerstimme deutlicher und übernimmt, lässt die anderen Romanfiguren genug sagen, um den Fall schließlich aufzuklären.
Journal Mittwoch, 28. Oktober 2020 – Heimkehr in eskalierende Pandemie
Donnerstag, 29. Oktober 2020In der Rehaklinik hatte ich mir einen frühen Wecker fürs Kofferpacken gestellt, wachte noch davor auf.
Ich brachte mit nur wenig Gewalt alles unter in Koffer und Rucksack; vor mir stand also im Empfangsbereich der Klinik wirklich nur ein Koffer zwischen all den Gepäckinseln aus Koffern, Taschen und Tüten anderer Patientinnen und Patienten, die gestern heim fuhren. (Im Gegensatz zur Sommer-Reha 2019 hatte ich diesmal nur ein Set Zivilkleidung dabei.)
Frühstück mit Schwarztee, Abschied von der wirklich angenehmen Tischgenossin: Obwohl wir uns in praktisch allen Vorlieben und -abneigungen unterschieden (Erbsen, Spätaufstehen, Kinder, Joggen, Schwimmen, Religion), verstanden wir einander sehr gut.
Den Heimtransport unter dicken Wolken teilte ich mir mit einer weiteren Patientin, die vor mir in Neuperlach abgesetzt wurde, dennoch war ich schon nach anderthalb Stunden um halb elf zu Hause. Mir fielen mal wieder meine beschränkten Münchenkenntnisse als Innenstadtbewohnerin und U-Bahn-Nutzerin auf: Zwischen Neuperlach Süd und Prinzregentenstraße war ich auf der Fahrt völlig orientierungslos. Ich freute mich über den zähen Verkehr um den Friedensengel: So konnte ich ihn ausgiebig begrüßen.
Die heimische Wohnung roch völlig fremd und leer. Ich drehte erst mal Heizungen auf und packte in aller Ruhe aus. Erste Maschine Wäsche angeschaltet, Sichtung der Papierpost. Kurz vor zwölf gab es den lange vermissten Milchkaffee und ein mächtiges Schinkenbrot (Herr Kaltmamsell hatte auf meine Bitte selbstgebackenes Brot aus der Gefriere geholt und Kochschinken eingekauft).
Auch in München neigte sich der Herbst seinem Ende zu.
Nun stürzte ich mich mal wieder in Spaß mit der Deutschen Rentenversicherung. Mit der Post war nämlich ein Stapel Unterlagen von dieser Behörde gekommen, datiert vom 16.10.2020: Diese Formulare möge ich bitte einige Tage vor Beginn meiner Reha am 7.10.2020 ausgefüllt einreichen. (Wieder eine Organisation, die das Raum-Zeit-Kontinuum zu überlisten versucht.) In der Gebrauchsanweisung des Anschreibens standen weitere sich widersprechende Anforderungen. Zum Glück hatte ich im Reha-Vortrag der Sozialstelle einige Hintergrundinfos bekommen, also pickte ich mir die Anweisungen heraus, die ihnen entsprachen.
Während ich dafür drei Maxibriefe fertigmachte, kam Herr Kaltmamsell heim. Es war großes Herzen und Küssen, ab sofort sind wir wieder ein Haushalt. (Dass er als Lehrer ein potenzieller Hochrisiko-Vireneinsammler ist, mussten wir ignorieren; die Alternative wäre, dauerhaft voneiander isoliert zusammenzuleben.)
Frischluft und Bewegung wollte ich auch an diesem Heimfahrttag (ab Donnerstag absolviere ich das Heim-Sportprogramm, dass mir die Rehaklinik ausgearbeitet hat), also zog ich gegen 15 Uhr auf eine kurze Krücken-Runde los (leerer würde es draußen eher nicht mehr im Lauf des Tages), durchgehend mit Maske. Kurzer Abstecher in einen fast leeren Drogeriemarkt. Krückengehen ging gut, weiter mit sehr erträglichen Heilungs-/Bewegungsschmerzen.
Zurück daheim richtete ich mir nach einem weiteren Schinkenbrot eine Möglichkeit des Beinhochlegens ein: Ich heizte mein Schlafzimmer und stapelte mir Kissen als Rückenpolster ins Bett. So war es fast so gemütlich wie in einem Bett mit hochstellbarem Kopfteil.
Nach fünf Wochen ohne freute ich mich auf Alkohol, dachte gründlich darüber nach, auf welchen ich am meisten Lust hatte. Es wurde ein edler Luxemburger Cremant zum Anstoßen mit Herrn Kaltmamsell.
Ich hatte allerdings bereits nach anderthalb Gläsern genug.
Fürs Nachtmahl hatte Herr Kaltmamsell auf meine Bitte den Spaghettikürbis aus dem letztwöchigen Ernteanteil aufgehoben.
Da er dann doch noch größer war als erwartet, teilten wir uns eine Hälfte, aßen sie mit Butter, Salbei, Frühlingszwiebeln, geriebenem Parmesan. Zum Nachtisch heimische und Schweizer Schokolade.
Gestern haben die Bundesregierung sowie die Regierungschefinnen und -chefs der Länder endlich härtere Maßnahmen zur Pandemie-Bekämpfung beschlossen, hier der Wortlaut. Kanzlerin Merkel hätte sie gerne schon vor zwei Wochen so oder ähnlich gehabt, bei dieser Gelegenheit die Entwicklung der Infektionszahlen exakt so berechnet, wie sie dann auch verlief und verärgert prognostiziert, dann werde man sich halt in zwei Wochen wiedersehen. (Ich stelle mir vor, wie sie gestern in der Videokonferenz wieder und wieder auf einer Tafel die arithmetischen Basics vorrechnete – bis alle kapierten, dass das Virus kein Verhandlungspartner ist, sondern der Gegner.)
Für mich heißt das unter anderem: Kein Schwimmen (Schwimmbäder werden geschlossen), kein Besuch bei meinen Eltern oder der Bruderfamilie noch sonstige Besuche oder Treffen, auch nicht mit meinem Lesekreis, Termine so legen, dass ich sie außerhalb der Stoßzeiten mit Öffentlichen Verkehrsmitteln erreichen kann. Ob meine Nach-Reha nächste Woche beginnt, hängt davon ab, ob diese ambulante Rehaklinik als Fitnessstudio eingeordnet wird oder als therapeutische Einrichtung. Ja, die wirtschaftlichen Auswirkungen auf einige Branchen sind wieder hart; doch zum einen umfassen die Maßnahmen diesmal weitreichende Unterstützungen, zum anderen ist derzeit gesamtgesellschaftlich die Eingrenzung der Pandemie vorrangig. Ich bin mir sehr bewusst, dass die Opfer, die ich bringen muss, im Vergleich mit den allermeisten anderen, lächerlich gering sind.
Journal Dienstag, 27. Oktober 2020 – Reha-Abschiedsrunden
Mittwoch, 28. Oktober 2020Zweite eher gute Nacht in Folge – das Muster ist gebrochen, hurra.
Draußen war es kalt und greislig geblieben, die umliegenden Berge bis weit nach unten schneebedeckt.
Frühstück Tee, vormittags aber Hunger: Getrocknete Aprikosen, Schokolade.
Die Abschlussuntersuchung des betreuenden Arzts war umfassend, es bestand echtes Interesse an meinem Befinden und meinen Fortschritten (anders als nach der Reha im Vorjahr).
Ein letztes Mal Lymphamat (pffffffffff-pschsch) mit Ausblick übern verhangenen Tegernsee.
Noch ein Vortrag, diesmal zu Stress – nichts Neues, wie die Referentin auch erwähnte. Guter Hinweis allerdings: Wir mussten alle am Arbeitsplatz eh gerade einiges umorganisieren, um Zeit für OP und Reha möglich zu machen, das sei doch ein idealer Zeitpunkt für Stress-mindernde Veränderungen.
Nach dem Vortrag war ich schlagartig so müde, dass ich mich eine halbe Stunde hinlegte – und tief schlief.
Als Mittagessen gab Falaffel (leider farblos und unknusprig) mit Gemüsecurry und Reis, davor Suppe, danach Nougatpudding.
Letzte Physiotherapie: Herr Physio überprüfte meinen Zustand, indem er mich Schaulaufen ließ (mehrfach auf dem Gang hin und her), auf dem operierten Bein stehen (auch mit geschlossenen Augen), Treppensteigen. Konnte ich alles zu seiner vollen Zufriedenheit. Dann gab’s noch eine Runde Rumdrücken. (Jetzt kann ich es ja gestehen: Es ist mir deutlich weniger angenehm, von einem fremden Physio-Mann angefasst zu werden als von meiner Anfasserin als fremder Frau. Eigentlich ist es mir sogar ausgesprochen unangenehm, und ich bin froh, wenn’s vorbei ist.)
Abschied von der Bewegungsschiene. Ich nutzte die halbe Stunde bis zum nächsten Termin für einen (wie schon am Vortag krückenfreien) Parkspaziergang in kalter, aber jetzt klarer Luft.
Der Termin war “Gangschule”. Auch in dieser Gruppenstunde wurden wir zum Schaulaufen aufgefordert, Herr Trainer wusste mir keinen Verbesserungsvorschlag zu machen. Ich musste auch Schau-Treppensteigen, was er kommentierte mit: “Wegen guter Führung entlassen.”
Vor dem nächsten Programmpunkt begann ich schon mal mein Bewegungscenter-Training, das ich sonst in der einen Stunde vor Schließung nicht geschafft hätte. Dann ein weiteres Mal Gehen unter Beobachtung, jetzt wieder auf dem aufpumpbaren Laufband mit Anti-Gravitation und Kamera. Diese Trainerin sah so lange hin, bis sie einen verbesserbaren Schlenker um die rechte Zehe zu entdecken glaubte, fand den aber aus anderer Kameraperspektive nicht mehr. Hier ging ich auch eine Weile bergauf, in Kombination mit der doppelten Hose kam ich ins Schwitzen.
Damit haben insgesamt vier verschiedene Fachmenschen mit vier verschiedenen Techniken mein Gangbild für in Ordnung erklärt, Haken dran. Schmerzen habe ich dabei schon noch um die Hüfte herum, doch die ordne ich nun wirklich als vorübergehende Trainigsschmerzen ein.
Abschließendes Training an Geräten und auf dem Boden, ich gab die Karte ab, die für mein Training programmiert worden war.
Auf dem Zimmer machte ich mich kurz frisch und zog mich um. An der Rezeption beglich ich meine Cafeteria-Rechnungen. Abendessen war ein Eiersalat mit viel Gemüse, davor Hühnerbrühe, dazu Butterbrot.
Abendunterhaltung YouTube-Filmchen (ich hatte noch nicht alle Folgen A Stitch in Time gesehen und lernte viel), Lesen.
§
Die Süddeutsche unterhält sich mit Mark Bryan, der sich so beschreibt:
Einfach ein heterosexueller, glücklich verheirateter Typ, der Porsches und schöne Frauen liebt und gerne High Heels und Röcke trägt.
“Weder Röcke noch Schuhe haben ein Geschlecht”.
Ich finde, das sieht super aus – ihm stehen Bleistiftröcke mit hohen Schuhen durchwegs besser als mir. Auf instagram folge ich schon lange einem weiteren Herrn, der überhaupt nicht einsieht, dass farbige Fingernägel, lustige Schuhe, bunte Strumpfhosen und Röcke Frauen vorbehalten sein sollen: Dr. Volker Göbbels – immer wieder sehr inspirierende Outfits (u.a., es ist kein so monothematischer Kanal wie der von Mark Bryan).
§
Jemand hat Merkel-GIFs für jede Gefühlslage gebastelt.
Journal Montag, 26. Oktober 2020 – Hochleistungsgenesen
Dienstag, 27. Oktober 2020Genug geschlafen in der Nacht, keine größere Pausen. Allerdings wird mir die Zeit hier lang, ich sehne mich sehr nach Zuhause.
Frühstück nur Tee, noch dreimal Schlafen bis Milchkaffee zum Frühstück. Kurzer Spaziergang im windigen Draußen, der Tegernsee schlug Wellen.
An meinen letzten beiden Reha-Tagen umfasst das Programm jeweils zehn und acht Termine, gestern beginnend um 9 Uhr.
Elektrotherapie (ein anderer Patient meldete sich dazu mit “Ich komme zum Aufladen.”), Pilates mit einem weiteren, durchwegs vergeblichen Versuch pilatig zu atmen (Trainerin und ich gaben unser Bestes, kamen aber einfach nicht zusammen), Wassergymnastik – die vielfältig ungünstig lag: Als ich mich dafür umziehen musste, wurde gerade mein Zimmer geräumt und gereinigt, und sofort im Anschluss war die Visite angesetzt, ich musste mich also nach dem Wasser in Turbogeschwindigkeit abduschen, eincremen, anziehen. Ich schaffte es, zwei Minuten vor dem Klopfen des Arzts an meine Zimmertüre fertig zu sein. Visite ereignislos, ich konnte nur weitere Fortschritte berichten.
Einzige Behandlungspause des Tages, ich trank mit Genuss einen Cappuccino. Dazu las ich auf meinem Rechner die Süddeutsche.
Mittagessen süß (Alternative wäre Schweineschnitzel unbekannter Herkunft gewesen): Apfelstrudel in Vanillesoße, vorher Salätchen.
Dann musste ich mich zügig zum direkt anschließenden ersten Nachmittagstermin begeben: Fango. Wieder verhinderte Entspannungsmusik genau dieses, aber ich hatte es schön warm.
Wichtigster Termin des Tages: Medizinisches Training einzeln, weil ich hier detailliert meine Bewegungsmöglichkeiten nach Heimreise erfragen konnte. Als Basis stellte mich Herr Trainer aufs Laufband mit Sensor-/Video-Analyse: Ich gehe praktisch symmetrisch, auch wenn er mich mit Gespräch und Sonstigem ablenkte. Beste Basis. Also:
– Krücken sind derzeit nur draußen auf längeren Strecken ratsam.
– Crosstrainer ist ok, er stellte mich gleich mal für zehn Minuten auf einen und war zufrieden. Mit zehn Minuten soll ich auch anfangen. (Er hat nicht dazugesagt, wie oft zehn Minuten am Tag.)
– Über Fahrradfahren redeten wir eingehend unter Berücksichtigung meiner konkreten Umstände. Ergebnis: Erst mal keine gute Idee im Stadtverkehr. Ich muss mich wenden und verdrehen, kann durch Verkehrslage zu abrupten Bewegungen gezwungen werden. Besser noch ein paar Wochen warten.
– Schwimmen (Kraul ohne Abdrücken bei Wende) ist ok, noch besser allerdings Aquajogging. Ich werden mich nach Möglichkeiten umsehen.
– Gymnastik ist ausdrücklich gewünscht, ich werde eine Aufstellung von Übungen für daheim bekommen.
Nach einer Gymnastikrunde gab es manuelle Lymphdrainage, wir einigten uns auf eher Massage, die sehr gut tat. Anschließend Bewegungsschiene, ich nutzte die Untätigkeit für Erledigungen über Smartphone (Terminierung der Lieferung der im August gekauften Matratze/Lattenrost, Vereinbarung Pediküre). Denn dann wurde es wieder intensiver: “MTT ADL Beine” – Details und Übungen zu Alltagsbewegungen. Was mich ungemein freute: Auch hier tauchte Joggen als Sport mit mittlerer Belastung auf, den man sechs Monate nach Hüft-OP durchaus treiben kann. Vielleicht gibt es für mich nicht nur eine Vergangenheit, sondern auch eine Zukunft als langsamste Joggerin entlang der Isar.
Schlusstermin “Med. Training”, ich radelte trocken und trainierte dann Oberkörper und Bauch. So kurz vor Schließung war ich im Sportraum fast allein, sehr angenehm.
Kurzes Frischmachen auf dem Zimmer, raus aus den Sportklamotten, Beine hochlegen. Zumindest hatte ich keine Gelegenheit für Nachmittagshunger gehabt.
Zum Abendessen gab’s Fenchel-Orangen-Salat mit Fetawürfelchen, dazu Butterbrot. Der Tag war so voll gewesen, dass ich mich an die Wassergymnastik als gestrig erinnerte und verwundert war, weil ich einen jetzt getrockneten Bademantel wegräumen musste.
Draußen war das Wetter mittlerweile ausgesprochen greislich geworden: Seit Mittag regnete es, die Kälte machte ein Umschlagen in Schnee wahrscheinlich.
Die Entwicklung der Corona-Infektionszahlen lässt mich innig Winterschlaf wünschen: Irgendwo warm einmummeln und schlafen, im März wieder aufwachen.
Journal Sonntag, 25. Oktober 2020 – Herbstpracht am Tegernsee
Montag, 26. Oktober 2020Ich schlief die Zeitumstellungsstunde tatsächlich zusätzlich und insgesamt auch gut. (Bin ganz kurz davor, auch auf der operierten Seite liegen zu können.)
Blauer Himmel, strahlender Sonnenschein.
Ich hatte sogar einen Termin: Medizinisches Training im Bewegungscenter. Ich kostete ihn anderthalb Stunden aus, mit einer langen abschließenden Bodenphase, ein paar zusätzliche Bauchübungen unter Freunden. Das alles übrigens, das hatte ich noch nicht erwähnt, immer in Mund-Nase-Bedeckung, auch auf dem Ergometer.
Sehr gutes Mittagessen:
Knusprige Rote-Bete-Taler, Mischgemüse, ein Kürbis-Kartoffelstampf mit schmeckbar viel Butter; Nachtisch Ananas-Cocos-Mousse.
Gleich im Anschluss nutzte ich das herrliche Wetter für einen Spaziergang entlang dem Tegernsee – und schwitzte fürchterlich: Es war viel zu warm für meinen Janker überm T-Shirt, doch ich konnte ihn nicht um den Bauch binden, weil ich dann zu breit für die Krücken war.
Äpfel, ungeerntet.
Zurück im Zimmer legte ich die Beine hoch und las Alicia LaPlante, Turn of Mind.
Später in der Cafeteria Kaffeundkuchen in Form eines Kännchens Roibusch-Tee und eines großen Stücks Käse-Aprikosen-Kuchen, das fühlte sich sehr sonntäglich an.
Mehr Lesen mit hochgelegten Beinen, immer wieder öffnete ich die Fenster, bis mir zu kalt wurde.
Abendessen: Gemüsecremesuppe, Frischkäse-Aufstriche Oliven, Sardellen, Lachs mit Brot. Zur Abenunterhaltung schaute ich auf Arte The Queen, bis ich gegen zehn müde wurde.