Archiv für Oktober 2020

Journal Samstag, 24. Oktober 2020 – Klinikweihnachten und Celeste Ng, Little Fires Everywhere

Sonntag, 25. Oktober 2020

Im Wechsel eine Nacht mit Schlafpause, in der ich Celeste Ng, Little Fires Everywhere auslas, bis zum Schluss gerne (Details siehe unten).

Frühstück nur mit Tee. Auf jedem Platz lag ein Blatt mit Infos zur Verschärfung der Corona-Maßnahmen in der Klinik: Ab Montag ist gar kein Besuch mehr erlaubt, und es wird nochmal darum gebeten, das Klinikgelände wirklich nur notfalls zu verlassen. Da ich mitbekommen habe, dass viele Patientinnen wochenends auswärts Essen gehen, beziehe ich das nicht auf meine Spaziergänge ohne jeden Menschenkontakt. Auffallend: Seit Einrücken in die Klinik vor dreieinhalb Wochen verzeichnete die Corona-Warn-App keine einzige Risikobegegnung.

Termin am Stationszimmer: “Gewicht” (unverändert seit Aufnahme). Ich drehte eine kleine Runde im Klinikpark unter düsterem Himmel, bevor der vorhergesagte Regen einsetzte.

Einziger medizinischer Termin des Tages: Bewegungsschiene.

Da ich ein Packerl erwartete, hatte ich morgens an der Rezeption danach gefragt. Da war es noch nicht da, aber kurz vor zwölf klopfte es an meiner Zimmertür und ein Angestellter brachte es.

Frau Brüllen hatte Weihnachten gespielt: Nie wieder Nachmittagshunger! Nie wieder einsame Vollbäder! Nie wieder kalte Füße! Neben Schoko- und Nougatriegel bin ich jetzt mit Ovo Rock und Cola Frischli (gnihihi) ausgestattet, das Fondue-/Raclette-Gewürz setzt baldigst ein Käsefondue auf den Speiseplan. Ich freute mich ganz arg.

Bis Mittag beschäftigte ich mich mit der Wochenend-Ausgabe der Süddeutschen (und Nougat).

Mittagessen: Brokkolisuppe, Gemüsestrudel mit Schwammerlsoße, Himbeerkuchen.

Anschließend war ich Siesta-schwer und legte mich ein bisschen hin. Als ich aufwachte, regnete es nicht mehr, ich verließ das Haus für einen Spaziergang mit Krücken entlang des Söllbachs. Ein paar Minuten befeuchtete mich dazwischen Regen der Qualität Gischt, aber am Ende des Stündchens sah ich sogar blauen Himmel.

Nachmittagsunterhaltung: Ich sah mir endlich den eingemerkten Dokumentarfilm I am not your Negro von Regisseur Raoul Peck an, der auf einem Textmanuskript des amerikanischen Schriftstellers James Baldwin basiert. Mir gefiel sehr gut, wie Baldwins Gedanken zum Rassismus in den USA in den Mittelpunkt gestellt wurden, weil das sehr kluge Gedanken sind. Wenn Sie auch möchten: Hier steht der Film zur Verfügung.

Zum Abendessen gab es nach einer Suppe Tomaten mit frischem Basilikum und Mozzarella – zum Glück Kirschtomaten, die nicht in der Kühlung getötet worden waren. Dazu Butterbrot, ich wurde wieder satt.

Den Abend vertrieb ich mir mit weiteren lang eingemerkten YouTube-Filmchen, unter anderem diesem Vortrag von Michaela Coel, einer britischen Comedian.

Im Bett begann ich eine neue Lektüre: Alicia LaPlante, Turn of Mind.

Celeste Ng, Little Fires Everywhere gefiel mir gut. Der US-Suburbia-Roman ist wohl ein eigenes Genre, mir fallen als Vertreter ein Richard Yates und Evan S. Connell, Mrs Bridge. Klassischerweise werden darin Lebensmodelle hinterfragt, so auch hier. Die zwei einander gegenübergestellten sind: Zum einen die weiße Familie Richardson, die in Ohio in der etablierte Siedlung Shaker Heights leben, wohlhabend, vier jugendliche Kinder, zum anderen die junge Künstlerin Mia und ihre Teenagertochter Pearl, denen die Richardsons eine Wohnung in einem schlichteren Siedlungshaus vermieten. Dass das Ganze nicht gut ausgehen wird, setzt gleich mal der Beginn des Romans: Eine Richardson-Tochter wird am Ende ihr Elternhaus in Brand gesetzt haben.

Ich fand das Buch wirklich gut gemacht, weiß aber nicht, ob ich mir den sense of doom, der als dunkle Wolke über der Geschichte hing, nur einbildete – vielleicht geprägt von all den anderen Suburb-Romanen. In diesem Fall endeten die Dinge nicht halb so katastrophal, wie ich befürchtet hatte. Nur eine strukturelle Mäkelei, und die ist lediglich mein persönlicher Geschmack: Die Motivation und Psychologie hinter den Handlungen der Figuren wurden mir fast immer explizit erklärt (telling statt showing), mir ist es lieber, wenn diese Dinge meiner Interpretation überlassen werden.

Journal Freitag, 23. Oktober 2020 – Flashbacks an Schulzeit

Samstag, 24. Oktober 2020

Eher gute Nacht, ich nehme sie, wie sie kommen.

Die Münchner Nach-Reha-Einrichtung hatte um die Verordnung gebeten, ich hatte sie beim Gegenzeichnen in meinem Zimmer fotografiert und schickte die Bilder.

Der Reha-Tag startete mit einem Vortrag “Ergother. Gr. ADL.” (letzteres Activities of Daily Living) mit Alltagstipps nach Hüft-OP: Ganz ausgezeichnet und kompetent – nur dass ich diese Infos gleich am Anfang meiner Reha hätte brauchen können. Waschen, eincremen, anziehen habe ich halt irgendwie hingekriegt mit der zentralen Auflage, das Becken nicht mehr als 90 Grad zu beugen, dabei gibt es dafür Hilfe. Die Referentin wusste um die oftmals terminliche Schieflage, bat um Beschwerde auf dem Feedbackbogen.

Auf Fußstatik ein paar Tage zuvor folgte Fußdynamik als Gruppengymnastik, ich nahm mir Regelmäßigkeit vor.

Zeit für einen Krückenausflug bei mildem, schönen Wetter in die Umgebung.

Wasserbüffel. Auch wenn hier Tegernsee ist.

Unterwegs erreichte mich der Anruf der Nach-Reha-Einrichtung, ich vereinbarte gleich mal den ersten Termin für Untersuchung und Einführung Anfang November.

Zum Mittagessen gab es Gnocchi mit Tomatensoße, davor Salätchen, danach Erdbeerquark.

Physio-Termin, es gab einiges Schmerzhaftes um die Hüfte wegzudrücken. Bewegungsschiene im Anschluss.

Letzter Termin des Tages war Wassergymnastik. Der Trainer ließ uns zu den Gehübungen Dinge mit den Armen und Styroporscheibchen machen – zum ersten Mal fror ich nicht im Wasser.

Die Physio- und Sportabteilung hat sehr viele Angestellte, bislang wurde noch jede Gruppeneinheit von einer/einem anderen geleitet. Das bedeutet, dass ich täglich mehrfach Flashbacks an meine Schulzeit habe, denn zu Beginn wird die Anwesehnheit der Teilnehmenden durch Vorlesen der Namen geprüft. An der Stelle mit *Zögern, Zögern*, *Tief Luftholen* oder “Oh Gott, wie spricht man das denn aus?!” sage ich, wie halt zu Schulzeiten: “Das bin ich. Gutiérrez.” Übrigens als einzige, die Behandelten sind nicht entfernt so divers wie die Angestellten. Ich wünsche mir weiterhin einen Fußballspieler meines Namens in der Männermannschaft von Bayern München, bitte. Dann hätte das für zumindest die nächsten zehn Jahre ein Ende. (Der Name ist wirklich nicht kompliziert. Wenn ich mich in der Arbeit am Telefon damit melde, sprechen mich 70 Prozent der Anrufenden im Lauf des Gesprächs problemlos damit an.)

Diesmal hatte ich zur Überbrückung einen Snack auf dem Zimmer: Müsliriegel und Apfel vom Frühstück.

Zum Abendessen gab es Matjes mit Kartoffeln, vorher Suppe, dazu Vollkornbrot. Wieder wurde ich angenehm satt.

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Nachruf der Süddeutschen auf ihre Feuilleton-Sekretärin:
“Zum Tod von Judith Silberer”.

Journal Donnerstag, 22. Oktober 2020 – Erste Pläne für danach

Freitag, 23. Oktober 2020

Turnusmäßig eher schlechte Nacht.

Der Tag startete mit Blutabnahme; dieser abnehmende Arzt hinterließ zumindest keinen riesigen blauen Fleck auf dem Arm wie der Herr bei der Aufnahme.

Gruslige Entdeckung auf dem Weg ins Arztzimmer: Hier sind sogar die Krankenzimmermöbel verzirbelnusst.

Das Wetter war morgenkalt, aber schön, nach dem Frühstück (nur Tee) spazierte ich noch ein wenig durch den Klinikpark.

Der Springbrunnen war bereits eingewintert.

Vormittagsprogramm: Pilates, Lymphamat, kurze Visite.

Ich genehmigte mir einen Cappuccino, dessen Koffein mir allerdings nicht besonders gut tat, sondern mich zittrig und unleidlich machte.

Mittagessen Spinatknödel in Tomatengemüse – letzteres überdeckte leider jeglichen möglichen Spinatgeschmack. Zum Nachtisch Birnenkompott.

Arztgespräch zum Wie geht’s weiter. Das Prinzip Nach-Reha/IRENA kannte ich ja schon vom vergangenen Jahr, allerdings möchte ich nicht wieder in dieselbe traurige Nach-Reha-Klinik und hatte schon eine Alternative in Nord-München recherchiert. Die meldete sich auf meine Anfrage-Mail sofort zurück: Ja, hat Platz.

Das Nachmittagsprogramm startete mit Bewegungsschiene und Fango, Sporteinheit als letztem Termin – ich konnte mir also viel Zeit lassen und alle Übungen machen.

Nochmal zu Kleidung: Unter anderem habe ich zwei der drei klassischen Baumwoll-T-Shirts mit Spruch drauf in meinem Besitz dabei (gibt es dafür eine Bezeichnung in Abgrenzung zu T-Shirts, die einfach farbig oder geringelt sind? Band-Shirt?), um sie hier aufzutragen. Stellt sich heraus: Selbst an Kraftgeräten trage ich lieber Funktionskleidung, ich werde sie wohl ausmisten.

Auch gut an dem relativ späten Sporttermin: Der Hunger, den ich wieder zwischen vier und fünf bekam, war nicht so schlimm. Fünfeinhalb Stunden zwischen Mittag- und Abendessen sind für meinen Essrhythmus einfach zu lang. Ich stürzte mich aufs Abendbrot: Suppe, dann Käseplatte mit Trauben und Brot, es war reichlich.

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Ein erleichternder Beschluss des Münchner Stadtrats (war immer wieder Thema in Bürgerversammlungen):
“3000 Radl-Parkplätze für den Hauptbahnhof”.

Mich verdutzt allerdings eine Rechtslage, die offensichtlich die Deutsche Bahn nicht nur von der Verpflichtung befreit, Radabstellplätze an einem Großstadtbahnhof bereitzustellen, sondern ihr sogar ermöglicht, dafür von der Kommune ordentlich Miete zu kassieren.

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Johnny Häusler und Familie wohnen in Berlin und mussten nach der Corona-Infektion einer der Söhne die zugehörige Bürokratie durchspielen:
“Erkenntnisse aus zwei Wochen Corona-Quarantäne mit der Familie”.

Journal Mittwoch, 21. Oktober 2020 – Vorträge und Erkenntnisse

Donnerstag, 22. Oktober 2020

Im Wechsel eine gute Nacht, schön.

Nur Tee zum Frühstück, es ging gleich mit Sport los: Da ich fürs Training im Bewegungscenter nur eine Stunde zur Verfügung hatte, ließ ich diesmal die Oberkörpermaschinen weg und konzentrierte mich auf Hüfte und Bauch. Erkenntnis: Ich brauche mich gar nicht kellerkindlich zu fühlen, weil ich als fast einzige in alter, abgeschraddelter Sportkleidung rumlaufe (einige Teile nutze ich seit 15 Jahren), fast alle anderen blitzend schicke, neue tragen – es belegt in erster Linie, dass ich schon immer diese Art von Sport treibe, so manche Patientin, so mancher Patient das in der Reha-Klinik zum ersten Mal tut.

Vortrag Ostheoporose: Knapp und interessant, unter anderem erfuhr ich, dass in Saudi Arabien (Heimat des referierenden Arzts) eine große Mehrheit der Bevölkerung unter Vitamin-D-Mangel leidet, weil dort zwar die zum Aufbau nötige Sonne scheint, aber zu heiß ist, als dass man sich ihr aussetzt. Auf der Liste von Risikofaktoren zu ersten Mal bei welcher Erkrankung auch immer gesehen: “Untergewicht” (Übergewicht tauchte ausgesprochen nicht auf).

Genug Zeit bis zum Mittagessen, dass ich in milder Luft, nur mit Pulli auf eine Spazierrunde mit Krücken außerhalb der Klinik gehen konnte: Den Söllbach ein Stück hinauf nach Altwiessee, es idyllte massiv. Ich freute mich über die vorbildliche Hundebesitzerin, die den unangeleinten Wauzi beim Entgegenkommen mit einer Geste an ihrer Seite behielt, sich dabei auf ihn konzentrierte und mich nur für einen kurzen Gruß ansah. (Zwar fürchte ich mich nicht vor Hunden, hätte ihn auf diesem schmalen Weg aber wirklich nicht zwischen meinen Krücken haben wollen.)

Ich beendete den Gang früher als geplant, weil ich zittrig wurde, ließ deshalb auch den eigentlich möglichen Cappuccino bleiben und legte statt dessen im Zimmer die Beine hoch.

Das Mittagessen schmeckte mir ausgesprochen gut:

Weiße Bohnen in Tomate, weich gebratene Auberginenscheiben, Basilikumsauce, Grilltomate. Davor Salätchen, danach Grießpudding.

Das Nachmittagsprogramm startete mit Physio, ich ließ mir beim Muskellösen weh tun (das kenne ich ja von meiner Anfasserin). Dann passive Bewegung mit Schiene, im Anschluss nochmal ein Vortrag: Diesmal ging es um Hintergrund und Nachbehandlung von endoprothetischen Hüft- und Knie-OPs, sehr lieblos abgehandelt. Interessant hätte ich den Inhaltspunkt “Sexualität” gefunden, doch darüber ditschte die Referentin nur kurz hinweg und bot dazu ein Handout an. (Selbstrecherche ergab: Die einen sagen so, die anderen so, spannend vor allem, dass anscheinend nach OP-Methode unterschieden wird, was Frauen ab wann dürfen. Laut männlichen Experten.)

Programmabschluss Wasserturnen. Herr Physio hatte auf meine Frage gemeint, Kraulschwimmen mit minimalem Beineinsatz dürfe ich, das probierte ich also gleich ein bisschen aus. Ja, geht. (Metermachen/Kachelnzählen heben ich mir natürlich noch die eine oder andere Woche auf.)

Weil ich mich auf Twitter damit brüstete zu wissen, wie man das englische “sarcophagi” korrekt ausspricht (Lebensleistung), wurde wild mit im Englischen absurd ausgesprochen Begriffen um sich geworfen. Mein absoluter Favorit, den ich noch nicht kannte: “Thermopylae”. (Klick auf Link führt zur Möglichkeit, sich das vorsagen zu lassen.)

Ich erinnerte mich sehr an die ersten Tage meines Auslandssemesters an der Universität in Swansea, Wales. In der Vorlesung Literaturtheorie verstand ich jedes dritte Wort nicht: Es handelte sich offensichtlich um Fachbegriffe mit lateinischem oder altgriechischem Ursprung, die hier völlig bescheuert ausgesprochen wurden. Ich verlegte mich darauf, lautmalerisch mitzuschreiben, reverse engineering anhand üblicher englischen Ausspracheregeln zu betreiben und so auf die wahrscheinlichste Annäherung zu kommen. Meist kannte ich das Wort dann doch.

Die Zeit bis zum Abendessen wurde meinem Hunger sehr lang, ich hatte aber keine Lust auf Nüsschen oder Trockenfrüchte. Auch das Abendessen war dann hervorragend: Es gab Tsatsiki, dazu viel frisch gebratene Paprika, Oliven.

Abenunterhaltung Telefonate und Romanlesen.

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Ein Kapitel Internet-Geschichte: Wie der Informatiker Werner Zorn (damals Angestellter der Uni Karlsruhe) 1987 China ins Netz bastelte – und die heutige Online-Weltmacht ermöglichte.
“Wie das Internet nach China kam”.

Journal Dienstag, 20. Oktober 2020 – Routinetag in der Reha

Mittwoch, 21. Oktober 2020

Dann halt wieder eine Nacht mit Schlafpause. Gegen halb drei war klar, dass das mit dem Wiedereinschlafen nicht klappen würde, ich las eine Stunde.

Frühstück nur Tee mit Milch, allerdings brauchte ich um zehn eine Hand voll Nüsse.

Das Tagesprogramm startete mit “Vortr. Sozialberatung”: Im Gegensatz zu dem Vortrag vergangenes Jahr in Bad Steben ganz ausgezeichnet und praxisnah. Ich weiß jetzt unter anderem, was ich an Bürokratischem warum im Anschluss an die Reha tun muss, schließlich werde ich noch eine Weile arbeitsunfähig sein. Und das Thema “Grad der Behinderung” wurde viel kürzer abgehandelt, dafür mit den wichtigsten Kernaspekten pro und contra und ohne dass Schwerbehinderung die Note einer Karriereoption bekam.

Nächste Behandlung manuelle Lymphdrainage ohne Grund, passte zur darauf folgenden Bewegungsschiene.

Als Mittagessen gab es gebratenen Tofu mit Sommergemüse in Tomate und Reis, davor Lauchsuppe (meine ist besser), danach eine Nougatcreme. Ich wurde gut satt.

Nach ein bisschen Elektrotherapiebitzeln drehte ich eine Gymnastikrunde im Sportraum, schonte meine Hüfte, konzentrierte mich auf Oberkörper und Bauch. Die anschließende Fango-Wärme fühlte sich genau richtig an.

Abschluss des Tagesprogramms war “Gangschule”; die Trainerin ging mit uns aus der Sporthalle raus – darauf war ich in kurzen Ärmeln nicht vorbereitet, trotz des ganztägig schönen Wetters fror ich.

Ich nutzte die Zeit bis zum Abendessen für eine weitere Maschine Wäsche; zwar wäre ich mit der vorhandenen Ausstattung schon auch durchgekommen, hätte aber zu nicht so gemochten Stücken greifen müssen. Dummerweise tat der Wäschetrockner seinen Dienst nicht ganz: Am Ende des Durchgangs war die Wäsche noch feucht, ich musste sie in meinem Zimmer zum Trocknen drapieren.

Abendessen war ein Gerstenrisotto, ich aß eine Buttersemmel dazu. Im Zimmer legte ich die Beine hoch, an ein Bett mit aufstellbarem Rückenteil könnte ich mich langfristig gewöhnen, ziehe ich für den nächsten Lattenrost- und Matratzenwechsel in 20 Jahren in Betracht.

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Wie Virologin und Sars-CoV-2-Expertin Isabella Eckerle ihren Alltag der Zweiten Welle anpasst.
“Dieser Winter noch”.

Wir alle sind ein Teil dieser zweiten Welle.

Journal Montag, 19. Oktober 2020 – Ungewohntes Wasser

Dienstag, 20. Oktober 2020

Das gestrige Therapieprogramm enthielt unter anderem fünf Sport-Einheiten; nach der Erschöpfung allein schon durch Spazierengehen war ich gespannt, was das mit mir machen würde. Ergebnis: Gar nicht so schlimm, war wohl eine andere Art Belastung.

Ich hatte gut und vor allem lang geschlafen. Obwohl ich Sonntagabend schon um halb zehn in tiefen Schlaf gefallen war, stellte ich nachts den Wecker auf sieben vor – und hätte auch dann noch gerne weiter geschlafen.

Zum Frühstück nur Tee, ich hatte keinen Hunger – so kenne ich mich.

Das Programm begann passiv mit der doofen Bewegungsschiene, aber dann ging’s ziemlich aktiv weiter, nämlich mit Pilates (bei einem Trainer, der keine Atem-Unmöglichkeiten forderte) und einer Stunde freier Reha-Gymnastik.

In der Visite sprach ich meine Schmerzen an. Der Arzt untersuchte mich mit Heben und Drücken, stellte fest, dass das Hüftgelenk selbst in Ordnung sei, es sich um reine Muskelschmerzen handle, die er auf die ungleiche Belastung zurückführte. Das Pflaster kam weg, ich konnte meine Narbe ausführlich ansehen (noch ziemlich gruslig).

Ich freute mich über Zeit und Gelegenheit für einen Cappuccino.

Trotz Sonnenschein draußen graue Schatten auf dem Gemüt.

Mittags mit wenig Appetit Nudeln mit Genüsesoße und ein wenig Salat gegessen, auf den Krapfen zum Dessert hatte ich überhaupt keine Lust.

Lymphamat im 3. Stock, das beste daran die sonnige und herrliche Aussicht auf den Tegernsee.

Einzelstunde Reha-Gymnastik. Ich schilderte wieder meine Beschwerden, bekam gezielte Dehn-Übungen. Und den Rat, nie über die Schmerzgrenze hinaus zu sporteln, darauf bitte auch im ersten Wassertraining zu achten, auf die ich mich so freute. Heilen zieht wohl wirklich viel Energie, meine Erschöpfung nach ein bisschen Spaziergang sei ganz normal.

Auch in der Einzel-Physio thematisierte ich meine Schmerzen, Herr Physio stellte sich darauf ein. Er ließ mich abschließend auf einem Bein stehen, auch auf dem operierten: Kein schiefes Becken, die Kraft ist voll da, das wird.

Die ersehnte Wassergymnastik war dann sehr seltsam. Wasser ist ja meine enge Freundin seit meinem Säuglingsschwimmkurs, und so lockte es mich beim Hineinsteigen wie gewohnt mit: Schwimm mich! Spiel mit mir! Doch das durfte ich ja nicht, ich musste die körperliche Vertrautheit ähnlich vehement abwehren wie die mit Herr Kaltmamsell am Samstag. Die Gymnastik war dann nett (wir waren nur zu zweit plus Trainerin, um uns zogen ein paar Patientinnen und Patienten Bähnchen), und das wehe Hüftgelenk wackelte genug, um den Respekt aufrecht zu erhalten.

Nicht vergessen hatte ich die Kehrseite der so angenehmen Wassergymnastik: Für 25 Minuten Bewegung derselbe Rundum-Terz wie für anderthalb Stunden Schwimmen, also vorher umziehen und duschen, nachher den Chlorgeruch abschäumen, duschen, haareföhnen, eincremen, nassen Badeanzug und feuchten Bademantel irgendwo zum Trocknen drappieren. In dieser Rehaklinik kommt ein langer Weg zum Schwimmbad dazu: Zwar konnte ich den in Bademantel und Schlappen diskret über das Untergeschoß zurücklegen, also durch Turnhallen und die Gänge dazwischen statt durch Cafeteria und Foyer – begegnete in diesem Aufzug allerdings immer noch viel zu vielen Nicht-Schwimm-Menschen für meinen Geschmack.

Zum Abendessen hatte ich dann doch Hunger – eigentlich sogar davor, ich musste mit Nüssen und Trockenaprikosen überbrücken. Es gab Kartoffelsuppe und griechischen Salat, wieder bedauerte ich die armen Tomaten, die in der Kühlung Geschmack verlieren, dafür Pappkarton-Konsistenz annehmen mussten.

Start einer neuen Lektüre: Celeste Ng, Little Fires Everywhere.

Vielleicht sollte ich erleichtert sein, dass 2020 für mich nicht nur aus Corona besteht. Sondern auch aus #ProjektneueHüfte.

Auch wenn ich es hier nicht notiert habe: Mich beunruhigt die rapide ansteigende Zahl von Corona-Infektionen in Europa, in Deutschland, in München. Theoretisch wusste ich zwar, dass wir noch viel Pandemie vor uns haben und es noch viele Monate bis zu einem Nachher ist. Doch ganz praktisch fürchte ich mich jetzt in der zweiten Welle vor apokalyptischen Zuständen mit vielen Betroffenen und Toten ersten Grades (also wegen Covid-19) und zweiten (wegen anderer Erkrankungen, die ein überlastetes Gesundheitssystem nicht mehr auffangen kann). Und mich bedrücken die Einschränkungen des Alltags auch ohne Lock-down: Keine Ausflüge, keine Besuche bei Freunden und Familie, jeder Schritt außer Haus erfordert Abwägung, keine langfristige Planung.

Journal Sonntag, 18. Oktober 2020 – Sonniger Tegernsee und Mary Wesley, The Camomile Lawn

Montag, 19. Oktober 2020

War eine gute Nacht, allein schon das Kissen half.

Kein Regen, also Spaziergang nach dem Frühstück im Park. Seit ein paar Tagen sind die Wiesen voller Tintlinge.

Zu meiner Beruhigung ging das Gehen besser. In den beiden Tagen davor schmerzten mich viele Bewegungen (evtl. wegen Verringerung der Schmerzmittel?), so dass ich wieder humpelte – ich kann nicht an einem symmetrischen Gang arbeiten, wenn er mir Schmerzen bereitet.

Ausführliche Runde im “Bewegungscenter”, draußen ließ sich die Sonne immer deutlicher sehen.

Mittagessen waren ausgezeichnete Kaspressknödel (wenn auch Kugeln und nicht flach) in einem Butter-See, dazu Mais-Karotten-Salat, danach Weiße-Schokoladen-Mousse.

Kurzes Verdauungsschläfchen, dann zog es mich raus in die Sonne. Ich spazierte, so weit möglich am Ufer entlang, Richtung Bad Wiessee.

Nicht abgebildet: Haubentaucher, die ich einige Male entdeckte.

Der oben abgeflachte Berg ist der Wallberg, auf dem ich die beiden Skiwochen meiner Gymnasialzeit verbracht habe, untergebracht im Wallberghaus. Aber nichts an der hiesigen Umgebung ruft Erinnerungen hervor.

Der Söllbach, der direkt am Klinikgelände vorbeifließt.

Zum Abendessen hatte ich bereits die zweite Hälfte Radicchio mit Schimmelkäse als ersten Gang gehabt, im Restaurant gab es Reis mit Gemüsecurry. Jetzt ging ich wieder beschwerlich und von Schmerzen gestört, ich werde mich mit dem Physio-Team darüber unterhalten.

Mary Wesley, The Camomile Lawn ausgelesen. Innerhalb von zwölf Monaten der dritte englische Roman, der unter jungen Leuten um den zweiten Weltkrieg spielt (die anderen beiden waren Judith Kerr, Bombs on Aunt Dainty und Nancy Mitford, The Blessing) – ich glaube, das Thema kommt in England gut an. Diesmal sind die jungen Leute Kusins und Kusinen aus der upper middle class (will heißen: sowas wie Lebensunterhalt wird nie erwähnt, alle wohnen so großzügig, dass sie jederzeit die anderen unterbringen können), und London im Krieg ist eine einzige Party. Oberflächlichkeit wird gefeiert, dennoch sind die Figuren als liebenswerte Charaktere gezeichnet. Neben ihnen spielen auch Flüchtlinge aus Deutschland eine Rolle, doch vor allem als pittoreskes Detail. Verwoben in die Handlung der Kriegszeit sind Kapitel, die 40 Jahre später spielen: Die Protagonistinnen von damals auf dem Weg zur Beerdigung einer der Hauptfiguren, im Gespräch mit der nächsten Generation. Das ist erzähltechnisch hervorragend gemacht, denn in diese Gesprächen stecken wichtige Informationen für die Haupthandlung, inklusive ihrer Interpretation im Nachhinein. Ich las das Buch sehr gern, doch mein Liebling ist die Perspektive von Judith Kerrs Roman im Flüchtlingsmilieu, in dem die kleinen und großen Kämpfe ums alltägliche Überleben eine Rolle spielen.

§

Gespräch mit Prof. Christian Drosten u.a. darüber, warum er sich sehr früh für öffentliche Sichtbarkeit entschieden hat, was er über Medien und Kommunikation gelernt hat (er vergleicht die Rolle der Medien mit der eines Medikaments).

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https://youtu.be/B_DTWtwhlBA