Archiv für Oktober 2020

Journal Samstag, 3. Oktober 2020 – Langsam aufwärts

Sonntag, 4. Oktober 2020

Stückerlweise ging die Nacht zu Ende, ohne weitere Abenteuer. Als ich beschloss, dass jetzt Morgen war, fühlte ich mich deutlich besser, aber immer noch schwummrig. Ich stand sehr nicht allein auf.

Der Vormittag war geschäftig:
– Frühstück (ich hatte auf den Tipp einer Pflegerin statt des Menü-Frühstücks Müsli, Joghurt, Obst bestellt, aß auch Joghurt und ein paar Löffel Müsli – spekulierte aber gleichzeitig, wie das wohl erbrochen aussehen würde)
– Pflegerin, die Temperatur und Blutdruck maß (mir daraufhin gleich mal die Blutdrucksenker aus meiner Tablettenschiene entfernte, niedriger solle er heute wirklich nicht werden)
– Arztvisite (leider kein Bild für mich, die Nachher-Aufnahme meiner Hüfte war aus irgendwelchen Gründen im falschen Stockwerk gelandet)
– Blutabnahme (ich fragte nach der Analyserichtung: Hämoglobin, Niere, Leber, um die Folgen der Narkose zur überprüfen)
– Physiotherapeutin, die mir erste Übungen im Bett zeigte, mich auf die Beine stellte (kein Übergeben! tapferer Kreislauf) und ins Bad brachte, wo ich ein wenig Morgentoilette machte und das Klo nutzte (Klogehen ist so super! ein völlig unterschätztes Vergnügen)
– Pflegerin, die mein gelbes OP-Bein wusch, mich zurückbrachte, mein Bett frisch überzog (das ich ja jetzt nicht mehr mit OP-Gelb versauen konnte) und mich mit Bewegungsanweisungen für den Tag versorgte

Noch ein wichtiger Punkt, der für diese hochprofessionelle Spezialklinik spricht: ganz viele Steckdosen auf dem Krankenzimmer. Nachdem ich zunächst immer an der einen bodennahen Steckdose neben der Tür abwechselnd geladen hatte, nutzte ich jetzt die Steckdosen über dem Krankenbett. Sollten sie tatsächlich für medizinische Geräte gebraucht werden, kann man Handy und Laptop wohl leicht ausstecken.

Mittags hatte ich Hunger. Die recht salzige Karotten(?)suppe ließ ich stehen, aß ein paar Gnocchi mit Käse-Salbei-Soße, Salätchen und eine Orange. Und trank nach Herzenslust Wasser, jetzt durfte ich ja allein aufs Klo.

Ruhiger Nachmittag mit Schläfchen und Zeitunglesen auf dem Laptop, während draußen der Landregen rauschte. Anweisungsgemäß machte ich immer wieder meine Übungen; während ich fast keinen Ruheschmerz hatte, war jede Bewegung natürlich ausgesprochen schmerzhaft.

Ich hatte mittags wohl nicht genug gegessen, denn mein Magen knurrte bereits lang vor Abendessen. Dafür hatte ich von der Bestellung aufnehmenden Pflegerin am Donnerstag den Tipp bekommen, dass man neben den Gerichten auf dem Speiseplan (sowohl für Mittag als auch für abends drei zur Auswahl) auch einen Salatteller haben könne – das war gestern Abend genau das Richtige.

Früh Licht aus zum Schlafen, die Beweglichkeit der operierten Seite stieg merklich. Erleichterung, dass ich die Erlaubnis zur Seitenlage links bekommen hatte. Allerdings musste ich doch nochmal nach der Nachtpflegerin klingeln: Die Schmerzmittel reichten nicht bis in die Nacht.

Journal Freitag, 2. Oktober 2020 – Der OP-Tag

Samstag, 3. Oktober 2020

Nacht diesmal zerstückelt nicht von Schmerzaufwachen, sondern von den Zimmergenossinnen: Gegen das Schnarchen der einen halfen meine Ohropax, nicht aber gegen den lautstarken Protest der anderen, der mich aus dem Schlaf riss, auch nicht gegen ihren nächtlichen Austausch mit dem Pfleger, den sie anscheinend gerufen hatte, um ihm alle medizinischen Abenteuer des Tages zu erzählen (ich hörte nicht zu).

Wieder hatte ich böses Kopfweh. Wie von der Pflegerin geraten, ging ich in die Dusche (nochmal desinfizierendes Duschgel rundum), während die beiden Zimmergenossinnen frühstückten, “damit’s Ihnen nicht so schwer fällt, dass Sie keines bekommen”. Zwar wusste ich, dass ich Frühstück nicht vermissen würde, lauerte danach aber auf den Moment, in dem mich das Trinkverbot zu quälen begann. Das war dann gegen neun.

Bis ich kurz vor eins zur OP abgeholt wurde, peinigte mich das Kopfweh so sehr, dass ich mir gar keine anderen Sorgen machen konnte. Und das Ende dieser Schmerzen durch die Narkose war dann die erfreulichste Aussicht.

Der OP-Bereich im Keller erstreckte sich weit und erschien mir unübersichtlich. Im weiträumigen Flur wurde ich auf das schmale OP-Brett gerollt, ein Pfleger und eine Pflegerin nahmen mir das Hemdchen ab und deckten mich zu. Nächste Station war der Narkose-Raum. Ein Pfleger und der Anästhesist nahmen die Spinalanästhesie vor, meine Beine ab Unterleib wurden taub. Zwei der Chirurgen stellten sich vor, den einen kannte ich von der Untersuchung im Juni. Dann ließ man mich einschlafen (per Infusion).

Der Aufwachraum war groß und geschäftig, während meine Vitalwerte vor sich hin piepsten und überwacht wurden – untere Körperhälfte war weiterhin taub -, hörte ich ein bisschen den Gesprächen zu – Ärzteserie live. Ein Pfleger versicherte mir, das die OP gut verlaufen sei.

Zurück auf Station war ich um halb fünf, langsam wachten meine Beine auf. Auf das Abendbrot freute ich mich, schaffte aber nur eine Scheibe Brot mit Kräuterquark. Bis dahin hatte ich noch die Illusion, dass das ja wohl alles ein Spaziergang war und fühlte mich schon besonders brav, dass ich nicht allein schon mal aufs Klo ging.

Es war schon dunkel, als eine Krankenpflegerin kam, um mich nebens Bett zu stellen – ich bat darum, das gleich für einen Klogang zu nutzen. Brav befolgte ich ihre Anweisung, mich erst mal an den Bettrand zu setzen, und fand ihre Frage, ob mir jetzt schwindlig sei, eher überbesorgt: Nein, nein, mir war nicht schwindlig. Nächster Schritt Aufstehen. Ich plauderte noch mit der Pflegerin über die ungleiche Belastung der Beine, als mir wacklig wurde. Sie setzte mich in den Zimmerrollstuhl, doch jetzt verabschiedete sich mein Kreislauf gründlich. Ich wurde ins Bett gelegt, Beine hoch, Kopf runter, doch dann wurde mir übel. So peinlich mir das war: Ich verteilte das wenige Abendbrot großzügig über Nachthemd, Bett und Boden. Klogang war halt dann doch die gefürchtete Bettpfanne, und die (ungerührt gelassene) Pflegerin musste putzen und das Bett neu beziehen.

Und so rieb mir mein Körper über die nächsten Stunden rein, wie überhaupt kein Spaziergang dieser Eingriff gewesen war. Die Schmerzen quälten mich immer mehr, ich musste klingeln und um Medizin bitten. Die nur nichts nutzte, ich wurde richtig gebeutelt. Meine Zimmergenossinnen ermunterten mich, mich gerade jetzt kurz nach der OP immer mit dem Schwesternruf zu melden. Also tat ich das, jetzt bekam ich ein Schmerzmittel an den Tropf, das mich auch ein wenig schlafen ließ.

Weitere lustige Schmerzen, jetzt im Bauchraum, ein Klogang erschien mir sehr attraktiv. Ich wollte nicht schon wieder klingeln, machte mich ans Aufstehen – und wurde von der Pflegerin erwischt, die nach mir schauen wollte. Sie redete mir sehr freundlich und mit guten Argumenten ins Gewissen, dass ich bitte. nicht. allein. aufstehen solle. Sondern nach ihr klingeln. Gegen die neuen Schmerzen bekam ich eine Magentablette und legte mich wieder hin.

Beim nächsten Bedürfnis nach Klo klingelte ich also. Die Pflegerin schaffte es durch ihre wirklich freundliche und zugewandte Art, dass ich kein schlechtes Gewissen hatte. Wir verbrachten geschätzt ein nettes halbes Stündchen miteinander, bis ich vom begleiteten Klogang zurück war. Denn jeder Schritt der Aktion brauchte eine ausführliche Pause: Aufrichten, an den Bettrand setzen – nächstes Erbrechen, diesmal zielgerichtet und ohne Putzaktion. Lange Pause, bis ich mich wieder gesammelt hatte, ich plauderte mit der Pflegerin über Kindheitsgeschichten. Im Zimmerrollstuhl ins Bad, Kreislaufstabilisierung mit kaltem Wasser. Endlich Klogang, die Pflegerin machte mich darauf aufmerksam, dass ich mich dafür bis zu weißen Knöcheln festhalten musste. Ich war völlig zittrig und brauchte entsprechend lang, bis ich zurück im Bett war.
(Zur Beruhigung: Am nächsten Morgen ging’s besser.)

Journal Donnerstag, 1. Oktober 2020 – Klinikaufnahme

Freitag, 2. Oktober 2020

Gut, dass die Nacht schon um 5 Uhr rum war, mehr davon hätte ich nicht gebraucht. Das Kopfweh, mit dem ich aufwachte, ließ sich mit Paracetamol bekämpfen.

Aufgeregte 60 Minuten, bis ich mich auf den Weg zum Bahnhof machte, unter sternenklarem Himmel, Riesenkoffer an der einen Hand, die Krücken in der anderen.

Bahnhfahrt mit viel wechselnder Besetzung, zum Teil sehr laut – ich legte mir Musik auf die Ohren (und nutzte den Mundschutz, um ausführlich zu lip-synchen). Draußen wurde es langsam hell, ich durchfuhr neblige Gegenden.

Schnelle Taxifahrt vom Bahnhof in die Klinik. In der Aufnahme ging erst mal alles wie’s Brezelbacken. Vor allem waren alle sehr herzlich, entspannt und zugewandt. Dank der eingesetzten IT (viele Tablets) wusste jede, was in der vorherigen Untersuchung herausgekommen war, das Orgateam behielt Überblick und schleuste mich von Station zu Station.

Es wurde eine Vorher-Röntgenaufnahme erstellt (während jemand bei meiner Hausärztin anrief und um das kürzliche EKG bat), dann setzte man mich in einen Untersuchungsraum, wo mich jemand erst mal mit viel Humor durch einige Formulare führte, mir eine andere einiges an Blut abnahm, wo sich die Anästhesistin ausführlich mit mir unterhielt (wir tauschten Sportabenteuer aus, bei der Untersuchung meiner LWS bescheinigte sie mir “gute Muskeln”) und mir die verschiedenen Narkose-Techniken darlegte – ich entschied mich auf ihre Empfehlung für Spinalanästhesie statt Vollnarkose und bin schon gespannt. Bis zum nächsten Gespräch wartete ich zwar ein Stündchen, aber ich hatte ja zu lesen dabei. Dann kam nämlich eine Chirurgin, untersuchte mich nochmal, erklärte mir nochmal die OP und malte auf den rechten Oberschenkel einen großen grünen Pfeil Richtung Hüfte (mit Smiley). Jetzt noch zur Funktionsanalyse ein Stockwerk tiefer, wo eine Fachkraft meine Wirbelsäule und mein Gangbild auf einem Laufband aufnahm, zudem die Zusammensetzung meines Körpers analysierte (Fettmasse, fettfreie Masse, Muskelmasse – auf dem Ausdruck grafisch dargestellt alles buchstäblich im grünen Bereich).

Mit der resultierenden Akte wurde ich “auf Station” geschickt. Auch dort ein freundliches Aufnahmegespräch, ich bezog meinen Platz im Dreibettzimmer. Prioritäten: Erst mal holte ich mir am Empfang unten meinen WLAN-Zugang, dann gab’s um halb zwei endlich etwas zu essen (Süppchen, Pastaschutta, Salätchen, Äpfelchen).

Ausblick durch große Fenster auf sonnenbeschienene Berge, aber ich musste Kontakt und Konversation mit den sehr geselligen Zimmergenossinnen machen.

Deutsches Abendessen: Mischbrot, Wurst, Käse, ein wenig Karottensalat. Wenig später informierte mich die Krankenschwester, dass ich am Freitag “als sechste” operiert werde, sie schätzte gegen Mittag. Vor dem Schlafen duschte ich mich mit antiseptischer Waschlotion, las dann noch ein Weilchen in Rebecca Makkai, The Great Believers.

Journal Mittwoch, 30. Oktober 2020 – Letzter Arbeitstag erstmal, Abschied von einem Blogger

Donnerstag, 1. Oktober 2020

Mehrfach mehr als eine Stunde am Stück geschlafen, der Morgen war gleich viel munterer.
Vielen Dank für all Ihre guten Wünsche!

Jetzt war auch das Ergebnis des montäglichen Corona-Tests abrufbar: Wie erwartet negativ.
Ich schrieb das Ganze fürs Techniktagebuch zusammen.

Den Vormittag über konnte ich wieder den Schreibtisch von Herrn Kaltmamsell für die Heimarbeit nutzen, sehr angenehm. Blöde Nachrichten aus der Arbeit, meine Abwesenheit ab Donnerstag wird erst mal Holpereien verursachen; die meisten meiner Anstrengungen, genau das zu vermeiden, waren vergebens. Ich gestehe, dass sich als Folge eine gewisse Dann-werdet-halt-selbst-irgendwie-damit-fertig-Wurschtigkeit ausbreitete.

Telefonat mit Mutter, die immer noch im Krankenhaus liegt. Ihre Berichte wiesen von Anfang an auf komplettes Informationschaos hin: widersprüchliche Anweisungen, Falschinformationen, Medikamentenverwechslungen, und kurz vor dem Telefonat hatte ein Arzt ihre Zimmergenossin für eine Untersuchung abholen wollen – nur dass die am Vortag bereits entlassen worden war. Ähnliche Erfahrungen hatte sie dort schonmal gemacht. Wenn Sie wissen wollen, in welcher Klinik der Region 10 man besser mal nicht landet, schreiben Sie mich an.

Vormittags bekam ich Hunger, aß Pfirsiche und eine Nektarine. Mittags kochte ich mir einen Vanillepudding und mischte Quark unter – eine warme Mahlzeit!

Nachdem ich einige Andeutungen auf Twitter gesehen hatte, bestätigte sich: Mark793, Blogger der ersten Stunde und gern gesehener Kommentator hier – ist gestorben.

Nachdem ich pünktlich nach den letzten Übergaben Feierabend gemacht hatte, ging ich für einen kleinen Spaziergang raus. Die Sonne hatte bereits seit Mittag geschienen, alles leuchtete golden. Ich schlenderte über den Alten Südfriedhof und dachte an den langen Weg, den ich über viele Jahre mit diesem Menschen gegangen war, den ich wirklich nur aus seinem Blog und aus seinen Kommentaren kannte: Seine späte und sehr intensive Vaterschaft, die Begeisterung fürs Radeln, seine schwere Erkrankung.

Im Südfriedhof sah ich viele, viele Eichhörnchen, kam darüber mit zwei griechischsprachigen Herren ins Plaudern, die zwei nebeneinanderstehende Grabsteine mit griechischer Aufschrift genauer besahen. Was leider ich bemerkte, und nicht zum ersten Mal: Das Gschwerl aus dem Nußbaumpark verlagert sich teilweise hierher in den historischen Friedhof. Das könnte noch schlimmere Folgen haben als im Nußbaumpark, ich hörte einen “Ich muss schiffen” röhren und sah ihn hinter einem Grabstein verschwinden.

Zurück daheim war mir überhaupt nicht nach der Zusammenstellung von Lieblingstweets. Ich verschob das auf die Krankenhaustage, statt dessen packte ich Koffer nach der Liste, die ich über die vergangenen Wochen erstellt hatte. Das letzte und bislang einzige Mal, dass ich als Erwachsene stationär ins Krankenhaus musste, war ich Ende 20 und alles nicht so kompliziert. (Außerdem bekam man bei Krebs ausgesprochen hurtig einen OP-Termin, selbst wenn’s bloß Hautkrebs war.)

Nach all dem und einem überschatteten Arbeitstag hätte ich sehr gerne ein Glas Wein gehabt. Ließ es natürlich bleiben so kurz vor OP.

Zum Abendessen bestellt ich ausführlich Sushi.

§

Egal.
Hier eine Reihe Tiktoks eines Mannes, der versucht zu erraten, welche Farbe aus einer Farbmischmaschine rauskommen wird. Fast so gut wie lustige/niedliche Tiere.