Archiv für November 2020

Journal Montag, 16. November 2020 – Grabkunst im Nordfriedhof

Dienstag, 17. November 2020

Früh aufgestandenn für Reha-Sport vor der großen Welle – klappte nicht, der Geräteraum war gut besetzt. Eigentlich hatte ich überhaupt keine Lust auf Reha-Sport, doch im Gegensatz zu meinem Spaß-Sport ist Abblasen halt keine Option. Er schmerze und strengte an.

Das Wetter hatte wie angekündigt umgeschlagen, es war grau und regnerisch.

Daheim Zeitung gelesen und IT-Dinge beendet: Ich musste meinen Rechnern (sechs Jahre alt) umorganisieren, um das neueste Betriebssystem-Update aufspielen zu können. Schon bei dem davor hatte ich auf der Festplatte aufräumen und löschen müssen, das reichte jetzt nicht mehr; ich schob 55 GB Fotos ins heimische NAS. Ist ja immer wieder Stoff für Erheiterung: Als ich diesen aktuellen Rechner bekam, hatte er so unendlich viel Speicher, dass ich mein bis dahin auf externen Festplatten ausgelagertes Fotoarchiv LOCKER wieder draufnehmen konnte. Speicherplatz wird immer zu wenig.

Frühstück: Apfel, Gewürzkuchen in Milchsee.

Zur Putzmann-Flucht wollte ich den Neuen Israelitischen Friedhof ansehen – doch am Eingang entnahm ich einem laminierten Aushang, dass er derzeit wegen Corona nur für angemeldete Besucher geöffnet wird. Wechselte ich halt zum großen christlichen Nordfriedhof schräg gegenüber und schlenderte durch die Reihen. Nach ein paar Regentropfen zu Beginn blieb es trocken.

Grablichter aus dem Automaten.

Unter anderem sah ich Grabsteine mit kyrillischer Aufschrift, drei Grabsteine mit vietnamesischen Namen (ein wichtiger Schritt in Migrationsgeschichte: wenn die Toten nicht mehr “heim” gebracht werden, sondern die Zukunftsplanung so stark in der neuen Heimat verwurzelt ist, dass Grabpflege eingeplant werden kann).

Viele interessante Namen, Berufe, Schriftarten, anders als auf dem Ostfriedhof allerdings nur wenige wirklich gelungen kreativ gestaltete Grabsteine.

Ich stieß auch auf das eigentümliche Mauergrab von Johannes Heesters:

Hier eine Liste prominenter Persönlichkeiten, die auf dem Nordfriedhof bestattet sind.

Auf dem Heimweg kurzer Einkaufsabstecher am Marienplatz.

Zu Hause versteckte ich mich in meinem Schlafzimmer, weil Herr Kaltmamsell die Presse empfing (Corona-adäquat kamen Fotograf und Redakteur einzeln). Auf dem Bett die Beine auszustrecken, war ohnehin genau das Richtige, denn Sie werden’s nicht glauben: Elf Kilometer zu Fuß, wie der Schrittzähler angab, waren dann doch zu viel, neben dem operierten Gelenk und Bein schmerzten jetzt auch alle Knochen im nicht operierten Bein. Ich werde es dann doch mal mit einem Tag Ruhe versuchen, auch wenn sich das immer falsch anfühlt.

Nachmittagssnack: Quark und Joghurt mit Lemon Curd. Beim Lesen im Bett schlief ich wieder für eine halbe Stunde tief ein. Gute Meldung aus dem Krankenhaus: Die Papa-OP war ohne Komplikationen verlaufen.

Zum Abendessen brauchte Herr Kaltmamsell den Ernteanteil auf: Es gab Rosenkohl aus dem Ofen mit Maroni (zugekauft), außerdem Bratkartoffeln. Als Nachtisch Schokolade.

Journal Sonntag, 15. November 2020 – Start Projekt Ablage

Montag, 16. November 2020

Bessere Nacht, lang geschlafen. Der Tag wurde nochmal hell und sonnig.

Sportfrei bis auf die Übungshausaufgabe von Frau Physio.

Ich kochte Meyer Lemon Curd und holte Semmeln zum Frühstück. In der Sonne war es sehr warm.

Jetzt war der innere Moment gekommen, mein Krankenstands-Projekt Neue Ablage zu starten. Wie jedes Projekt mit Vorlauf hatte ich es erst mal im Hinterkopf geparkt, von wo dann Ideen für eine Herangehensweise aufploppten. Zum Beispiel: Nicht etwa, wie der Vorderkopf angefangen hätte, an einem Tag alle vorhandenen Ordner aus dem Regal zerren und deren Inhalte auf dem Wohnzimmerboden neu in Stapeln sortieren. Sondern erst mal einen neuen Ordner mit einem aktuellen Thema eröffnen, unterkategorisieren, die seit Monaten herumfliegenden Unterlagen und die aus bereits vorhandenen Ordnern zuordnen. Bei dieser Gelegenheit formierten sich weitere Themenbereiche, die künftige Ordner ergeben werden und die ich einem Dokument auflistete. Ich werde Ordner und Aufkleber für Orderrücken besorgen müssen.

Allerdings stieß ich schon jetzt auf Ordnerinhalte, auf ganze Kategorien, an die ich keinerlei Erinnerung hatte. Zum Beispiel scheine ich irgendwann mal systematisch englische Rezepte ins Deutsche übersetzt, layoutet und als Broschüre ausdruckbar formatiert zu haben. Warum nur, das sieht nach einem Haufen Arbeit aus? Vorerst werde ich diese vergessenen Inhalte nicht gleich wegwerfen, sondern im Keller auslagern und vergessen. Wenn ich dann nochmal darauf stoße, sind sie bereit für die Mülltonne.

Nachmittags zog es mich nochmal raus in die Sonne, bevor laut Vorhersage über Nacht das Wetter umschlägt. Ich spazierte zur Theresienwiese, die viele Menschen zum Sporteln (inklusive Cricket!), Drachensteigenlassen und Spazieren nutzten. Leider fiel mir das Gehen sehr schwer und war anstrengend, den geplanten Rundgang durch den Bavariapark ließ ich bleiben.

Zurück daheim schlachtete ich einen Granatapfel, teilte mir die Kerne mit Herrn Kaltmamsell, außerdem gab es Gewürzkuchen. Ich legte die Beine im Bett hoch und las, vor Erschöpfung schlief ich sogar ein (eine ganz andere Art Müdigkeit als Bettschwere für Siesta).

In Gedanken bei meinem Vater, der am Montag die nächste OP hat.

Das Nachtmahl bereitete und servierte Herr Kaltmamsell: Es gab ein Hühner-Curry. Dazu ließen wir im Fernsehen Ready Player One laufen, dessen Trailer mich seinerzeit interessiert hatte und den ich gar nicht schlecht fand. Wie erwartet war ich aber zu müde, ihn mit all den Werbepausen zu Ende zu sehen.

Journal Samstag, 14. November 2020 – Leuchtender Englischer Garten

Sonntag, 15. November 2020

Unruhige Nacht, aber zumindest hatte ich Herrn Kaltmamsell neben mir, über dessen Anwesenheit ich mich bei jedem Aufwachen freute.

Gemütliches Bloggen – ich genieße es sehr, wenn ich dabei Zeit für Recherchen habe, die mich von Hölzchen auf Stöckchen führen.

Eine kleine Runde Sport, nur 45 Minuten und ohne große Anstrengung.

Für die Chronik: Die letzten beiden Bäume in Sichtweite der Wohnung, die sich dem Herbst ergeben – Heckenbuche und Lärche.

Zur mittäglichen Frühstück gab es Reste des Nachtmahls vom Freitag und Gewürzkuchen.

Die Sonne strahlte weiter warm, ich fuhr zu einem Spaziergang an den Odeonsplatz. Der Englische Garten war fast so voll wie an einem sonnigen Juni-Samstag, jede Parkbank besetzt – klar: Straßencafés sind ja zu, viele hatten in Plastikbechern Drinks in der Hand.

Hier gab es Liegestühle zu mieten und Getränke, eine Band machte Musik. Auch sonst spielten an vielen Ecken des Parks Musiker und Musikerinnen.

Menschen sonnten sich mit nacktem Oberkörper, Kinder spielten leicht bekleidet im Wasser – November halt. Ich musste langsam gehen, fühlte mich nicht sehr sicher auf der neuen Hüfte. Auf Höhe Münchner Freiheit verließ ich den Park, nahm eine U-Bahn zurück nach Hause.

Im sonnenbeschienenen Wohnzimmer machte ich es mir im Sessel bequem, las die Wochenendzeitung, dann Internet. Nachmittagssnack war ein halber Granatapfel, Birne, Kuchen.

Zum Abendessen briet Herr Kaltmamsell ein Flanksteak und föhnte Kartoffelschnitze dazu, ich bereitete den Fenchel aus Ernteanteil mit einer Orange zu Salat. Der Fenchel stellte sich als so frisch, saftig und würzig heraus, die Orange als so aromatisch, dass Herr Kaltmamsell nur wenig von dem Teller abbekam.

Im Bett begann ich meine nächste Lektüre, den Klassiker von John le Carré, Tinker Tailor Soldier Spy.

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Anlässlich der Nerzschlachtungen in Dänemark (man hatte eine Mutation von Sars-CoV-2 bei ihnen entdeckt) gestanden einander ein paar Twitterinnen, darunter ich, zwar total gegen Pelztierzucht zu sein, aber die sensationelle Weichheit eines Nerzmantels nie vergessen zu können.

Woraufhin eine meinte:

Jetzt hat sie die Geschichte aufgeschrieben.

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Für starke Sehnerven und Netzhäute: @IrgendwieJuna und andere twittern auch 2020 wieder #chanukkakitsch.

Journal Freitag, 13. November 2020 – Kulturtag mit dem einen Fleißer-Roman und In den Gängen

Samstag, 14. November 2020

Unruhige Nacht, in der ich mehrfach knallwach war – zum Glück aber immer wieder einschlief.

Mein gestriger Physiotermin war schon um halb acht, so früh war die U-Bahn nach Norden entspannend leer. Frau Physio tat mir wieder weh, ließ mich Kräftigungsübungen fürs operierte Gelenk machen (im Liegen auf der Seite mit Gewichtsmanschette um den Knöchel) – sie wird schon wissen.

Anschließend erledigte ich mein Reha-Programm im Übungsraum, einige Wackelübungen gehen jetzt schon besser. Einkäufe im Supermarkt des Rehasport-Gebäudes.

Anfall von Corona-AAAAAAAAHHRGHHH! Auslöser war der Anblick der (zum Glück spärlichen) U-Bahn-Passagiere mit Mund-Nasen-Schutz. Wenn mir jemand vor einem Jahr dieses Szenario erzählt hätte und dass Museen, Gastronomie, Sportstätten zur Infektionsvermeidung geschlossen sein würden – hätte ich mir das vorstellen können? (Der hiesige Katastrophenschutz ja auch nicht, im lustigen Schuldzuweisungsspiel taucht eigenartigerweise gar nicht mehr auf, dass die Empfehlungen der letzten länder-übergreifenden Pandemie-Übung von 2007 nie umgesetzt worden waren.)

Daheim kurzes Abladen, dann im Süpermarket Verdi Einkäufe fürs Abendessen (ich freute mich vor allem über den dicken Bund superfrischen Koriander). Unterwegs ein weges Gebäude an der Ecke Pettenkofer-Goethestraße fotografiert, das mich die 20 Jahre meines Wohnens in diesem Viertel begleitet hatte.

Zurück daheim buk ich Gewürzkuchen, jetzt im Spätherbst und vor Advent ist dafür die perfekte Zeit. Als ich ihn in den Ofen schob, war’s noch nicht mal zwölf.

Zum Frühstück aß ich zwei weiche Eier und von dem Fladenbrot, das ich beim Verdi mitgenommen hatte. Zeitungs- und Internetlektüre, bis ich den Kuchen aus dem Ofen und nach einer Stunde aus seiner Form nehmen konnte.

Draußen schien weiter herrliche und auch wärmende Sonne; ich machte einen kurzen Abstecher in die Sendlinger Straße, um Körpercreme nachzukaufen. Damit meldete die operierte Hüfte allerdings, dass sie für einen Tag definitv genug bewegt worden war: Ich war wieder bei Trippeln und Hinken.

Daheim herzte ich einen von der Arbeitswoche erschöpften Herrn Kaltmamsell, ließ mich dann im Sessel nieder, um Marieluise Fleißer, Eine Zierde für den Verein, auszulesen.

Die erste Fassung von Fleißers einzigem Roman erschien 1931, er spielt sehr erkennbar und örtlich verwurzelt in meiner Geburtsstadt Ingolstadt.

Die Geschichte des jungen Gustl Gillich, aus dessen Perspektive meist erzählt wird, stadtberühmter Schwimmer, der gerade seinen eigenen Tabakladen eröffnet hat. Der Frieda Geier kennenlernt, eine selbständige junge Frau, die als Handelsvertreterin nicht nur für ihren eigenen Lebensunterhalt sorgt, sondern auch die Schulbildung ihrer jüngeren Schwester finanziert. Die karge und wortarme Romanze zwischen den beiden geht nicht gut.

Sperrig und eigentümlich erzählt Fleißer ihre Geschichte und ihre Figuren, unrund und überhaupt nicht gefällig – doch gehört das genau so. Die Bilder, die Fleißer mit Wörtern erzeugt (deren Schreibung sie oft wider orthografische Regeln verändert), erinnerten mich immer wieder an expressionistische Malerei (nicht an expressionistische Literatur): Die zugefrorene Donau, über deren tauende Schollen ein Bub springt / wie ein paar Schwimmvereinsburschen nachts den Pionieren am Künettegraben Balken vom Brückenbau stehlen / der Tabakhändler, der an einem Wintermorgen hinter den Eisblumen seines Schaufensters verschwindet.
Wie viel sie immer miterzählt! Bücher aus lang vergangenen Zeiten transportieren ja immer sehr viel Hintergrundinfo, weil sie aus einer anderen Welt kommen, doch das ist meist eine unbeabsichtigte Nebenwirkung. Fleißer aber will ganz viel miterzählen: Straßen, Häuser, Landschaft, wie es auf dem Wochenmarkt zugeht, wo der Zug nach Passau entlang fährt. Scharfsichtig wie eine Magnum-Fotografin hält sie bedeutsame Momente fest, die für eine Zeit und eine Gesellschaft stehen.

Kurzer Anfall von Erwachsensein: Ein Deckenfluter im Wohnzimmer wurde immer funzliger, ich schraubte die Fluterfläche auf, um die zwei Drittel sichtlich erloschene Lämpchen zu ersetzen – und stieß auf sowas:

Das sieht ganz danach aus, als müsste ich die komplette LED-Scheibe ersetzen – wissen Sie, wo man sowas bekommt oder auch nur, unter welchem Stichwort ich danach recherchieren kann? Ich fürchte, ich werde den Lampenhersteller Honsel anschreiben müssen.

Fürs Abendessen durfte wieder ich sorgen: Ich hatte mir mit Lammhack gefüllte Quitten vorgenommen nach einem Rezept aus Jerusalem von Yotam Ottolenghi und Sami Tamimi. Kleine Quitten hatte ich aus Eigenanbau bekommen, beim Schälen war schnell klar, dass ich zu viel wegschneiden musste, als dass sie sich zum Füllen geeignet hätten. Doch das Rezept gibt ohnehin eine Variante mit gewürfelten Quitten und der Füllung als Klopsen an – die setzte ich um.

Schmeckte mir sehr gut, doch vielleicht lasse ich beim nächsten Mal die Chilli im Hackfleisch weg – die Schärfe wollte nicht so recht passen.

Abendunterhaltung: arte zeigte einen Film, den ich seit Erscheinen 2018 hatte sehen wollen, In den Gängen mit Sandra Hüller und Franz Rogowski. Großartiger Schauplatz fast ausschließlich in einem Großmarkt mit seinen weiten Gängen, mit seinen Gabelstaplerfahrten, wundervolle Darsteller, ausgezeichnetes Drehbuch ohne viel Dialog – hin und wieder kann deutscher Film halt doch auch was. Hier in der arte-Mediathek noch bis Februar zu sehen, Empfehlung.

Journal Donnerstag, 12. November 2020 – Neuer Haarschnitt

Freitag, 13. November 2020

Gestriger Programmpunkt war Friseur.

Ich schlief ein halbes Stündchen länger, weil Herr Kaltmamsell donnerstags nicht zur ersten Schulstunde antreten muss. (Vor zwei Wochen unkte ich noch, dass die Schulen nicht auf einen Schlag geschlossen werden, weil sie bei der derzeitigen Infektionsentwicklung dort ohnehin Klasse für Klasse und dann Schule für Schule dicht machen müssen bis zur De-facto-Komplettschließung – aber sich so niemand in der Politik dafür Ohrfeigen einfängt. Jetzt spricht der Deutsche Lehrerverband von “Salami-Lockdown”.)

Sportrunde am Morgen mit Crosstrainer (auf dem ich die Dauer ganz langsam erhöhe) und Übungen, bevor ich um elf beim Haareschneiden war. Diesmal hatte ich mir als Wunsch eine Kante zwischen sehr kurzem Unten und längerem Oben ausgedacht (also ein Undercut, diagnostizierte Herr Haarschneider).

Haarschnitt vor Klospiegel – den meine Mutter vor Jahrzehnten in ihrer Töpferphase gemacht hat und den ich sehr liebe.

Auf dem Heimweg kaufte ich im Basitsch für die nächsten Tage Lebensmittel ein.

Daheim gab’s den Rest Pilz-Quiche und noch einen Milchkaffee.

Auch wenn nachmittags die Sonne rauskam, ließ ich das mit dem Spazieren bleiben – vielleicht geht Heilen ja wirklich auch mit ein bisschen Ruhe. Die neuen Physio-Übungen machte ich natürlich trotzdem, erinnerte mich auch an den Rat der Anfasserin, anschließend den Narbenbereich zu kühlen.

Snack am Nachmittag:

Ich kann nämlich AUCH Bowl.

Herr Kaltmamsell hatte den Ernteanteil abgeholt, daraus gab es zum Abendessen Asiasalat mit Zitronensaft-Olivenöl-Dressing, Chinakohl mit Joghurt-Sesamöl-Dressing und ohne Ernteanteilanteil Tsatsiki.

§

Wie überall in der Landwirtschaft stehen auch im Weinbau Anbaubedingungen und die Arbeitsumstände der Arbeitskräfte in der Diskussion. Anlässlich eines aktuellen Skandals um einen Hersteller in Apulien berichtet Jem Macey, seit vielen Jahren Beraterin im Weinbau, über ihre Erfahrungen mit Saisonarbeit in der Toskana, über konkrete Menschen, Bürokratie, Schutzmechanismen und wie sie oft umgangen werden – ein spannender Einblick in eine Seite des Weingenusses, über den wohl die meisten nicht nachdenken:
“Working for Wine: A Tuscan View of Immigrant Labor”.

via @vinoroma

Journal Mittwoch, 11. November 2020 – Empfindliches Gewebe, stereotype Berufsgeschichten

Donnerstag, 12. November 2020

Früh zum Reha-Sport (noch vor der Schulkinder-Schwemme), wieder kam ich vor Anstrengung ins Schwitzen (samma diese Pezzibälle hat ja wohl der Teufel erfunden) (übrigens ein italenischer Teufel, wie ich zu meiner Überraschung der Aufschrift entnahm) (ich lese alles, immer).

Im Anschluss erster Physiotermin an diesem Ort. Zum Glück wurde ich einer Frau zugewiesen, in deren Händen auf meiner nackten Haut ich mich deutlich besser fühle als in denen eines Manns. Seit dem Vortag hatten mich die Muskeln um die operierte Hüfte und des zugehörigen Oberschenkels recht mit Schmerzen geplagt. Als Frau Physio sie auch nur berührte, zuckte ich zusammen. Und bei dem auch, ebenso beim nächsten Muskel, fünf Zentimeter weiter war es nicht besser. Oh, meinte sie, das sei ja alles “sehr empfindlich”, sie müsse “Gewebe lockern”. Ich ließ mir also vorsichtig und gründlich von ihr weh tun, merkte aber sofort die Verbesserung. Auch Frau Physio gab mir Übungen auf, auszuführen mehrmals täglich, mir wird also weiterhin daheim nicht langweilig.

Auf dem Heimweg machte ich einen Umweg über die Praxis der Hausärztin und holte ein telefonisch vereinbartes Rezept ab.

Sportzeug daheim abgeladen, Schuhe gewechselt, weil ich in meinen Laufschuhen (Anfang 2019 gekauft, wie immer zwei Nummer größer als Straßenschuhe, keine zehn Mal zum Joggen genutzt, weil’s dann nicht mehr ging) wirklich am besten gehe. Zum Beispiel zu Einkäufen in den Vollcorner (Brotzeitgemüse Paprika/Gurke, Obst, Zutaten fürs Abendessen, Espresso, Semmeln, kein Bubbly, weil noch welcher im Haus war – aber beinahe), auf dem Heimweg sah ich sogar ein bisschen Blau am grauen Himmel.

Beim Mittagessen (Paprika, Gurke, Käse, Laugensemmel) Zeitungslektüre. Und weil ich darin die eine solche Aussteigergeschichte zu viel las:
Gibt es eigentlich auch Geschichten von jungen Weinbauern-Paaren, die sich unerfüllt fühlten, alles hinwarfen und dann in der Finanzwelt glücklich wurden?
Oder, wie @sinnundverstand ergänzte:
Die Yoga-Lehrerin, die sich nun endlich als Hedgefonds-Managerin angekommen fühlt. Der Bio-Bauer, dessen Traum einer Karriere als Immobilienmakler wahr wurde. Der Altenpfleger, der nun jedem Tag als Unternehmensberater froh entgegenblickt.

Würde ich alles wirklich, wirklich gerne lesen. Gerne auch fiktionalisiert als Roman.
(Natürlich ist mir klar, dass die Standardgeschichte die Entfremdung verdeutlichen soll, in der die Erwerbsarbeit der Gegenwart gelandet ist, und der Sehnsucht nach Rückkehr zu als ursprünglicher empfundenen Form des Lebensunterhalts entgegenkommt. Aber sie ist zum Klischee verkommen.)

Kurzer Abstecher zur Apotheke, um ein bestelltes Medikament abzuholen.
Nachmittagssnack Orange, Apfel mit Joghurt.

Und dann spontan in einem Internet-Laden Schuhe bestellt. (Es tut mir leid, selbstverständlich habe ich mehr als genug Schuhe. Aber nicht solche. Und sie waren höllisch reduziert. Außerdem schön.) (Sollte ich mir Sorgen machen? Sonst impulskaufe ich doch nur Wein?) (Ach was, ich habe doch sogar zwei Ausreden: 1. Pandemie inkl. Einschränkungen, 2. Hüft-OP, es handelt sich nämlich um zwei Paar sehr schöne Schuhe ohne Absatz, in denen ich gut weit laufen können sollte.)

Das Abendessen durfte ich machen, eine Pilz-Quiche. Der Boden war astreine shortcrust pastry, wie ich sie aus der britischen Küche kenne. Also machte ich sie auch auf britische Art: Erst die Butter mit den Fingerspitzen ins Mehl reiben, bis es feinste Streusel ergibt, dann mit Eiswasser rasch zusammenkneten. Ließ sich wunderbar handhaben.

Schmeckte sehr gut, war allerdings instabil, weil die Pilze Wasser gezogen hatten. Besonders begeistert war ich von der krausen Petersilie, die ich aus einer Laune heraus statt der glatten gekauft hatte: Sie gibt viel mehr aus und ist nach dem Garen deutlicher.

§

Aus guten Gründen wird derzeit das Paar gefeiert, das die Firma BioNTech gründete und kurz vor dem Einsatz eines Impfstoffs gegen SARS-CoV-2 ist (hier ein Portrait im Guardian, im Gegensatz zum dem in der Süddeutschen frei verfügbar): Dr. Özlem Türeci und Prof. Dr. Uğur Şahin. Wen man feiert, sollte man korrekt benennen können: So spricht man die Namen aus.

§

Eine völlig wahnwitzige Geschichte von der Blogess, nämlich die vom Lebensende ihrer Großmutter. Oder doch nicht.
“Losing Joy. Finding Joy. Literally.”

Journal Dienstag, 10. November 2020 – Mutters Reiberdatschi, Vaters Lötkolben

Mittwoch, 11. November 2020

Früh aufgestanden, damit ich vor meiner Fahrt zu Elterns Zeit für Sport hatte, ein wenig Crosstrainer, ein paar Übungen, zum erste Mal wieder Bankstütz (die linke Schulter jammerte).

In München war es nach Morgennebel bald sonnig, auf der Zugfahrt ins Donautal immer nebliger, Ingolstadt war dann so klamm feucht novemberig waschküchig, wie es sich für diese Jahreszeit gehört. Diesmal hatte meine Berechnung geklappt: Vormittags war die Regionalbahn leer.

Ich freute mich sehr meine Eltern zu sehen (auf Abstand). Erst mal übergab ich meinem Elektrikerpapa den Zauberstab mit verschmurgeltem Kabel: Er hatte von ausgemusterten Geräten Kabel für genau solch einen Fall aufgehoben.

In seiner kleinen Werkstatt im Keller durfte ich sogar ein bisschen helfen und Lötkolben zwischenhalten, Lötzinn anreichen. (Keinerlei Ekligkeiten im Inneren des Gehäuses zu sehen.) Jetzt funktioniert der Zauberstab wieder, halt mit schwarzem Kabel.

Meine Mutter servierte Reiberdatschi – über die ich mich sehr freute, weil wir die nie selbst machen und die meiner Mutter unvergleichlich knusprig sind.

Dazu selbst eingekochtes Apfelmus aus Schwägerinschwesteräpfeln. Wir erzählten einander Klinik-Abenteuer, bei meinem Vater steht bald ein weiteres an. Mit meiner Mutter konnte ich Hüft-TEP-Narben vergleichen, beide “Garmischer Schnitt”. (Die Knie-TEP-Narbe meines Vaters ist wohl ebenso eindeutig einem Operateur zuzuordnen.) Erste vage Weihnachtspläne: Wir gehen davon aus, dass mindestens unter den derzeitigen Pandemie-Einschränkungen gefeiert werden muss und fassten Begegnungen in Kleingruppen ins Auge, immer nur mit ein paar Mitglieder einer zweiten Familie.

Als ich in der Dämmerung (und mit einem Rucksack voller Äpfel und Quitten aus Eigenanbau des Freundes- und Familienkreises) zurück nach München kam, hatte auch hier der Nebel gesiegt. Zum Nachtmahl unterstützen wir die heimische Gastronomie und ließen uns Israelisches vom Neni bringen: Sabich, Korean Fried Chicken Salad, Süßkartoffel-Pommes. Nachtisch waren Bratäpfel.

Wegen großer Erschöpfung wieder früh ins Bett.