Journal Dienstag, 8. Dezember 2020 – Wie meine Mutter einmal Würschtlstand spielte

Mittwoch, 9. Dezember 2020 um 7:12

Gebloggt, Twitter gelesen, Bank- und Seitstütz, Duschen und Anziehen.

Ich hatte noch Zeit für Zeitungslektüre, bevor ich zu Fuß in die Arbeit aufbrach, erst gedankenlos zackig, dann langsamer.

Viel Arbeit in der Arbeit – nein, ich könnte meinen Job wirklich nicht in vier Stunden täglich erledigen (Überraschung). Ich packte abschließend meinen Arbeitsrechner ein, am Mittwoch muss ich wegen Bürobelegung daheim arbeiten – wofür ich mir die von meinen Jobs zusammenschieben musste, die sich auch ohne Anwesenheit vor Ort erledigen lassen.

U-Bahn nach Hause, sie war schön leer.

Trainingstermin im Reha-Sport, mein Programm sollte überarbeitet werden. Ich hatte bereits auf einen Hinweis der Trainerinnen und Trainer gewartet, wie ich es im Vorjahr vom Reha-Sport gewohnt war, doch es stellte sich heraus, dass ich das selbst im Blick behalten und aktiv werden musste. Einen Termin dafür hatte ich erst am späten Nachmittag bekommen, das bedeutete: volle U-Bahn, voller Trainingsraum.

Über meinem Gemüt düstere Wolken:
1. Es ist Dezember.
2. Es ist Corona (München riss gestern die 7-Tage-Inzidenz von 200).
3. Ich habe wieder stärkere Schmerzen (eigentlich langsam ansteigend seit Sonntag, aber ich hatte es einfach mal wieder mit Augenzukneifen, Ohrenzuhalten, und LALALALA!-Brüllen versucht – funktioniert bei anderen unangenehmen Umständen ja auch, einer Pandemie zum Beispiel hahaha).

Der Trainer ging auf meine Schmerzen ein: Da es beim Dehnen des Hüftbeugers im gedehnten Muskel brennt statt gut zu tun, ich neben dem Schmerz von Leiste bis ins Schienbein auch welche um die Hüfte habe, tippte er auf eine Kombination aus Hüfte und LWS. Wie gehabt also. Doch er unterhielt mich, indem er mir lustige neue Übungen beibrachte, unter anderem mit Pilates-Rolle längs liegend unterm Rücken, eine mit Füßen in Schlingen, und auf dem Wackelbrett darf ich jetzt mit Schwingstab hantieren – ich stelle mich angemessen blöd an, ist also genau das Richtige.

Zum Abendessen spielten wir Christkindlmarkt. Herr Kaltmamsell hatte mir schon vor Tagen angeboten, als Imitation Glühwein zu machen, doch das Wichtigste auf dem Glühmarkt ist natürlich die Bratwurst (dicht gefolgt von Pommes, die ich eigentlich nur hier begehre – und im Schnitzelgarten zum Cordon bleu). Also bastelte er uns gestern Rengschburger spezial, ich machte dazu Jagatee.

Danach gab es für ihn und mich noch je ein Paar Schweinsbratwürstl und große Mengen Plätzchen.

Ich erinnerte mich daran, wie ich als kleines Kind (Kindergartenalter) mal sehr krank im Bett lag, vielleicht war das sogar die erste meiner beiden Lungenentzündungen. Und wie meine Mutter den geliebten Besuch am Würschtlstand vom Pfafflinger am freitäglichen Wochenmarkt nachspielte, den ich ja krank im Bett verpasste. Wochenmarktbesuch im Wohnblockviertel (der Markt zog sich die Ingolstädter Liebigstraße entlang) hieß nämlich, dass meine Mutter mich am Würstelstand ganz vorne parkte, wo der alte Pfafflinger (in meiner Erinnerung war der weißhaarige Herr mit den immer lachenden Augen immer schon alt) mich mit heißen Würschtln aus seinem Kessel versorgte (die heilige Dreieinigkeit des Wurstkessels war Wienerl, Weißwürscht und Bauernwürscht, ich glaube, für Kinder wurden nur Wienerl als angemessen angesehen). Und während sie mich dort gut versorgt und behütet wusste, erledigte meine Mutter ihre Markteinkäufe. Jetzt lag ich krank und schwach im Bett, meine Mutter erhitzte die Würschtl selbst (wenn ich mich recht entsinne, waren heiße Würschtl per Definition etwas, was man am Würschtlstand und im Stehen aß, nie daheim), stellte den Topf neben mein Bettchen und spielte den alten Pfafflinger. <3 <3 <3

Gestern war ich so erledigt, körperlich und gemüt-lich, dass ich schon um neun ins Bett kippte. Dort las ich Eva Meijer, Hanni Ehlers (Übers.), Das Vogelhaus aus, die Fiktionalisierung des Lebens von Len Howard (1894-1973), die mit Gartenvögeln zusammenlebte und ihr Verhalten analysierte. Die Vogelbeschreibungen fand ich wirklich faszinierend, doch war ich unversehens schon wieder in eine Schilderung des Alltagslebens Englands ab Erstem Weltkrieg in der Upper Middle Class geraten (Lens Eltern sind wohlhabend und müssen für ihren Lebensunterhalt nicht arbeiten, sie setzt sich mit ihrer Erbschaft auf dem Land zur Ruhe, um Vögelchen zu beobachten).

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Corona-adäquate Weihnachtsmusik.

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https://youtu.be/g-HMqaqRR7I

(Hier reimt sich “curve” auf “love” – interessant für Linguistinnen?)

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Comedian @vinn_ayy stellt sich vor, die Erde würde sich um Mitgliedschaft in der Galaxie-Vereinigung bewerben – unsere Chancen stehen nicht gut.

die Kaltmamsell

8 Kommentare zu „Journal Dienstag, 8. Dezember 2020 – Wie meine Mutter einmal Würschtlstand spielte“

  1. Anna meint:

    Danke danke für die wunderschöne Würschtlstandgeschichte!

  2. Thea meint:

    So eine liebe Mama.

  3. Sandra meint:

    Wir spielen die letzten beiden Adventssonntage auch Weihnachtsmarkt. Ich hatte diese Idee ebenfalls. Bei uns wird es Bratwurst mit Pommes und Reibekuchen mit Apfelmus geben. Dazu Apfelkinderpunsch. Außerdem hab ich Mandeln und Haselnüsse gebrannt.

  4. Joriste meint:

    Hach. Und danke auch für den Link zum Bewerbungsfilmchen.

  5. Maike Zoua meint:

    ¡Qué madre más cariñosa y creativa!

  6. Susann meint:

    Hm spannend, es gibt also tatsächlich Menschen, denen der Weihnachtsmarkt abgeht. Von mir selbst auf andere schließend, ging ich davon aus, dass ihm keiner eine Träne nachweint. Vielen Dank für die Horizonterweiterung und viel Spaß beim live reenactment!

  7. Sandra meint:

    Kommen Sie mal nach Dreieichenhain bei Frankfurt- das ist sehr schön und wenig kommerziell. Oberhand haben hier Stände von Vereinen, Feuerwehr etc. und einige davon stehen verwinkelt in der Burgruine. Diesem Weihnachtsmarkt weinen hier sehr viele viele Tränen nach.

  8. Roland meint:

    @Susann: Ich war seit vielen Jahren nicht mehr auf unserem hiesigen Weihnachtsmarkt – viel zu viel Gedränge und sowieso nie Schnee.
    Aber dieses Jahr spüre ich tatsächlich Wehmut darüber, daß er ausgefallen ist.

    Nächsten Advent werde ich mich vermutlich wieder fragen, warum manche Menschen auf Weihnachtsmärkte gehen…

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