Journal Sonntag, 17. Januar 2021 – Schneetag drinnen

Montag, 18. Januar 2021 um 6:50

Zerstückelte Nacht, dennoch fühlte ich mich beim Aufwachen kurz vor sieben erfrischt.

Ich meldete mich online zur Covid-19-Impfung an, für Bayern geht das auf dieser Website. Dazu muss man sich erst mal registrieren, dann mit diesen Daten einloggen, Online-Formular ausfüllen (der Risikofaktor Bluthochdruck verbirgt sich hinter dem Fachbegriff “arterielle Hypertension” – ich hatte den Verdacht, das sollte ein aktives Verstecken sein, weil der wohl auf viele zutrifft), abschicken.
Bestätigungsmail: “Ihre Anmeldung zur COVID-19 Impfung wurde erfolgreich entgegengenommen.”
Jetzt heißt es warten, bis ich in ein paar Monaten dran bin. Doch sehr wahrscheinlich komme ich durch aktive Anmeldung schneller an eine Impfung als durch Warten, dass man mich findet.

Sport war gestern eine Stunde Reha-Kraftsport. Ich hoffe, es wirft mich nicht in der Heilung zurück, wenn ich ihn nur einmal die Woche schaffe.

Draußen schneite es ein wenig, eigentlich den ganzen Tag über.

Gegen Mittag machte ich einen vereinbarten Abstecher zu den Mietern unserer künftigten Wohnung, um ein paar Wände auszumessen (einmal für den Schreiner, der den Einbauschrank anfertigen soll, zum anderen für Herrn Kaltmamsells Buchregalplanung). Der Ausblick aus meinem künftigen Schlafzimmer:

Zum Frühstück gab’s Brot aus eigener Fertigung (auch am Tag nach Backen sehr gut) mit Butter und Schinken, eine Schüssel Granatapfelkerne.

Einen unangenehmen Brief geschrieben, um den ich mich seit Wochen drücke (es geht um die Einforderung einer ausstehenden Rückzahlung). Ehrlich gesagt seit Monaten. Wenn das nicht funktioniert, muss ich mich nach professioneller Unterstützung umsehen.

Im Sessel die Wochenend-Zeitung gelesen, immer wieder raus in den Schnee geschaut. Ich beschloss, dass mir das so gefiel: aus dem gemütlichen Drinnen rauszuschaun. Und nach Langem mal einen Tag nicht rauszugehen.

Statt dessen bügelte ich ein Stündchen, mehr hatte sich in den vergangenen Wochen nicht gesammelt. Dabei hörte ich ein Stück Podcast Plötzlich Bäcker von Lutz Geißler mit Holger Klein, es ging um “Faule Brote für faule Bäcker”.

Im bereits Dunkeln gönnte ich mir eine Runde Yoga, die Einheit 8 bestand aus purer Sanftheit (mache ich nicht ein zweites Mal, hebe ich mir für Bedarf nach Entspannung auf).

Als Nachmittagssnack ein Schüsselchen Zwetschgen – ohne Teig, ganzganz ausnahmsweise warfen wir gestern ein Lebensmittel weg.

Ich las weiter in Bernardine Evaristo, Girl, Woman, Other, das mir sehr viel Vergnügen bereitet. Passend dazu stand anlässlich des Erscheinens der deutschen Übersetzung im jüngsten SZ-Magazin ein Interview mit ihr (€):
“‘Ältere Frauen sind viel interessanter als junge Leute'”.
Unglücklich gewählte Überschrift, dass ist sicher nicht die zentrale Aussage des Interviews: Evaristo geht es viel mehr um das Sichtbarmachen nicht-weißer Menschen in der britischen Gesellschaft – wie sie schon nach der Auszeichnung mit dem Booker Price 2019 betonte.

Als Nachtmahl hatte Herr Kaltmamsell die spanischen Wurstwaren aufgebraucht, die ich vor Monaten gekauft hatte und dann im Kühlschrank vergessen: Es gab Kutteln auf Madrider Art (Callos a la Madrileña).

§

Antje Schrupp dröselt auf, wie wir so tief ins Pandemie-Schlamassel geraten konnten:
“Warum Corona tödlicher ist als Ebola”.

Bei einem Virus wie Corona haben Chefs ein persönliches Interesse, ihre 100 Mitarbeiter:innen ins Büro zu holen. Denn selbst wenn dort Corona zirkuliert und sich die Hälfte der Leute ansteckt, stirbt statistisch nur einer oder zwei. Ein Risiko, das viele bereit sind, einzugehen. Würde es sich hingegen um Ebola handeln, müsste der Arbeitgeber damit rechnen, dass im Fall eines Ausbruchs die Hälfte der Belegschaft hinterher tot wäre – dieses Risiko wird er nicht eingehen, nicht nur aus Menschenfreundlichkeit, sondern aus reinem betrieblichem Eigeninteresse. Wäre Corona Ebola, wären längst alle im Homeoffice, die das nur irgend könnten.

(…)

In Europa herrscht eine Art Common Sense darüber, dass es falsch ist, moralische Ansprüche an Menschen (also zum Beispiel auch sich selbst) zu stellen, dass es in ethischer Hinsicht völlig okay ist, egoistisch zu handeln, solange man nichts Illegales tut. Aus diesem illusionären Traum wurden wir nun von Corona unsanft geweckt. Corona hat uns gezeigt, dass unsere Kultur, in der es als moralisch legitim gilt, in erster Linie die eigenen Interessen zu verfolgen, solange es im Rahmen einer formal-demokratischen Rechtsstaatlichkeit geschieht, nicht in der Lage ist, externe Herausforderungen zu bewältigen.

die Kaltmamsell

12 Kommentare zu „Journal Sonntag, 17. Januar 2021 – Schneetag drinnen“

  1. rebekka meint:

    Danke für den Antje-Schrupp-Artikel!

  2. engl meint:

    ihr könnt euch selbst anmelden? das gefällt mir, selbst aktiv werden zu dürfen.

    ich rätsel immer noch, woher der berliner senat wissen will und wissen darf, wann er mich einzuladen hat.

  3. poupou meint:

    @engl: derzeit ist die gruppe, die in berlin geimpft wird, ja noch relativ überschaubar. bei den kriterien “über 80” oder “wohnt im pflegeheim” reicht dem senat ein blick ins melderegister. soweit ich weiß, werden diejenigen, die aus beruflichen gründen geimpft werden, über ihre arbeitgeber eingeladen, auch für diese institutionen gibt es entsprechende verzeichnisse.

    ich bin nicht sicher, ob der senat tatsächlich weiter mit dem einladungsverfahren arbeiten wird, wenn die gruppen diverser werden. vielleicht wird sich das verfahren dann ändern?

  4. Melanie meint:

    Vielen Dank für den Hinweis auf die Website der Impfzentren. Wir haben uns auch gleich registriert.

  5. Nina meint:

    Genau das, wollte ich auch gerade schreiben. Scheint mir wieder ein Beleg für die Unfähigkeit der Berliner Verwaltung zu sein. Woher will die Senatsverwaltung für Gesundheit wissen, dass ich Bluthochdruck habe (hab ich, aber das wissen natürlich nur meine behandelnde Ärztin und ich). Oder kommen wir dann in Gruppe 3 so spät dran, dass die Impfung ohnehin über die Hausärzt*innen organisiert wird und nicht mehr über die Impfzentren?

  6. Joe meint:

    Ich ziehe nach Bayern. In Berlin wird das nie was.

  7. Nina meint:

    Vermutlich wird sich das Verfahren ändern. Gerade dies dazu in den FAQ gefunden:
    „ Wenn ich die Impfung noch nicht jetzt haben möchte – sondern erst in 3 Monaten oder später – wohin wende ich mich dann?
    Nach derzeitigen Informationen kann man sich auch erst später impfen lassen. Die Impfung erfolgt dann aller Vorraussicht nach über den Hausarzt im Regelbetrieb“
    https://www.berlin.de/corona/impfen/faq/#terminbuchung

  8. poupou meint:

    mein eindruck ist eigentlich, dass es in berlin derzeit relativ gut funktioniert.

    es sind nur wenige impfzentren geöffnet, es gibt noch nicht so viel impfstoff, die relevanten gruppen werden angeschrieben (was mir gerade bei der zielgruppe 80+ auch sinnig erscheint).

    bis das kriterium bluthochdruck oder adipositas relevant wird, wird es vermutlich mehr impfzentren, mehr impfstoff von verschiedenen herstellern und, meine vermutung, ein anderes anmeldeverfahren geben.

  9. Birgit meint:

    Kommentar zum Beitrag von Frau Schrupp.
    „Bei einem Virus wie Corona haben Chefs ein persönliches Interesse, ihre 100 Mitarbeiter:innen ins Büro zu holen. Denn selbst wenn dort Corona zirkuliert und sich die Hälfte der Leute ansteckt, stirbt statistisch nur einer oder zwei.“
    Diese Aussage ist doch recht haltlos. Welcher Chef würde davon ausgehen, dass ein bis zwei von 100 Mitarbeiter/-innen sterben und das in Kauf nehmen? Auch statistisch ist das falsch, da die meisten Todesfälle ab 80 Jahren zu vermelden sind.
    Von den Menschen im arbeitsfähigen Alter sind in Deutschland bislang knapp über 2.500 gestorben. Da kommt man auf keine Quote von 2 pro 50.

  10. Herr Kaltmamsell meint:

    Vielleicht ein Missverständnis? So wie ich das lese, steht da: “wenn … sich die Hälfte der Leute ansteckt, stirbt statistisch nur einer oder zwei.” Wenn. Insofern ist die absolute Zahl der Gestorbenen nicht aussagekräftig. (Ich habe gerade bei Statista zusammengezählt, es sind etwa 4.600 zwischen 20 und 69. Die zwischen 60 und 69 würde ich noch mitnehmen, nämlich.) Aber ja, vielleicht ist die Zahl trotzdem zu hoch. Aber trotzdem muss man richtig rechnen.

  11. Frau Irgendwas ist immer meint:

    @joe
    Ja, auf einmal erscheint Bayern ein `gesunde`Alternative zu Berlin! *geht grübelnd ab*

  12. Susann meint:

    Für mich geht aus der Textstelle von Schrupp klar hervor, dass sie von den hypotethischen 100 Arbeitnehmern spricht, von denen 1-2 stürben, statistisch gesehen – und die Zahl ist mit Sicherheit zu hoch gegriffen. Ich halte viel von Frau Schrupp,aber hier müsste sie sauberer formulieren oder recherchieren.

    (Laut Spektrum der Wissenschaft/Nature:
    Von 1000 mit dem Coronavirus infizierten Menschen unter 50 Jahren stirbt im Schnitt weniger als einer. Bei Menschen jenseits der 50 hingegen ist das anders: hier sterben durchschnittlich 5 von 1000, unter ihnen mehr Männer als Frauen. Das Risiko steigt dann mit zunehmendem Alter steil an. […])

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