Journal Freitag, 12. März 2021 – Corona-Regel-Resignation

Samstag, 13. März 2021 um 8:02

Ausreichend und ausreichend tiefer Schlaf.

Das Wetter begann mit ein paar Regentropfen, wurde dann aber eher sonnig, weiterhin windig. Arbeitstag ohne Hektik, mittags Birne mit einem Stück Käse, Orange und Mandarinen.

Nach der Arbeit nahm ich eine U-Bahn (genug Platz, alle Münder und Nasen FFP2-bedeckt) zum Odeonsplatz, ging in goldener Sonne und angemessen frischen März-Temperaturen zum Viktualienmarkt. Ich besorgte fürs Wochenende Blut- und Leberwurst, weil der Ernteanteil endlich Sauerkraut enthalten hatte (plus Kartoffeln), fürs Freitagabendessen ein Porterhouse-Steak (nicht so dick geschnitten, wie ich es gern gehabt hätte, der Metzger scheint mir das “NOCH dicker” nicht geglaubt zu haben), dazu für Freitagabend grünen Spargel (überraschend schwer zu finden, ich hatte angenommen, dass der italienische grüne Spargel bereits Saison hat) und Kirschtomaten. Und da ich bereits Hunger hatte, kaufte ich für den Aperitif ein wenig eingelegte Oliven.

Viele Läden in der Innenstadt waren erleuchtet und in Betrieb – aber man konnte wohl nicht einfach reingehen, sondern musste sich vorher einen Einkaufstermin holen. Ist mir egal, ich habe nicht vor Läden zu besuchen; was die offiziellen Corona-Regeln angeht, habe ich inzwischen resigniert: Die Infektionszahlen entwickeln sich exakt wie es die Warnungen von Expertinnen und Experten vor Lockerungen prognostiziert hatten, ich folge lieber deren Empfehlungen. Alles Weitere nach der dritten Welle oder meiner Impfung, je nachdem, was früher eintritt. Wobei mir klar ist, welches Zeichen von Privilegien es ist, mir diese Resignation leisten zu können. (Allerdings wäre ich ein bisschen entspannter, wenn meine Eltern geimpft wären.)

Anke Gröner ist wohl an einen ähnlichen Punkt angekommen:

Ich will nicht mehr auf gute Nachrichten hoffen, ich lese jetzt einfach ein halbes Jahr keine Nachrichten mehr, warte ergeben darauf, dass mein Handy pingt und mir einen Impftermin nennt, von mir aus mit Sägespänen, ich kann dieses Gefühl nicht mehr ertragen, dass unser aller Gesundheit an Bürokratie, Dokumentationswahn und Logistik hängt.

Daheim ein wenig Werkeln: Duschkopf ausgewechselt, ich hatte den aus der alten Wohnung, vor ein paar Jahren in Berlin gekauft, entkalkt und gereinigt, konnte ihn jetzt gegen den eigenartig dünnstrahligen in der neuen Wohnung austauschen. (Herr Kaltmamsell hatte gestern Vormittag die Übergabe der alten Wohnung an die Hausverwaltung übernommen, keine Beanstandungen.) Dann gab’s Negroni und Oliven.

Die Beilage zum Abendessen bereitete ich zu: Grünen Spargel mit Kirschtomaten in Alufolie aus dem Ofen. Herr Kaltmamsell briet dazu das Porterhouse-Steak. Gestern war die erste Weinlieferung an die neue Wohnung eingetroffen, es gab ein Glas Rioja (Conde de Valdemar Reserva 2012).

§

Zu #NotAllMen und warum es für das Bedrohungsgefühl vieler (zu vieler) Frauen irrelevant ist, dass ja nIcHt AlLE mäNnER Belästiger oder gar Vergewaltiger sind, schreibt Julien Cohen in einem Thread ein ganz normales Erlebnis auf, wie sie eines Abends in London von Fremden bedrängt wurde.

Die zentrale Aussage:

We can’t tell which men are safe because even the ones who are supposedly safe feel enabled to humiliate us for fun. No men are safe. Normal men aren’t safe. We are never safe because our society believes that the safety of women is not as important as the entitlement of men.

Das bedeutet nicht, dass jeder Mann sich schuldig fühlen muss. Sondern dass er die Situation der betroffenen Frauen ernst nehmen sollte und dieses Bedrohungsgefühl nicht durch “aber ich bin ja ganz anders” unberechtigt wird.

§

Zum internationalen Tag der Frau, 8. März, ließ die Zeit “22 Frauen aus Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Sport erzählen, wie sie Widerstände überwunden haben”.
“Erfolgreiche Frauen:’Mich treibt das Unterschätztwerden an'”.

Doch ich merkte, dass mich auch solche Artikel inzwischen müde machen.
Zwar freue ich mich sehr an erfolgreichen Frauen, und in der Reihe sind einige, die mich begeistern – doch ich weiß nicht so recht, ob sie sich für Erfolgstipps eignen. Die Ratschläge lesen sich mal wieder wie Rezepte, denen Frauen einfach nur folgen müssen, dann haben auch sie Erfolg. Die Gefahr ist groß, dass Entscheidungen oder Verhalten nachträglich zu Gründen für Erfolg definiert werden, wo es doch Persönlichkeitsaspekte waren, die dieses Verhalten erst ermöglichten. Eine Persönlichkeit kann man sich nicht einfach draufschaffen.

Am ehesten übertragbar auf alle Persönlichkeiten ist wohl der Appell, Verbündete zu suchen, eine Verbündete zu sein. Gleichzeitig bin ich mir bewusst, wie wichtig Vor-Bilder sind: “If she can see it, she can be it” heißt das Motto des Geena Davis Institute on Gender in the Media.

Als Gegenbeispiel fällt mir immer die epochale Schriftstellerin Marieluise Fleißer ein, die eben keine Erfolgsgeschichte aufweisen konnte. Zwar von klein auf durch und durch Künstlerin und mit einer unkonventionellen Persönlichkeit ausgestattet, biss sie sich halt nicht durch, sondern gab auf. Keine Erfolgsstory hier, nachdem sie von Bertolt Brecht ihren eigenen Berichten zufolge praktisch zum Erfolg gepeitscht werden musste – und zwar überhaupt nicht zu ihren Konditionen. Nach einem guten Jahrzehnt Künstlerinnenleben gab Fleißer auf: Zweckheirat in Ingolstadt, Jahrzehnte im Tabakladen ihres Ehemanns. Es war Zufall, dass Faßbinder und Kroetz sie wiederentdeckten und sie spät noch anerkannt wurde. Was der Einzelgängerin vor allem in frühen Jahren auffallend fehlte: Verbündete. Fleißers Biografie erschien mir immer ein viel nachvollziehbares Künstlerinnenleben als die Erfolgsbeispiele zum Internationalen Tag der Frau.

die Kaltmamsell

6 Kommentare zu „Journal Freitag, 12. März 2021 – Corona-Regel-Resignation“

  1. Sarah meint:

    Vielen Dank für den Link zu Julie Cohens Thread. Ich habe in den letzten Tagen den Fall Sarah Everard verfolgt, der die derzeitigen Diskussionen angestoßen hat und der mich ziemlich aufgewühlt hat. Ich kann gerade nicht einordnen, was mich wütender/trauriger macht – die Tatsache, dass eine 33jährige Frau in London auf offener Straße scheinbar entführt und dann ermordet wird, dass es ein Polizist war (Familienvater obendrauf) oder dass bereits in den ersten Reaktionen auf den, zu dem Zeitpunkt noch Vermisstenfall, einige die Schuld bei ihr gesucht haben. Sie hätte Lockdownregeln gebrochen, weil sie eine Freundin besucht hatte. Wie kann sie um diese Uhrzeigt (21 Uhr) alleine durch diese Gegend laufen (hellerleuchtete High Street), warum trug sie Kopfhörer? Ist dann ja nicht verwunderlich, dass sie zum Opfer wurde. Und gleichzeitig verstört es mich, dass mich dieser Fall mehr aufwühlt, als es wahrscheinlich ein Vermissten/Mordfall einer, zugespitzt formuliert, asiatischstämmigen Putzfrau auf dem frühmorgendlichen Weg zur Arbeit getan hätte. Ganz davon abgesehen, dass so ein Fall nicht die gleiche Aufmerksamkeit bekommen hätte.

  2. Eva meint:

    @Sarah: Danke für die Hintergründe zu dem empfohlenen Thread. Ich hatte den Fall und die derzeitigen Diskussionen bisher nicht mitbekommen.

  3. Steffie meint:

    Vielen Dank für das kritische Spiegeln dieses unbedingt-erfolgreich-sein-müssens…es widert mich zusehends an. Klar, ich kann mir meiner Stärken bewusst werden und schauen, was ich gern tue, kann mir aber kaum vorstellen, dass ich damit ein erfüllenderes Leben führen würde. Klar würde ich gern Texte redigieren (meine Stärke: Rechtschreibfehler springen mir geradezu ins Auge), ich wäre vielleicht auch eine fantastische Sekretärin, aber ehrlich gesagt, verdiene ich jetzt besser. Und stelle mir eine Anstellung in den beiden Themen auch nicht weniger anstrengend (im Gegenteil) vor. Aber es tun immer alle so, als würde ich durch Konzentration auf meinen Purpose auch zwangsläufig erfolgreich, glücklich und berühmt werden *augenroll*. Mir fehlt der Blick auf mutige Seitwärtskarrieren.

  4. Frau Irgendwas ist immer meint:

    Frauen die alles versucht haben und gescheitert sind (zB als Künstlerin) und dann einen ganz anderen erfolgreichen/erfüllenden/befreienden Weg gegangen sind … das wäre ja mal interessant!

  5. Berit meint:

    Hmmmm… Ich finde bei solchen Artikeln zum Frauentag geht oftmals unter das es vielen Frauen, wie auch Männern übrigens, gar nicht darum geht fett Karriere zu machen sondern gerade nach der Schwangerschaft überhaupt in der Lage sein zu können einen Beruf auszuüben mit dem man notfalls sich und sein Kind durchbringen könnte.

    Ob das nun die Bäckerin ist, Krankenschwester oder Vorarbeiterin. Wenn ich nicht zufällig in einem Umfeld lebe, das gewillt ist Familien und eben besonders Frauen zu unterstützen kann ich noch so sehr wollen aber werde nicht können.

    Schichtdienst mit Kleinkind? Viel Glück damit wenn das passende Umfeld fehlt. Und die meisten Jobs im mittleren und unteren LohnBereich sind heutzutage in Schichten sei es Einzelhandel, Pflege oder Logistik.

    Ich will gar nicht absprechen, das sich einige auch nicht zutrauen werden höhere Positionen anzunehmen, aber mir fehlt eben auch mal die Betrachtung der Arbeiterfrau.

  6. Simone meint:

    Mir geht es gerade wie Frau Gröner: mein Geduldsfaden ist zum Zerreissen gespannt. Und der Organisations- und Bürokratiewahn ist angesichts der Situation nicht zu rechtfertigen. Wir haben für meine Schwiegereltern Impftermine organisiert: online, mit Warteschleife, täglicher Nachfrage. Und als es endlich soweit war: kiloweise Papier. Allein hätten die beiden (81 + 87 Jahre) das niemals hinbekommen. Wo sind die pragmatischen Lösungen wie z.B. mobile Impfteams? Wann dürfen endlich niedergelassene Ärzte impfen und warum haben wir offensichtlich viel zu wenig Impfstoff? Wir brauchen endlich Tempo angesichts der Mutationen und was passiert stattdessen? Lockerungen und Schulöffnungen, entgegen der Warnungen von Experten. Für meine Begriffe werden hier ganz bewusst Menschenleben riskiert.

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