Journal Freitag, 23. April 2021 – Flashbacks zu Griechenland 1984
Samstag, 24. April 2021Das sonnige Draußen roch gewaltig nach Frühling.
Ich nahm früh das Rad in die Arbeit, erledigte im Büro noch ein paar Sachen und radelte dann zu einem weiteren Einsatz als Schöffin zum Justizzentrum am Stiglmaierplatz. Morgens war es noch kalt, doch gerade die Kombination aus kühler Luft, strahlender Sonne und Frühlingsgerüchen rief – wie fast immer – Erinnerungen an die Studienfahrt nach Griechenland zu Schulzeiten (1984) hervor: Auch nach 37 Jahren gehört das zusammen, war wohl eines der einschneidensten Erlebnisse meines Lebens.
Frühlingslandschaft bei Delphi.
Vor dem Museum in Delphi. Ich bin die dritte von links, 16-jährig – im damals sehr modernen Trenchcoat und mit den lang erbettelten Puma-Lederturnschuhen, die ich Idiotin dann im Athener Hotelzimmer unterm Bett vergaß. Links von mir die beste Fußballerin des Jahrgangs (zugegeben: eine von zweien), der Pulli an der Mitschülerin rechts von mir war sicher selbstgestrickt, der Regenüberwurf der Mitschülerin ganz rechts war ein K-Way (“Kawai” ausgesprochen), damals Synonym für Regenüberwurf (und furchtbar teuer).
Wie wenige Fotos wir damals machten!
Am Gericht ging es eher schnell, schon um halb elf waren wir fertig. Fürs Zurückradeln ins Büro brauchte ich nicht mal mehr Handschuhe.
Mittags gab es ein Laugenzöpferl sowie eine Orange mit Hüttenkäse.
Die Freude über die Freigabe des Impfstoffs AstraZeneca für Verimpfung in Hausarztpraxen hielt nicht lang: Die Praxen wissen von keiner Lieferung.
Die Ärzte werden jede Woche darüber informiert, welchen Impfstoff sie in der kommenden Woche erhalten können. Für nächste Woche wird den Hausärzten gar kein Astrazeneca-Impfstoff angeboten, sondern ein anderes Vakzin.
Nun: Ich stehe sein Januar auf der offiziellen bayernweiten Liste der Impfwilligen, jetzt auch auf der meiner Hausärztin – da ich nicht zur Gruppe besonders Gefährdeter gehöre, würde ich alles Weitere als Drängeln empfinden.
Daheim traf ich Vorbereitungen fürs Abendessen, die Zutaten hatte Herr Kaltmamsell besorgt: Bei offener Tür zum Küchenbalkon und ohne künstliches Licht (immer noch eine Sensation in der Küche) hobelte ich Gurken in den Kartoffelsalat und würzte das Hackfleisch für die Fleischpflanzerl (Ziebel und Knoblauch angebraten, Petersilie gehackt, Eier, Semmelbrösel, etwas Tomatenmark, Salz, Pfeffer).
Nochmal die Yoga-Einheit vom Vortag, diesmal tat sie richtig gut und nahm mir ein wenig von der ekligen Gereiztheit und schlechter Laune, die mich schon wieder plagten.
Fleischpflanzerl gebraten, dazu gab es Gin Tonic. Abendessen in letzter Sonne, die immer noch ungehindert von Laub über fast ihren ganzen Tageslauf ins Wohnzimmer scheint.
Helen Slavin, The Extra Large Medium ausgelesen. Auch wenn der Schluss die Schwachstelle des Romans ist, gefiel er mir insgesamt sehr gut. Erzählt wird die Geschichte von Annie, die tote Menschen sieht (sie tragen immer schokoladenbraune Kleidung), von klein auf. Anfangs war ich irritiert über die Parallele zu Hilary Mantels Roman Beyond Black und brauchte eine Weile, bis diese Geschichte ihren eigenen Charakter entwickeln konnte – und den hat sie.
Annie erzählt rückblickend und mit viel Galgenhumor ihr Leben, aber ohne reflektierende Distanz. Dazwischen gibt es kurze Kapitel aus der Sicht von Verwandten u.a. Mutter, Tante, Onkel, Stiefvater. Annie ergibt sich in ihr Schicksal und versucht sich mit ihrer Gabe nützlich zu machen, also die Botschaften der Toten an die Hinterlassenen zu überbringen – meist völlige Petitessen der Größenordnung, wo der Schlüssel zum Gartenhäuschen liegt. Sie hat ohnehin keine Chance auf ein auch nur halbwegs konventionelles Leben, die Toten lassen sie nicht in Ruhe (hier liegt eine Parallele zu Mantels Roman), sie schlägt sich irgendwie durch. Eingewebt ist dann auch noch eine Kriminalgeschichte, die zu dem etwas ungeschickten Schluss führt.
Vieles ist nicht auserzählt, das mag ich, ich fühlte mich als Leserin ernst genommen. Räume zum Beispiel werden durch den Eindruck vermittelt, den sie auf die Erzählerin erzeugen, nicht durch Möbelbeschreibung. Oder einschneidende Erlebnisse, die uns zunächst durch die traumatischen Auswirkungen erzählt werden, bevor wir Fragmente bekommen, aus denen sich der eigentliche Vorfall zusammensetzen lässt.