Journal Freitag, 9. April 2021 – Drogenlehrstunde am Gericht
Samstag, 10. April 2021Für gestern hatte die Wettervorhersage den Beginn einer mehrtägigen Frühlingsphase angekündigt, fürs frühe Radeln in die Arbeit brauchte ich aber noch energisch Mütze und Handschuhe. Früh, weil ich vor meinem Schöffinnentermin am Amstgericht noch ins Büro wollte, Radeln, weil ich damit vom Büro am schnellsten ins Justizzentrum am Stiglmaierplatz kam. (Radlfitness auf diesen kurzen Stadtstrecken übrigens so trainiert wie vor einem Jahr, auch auf Steigungen. Auf längere Tourenstrecken habe ich immer noch keine Lust.)
Die Gerichtsverhandlung, in der ich als Hilfsschöffin eingesprungen war, drehte sich um Betäubungsmittel, beschuldigt wurde ein junges Hetero-Paar aus meiner Geburtsstadt. Die Staatsanwältin verlas zwei (unverbundene) Anklagepunkte, der erste beruhte auf der Aussage einer Zeugin, die aus dem Ausland geladen war – und mit deren tatsächlichen Erscheinen eigentlich niemand rechnete. Es war dann ein filmreifer Moment, als diese Zeugin aufgerufen wurde (dazu spricht die Protokollantin in ein Mikrofon, das im Richtertisch eingelassen ist), erst mal nichts passierte, als die Richterin den nächsten Zeugen aufrufen ließ, sich die Tür zum Gerichtssaal öffnete und mit diesem nächsten Zeugen auch die zentrale Zeugin aus dem Ausland hereinkam.
So erlebte ich gestern ein Verfahren, das ganz anders verlief als vorhergesehen. Ich lernte viel über die zeitgenössischen Aggregatsformen von Drogen (Cannabis gibt es jetzt auch als “Wachsstifte” für E-Zigarretten), dass Anklageschrift den Ausdruck “schwunghafter Handel” verwenden kann, machte Bekanntschaft mit einem nahezu Diphtong-freien österreichischen Dialekt, mit den Kriterien, an denen Polizisten bei jemandem wahrscheinlichen Drogenrausch festmachen, hörte psychatrische Gutachten zu Sucht. Zum ersten Mal waren auch die Plätze im Zuschauerbereich besetzt – alle fünf, die wegen Corona-Maßnahmen von den ca. 20 Sitzen freigegeben waren.
Um die Mittagszeit radelte ich zurück ins Büro; jetzt brauchte ich weder Mütze noch Handschuhe, mein Janker fühlte sich zu warm an. Gegen den bohrenden Hunger aß ich nur schnell ein Stück Käse, ich hatte morgens eine eigentlich pressierige Aufgabe unerledigt zurücklassen müssen und machte mich sofort daran. Dann aß ich noch zwei Orangen und einen Apfel. Nachmittags gab es einen Haferriegel (hatte ich am Vortag als Notration fürs Gericht besorgt, damit mir bei einer unerwartet langen Verhandlung nicht wieder schwindlig würde).
Nach Feierabend radelte ich direkt heim und genoss die milde Luft.
Die Yoga-Einheit des Tages bestand hauptsächlich aus Dehn- und Entspannungsübungen, die wiederhole ich nicht.
Herr Kaltmamsell hatte das traditionelle Freitagabend-Pfannenfleisch besorgt: ein schönes Stück Lende. Ich bereitete Ernteanteil-Salat (Postelein und Kresse) mit zugekauften Tomaten zu und machte eine Flasche Rotwein auf (Südafrikanischen Owl Post). Auch wenn ich es schade finde: Zwei Schluck guter Rotwein entspannen mich deutlicher als 30 Minuten Yoga.
Nachtisch viel Osterschokolade. Nach der Tagesschau schauten wir noch eine Folge Star Trek Picard, gingen früh ins Bett.
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Wieder eine Heldinnengeschichte aus der Naturwissenschaft, diese in der New York Times:
“Kati Kariko Helped Shield the World From the Coronavirus”.
She grew up in Hungary, daughter of a butcher. She decided she wanted to be a scientist, although she had never met one. She moved to the United States in her 20s, but for decades never found a permanent position, instead clinging to the fringes of academia.
Now Katalin Kariko, 66, known to colleagues as Kati, has emerged as one of the heroes of Covid-19 vaccine development. Her work, with her close collaborator, Dr. Drew Weissman of the University of Pennsylvania, laid the foundation for the stunningly successful vaccines made by Pfizer-BioNTech and Moderna.
Aber es ist halt auch eine Geschichte, durch wie viel Mühe und materielle Not der akademische Lebensweg üblicherweise führt. Und eine Geschichte, wie notwendig Grundlagenforschung ist, deren Ergebnisse scheinbar keinen praktischen Nutzen haben: Die daraus gewonnen Erkenntnisse können jederzeit und schlagartig ungeahnte Einsatzbereiche bekommen.