Journal Pfingstsonntag, 23. Mai 2021 – Würmspaziergang Gauting nach Starnberg

Montag, 24. Mai 2021 um 8:29

Ausgeschlafen, zu Regen aufgewacht.

Meine persönliche Innenausstatterin, Mutter, hatte mir aktuelle Ausgaben der Zeitschrift Schöner Wohnen zur Inspiration mitgebracht, die sah ich durch (ewige Liebe für deren Podcast-Titel Sofa So Good, genau mein Humor). Das mit der Inspiration funktioniert manchmal tatsächlich: Die haben ihren Holzschemel ins Bad gestellt? Gute Idee, der steht hier eh etwas heimatlos rum, brauche ich mich nicht immer auf den kalten Badewannenrand setzen.

Die großen Einrichtungsideen, die hier präsentiert werden, scheitern aber fast durchgehend an meinen superspießigen Praxis-Einwänden. Beispiel freistehende Badewannen: Sehe ich seit vielen Jahren in den örtlichen Bädergeschäften, schauen sensationell toll aus. Und doch frage ich mich halt: Wo lege ich da meine Seife ab? (Nachfrage bei Twitter ergab: Hocker danebenstellen.) Und mein Badetuch? Wie dusche ich mich abschließend ab, ohne das Bad unter Wasser zu setzen? Oder die echte Wohnung in Stockholm, von einer Frau bewohnt, die von 350 qm Wohnfläche (Familienhaus) auf 49 qm (Single-Innenstadtwohnung) reduzierte: Die Kleidungsnische mit den sieben Kleidern und den fünf Blazern ist ja nett (gelernt: “begehbarer Kleiderschrank” heißt es, wenn um die Kleiderstange kein Schrank ist), aber wo ist die restliche Kleidung? Die Unterwäsche, die Socken, die Pullis, die Sportkleidung, die Schlafanzüge? Wenn ich vor einem Fotoshooting 80 Prozent meines Zeugs aus der Wohnung entfernte und ins Treppenhaus stellte, könnte ich wahrscheinlich auch ästhetische Aufnahmen machen.

Spannend finde ich auch immer die Ausstattungsideen für Miniwohnungen – aber der Schreiner-Maßeinbau für das 29-qm-Apartment in Berlin Schöneberg kostet sicher so viel, dass das drei Jahre die Mietdifferenz zu einer 50-qm-Wohnung begleicht.

Allerdings höre ich mich bei diesem Thema an wie meine Mutter, die beim Anblick von Haute-Couture-Modeschauen kritisierte: “Das kann doch niemand tragen!” Die Einrichtungsideen in Einrichtungszeitschriften sind wahrscheinlich ebenso wenig fürs echte Leben gedacht wie Haute Couture, sondern einfach Kunst.

Plan war gestern, mit Herrn Kaltmamsell den Rest der Würm-Wanderung Pasing-Starnberg zu spazieren, also zwölf Kilometer von Gauting nach Starnberg. Die Wetterradare sagten Regen-Ende für Mittag voraus, also planten wir entsprechend.

Zum Frühstück gab es den Rest Linsen vom Vorabend, außerdem Erdbeeren und Orange mit Schafjoghurt. Um halb zwölf regnete es noch heftig, unterbrochen von einem Hagelschauer. Doch um halb eins war Ruhe, und von der S-Bahn nach Gauting aus sahen wir bereits bayerisch blau-weißen Himmel. Ich mag es, wenn das Wetter sich so angenehm an die Vorhersage hält.

Erste Sensation beim Verlassen der Ortsgrenze Gauting: Auf einem entsprechenden Sportplatz trainierten Buben Baseball, an verschiedenen Stationen und so richtig wie im Fernsehen (Nachrecherche ergab: Das waren die Gauting Indians). (AbEr DIe dEUtScHe lEiTKuLtUr!) (Spass.)

Das Würmtal und vor allem die Würm selbst sind wirklich ungemein malerisch. Wir versuchten so oft wie möglich direkt am Bach zu gehen, egal wie matschig. Herr Kaltmamsell lotste uns aber auch den Schlossberg hinauf: Mühsam, denn Mountainbike-Reifen hatten den Pfad in einen einzigen Morast verwandelt.

Immer wieder kamen wir durch sonnige Abschnitte mit Wiesen und energischem Grillenzirpen, im letzten Drittel genossen wir herrliche Ausblicke. Weitere Attraktion: Die Villa Rustica bei Leutstetten, Fundamente eines römischen Gutshofs, der etwa im 2. Jahrhundert n.Chr. aufgegeben wurde. Schön auch der Abschnitt über Holzplankenwege durchs Leutstettener Moos. Am Himmel Mauersegler und Schwalben.

Viele, viele Radler*innen, der Weg ist aber auch als Radwanderweg markiert. Ein Wanderurlaub im Naturpark Bayerischer Wald wurde vor allem deshalb attraktiv, weil dort Radeln wohl nur auf eigens gekennzeichneten Wegen erlaubt ist. Wenn sich daran gehalten wird (lassen Sie mir vorerst meine Illusionen, die allen sonstigen Erfahrungen widersprechen), könnte dort gedankenversunkenes Wandern ohne ständiges Lauschen auf Fahrradgeräusche und Blicke über die Schulter möglich sein.

Die Starnberger Uferpromenade war gut besucht, inklusive der jetzt wieder geöffneten Außenbereiche von Cafés und Restaurants.

Crossover Hipster-Holdrio. Die Wirtschaft sah dann tatsächlich exakt so aus und hörte sich so an, wie das Design des Schildes verhieß: Biergarten ausgestattet mit Sperrmüll, Motown-Musikbeschallung, Speisen und Getränke aus Streetfood-Wagen. Alles in der Typografie und der Beschriftungstechnik angelegt.

Einbettl.

Zurück daheim begrüßten uns die Rosentagsrosen als Leuchtobjekt.

Ich füllte eine Waschmaschinenladung und gönnte mir eine Yoga-Folge mit viel angenehmem Dehnen (die neuartigen Rückenschmerzen der vergangenen Monate wollen aber einfach nicht weggehen, ich werde dann doch Physiotherapie bemühen müssen), Herr Kaltmamsell übernahm die Küche.

Es gab nochmal Maibowle, als Nachtmahl servierte Herr Kaltmamsell englischen Hackbraten mit Kartoffel-Weißkraut-Stampf. Nachtisch reichlich Schokolade.

die Kaltmamsell

29 Kommentare zu „Journal Pfingstsonntag, 23. Mai 2021 – Würmspaziergang Gauting nach Starnberg“

  1. Alexandra meint:

    Im letzten Jahr habe ich mich aufgrund Auszugs des jüngsten und damit letzten meiner drei Kinder reduziert von siebundsechzig Quadratmetern auf knapp ein Drittel derselben. Ich hatte zum Glück die Zeit, jedes! einzelne! Teil! meines Besitzes in die Hand zu nehmen und darüber zu entscheiden. Und was soll ich sagen? Platzprobleme habe ich jetzt jedenfalls keine. Ich entrümpelte jüngst sogar noch mehr. Das geht also – es ist eine tiefgreifende Haltungsfrage, denke ich. Aber das muss ja nicht jedes Menschen Sache sein. Nur weil es für mich großartig ist, ist es ja nicht Ultima Ratio für den Rest der Menschheit.

  2. Ilka meint:

    Danke für die Wanderungsbeschreibung und Danke an Alexandra für den letzten Satz ihres Kommentars.
    Viele Grüße
    Ilka

  3. die Kaltmamsell meint:

    Ich bezweifle aber, Alexandra, dass Sie jetzt keinen Platz mehr für Pullis, Unterwäsche und Socken brauchen, wie es den Anschein bei der beschriebenen Dame hat. Oder doch? Dann wäre ich sehr neugierig auf Details.

  4. FrauC meint:

    Danke für den Gedanken, “Schöner Wohnen” als Kunst zu betrachten! Ich rege mich auch immer darüber auf, wo in diesen Beispielen das ganze “Zeug” ist: Bügelbrett und -eisen, Wäscheständer, Staubsauger, Putzzeug für Wohnung und Schuhe, Werkzeug, Aktenordner, Winterkleidung, Dreckwäsche, selten benötigtes Kochequipment… Außer natürlich in eigenen Beiträgen zu Ordnung, wo dann jede Wohnung wunderbarerweise eine passende Nische für eine praktische Aufbewahrungslösung hat, in der das “Zeug” dann locker-luftig in ordentlich beschrifteten einheitlichen Behältern dekorativ aussieht.

  5. Croco meint:

    Bei Schöner Wohnen denke ich immer, die haben das im Studio aufgebaut. Wenn man aus den Fenstern sieht, ist es immer grün und es kommt Licht von allen Seiten.
    Im Gegensatz zum Freundeskreis habe ich wirklich wenig Küchenequipement und doch sind die Schränke voll. Auch Sommer-und Winterkleidung muss verstaut werden. Bettwäsche, Sommer- und Winterdecken, Gartenmöbel im Winter.
    Bei uns kommt noch all das zusätzlich hinzu, was Herr croco am Arbeitsplatz nicht aufbewahren kann.
    Eine Familie kenne ich, die tatsächlich weiße Ledermöbel mit Chrom hat, einen Blick ins Grüne, und nichts steht rum. Es kommt mir immer vor wie im OP-Saal, der Mann ist allerdings Chirurg.

  6. Monika meint:

    Bei diesen Kleinstwohnungen oder Tiny Houses frage ich mich auch immer, wo alles Notwendige untergebracht wird. Man hat ja nicht nur Kleidung für verschiedene Jahreszeiten, sondern auch Bettwäsche, Geschirrtücher und Handtücher. Muss man dann eine Waschmaschine laufen lassen, die nicht mal zu einem Drittel gefüllt ist, um wieder frische Sachen zu haben? Und wo steht die Waschmaschine überhaupt? Wo wird die Wäsche getrocknet? Ich halte Tiny Houses für einen ausgemachten Unsinn. Hauptsächlich aus Gründen des Landverbrauchs. Es ist wie Camping bzw. Schrebergarten ohne Gärtnern. Taugt höchstens als Ferienwohnung und so werden sie auch genutzt werden.

    Ich würde nur frisch geduscht eine Badewanne benutzen wollen, egal ob freistehend oder anders. Man legt sich nur zur Entspannung rein. Alles andere finde ich eklig.

  7. Alexandra meint:

    Brauch’ ich. Hab’ ich.

  8. Alexandra meint:

    Das ist alles eine Frage der Definition dessen, was wirklich “notwendig” ist. Und das sieht jede/r anders.

  9. Alexandra meint:

    Ich habe die Fotos aus der Stockholmer Wohnung vorhin auf der Homepage der Zeitschrift angesehen – für mich ist klar, dass da einige Ecken überhaupt nicht gezeigt werden. Und die Küche finde ich megakrass …

  10. Monika meint:

    Einrichtungsideen gibt es auch hier:

    https://www.tagesanzeiger.ch/sweethome

  11. hafensonne meint:

    Es gibt für Badewannen so Art Brett, das man quer darüberlegt, darauf können Seife und dergleichen abgelegt, bei Bedarf auch ein entsprechendes Getränk bereitgestellt werden.

  12. mhs meint:

    @Monika, also ausgemachten Unsinn als Globalverdammung von tiny houses halte ich doch für eine sehr persönliche Ansicht (und überraschend viele haben sogar eine Normwaschmaschine darin) aber als Anregung gegen unsere Tendenz unsere Wohnungen vollzustopfen finde ich die tiny house Bewegung nützlich.
    Was mich bei diesen tollen Einrichtungsabbildungen regelmäßig auf die Palme bringt, ist die Tatsache dass “man” nur in Altbauten stilish wohnen kann. Oder hat jemand mal eine Strecke in einer Wohnung mit einer 2,36 Deckenhöhe gesehen? Auch die Inspirationen des Tagesspiegels sind mehrheitlich deutlich höher.

  13. Christine meint:

    Freistehende Badewanne ist ja hypsch anzuschauen, aber wer will dahinter putzen? Überhaupt wird bei vielen Einrichtungsideen zu wenig auf die Pflege geachtet: Diese netten Wasserhähne mit Knebelgriff – wie will man die kalkfrei halten? In meinem neuen Haus gab es eingebaut Spiegel hinter den Waschbecken, die sich bis zu selbigen herunterziehen: Ich habe ständig Wasserflecken an den Spiegeln und müsste dreimal am Tag dort feudeln.

    Meine Einrichtung hier mag nicht immer superschön sein. Sie ist aber immer pragmatisch.

  14. Monika meint:

    @mhs

    Das Hauptproblem bei den Tiny Houses ist der Verbrauch von Fläche. Man hat vielleicht weniger Krempel, aber lebt deshalb noch lange nicht ökologisch und schon gar nicht nachhaltig. Die Häuschen sind auch nicht anständig gedämmt, sondern werden meist mit Kaminöfen beheizt, was noch ein zusätzliches Problem ist.

  15. Neeva meint:

    Zum Thema Wohnungsfotografie:
    https://unhappyhipsters.tumblr.com/

  16. Alexandra meint:

    Es ist Luxus, zugegeben. Aber zweihundert Quadratmeter Wiese genügen – im Gegensatz zu einem Bungalow aus den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts, dessen Energiebilanz zudem deutlich horrender sein dürfte. Des Weiteren gibt es für Dämmung auch beim Tiny-House Vorschriften, die von der Gemeinde, in der es aufgestellt wird, vorgeschrieben sind.

  17. Alexandra meint:

    Ach ja, und Heizen mit Holzofen ist auch längst nicht überall erlaubt, wo Tiny-Houses stehen. Tatsächlich sind die Bau-, Heiz- und sonstigen Vorschriften für diese Mobilien nicht sooo weit weg von denen immobiler Bauweisen.

  18. Gaga Nielsen meint:

    @Monika:

    ich stehe auf der Leitung: “Hauptproblem (…) Tiny Houses (…) Verbrauch von Fläche” ???

    “Verbrauchen” diese Minihäuschen nicht exorbitant weniger Fläche, als jedes andere alleinstehende Haus? Oder ist die Kritik zu verstehen als “im Vergleich zu einem mehrstöckigen Mietshaus”?

    Als Dauerwohnsitz wär mir das auch zu beengt, aber die Vorstellung, so ein kleines Refugium in einer besonderen Idylle zu haben, hat schon viel Charme. Ich glaube oder hoffe aber schon, dass die ausgewiesenen Tiny House-Bewohner auch wirklich da und nicht noch sonstwo wohnen. Das wäre ja sonst eine Form von Volksverdummung à la airbnb, wenn das nur Zweitwohnsitze wären.

  19. Monika meint:

    @GagaNielsen

    Man könnte anstatt einer Tiny House-Siedlung verdichtet bauen und damit könnten dort mehr Menschen auf der selben Fläche leben. Deshalb sind ja selbst Einfamilienhäuser nicht ideal.

    Natürlich werden die dann auch als Zweitwohnsitze genutzt oder als Ferienwohnung vermietet. Es liegt an den Gemeinden, was für Auflagen sie machen, aber ich habe da bis jetzt noch nichts Nachhaltiges gesehen.

    In meiner Herkunftsgemeinde denken sie darüber nach, Grundstücke für Tiny Houses anbieten, um junge Menschen anzuziehen. Allerdings haben sie auch nichts dagegen, wenn Rentner dort Eigentum erwerben, um sich zu “verkleinern.” Irgendwie meint man dort, man müsse diesen Trend mitmachen. Andere Kommunen machen es schliesslich auch. Da passt es ganz gut, dass es im Landkreis ein Start-up-Unternehmen für diese Tiny Houses gibt, die alles andere als billig sind.

    Irgendwann ist die letzte Wiese bebaut. Tiny Houses sind genauso spiessig, wie Einfamilienhäuser.

  20. Sandra meint:

    Monika, Ihre Ansicht teile ich zu 100%. Auch ich kann nicht nachvollziehen, was an Tiny Houses nachhaltig sein soll – außer man stellt vielleicht mehrere übereinander. Und in dem Fall ist man mit einem gescheiten Mehrfamilienhaus vermutlich besser bedient.
    Aber vielleicht übersehe ich da was?

  21. Sibylle meint:

    In unserer Gemeinde wird eher darüber nachgedacht, Tiny Häuser nicht zu genehmigen, weil man befürchtet, es könnten soziale Brennpunkte entstehen, weil sie eher attraktiv für Leute mit kleinen Geldbeutel sind. In einer Nachbargemeinde gibt es seit Jahren einen sogenannten Ferienpark, da wohnen vor allem Dauercamper. So groß scheint mir der Unterschied zum Tiny House nicht zu sein, außer dass dieses natürlich hipper ist

  22. Gaga Nielsen meint:

    Bisher habe ich nur den Aspekt wahrgenommen, dass die Minihäuser sich organischer in die Landschaft einfügen als größere Wohnklötze, und deswegen weniger den Eindruck einer “zerstörten Landschaft” hinterlassen. Sobald es mehr als zweistöckig wird, hält ein urbaner Eindruck von Mietshaus Einzug. Die Idee war doch eine romantische, sich in einer Idylle einzurichten, und das möglichst unauffällig. Die in Frage kommenden Idyllen sind kaum in Städten vorzufinden, nehme ich an, sondern in der Pampa jwd und nur mit viel Glück in den Speckgürteln, oder? Dass Kleingartenkolonien zweckentfremdet wurden und werden ist auch ein alter Hut. Ist immer schwierig, dass so zu verurteilen, weil man den Wunsch auch nachvollziehen kann. Wenn sich jemand etwas im Grünen und in der Stadt leistet und es auch wirklich regelmäßig pendelnd nutzt und bewohnt, finde ich das weniger ahndungsbedürftig als gezielt ein Objekt zwecks nicht versteuerter Ferienwohnungsbewirtschaftung zu halten.

  23. Monika meint:

    @GagaNielsen

    Irgendwo in der Pampa gibt es eigentlich nicht mehr. Zumindest im Süden Deutschlands ist das Interesse an Zuzug auch gross. Viele Gemeinden können kaum noch Bauland ausweisen. Der Wunsch nach einer eigenen Bleibe im Grünen bleibt aber bestehen. Ich fände es vernünftiger und die Kommunen wollen das auch, innerhalb der Orte vorhandene Altsubstanz zu renovieren. Gleichzeitig spüren sie den Druck immer wieder Bauland bereitzustellen. Harmonisch in die Landschaft fügt sich eigentlich nichts. Die Landschaft ist weg, sobald sie bebaut ist. Wenigstens gibt es Landschaftsschutzgebiete, sonst bliebe nichts mehr übrig.

    @Sibylle
    Kluge Gedanken von Ihrer Gemeinde. Dazu kommt, dass ein Tiny House in kürzester Zeit runtergewohnt ist. Es könnten kleine Slums entstehen.

  24. Kitty Koma meint:

    Ich habe eine Freundin, die kann mit wenigen Handgriffen wunderbare Einrichtungen schaffen. Ein alter Kirschholzhocker, ein besticktes Tuch, eine Ecke in ihrem Bad und es sieht schön aus. Nur darf man sich auf den Hocker nicht draufsetzen, der bricht dann zusammen. Es ist nur fürs Anschauen gedacht, wie so viele Dinge in ihrem Haus. Auch in ihrer früheren Wohnung, wir kennen uns schon sehr lange, bewunderte ich den Stil, wie sie irgendwelche geerbten Möbelstücke zusammenfügte. Aber auch da war das Problem, sie standen für den Effekt, nicht fürs Wohlfühlen oder waren eigentlich gar nicht benutzbar. Das war reines Staging. Wir hielten uns immer auf der Küchenbank auf und wenn sie müde geredet war, fiel sie auf eine Matratze in einem nicht eingerichteten Zimmer.
    In ihrem Haus, das auch schon in Zeitungen zum Thema Landleben stand (fällt mir grade ein), sieht es übrigens nur idyllisch aus, wenn sie mehrere Tage aufräumt. Zwischendurch kämpft sie genauso gegen das Chaos der vielen Dinge wie wir. Und sie liegt den meisten Teil der Freizeit auf einem Ligne-Roset-Sofa, das keine Designentscheidung war, sondern jemand vor vielen Jahren mal übrig hatte und das einfach unkaputtbar ist. Das steht gegenüber vom Küchenkamin, hat viele Decken und Kissen und da schlafen auch ihre vier Katzen. Es ist so gemütlich wie ein kleiner Schweinekoben und das ist wirklich nicht abwertend gemeint, weil ich solche muldenförmigen ausgepolsterten Lager sehr mag.

  25. Joe meint:

    Tatsache ist, dass wir uns keinen Flächenverbrauch leisten können. Tiny Houses ist möglicherweise ein Fortschritt zu Einfamilien-Häusern, aber das Problem ist größer. Es geht um Verdichtung, und Wohnungsbau. Das Thema “Tiny Houses” ist da nur eine Ablenkung vom eigentlichen Problem und der Notwendigkeit zu drastischen Änderungen. Ähnlich auch das Thema Dach/Fassadenbegrünung. Sehr aufwändig, und soll am Ende nur den unökologischen Status Quo unserer Wohn- und Verkehrsbedingungen verschleiern.

  26. streckenweise meint:

    Ein Ex von mir hatte von seinen Vormietern eine Einbauküche übernommen, die viel mehr Schränke enthielt als er für Küchenkram benötigte. Also war bei ihn in den Hängeschränken auf der einen Seite der Küche alles mögliche, nur kein Küchenzubehör. Da die Stockholmerin in ihrer Küche ja auch Schränke bis zur Decke hat, vermute ich, daß sie dort auch viel verstaut, was andere nicht in der Küche verstauen würden.
    Weitere Lagermöglichkeit: In Berlin wird an gefühlt jeder zweiten (mind.) freien Ecke ein Self-Storage-Lagerhaus hochgezogen, wo man dann Abteile verschiedenster Größe mieten kann. Das bietet sich dann ja für alles an, was man nicht ständig braucht (Saisonbekleidung, Gartenmöbel, Koffer…). Gibt es das in anderen Großstädten nicht? Ob man dann finanziell günstiger kommt als mit einer größeren Wohnung ist natürlich eine andere Frage.

    TinyHouses haben ein extrem schlechtes Verhältnis von Oberfläche zu Volumen und sind schon deswegen energetisch schwierig. Außerdem sind sind schlechter gedämmt als moderne “richtige” Häuser. Zusätzlich: “Organisch in die Landschaft einfügen” sie sich ja auch nur so lange, wie sie einzeln stehen – und dann muß man natürlich ehrlicher Weise auch den Energieaufwand für das Pendeln zum Arbeiten/Einkaufen mit hinzurechnen. Das sind ja dann schon Entfernungen, die man üblicherweise nicht mehr nur mit dem Fahrrad zurück legt.

    (Und ist “organisch in die Landschaft einfügen” nicht auch eher ein romantisches Wunsch-Ideal? Zumindest in Deutschland gibt es fast keine Fläche mehr, die nicht vom Menschen geformt ist, aber es soll bitte wenigstens alles irgendwie “natürlich” aussehen, damit wir so tun können, als hätten wir nichts getan? Ein Wohnblock mag nicht “organisch” aussehen, ist aber, was Flächenverbrauch und Energiebilanz angeht unschlagbar)

  27. Alexandra meint:

    Am Niederrhein und in Schleswig-Holstein, auch in Mecklenburg-Vorpommern gibt’s jede Menge “Pampa” – jedenfalls im Sinne von “weitab vom Schuss”. Was es in dieser (auch) Kulturlandschaft (ursprünglich “natürlich” ist da nix, richtig!) nicht gibt, sind kleine Singlewohnungen mit unmittelbarem Wiesenanschluss. Wer sowas sucht und nicht findet, greift vielleicht zum Tiny-House, andere Aspeke dieser Wohnform hintangestellt.

  28. Kitty Koma meint:

    Zum Tiny House muß ich doch noch etwas loswerden. Ein tiny house allein in einem Garten verbraucht die Ressource Fläche, da könnte besser ein größeres Haus stehen. Viele tiny houses in einem Garten könnten ein soziales Problem werden, das ist nicht weit von Trailer Home Park.
    Ein absurdes Bild: der einsam lebende moderne Mensch, der ökologisch korrekt einen kleinen Außenpanzer, ein Schneckenhaus um sich herum hat. Ewig flexibel, schnell woanders hin organisierbar.
    Dazu kommt, daß das Leben nur zu Bruchteilen in tiny houses stattfinden wird. Alles, was Platz braucht, wird nach draußen verlagert oder geht an Dienstleister. Wäsche waschen, Nahrungsvorrat, Lagerplatz für Dinge, die nicht gebraucht werden, andere Menschen treffen, Sport, jeglicher raumgreifender Genuss wie dingliche Kunst, feiern, werkeln.
    Gestapelte tiny houses sind Wohnblöcke, die „Fickzellen mit Fernheizung“ (Heiner Müller) oder „Arbeiterschließfächer“(Volksmund), die Einzelzellen der Dystopien. Ich habe einen Teil meiner Kindheit in einem Wohnblock verbracht. Das muß man mögen und nicht umsonst sind die Wohnblocksiedlungen allesamt zu Lagerstätten für die Abgehängten der Gesellschaft verkommen.
    Ressourcenschonendes Wohnen hat für mich mit floatend zu nutzendem Raum zu tun. Große Räume für Gesellschaft, kleine für Rückzug und Intimität, flexibel belegbar, je nach Bedarf der Generation. Das geht nur mit vielen Menschen in einem Haus, einer Großfamilie oder Wahlfamilie. Mit nachhaltigem Bau. Heutige Innenausbauten mit Installationen, Gipskarton und Fliesen sind auf eine Lebensdauer von 15-20 Jahren konzipiert. Was für eine Verschwendung. Heizen, wer hat eigentlich die Idee gehabt, daß in Innenräumen ewiger Frühsommer herrschen muß? Um Heizmaterial zu sparen wird gedämmt und alles verschimmelt, die Konstruktion verfault oder es gibt tausend technische Einrichtungen, wie Entlüftungen, die dem Effekt feuchte Höhle abhelfen sollen.
    Es wird nichts helfen, wir werden wohl wieder enger zusammenrücken müssen. Ob nun jeder in seinem Schneckenhaus, das bezweifle ich.
    (Nebenbemerkung zum Floaten je nach Platzbedarf: Das funktioniert nur mit Regeln und Druck. Keiner gibt freiwillig ein kommodes, großzügiges Revier auf, solange es bezahlbar ist und das Leben darin funktioniert.)

  29. Anne meint:

    Tiny houses sind halt erschwinglich! Für die jetzt junge Generation wird es schwierig, sich jemals ein Eigenheim zu leisten – der Wunsch ist aber da (teilweise verständlich als Absicherung und Flucht vor umkämpften Mietmarkt). Wer kann sich eine kleine Eigentumswohnung in der Stadt kaufen? Dann halt ein mickriges Einpersonenhaus auf dem Land.

    Und was ist jetzt besser, dass alle Kinder sich für die eigene Familiengründung eigene Einfamilienhäuser bauen, die Omas und Opas bleiben allein in ihrem großen Haus wohnen? So haben es doch viele Leute gemacht, die jetzt so ca. 40 und älter sind (davor die Generationen eh). DAS ist doch mal wirklicher Flächenverbrauch.
    Tiny Houses sind einfach ein weiteres Symptom des ingesamt nicht sehr fairen Verteilungskampfes (um Platz, Vermögen, gute Jobs, eine gute Zukunft) …

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