Archiv für Juni 2021

Journal Mittwoch, 23. Juni 2021 – IMPF2

Donnerstag, 24. Juni 2021

Guter Schlaf! Im Blog zu quengeln hilft!

Es hatte deutlich abgekühlt, für Balkonkaffee war es zu kalt (und noch nass vom nächtlichen Regen).

Ankleiden für IMPF2. Eigentlich hatte ich gar keine Lust auf Abendkleid, zumal ich mir nicht sicher war, ob es noch passen würde. Ich hatte mich schon so weit gebracht einzusehen, dass auch ich nicht alles gnadenlos durchziehen muss, was ich einmal angekündigt habe, dass ich nicht jegliche Glaubwürdigkeit verlieren würde. Aber dann stellte ich beim Browsen durch meine Kleiderschränke fest, dass mir keine Impf-taugliche Alternative einfiel: Das ärmellose Abendkleid mit geh-freundlichen goldenen Pantoffeln war tatsächlich die beste Option.

Flohmarktkauf, original 1960er, als eine Frau in meinem Alter schon seit einigen Jahren Oma war und niemals ihre welken nackten Oberarme gezeigt hätte.

Eine Stunde Büroarbeit, dann machte ich mich auf Richtung Impfzentrum. Ein wenig geriet ich in Hektik, weil ich den falschen Zubringerbus von Messestadt West zum Impfzentrum rausgesucht hatte: Dieser brachte mich nur zum Anfang der Straße, den Rest musste ich zu Fuß erhasten. Reichte dann aber noch dicke, wie beim ersten Mal war alles perfekt organisiert. In der Schlange zur Erstimpfung auffallend viele junge Menschen.

Die Impf-Ärztin fragte mich, was ich beruflich mache, und guckte auf meine Antwort “Sitzen” irritiert. Ich bin gewohnt, dass diese Frage von Mediziner*innen sitzende oder stehende Tätigkeit oder schwerer körperliche Arbeit herausfinden will und kürze deshalb ab – aber diese Fragerin wollte vielleicht Smalltalk machen?

Beim Stempel-Abholen für den Impfpass dann endlich: “SIE haben aber ein schönes Kleid an.” Geht doch, jetzt konnte ich antworten: “Ist ja auch ein festlicher Anlass.”

Während der Wartezeit auf Sofortreaktionen (es war von zehn statt der 15 Minuten bei Erstimpfung die Rede) scannte ich mit der Corona-Warn-App die QR-Codes für den digitalen Impfnachweis: Völlig problemlos – aber ich finde die stetig erweiterte App sowieso super und verstehe das Gemaule darüber nicht. Dann meldete ich das ZweitIMPF gleich mal in der SafeVac-App des Paul-Ehrlich-Instituts.

Kurzer Einblick in die Arbeit meines Immunsystems.

Die Rückfahrt verlief problemlos.

Und dann erjagte ich in meiner Mittagspause auch noch einen Schwimmslot im Schyrenbad für Samstag – das war ja gestern wohl mein Glückstag. Zu Essen gab es Nackthafer mit Gemüse vom Vorabend und einen Apfel. Danach wurde ich sehr müde, nachdem ich das aber auch an vorherigen Nachmittagen hatte, will ich die Müdigkeit nicht aufs Impfen zurückführen.

Auf dem Heimweg Lebensmitteleinkäufe, die Temperatur war angenehm. Zum Abendessen ging ich mit Herrn Kaltmamsell zu Servus Habibi, jetzt nicht mehr zum Mitnehmen, sondern vor Ort im Sitzen bestellt und gegessen.

Labneh, Fatoush, BabaGanoush, Brotfladen, später kam noch ein Schüsselchen mit Labneh mit gebratenen Pilzen dazu. Auch diesmal schmeckte es ausgezeichnet. Dazu genoss ich den Blick auf die Schwanthalerstraße, die ich ganz besonders mag: Ungestylt, voller Geschmacklosigkeiten – aber diese mit großer Geste, nicht so poplig wie in der Vorstadt oder der Provinz, dazwischen historische Gebäude, vor allem aber die bunteste Menschenmischung Münchens.

Auf dem Heimweg erwischte uns das Gewitter, das bereits seit Stunden gedräut hatte. Wir rannten zwischen den Regentropfen durch, wurden nur mittel nass.

Doch am Abend brach dann ein heftigeres Gewitter mit Sturzbächen aus.

§

Fünf Jahre nach dem Brexit-Referendum blickt ARD-Korrespondentin Annette Dittert auf damals zurück – und auf die derzeitigen Auswirkungen:
“‘Über Nacht war alles anders'”.

Das sind ganze Industriezweige, die derzeit wirklich ums Überleben kämpfen. Vor allem kleinere Betriebe kommen mit den komplizierten Zollformularen einfach nicht zurecht. Gerade die Fischer wurden vor dem Brexit ja sehr umworben: dass sie dann mehr fischen könnten, weil sie nicht mehr die Gewässer mit den EU-Fischern teilen müssten. Nicht gesagt wurde ihnen, dass sie ihren Fisch dann nicht mehr verkaufen können, da die Exporte in die EU durch aufwändigen Papierkram beim Zoll jetzt für sie kaum mehr möglich sind. Die britische Regierung lässt die britischen Fischer bislang weitestgehend allein damit – und viele werden das nicht überleben.

Journal Dienstag, 22. Juni 2021 – Schwarzer Adler

Mittwoch, 23. Juni 2021

Diesmal keine großen Löcher im Schlaf, selbst nach dem vierten Aufwachen um fünf schlief ich nochmal ein, little blessings. Das Gewitter hatte die Draußenluft wunderbar gereinigt und gekühlt.

Wieder morgens die Orthopädenübungen – wenig überraschend sind die Rückenschmerzen so unangenehm wie bisher, stören mich immer wieder beim Atmen.

Auf der Theresienwiese blauen jetzt die Wegwarten, drumrum ein Hauch Lindenparfum.

Zum Gegencheck des ersten Eindrucks den Vormittags-Cappuccino wieder mit Hafermilch bestellt: Doch, schmeckt mir gut, ich mag ja auch Hafermilch.

Mittags ein Laugenzöpferl sowie Flachpfirsich (weitgehend geschmacklos) mit Joghurt, nachmittags ein großes Stück schwarze Schokolade.

Das Wetter sah immer wieder gewittrig aus, einmal regnete es kurz, doch auf dem Heimweg war es schon wieder recht warm (deutlich jackenlos). Ich erledigte kurz Einkäufe fürs Abendessen, denn Herr Kaltmamsell brauchte für den angekündigten Nackthafer (aus Ernteanteil) mit Gemüse noch den Gemüseanteil (Tomate, Gurke, Paprika, Schnittlauch, Zitrone). Den gab es nach meiner Yoga-Einheit (diesmal sanfter). Danach viel Schokolade, während draußen wieder Regen eingesetzt hatte.

Für den Abend hatte ich eine in meinem Internet viel besprochene Doku vorgemerkt:
Schwarzer Adler, die Geschichte schwarzer Fußballnationalspieler*innen im weißen DFB-Trikot.

Sie stellte sich als richtig, richtig gut gemachter Dokumentarfilm heraus: Sehr aufwendig, originelles Konzept, klug gemacht. Zur Sprache kommen nur die Sportlerinnen und Sportler, um die es geht, aus drei Fußballer*innengenerationen. Es gibt keine Erklärtexte, nur kurze Zwischentitel; die Sach-Informationen ergeben sich aus den Aussagen, aus Archivbildern, aus Ansichten von Stadien und Vereinslogos (für Kenner*innen der Bundesliga-Geschichte ergeben sich dadurch vermutlich zusätzlich vielsagende Hintergründe, doch auch ohne diese fühlte ich mich nicht außen vor).

Die 99 Minuten Film sind einfach schon durch die Protagist*innen fesselnd: So viele unterschiedliche Persönlichkeiten von zurückhaltend bis Showman, von ernst bis spaßig – aber durchwegs alle überraschend analytisch, selbstreflektiert und sehr wortgewandt (Vorsatz: mir ab sofort jede Häme über angeblich beschränkten Intellekt von Profi-Fußballern verkneifen).

Das Ergebnis ist bitter, bestürzend, traurig, auch wenn ich mir nie Illusionen über den Rassismus in unserer Gesellschaft und im deutschen Profisport gemacht habe (allein schon die Beschreibung von Gerald Asamoah, wie er als Einwanderer aus Ghana in Deutschland überhaupt erst das Konzept Rassismus lernte – am eigenen Erleben). Immer wieder enthält die Doku Originalausschnitte aus alten Fernsehsendungen (u.a. Aktuelles Sportstudio, das den Film mitpräsentiert) mit superpeinlichen weil rassistischen und sexistischen Fragen und Moderationen – die sofort bei mir das Erschrecken auslösten, was uns in 20 Jahren wohl rückblickend superpeinlich sein wird weil diskriminierend.

Empfehlung, auch wegen der vorbildlichen Herangehensweise ans Thema.

§

Hahahaha – es gibt ja DOCH eine schnelle und legale Methode, aus den Anwohnerparkplätzen in der Innenstadt gemütliche Lebenszonen zu machen (*klickt Gebrauchtwagenangebote durch*).

Journal Montag, 21. Juni 2021 – Lang erschwitztes Gewitter

Dienstag, 22. Juni 2021

Eigentlich, finde ich, wäre mal wieder Zeit für eine gute Nacht. Die auf gestern hatte ein langes Loch, das ich nach vergeblichem Warten auf Wiedereinschlafen für Haushaltserledigungen und etwas Lesen nutzte.

Der Morgenhimmel war verhangen, doch es blieb warm.

Balkonkaffee zur Abwechslung auf dem Küchenbalkon.

Bereits auf dem sonnigen Weg in die Arbeit fühlte ich mich nach der schlechten Nacht verkatert-benebelt wie nach Party und Alkohol (as if), den Arbeitsvormittag erlebte ich wie in Aspik.

Mittags gab es die Reste des Abendessens vom Sonntag: Bulgursalat und Grillkäse. Danach war ich sehr Siesta-müde, doch an Arbeitstagen ist halt nichts mit Nachschlafen. Bleiern müde kämpfte ich mich durch den Arbeitsnachmittag.

Auf dem Heimweg ein kleiner Einkaufsschlenker: Ich erlaubte mir ein neues Sport-Kleidungsstück, nämlich eine Radl-kurze Sommerlaufhose mit großzügigen Taschen für Schlüssel und Girokarte, sogar mein Handy findet Platz. Denn selbst wenn sie mir noch nicht in Fetzen vom Leib fallen, muss sogar ich gestehen, dass meine Laufhosen (Alter zwischen sieben und 15 Jahren) mittlerweile wirklich gammlig aussehen.

Zu Hause erst mal Yoga, seit Sonntag mit Mady Morrison (danke für den Hinweis auf ihre Playlists!). Ich erwischte eine Turbofolge, die 15 Minuten zackig durchturnte, jeder Atemzug eine Bewegung. Jetzt schwitzte ich mehr als in jeder der derzeit täglich mindestens fünf klimakterischen Glut-Attacken.

Nachtmahl, wieder von Herrn Kaltmamsell serviert: Orecchiette mit Ernteanteil-Brokkoli, sehr gut. Nachtisch Wassermelone, dann Schokolade.

Gestern hatte es schon um neun genug abgekühlt, dass wir die Fenster und Balkontüren öffnen konnten.

Und dann setzte endlich das seit Tagen angekündigte Gewitter ein, erst mit entfernten Knurren und Grollen, bis die ersten dicken dunklen Punkte auf dem Asphalt erschienen. Es war ein seltsames Gewitter: Stundenlang erhellten unablässige kleine Blitze mein Schlafzimmer, sie flackerten wie eine schadhafte Neonröhre über den Horizont, nur manchmal gesprengt von einem richtig großen Blitz inklusive Donner. Nach ein wenig Lesen im Bett schaltete ich das Licht aus und sah dem Natur-Stroboskop zu, auf der Tonspur leichtes Regenrauschen.

§

Wieder eine dieser furchtbaren, traurigen Geschichten. Kat O’Brien arbeitete früher als Sportjournalistin in den USA. Erst jetzt traut sie sich zu erzählen, dass sie vor 18 Jahren von einem Baseball-Profi vergewaltigt wurde, den sie interviewte. Sie schreibt, wie sie 18 Jahre schwieg, um das Erlebnis damit irgendwie ungeschehen zu machen. Jetzt ist ihr wichtiger, dass Sportreporterinnen endlich nicht mehr mit sexueller Belästigung fertigwerden müssen.
“I Am Breaking My Silence About the Baseball Player Who Raped Me”.

Doch vor 18 Jahren sah sie keine Möglichkeit, das Verbrechen öffentlich zu machen (auch jetzt nennt sie keinen Namen):

I knew that if I told anyone what happened that it would ruin my career. I was 22 with no track record, and at that time — nearly two decades ago — most people in baseball would have rallied to protect the athlete. So I blamed myself. I must have been too nice, too trusting, too friendly and open. Even though I said no, it must have been a misunderstanding. I lived in fear the story would get out.

SIE hatte Angst, die Vergwaltigung würde rauskommen, weil SIE dadurch ruiniert gewesen wäre. (In Vergewaltigungen geht es nicht um Sex, sondern um Macht.) Und das leider zurecht. Bitte, bitte werfen sie bei diesem Thema nicht den Opfern vor, dass sie schweigen. Oder fragen sie gar, ob sie sich nicht doch hätte wehren können.

A professional athlete raping a reporter isn’t a sports story. It’s a story about power in our society, and how men wield it against women.

Und selbst jetzt schließt Kat O’Brian ihren Text mit einer Aufzählung ihrer Lebensleistungen – um zu verhindern, was ebenfalls viele Opfer sexueller Gewalt fürchten: Dass sie nach Öffentlichmachen oder gar Anzeige nur noch darüber definiert werden.

§

André Spiegel lebt in New York. In einem Text sammelt er, wie sich in dem Haus, in dem er wohnt, während der vergangenen 15 pandemischen Monate das Fahrstuhlverhalten entwickelt hat.
“Fahrstuhlepisoden”.

§

Potenzieller life changer (erinnern Sie mich bitte am Beginn der nächsten Avocado-Saison in Europa daran?).

Journal Sonntag, 20. Juni 2021 – Helen Macdonald, Vesper Flights

Montag, 21. Juni 2021

Wieder schlief ich nicht so lange, wie ich müde war. Nutzte ich das frühe Aufwachen halt für Emsigkeit: Die Wäsche aus der programmierten Waschmaschine aufhängen, Pflanzen gießen.

Draußen war es verhangen und diesig schwül, aber nicht heiß – das erleichterte mich, denn ich hoffte auf eine Laufrunde.

Es wurde immer düsterer, die Temperatur aber war ideal für Draußensport. Erst mal absolvierte ich in Laufkleidung die Orthopäden-Gymnastik, dann spazierte ich über den Südfriedhof zur Wittelsbacherbrücke, lief von dort Richtung Flaucher, die ersten paar hundert Meter durch Partymüll inklusive Scherben. Schon um neun waren recht viele Läufer*innen sowie Hundegassigänger*innen unterwegs, ich musste immer wieder Slalom laufen. An der Thalkirchner Brücke Maria Einsiedel kehrte ich um, ab der Brudermühlbrücke und nach 55 Minuten problemlosem Joggen wechselte ich zum Gehen.

Ich hätte nichts gegen einen erfrischenden Regenguss gehabt, statt dessen wurde es sonnig. Auf dem Heimweg machte ich gemütliche Umwege durchs Glockenbachviertel, unter anderem mit Semmelholen. Zum für mich frühen (12 Uhr) Sonntagsfrühstück gab es also Semmeln.

Vorher hatte ich dann doch die Wohnung wieder gegen Hitze verrammelt. Im Dunklen machte ich ausgiebig Siesta.

Das Bachmannpreislesen vergangene Woche (nur die Jurysitzung fand vor Ort in Klagenfurt statt, die Autor*innenlesungen wurden als Aufzeichnungen eingespielt) nur aus zweiter Hand über die Twitter-Kommentare verfolgt, gestern wurde als Gewinnerin Nava Ebrahimi ermittelt. Ihr Text gefällt mir: “Der Cousin.” Nächstes Jahr möchte ich wieder nach Klagenfurt reisen, gestern habe ich bereits mit einer Co-Schlachtenbummlerin eine Ferienwohnung reserviert.

Zum Bügeln (Sommerzeit ist Bügelzeit) hörte ich die Folge Hotel Matze “Katja Berlin – Warum nimmt man Humor nicht ernst?” und war bestens unterhalten (ihr Lieblingsbuch ist Beloved!). Unter anderem hochinteressant fand ich, wie Katja ihre ganz persönliche Arbeitsweise beschrieb.

Gegen den Hunger, aber ohne Appetit als Nachmittagssnack Haferflocken mit Milch, ein Flachpfirsich.

Auch den Tag über hätte ein Gewitter dem Wochenende gut getan, mit Neid verfolgte ich auf Twitter die Meldungen aus Stuttgart. Immer wenn ich auf den Balkon trat in der Hoffnung, der düstere Himmel könnte die Temperatur gesenkt haben, war es draußen immer noch wärmer als in der Wohnung. Mich zog nichts raus.

Zum Nachtmahl hatte Herr Kaltmamsell Bulgursalat aus Katha Seisers Immer schon vegan gemacht und Grillkäse dazu gebraten.

Bester Bulgursalat jemals!

§

Helen Macdonald, die ich von ihrem großartigen H is for Hawk kenne, schreibt hin und wieder Essays, die Naturbeobachtung mit der Anaylse von Naturrezeption vermischen – im weitesten Sinn, denn sie enthalten immer auch den sehr persönliche Blick von jemandem, die als seltsames und einsames Kind von klein auf Tiere und Natur sehr gründlich beobachtete, deren Lebenslauf eher mäanderte als gradlinig verlief, die bis heute ein sehr eigentümlicher Mensch ist. Das Buch Vesper Flights (eben auch in deutscher Übersetzung von Ulrike Kretschmer als Abendflüge erschienen) sammelt einige dieser Essays.

Eigentümlich und anders ist auch, dass sie Tiere immer wieder in sehr menschengeformten Umgebungen beobachtet: Nachtvögel vom Empire State Building in New York aus, die größte Turmfalken-Population Dublins in Industrieruinen. Es ist Helen Macdonald ein großes Anliegen, den Blick darauf zu richten, wie stark sich das vermischt, dass “Natur” nichts ist, zu dem man möglichst weit und in abgelegene Gebiete fahren muss. In einem Text weist sie sogar auf das Risiko von Naturparks hin: Dass die Menschen glauben könnten, wenn sie alles wilde Leben dort hinein verschieben, könnten sie es außerhalb folgenlos ignorieren oder zerstören. Immer wieder machte sie sich Gedanken darüber, warum wir mit wilden Tieren interagieren, wie wir es tun, warum sie so starke Gefühle auslösen können. Oder sie recherchiert, wie sich Vogelbeobachtung und die daraus resultierende Systematik in den vergangenen hundert Jahren verändert haben (Macdonald ist studierte Wissenschaftshistorikerin).

Ich musste deshalb sehr an sie denken, als ich Samstag in Ingolstadt auf der Busfahrt vom Bahnhof Ingolstadt Audi nach Etting inmitten der lebensfeindlichen Funktionalität der Fabrikstadt Audi die Silhouette eines Turmfalken fliegen sah – und gleich darauf am roströtlichen Gefieder einen weiteren erkannte, der sich gerade in der Spitze eines Strommastes niederließ.

Empfehlenswertes Buch – selbst wenn Sie eine Amsel kaum von einer Krähe unterscheiden können.

Journal Samstag, 19. Juni 2021 – Familien- und Freundes-Geselligkeit in großer Hitze

Sonntag, 20. Juni 2021

Ich hatte mir wegen einer Frühstückseinladung den Wecker gestellt, wachte aber leider eh schon um fünf auf. Bloggen und Morgenkaffee auf dem Balkon, es war bereits warm.

Der morgentliche Gang zum Hauptbahnhof in diesiger Sonne kurz vor acht war noch ok, doch es wurde minütlich schwüler und heißer.

In Ingolstadt gab es wie schon bei den letzten Malen eine passgenaue Busverbindung vom Bahnhof Audi zum Zielort. Die existiert jetzt schon seit über einem Jahr und steht in so großem Kontrast zum sonstigen erbärmlichen Ingolstädter Öffentlichen Nahverkehr, dass da ein Haufen Leute offensichtlich nicht aufgepasst hat.

Zur Begrüßung bei auch kleinen Geselligkeiten gehört in der derzeitigen Phase der Pandemie (Inzidenzwerte in Deutschland weiter sinkend, doch die noch ansteckendere Delta-Variante hat in Großbritannien bereits zum Stopp von weiteren Lockerungen geführt, gestern in Portugal zu Abriegelung Lissabons), dass man einander Impf- und Teststatus erzählt.

Wir saßen im Garten in immer neu justiertem Schatten, es gab Sekt (Geburtstage waren zu feiern), Würscht mit Breze, Frühstücksbuffet. Ich genoss es sehr, mit sympathischen und geliebten Menschen beisammen zu sein (es saßen auch zwei Mitglieder des eben gewählten neuen Ingolstädter Jugendparlaments am Tisch), in launigen Gesprächen erfuhr ich viel Neues und Interessantes.

Am frühen Nachmittag ließen wir uns vom Bus zurück zum Bahnhof Audi fahren (ich hatte eigentlich einen Spaziergang dorthin geplant, doch es war wirklich zu heiß).

Sommeridyll.

Daheim (Wohnung angenehm temperiert) hatte ich Lust auf geeisten Milchkaffee: Wie gut, dass ich noch koffeinfreies Esperssopulver hatte. Erschöpft – auch durch einige Nächte mit schlechtem Schlaf – hielt ich eine späte Siesta. Danach war ich munterer und machte mich an die Abschlussfolge von Adrienes Yoga-Programm Breath – wie alle ihre Abschlussfolgen ohne Ansage. Ich absolvierte die 50 Minuten also größtenteils mit verdrehtem Kopf, um die Bewegungen vom Fernsehbildschirm abzugucken. Und schwitzte dabei so, dass ich die Yogamatte anschließend erst mal trocknen lassen musste.

Zum Nachtmahl hatte Herr Kaltmamsell Glasnudelsalat mit Kräutern, Krabben und Soja-Hack gemacht, war genau das Richtige. Zum Nachtisch servierte er selbst gemachten Waldmeister-Wackelpudding, der sehr nett zu kauen war (ich mag Wackelpudding), aber dann doch nur nach dem Apfelsaft der Grundlage schmeckte. Zweiter Nachtisch: Schokolade.

§

Fachjournalistin Cristina Nord beschreibt im Filmmagazin Cargo, dass sie alte Lieblingsfilme inzwischen ganz anders erlebt. (Genau das war eines der Gesprächsthemen am gestrigen Frühstückstisch, mir geht es ähnlich. Eine Mitrednerin erzählte sogar, ihr sei dadurch die Pandemieflucht in alte Filme abgeschnitten worden: Es habe sie so oft geschüttelt, dass sie ganz aufhörte.)

“Beide Augen schließen sich
Nach #metoo: Wie sich mein Blick aufs Kino verschoben hat”.

Es ist zu viel passiert, als dass ich die Misogynie abspalten und das ästhetische Raffinement feiern oder mich mit der These von der hochgradigen Fiktionalität des Genre-Kinos trösten wollte. #metoo hat eine Desillusionierung besiegelt, die daraus resultiert, dass es die meisten Ausprägungen des Kinos mit Frauen nicht besonders gut meinen und feministische Cinephile oder cinephile Feministinnen dadurch in eine Zwickmühle geraten.

(…)

Die Ernüchterung speist sich aus der anhaltenden Marginalisierung von Filmemacherinnen ebenso wie aus dem Fortdauern stereotyper Plotkonstellationen, aus der Abwesenheit komplexer und widersprüchlicher weiblicher Figuren und aus der kaum veränderten Organisation des ästhetischen Genusses. Laura Mulveys Theorie vom male gaze, dem sich das Kino darbietet, ist Jahrzehnte alt; sie wurde in der Zwischenzeit von anderen Theorien aufgegriffen, transformiert, erweitert, verfeinert, in Frage gestellt und de-essenzialisiert. Aus dem akademischen Diskurs über Filme ist sie nicht wegzudenken, aus dem Œu­v­re Céline Sciammas, Constanze Ruhms oder Tatjana Turanskyjs auch nicht. Aber wurde sie wirklich breit rezipiert, auf eine Weise, die Folgen gehabt hätte?

(…)

Seit die Verbrechen Harvey Weinsteins publik wurden, führt kein Weg daran vorbei, den Status Quo zur Kenntnis zu nehmen. Und der ist ja nicht nur in den Filmen ein Problem, er ist es auch in ihrer Produktion. Es lässt sich nicht länger leugnen, wie verbreitet sexualisierte Gewalt in der Filmindustrie ist und wie riskant Frauen und Männer leben, wenn sie es als Schauspieler*innen oder Set Designer, als Location Scouts oder Regieassistent*innen mit Leuten zu tun bekommen, die ihre Macht ausnutzen.

§

Die erste deutschsprachige Blog-Plattform Antville startete vor 20 Jahren (als ich mich 2003 nach Blog-Möglichkeiten umsah, hatte sie bereits die Pforten für Neuanmeldungen geschlossen). Das waren (neben nur wenigen anderen) die Blogs, die ich als erste las – und sie habe ich bis heute vor Augen, wenn ich mir die Online-Kultur vorstelle, die ich gerne hätte. Katatonik gehörte von Anfang an dazu und erinnert sich:
“20 Jahre Antville.org: Ameisenhaufen oder doch eher Ameisenstraßen”.

Journal Freitag, 18. Juni 2021 – Vorgezogene Mittsommerfeier

Samstag, 19. Juni 2021

Die Nacht eher auf der besseren Seite, Rückenschmerzen nach orthopädischer Behandlung ein wenig besser. Nach meinem Balkonkaffee (wieder kurz nach sechs warm genug draußen) nahm ich mir Zeit für die neuen Orthopäden-Übungen. Außer der einen, für die ich meinen Sportpark mit einer Pilatesrolle aufrüsten muss – mache ich sogar, denn in der Nach-Reha gab es damit eine besonders schöne Stabilisierungs-Übung.

Herr Kaltmamsell musst sehr früh in die Arbeit, also übernahm ich vor meinem Abmarsch die Wappnung der Wohnung gegen Hitze: Fenster in den kühlen Innenhof gekippt, alle anderen zu, Rollläden zur Südseite runter. Der sonnige Weg in die Arbeit war mit Morgenbrise noch angenehm, doch schon im Büro brach ich in Schweiß aus.

Danger and excitement! Meinen Vormittags-Cappuccino bestellte ich diesmal mit Hafermilch – schmeckte mir tatsächlich sehr gut (die vorherige Erfahrung mit Mandelmilch in einem Brightoner Café hatte mich abgeschreckt).

Mittagessen war Hüttenkäse mit Joghurt und mittelguten Aprikosen.

Medizinische Telefonate: Den ersten möglichen Termin zur Blutuntersuchung bekam ich in einer Woche – ich hoffe noch mehr als eh, dass da keine Entzündung ist, die eine weitere Woche Zeit zum Wüten hätte. Sogar den ersten Physio-Termin bekam ich früher (wenn mich diese Praxis überzeugt, bitte ich um Behandlung meines Rückenproblems zum Selberzahlen).

Draußen stieg die Hitze, doch im Büro war es erträglich – auch wenn ich wieder im 20-Minuten-Wechsel saß und stand.

Nach Feierabend ging ich langsam heim, die Theresienwiese in gleißender Sonne recht leer: Bei diesem Temperaturen hatten wenige Lust auf Sport.

Ich war mit Herrn Kaltmamsell zum Mitsommeressen verabredet (Sonnwend ist erst am Montag, aber die Umstände): Wir hatten wie schon ein paar Mal zuvor einen Tisch in der Acetaia reserviert, dieses Jahr war das Wetter passend für den wunderschönen Außenbereich.

Das erste Mal Lippenstift seit – ich kann mich nicht erinnern.

Wir radelten raus nach Neuhausen, auf der Hackerbrücke saß noch kaum ein junger Leut – zu heiß. Ich träumte von einer Radl- und Fußverkehr-freundlichen Nymphenburger Straße (rechts von den Bäumen breiter Fußweg, links davon breite Fahrradspur und nur eine Autospur).

Die nächsten Stunden ließen wir uns in der Acetaia mit Menü plus Weinbegleitung verwöhnen. Zunächst war ich sehr froh, dass ich daran gedacht hatte, einen Fächer mitzubringen, doch dann kühlte es endlich ein wenig ab.

Geschmortes Rind mit Reiskrokette.

Mein Lieblingswein des Abends: Sizilianischer Nozze d’oro 2016 aus der Magnumflasche.

Bonito-Tartar mit Limette und Gurke.

Die Ravioli mit Schafskäsefüllung wurden wie immer mit altem Balsamico überträufelt.

Wunderbarer Seeteufel.

Das Sößchen am Blätterteig-Dessert hatte bereits Café enthalten, damit war unser Espresso-Bedürfnis gedeckt.

Beim Heimradeln nach zehn war immer noch ein heller Schein am Himmel, die Hackerbrücke wurde jetzt deutlich lebhafter genutzt. Erstmals roch ich Lindenblüten; davor hatte der Liguster dominiert, die Robinienblüte hatte ich dieses Jahr fast gar nicht erschnuppert. Dafür blüht hier der Holler so dick wie nie.

§

@giardino erinnerte gestern an einen Sommerhit meiner Jugend, den ich vergessen hatte – und der mich plötzlich ungeheuer mitnahm. Alices “Summer on a solitary beach”.

https://youtu.be/SIC70AJ2Li8

Journal Donnerstag, 17. Juni 2021 – Straßenkampf für Korinthenkackerinnen

Freitag, 18. Juni 2021

Morgens galt mein erster Blick den Buchungsportalen von Schyrenbad und Dantebad: Beide für Sonntag ausgebucht, anscheinend werden die Slots tatsächlich gleich nach Mitternacht reserviert. (Neuigkeit im Lauf des Tages: Die Stadtwerke München werden das Reservierungssystem tatsächlich überarbeiten!)

Ich war eh benommen, die Nacht hatte ein Loch gehabt: Nach drei lag ich wach, doch als ich endlich aufgab, das Licht anschaltete und mich zum Lesen aufsetzte, konnte ich mich vor Müdigkeit nur schwer auf die Buchstaben konzentrieren. Ich schlief dann endlich wieder ein, hätte nach Weckerklingeln gerne weitergeschlafen. Es war warm genug für Morgenkaffee auf dem Balkon.

Auf dem Weg in Arbeit sendete ich Lynne Truss stille Grüße und beseitigte ein Ärgernis, das mich seit vielen Wochen sticht.

Das ist ein Werbeplakat auf einer Litfaßsäule, und seit Wochen (in diesen pandemischen Zeiten gibt es wenig Wechsel auf Plakatflächen) denke ich jeden Tag beim Vorbeigehen: “AAARRGHHH!” Gestern nahm ich einen Edding mit.

Ich bitte Sie: Die Litfaßsäule steht neben einer Schule! Denkt denn keiner an die Kinder!
(Wer die Kommasetzung in diesem Fall vertiefen will: Vor “als” nur Komma, wenn es einen Nebensatz einleitet.) Der Edding bleibt jetzt erst mal in meinem Arbeitsrucksack.

Ein heißer Tag; ich hatte im Büro erstmals keine Lust mehr auf meine vormittägliche Kanne Kräutertee und trank statt dessen den ganzen Tag Rhabarbersaft-Schorle.

Vormittagstermine brachten mich um meinen Halb-elf-Cappuccino.

Kurz vor Mittag Termin beim Orthopäden. Zu meinem Rückenproblem: Das seien die Faszien, ein verhärteter Strang. Er zog den Muskelstrang von Schmerzpunkt lang bis in den Nacken (mein Verdacht: da liegt die Ursache des Problems), dirigierte mich dann in den Vierfüßlerstand und drückte am Schmerzpunkt herum. Dann verordnete er konkrete Rückenübungen zur Kräftigung und ließ sie mich vorturnen (alles Übungen, die ich so oder so ähnlich mit meinen Routinen eh abdecke, ich musst dann schon mal – ausgezogen und bäuchlings auf der Untersuchungsliege liegend – prusten: “Sie finden also meine Rückenmuskulatur zu schwach?!”). Von Massagen halte er da nichts, ich solle die Übungen machen, das reiche.

Fast hätte ich danach aus Frustration und Bockigkeit gar nichts mehr über meine Hüfte gesagt, zum Glück erwischte mich ein Funken Vernunft. Habe dafür jetzt ein Physio-Rezept und Überweisung zu Blutuntersuchung, um eine Entzündung auszuschließen.

Mittags aß ich Mango, Erdbeeren, frischen Basilikum mit Ricotta salata. Die Portion war zu groß, ich aß trotzden auf. Dafür hatte ich dann bis zum Abendessen wirklich gar keinen Hunger.

Heimweg in unangenehmer Hitze. Doch wie schon am Vortag sah ich so viele schöne Sommerkleider in freier Wildbahn! Und erkannte auch dieses Jahr, wie praktisch flächendeckend tätowierte Arme und Beine sind: Man sieht damit immer angezogen aus.

Daheim erst mal die kühle Wohnung genossen. Zum Nachtmahl gab es Kopfsalat aus Ernteanteil mit gekochten Eiern, eine Runde Käse, Schokolade.

Abends konnte ich noch nicht beurteilen, ob die Rückenschmerzen besser geworden waren; das musste die Nacht zeigen.

§

Juni ist Pride-Monat, in dem auf Belange von LGBTQI-Menschen aufmerksam gemacht wird. Vielleicht interessiert Sie eine Unterhaltung auf Twitter, in der Menschen erzählen, wie sie ihr Coming out ihren Eltern gegenüber hatten und die Reaktion unerwartet positiv war (auf Englisch).