Archiv für Juni 2021

Journal Mittwoch, 16. Juni 2021 – Flaucher-Nachtmahl und Beifang aus dem Internetz

Donnerstag, 17. Juni 2021

Ungestörte Nacht: Als am Vorabend auch zu mir durchgedrungen war, dass in München ein Fußball-Europameisterschaft-Spiel mit Beteiligung der deutschen Männer-Nationalmannschaft stattfinden würde, hatte ich nächtlichen Auto-Hupkorso befürchtet (Münchnerinnen und Münchner sind zu 30 Prozent zugewandert, irgendwer freut sich immer). Doch die größte Gefahr, ein Sieg der deutschen Mannschaft, war nicht eingetreten.

Dennoch endete diese Nacht schon um fünf, ich konnte nicht mehr einschlafen.

Der Morgen war wieder frisch, hatte sich aber bereits bis zu meinem Arbeitsweg ziemlich erwärmt.

Beruflich Wahnwitziges erfahren, aber auch Multimedia-Beispiele im Technikjournalismus geguckt.

Mittagessen eine Breze sowie Quark mit Erdbeeren (wir hatten am Vorabend nicht die ganze Schüssel leergegessen, ich hatte mir eine ordentliche Portion abgezweigt). Mein Hofgang in der Mittagssonne war durch eine schöne Brise nicht zu heiß.

Immer wieder (von 6 bis 22 Uhr) checkte ich auf den Buchungs-Websites von Schyren- und Dantebad, ob den Sonntag für einen Schwumm reservieren konnte. Ein paar Stunden war das System komplett unerreichbar. Danach lernte ich zumindest schon mal, das kurz nach Mittag Slots für denselben Tag freigeschaltet werden – die dann auch schnell gebucht sind.

Es ist vermutlich technisch einfacher, dass man immer nur Ganztagestickets buchen kann, praxisnäher wäre es, separat Schwimmtickets für den Vormittag buchen zu lassen. Gerade ins Schyrenbad gehen extra-pandemisch viele mit reinen Bewegungsambitionen. In die Sonne legen kann ich mich bei Bedarf auch an der Isar.

Nach Feierabend ging ich flott heim und holte Herrn Kaltmamsell zu unserer Abendverabredung ab: Biergarten-Abendessen am Flaucher.

Es war doch sehr warm geworden, entsprechend voll waren die Ufer der Isar.

Dass es auch im Flaucher-Biergarten sehr voll war, überraschte mich dann doch – eigentlich ist der mein Tipp für “Da gibt es immer Platz”. Hatte natürlich auch damit zu tun, dass an den Tischen immer nur eine Gesellschaft saß, eigentlich rückt man im Biergarten zusammen. Und dass München nicht nur nach der langen Gastro-Schließung, sondern auch nach der langen Frühlingskälte Biergarten-ausgehungert ist.

Ich hatte mich den ganzen Tag schon auf ein halbes Brathendl gefreut – auch wenn es sehr wahrscheinlich ein Quäl-Hendl war. Herr Kaltmamsell entschied sich für Obatzten mit Riesenbreze. Dazu gab es ein Radler für ihn und ein Rhabarber-Schorle für mich.

Es wurde immer voller, die Menschen standen ratlos mit vollen Tellern in der einen, Bierkrug in der anderen Hand zwischen den besetzten Tischen. Wir machten gleich nach dem Essen Platz und spazierten durch die schattigen Auen heim. Ich bog in die Kapuzinerstraße, weil uns dort wundervolles Licht entgegenschien.

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Am Dienstag also Eröffnung des neuen LMU-Klinikums, das uns sechs Jahre Baustelle vor der Haustür bescherte (und immer noch dreistöckige Baucontainer in der Aussicht), hier der SZ-Bericht für die persönliche Chronik verlinkt:
“Lieblingsplatz? ‘Der Schockraum'”.

Darin ab nächste Woche: “die Notfallmedizin des LMU-Klinikums, und mit ihr insgesamt zwölf Fachdisziplinen”. Dienstagfrüh war ich bereits vorm Neubau an einer Pausenraucherin in Medizinerinnenkluft (blaue scrubs) vorbeigelaufen, der Laden war offensichtlich bereits in Betrieb.

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Sebastian Bähr schreibt über seine Eltern, die vor seinen Augen in einer immer härteren Arbeitswirklichkeit kaputt gehen.
“All die klugen Bücher helfen mir hier nicht weiter”.

Meine Eltern hatten sich kurz vor dem Ende der DDR in einer Mähdrescherfabrik in Sachsen kennengelernt. Nach der Wende verlor der Osten seine Industrie, beide verloren ihre Arbeit und die Plattenbauten, in denen wir lebten, ihren guten Ruf. Ich war noch klein, meine Eltern entschieden sich gegen ein zweites Kind. Nach Jahren der Ungewissheit fanden beide feste Anstellungen, nicht allen in meiner erweiterten Familie war das vergönnt. Meine Mutter landete in einer kleinen Büroniederlassung eines westdeutschen Mittelstandsbetriebs, mein Vater in einem neu eröffneten Supermarkt am Stadtrand.

(…)

Unter der rot-grünen Bundesregierung wurde im Jahr 2000 dann die Allgemeinverbindlichkeit der Tarifverträge im Einzelhandel aufgehoben – Preiskrieg, Lohndumping und Kostenwettbewerb waren die neuen Schlagworte in der Branche. Einige Zeit danach begann es auch bei ihm schrittweise härter zu werden. Extrazahlungen strich man zusammen, die Kolleg*innen wurden weniger, die Stimmung gereizter.

(…)

Mein Vater war weder der erste noch der letzte, der in seinem Markt einen Burnout erlitten hatte. Nach seiner stufenweisen Rückkehr mit dem Hamburger Modell war er einige Monate in der Telefonzentrale, zuletzt musste er häufiger an der Kasse arbeiten. Hier finden sich auch die Kolleg*innen, die nicht mehr so viel Energie zum Laufen und Tragen haben. Die monotone Tätigkeit ist für ihn mit Scham und weiterer Entfremdung verbunden.

(…)

Warum sollte das relevant sein? Ich glaube: Weil sich in meiner Ohnmacht gegenüber der Lage meines Vaters auch die derzeitige Unfähigkeit der gesellschaftlichen Linken spiegelt, für die Klasse der Ausgebeuteten und Unterdrückten eine relevante Rolle zu spielen. Im Leben meiner Eltern hatte es die ganzen letzten drei Jahrzehnte keine organisierten Solidarstrukturen gegeben, die ihnen bei konkreten Problemen geholfen haben oder deren Hilfsannahme für sie eine naheliegende Option gewesen wäre. Im Endeffekt waren Freundschaften – sofern man für sie noch Kraft und Zeit hatte – sowie letztlich die Familie für das Aushalten und Kompensieren der kapitalistischen Zustände verantwortlich.

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Der Biologe David Spencer, Forscher an der RWTH Aachen erklärt, warum Grüne Gentechnik seiner Meinung nach ein Öko-Fortschritt ist. (Wussten Sie, dass ganze Generationen von Pflanzen durch radioaktive Bestrahlung entstanden sind – und dass diese bis heute als “klassischer Züchtungsprozesse” gilt?)

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https://youtu.be/BDt__1ngkF0

Journal Dienstag, 15. Juni 2021 – Nachdenken über psychische Stereotypisierung

Mittwoch, 16. Juni 2021

Ein Artikel aus der Wochenend-Süddeutschen von Barbara Vorsamer arbeitete noch länger in mir (€):
“Auf eigene Verantwortung”.

Eine psychische Erkrankung ist kein Grund für Scham – aber auch kein Freibrief. Wer das Verhalten von Menschen mithilfe ihrer Diagnose erklärt, macht es sich viel zu einfach.

Anhand der aktuellen Beispiele Claas Relotius, Naomi Osaka und Herzogin Meghan kritisiert Barabara Vorsamer, dass deren Handlungen als unausweichlich beschrieben werden.

Egal ob man eine psychische Krankheit dafür benutzt, eigene Verfehlungen zu entschuldigen, oder dafür, die Bösartigkeit anderer zu belegen: Derlei Verallgemeinerungen sind unlauter und werden Millionen Menschen mit seelischen Leiden nicht gerecht, die – oft unter enormer Astrengung – ein normales Leben führen und als unsere Kolleginnen, Nachbarn, Chefinnen und Freund überall um uns herum sind. Jeder vierte Deutsche hat im Laufe seines Lebens eine psychische Erkrankung, die wenigsten verlieren dabei völlig den Kopf. Die Gleichsetzung von “psychisch krank” mit “nicht ganz zurechnungsfähig” ist aber leider ein weit verbreitetes Vorurteil.

(Vielen Aspekten des Artikels stimme ich aber nicht zu, vor allem dem Teil um Naomi Osaka. Und mir missfällt, dass Vorsamer Selbstaussagen und Berichterstattung nicht klar voneinander trennt.)

Jetzt wieder meine Sicht: Ob Depression oder eine neurodiverse Veranlagung – das sind ist keine Charaktereigenschaften. Sie machen niemanden automatisch zu einem Menschen, der über menschlichen Werten steht, niemand besteht nur aus seiner Erkrankung oder seiner neurologischen Kondition. Unter Depressiven wie Neurodiversen gibt es freundliche und unfreundliche, gibt es selbstlose und Egoisten, gibt es faule und fleißige, ehrliche und unehrliche, gibt es dumme und schlaue, gibt es lebhafte und ruhige, aufmerksame und rücksichtslose.

Und wenn jemand ständig eigene Befindlichkeiten über die des Gegenübers oder der Umgebung stellt, über rücksichtsvolles Verhalten oder einfach nur Höflichkeit (diese Abwägung machen sich ja auch Neuronormale und Nicht-Depressive nicht einfach) – dann ist das eben schlechtes Benehmen.

Mir fielen dazu die Äußerungen von Ted Chiang zu freiem Willen ein (das bereits empfohlene Interview ist wirklich eine Goldgrube – hier übrigens das Transkript): Chiang glaubt an die Existenz des freien Willens, aber auch, dass dieser verschieden starken Einschränkungen unterliegen kann. Ich zitiere mal die ganze Passage:

I think that free will is not a all or nothing idea. It’s a spectrum. Even the same individual in different situations may sort be under different levels of constraint or coercion. And those will limit that person’s free will. And clearly, different people, they will also be under different levels of constraint or coercion or have different ranges of options available to them. So free will is something you have in varying degrees. So, yes, someone who has had childhood exposure to lead and thus has poor impulse control, they are, say, less free than someone who did not have that.

But they still have more free will than, say, a dog, more free will than an infant. And they can probably take actions to adjust their behavior in order to try and counter these effects that they are aware of on their impulse control. And so in the much more and sort of pragmatic real world context, that is why, yes, I believe that we do have free will. Because we are able to use the information we have and change our actions based on that. We don’t have some perfect theoretical absolute version of free will. But we are able to think about and deliberate over our actions and make adjustments. That’s what free will actually is.

Eine psychische Erkrankung oder Neurodiversität kann solch eine Einschränkung sein, hebt aber die Existenz von freiem Willen nicht auf.

Die Konsequenz aus all diesen Gedankengängen für mich ganz persönlich: Meine Gefühlspolizei hat mir erlaubt, verletzt und beleidigt zu sein, wenn sich Menschen mit größerem Befindlichkeitsspektrum mir gegenüber wiederholt rücksichtslos verhalten. Ab einem gewissen Maß ist self care schlicht Egoismus.

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Gut und tief geschlafen, schön geträumt, das Weckerklingeln kam zu früh.

Draußen ein weiterer Sommertag mit herrlicher Morgenfrische.

Die Linden duften noch nicht, sind nach dem kalten Frühling spät dran.

Zu Mittag gab es die zweite Hälfte Linsensalat mit Mairübchen, Kohlrabi und Salbei, außerdem die zweite geschmacksneutrale Birne.

Ungemütlicher Nachmittag, weil mein komischer Rücken und meine komische Hüfte weder Sitzen noch Stehen angenehm machten. (Jajaja, ich habe mir einen Termin beim Orthopäden geholt, von dem ich mir nicht mehr erwarte als ein Rezept für Krankengymnastik.) (Wenn er schon wieder Bankstütz anordnet, fordere ich ihn zum Wettbankstützen heraus.)

Als ich zu Feierabend das Bürogebäude verließ, war die Sonne fast schon heiß. Zum Obstkaufen steuerte ich ein Standl an, das erst kürzlich auf meinem Weg aufgetaucht war – und wohl sehr unterbesucht ist: Der Standler freute sich so über meinen Halt, dass er mir alles mögliche dazuschenkte. Eine zusätzliche Schale Erdbeeren hatte ich schon zu meinen Pfirsichen, Aprikosen und Erdbeeren bekommen, beim Überreichen meiner Einkäufe griff er noch zu zwei Äpfel, ich dankte wieder sehr herzlich. Und als ich bereits ein paar Meter fortgegangen war, rief er mich nochmal und reichte mir eine weiche Mango. Es wird Obstsalat geben müssen.

Daheim nochmal die Runde Yoga vom Vortag.

Zum Nachtmahl hatte Herr Kaltmamsell Wurstsalat zubereitet, für sich mit Ernteanteil-Radi, doch da mir der seit einiger Zeit auch noch so gut eingesalzen nicht bekommt (ist Konzert-Rülpsen schon im Mainstream angekommen?), bekam ich meine Portion mit einer gehobelten rohen Zucchini. Sehr gut! Nachtisch waren ein paar Erdbeeren.

Journal Montag, 14. Juni 2021 – Sommerarbeitsalltag

Dienstag, 15. Juni 2021

Vormittags erwischte mich die kurze Nacht dann doch mit Müdigkeit: Kurz nach vier war sie zu Ende gewesen, ich hatte mich halbwach gewälzt.

Eindeutiger Sommermorgen, aber doch noch ganz schön kalt. Ich ging ohne Jacke und in Sandalen in die Arbeit, die kalten Finger und Zehen wurden aufgewogen von der Aussicht, dass mir auf dem Heimweg keine Jacke den Rucksack verstopfen würde.

Zwischen Verkehrsmuseum und Bavariapark, Siedlung auf dem alten Messegelände.

Zum Mittagessen gab es den Linsensalat, den Herr Kaltmamsell am Sonntag für mich gemacht hatte, mit Mairübe, Kohlrabi und Salbei aus Ernteanteil. Außerdem eine völlig geschmacksneutrale Birne. (Kann man schon Aprikosen und Pfirsiche?)

Der Tag blieb sommerlich, wurde aber nicht heiß. Arbeit in der Arbeit, ich konnte auf Gängen zwischen Rechner und Stockwerksdrucker Stoik üben – musste aber wegen Atemmaske meine Umgebung aktiv auf meine gelassene und heitere Miene aufmerksam machen.

Auf dem Heimweg Supermarkteinkäufe fürs Abendessen und für Brotzeit sowie Süßigkeiten.

Gestern gab es einen 18. Geburtstag in der Familie, der ebenfalls auf die immer längere Liste des nachzufeiernden kam: Ich konnte nur telefonisch gratulieren. Zumindest sind die Infektionszahlen so niedrig, dass ich im Hintergrund eine fröhliche und vielstimmige Familiengesellschaft hören konnte.

Zu Hause Yoga. Bald bin ich mit Adrienes “Breath” durch und muss mir neue Einheiten selbst suchen (ich werde vorgemerkte Folgen von Mady Morrison durchgehen) – das 30-Tage-Programm von Adriene, das ich seit Anfang März durchturne, war halt schon praktisch.

Nachtmahl verarbeitete nochmal Ernteanteil-Salbei: Herr Kaltmamsell servierte Gebratene Gnocchi mit grünem Spargel.

Schmeckte uns beiden sehr gut. Und dann gab’s eine Menge Süßigkeiten.

Wir gehen auf Mitsommer zu: Um 22 Uhr war immer noch ein heller Schein am Abendhimmel.

Journal Sonntag, 13. Jui 2021 – Geschwommen!

Montag, 14. Juni 2021

Bessere Nacht, ich bekam genug Schlaf.

Am Vorabend hatte es nach Wolken und ein wenig Regen abgefrischt, der Morgen war trotz strahlender Sonne deutlich zu kalt für Balkonkaffee.

Ich wartete mit dem Aufbruch ins Dantebad: Zwar wusste ich, dass es kein heißer Tag werden sollte, aber ein bisschen Wärme erhoffte ich mir doch.

Erst deutlich nach zehn ließ ich mir von Herrn Kaltmamsell den Rücken sonnencremen und radelte los zum Dantebad (im Schyrenbad hatte ich keinen Slot mehr für gestern erwischt), ich nahm die Panoramastrecke Hackerbrücke, Nymphenburger Straße, Gern – am verkehrsarmen Sonntag schreckt das Verkehrsführungschaos am Rotkreuzplatz nicht ab.

Vor dem Haupteingang des Dantebads, den ich vom Winterfreischwimmen kenne, stand eine längere Schlange. Angestellte checkten die QR-Codes der Reservierungen, dann durfte man in die Kassenschlange. Verzögerungen durch Menschen, die sich bei diesen Angestellten über die User-Unfreundlichkeit der Website beschwerten (offensichtlich in der Annahme, die dafür Verantwortlichen anzusprechen), durch Familien, die an der Kasse Schwimmhilfen ausliehen, und durch Schwimmwillige, deren Bäderkarte nicht mehr einlesbar war und die eine neue ausgestellt bekamen (ich).

Ich musste mich völlig neu orientieren, als Sommerbad hatte ich das Dantebad noch nie genutzt, und jetzt standen ganz andere Türen offen. Von der Liegewiese aus, auf der ich mich in der Sonne ausbreitete, sah ich ein weiteres Schwimmbecken, marschierte aber doch zum winters gewohnten. Die beiden abgetrennten Schwimmbahnen waren rege beschwommen, doch ich konnte ungestört durchziehen. Das Wasser kam mir auch nicht zu warm vor. Die neue Hüfte und meine seltsamen Rückenschmerzen spürte ich recht bald, ignorierte aber beides für brav nur 2000 Meter – für die ich länger als jemals seit Beobachtung meiner Schwimmzeiten brauchte.

Es war tatsächlich sommerlich warm geworden – und sehr voll. Im Schneckensprudelbecken neben dem Schwimmbecken tummelten sich die Menschen dicht an dicht, die Pandemie wird offensichtlich für beendet erklärt. Ich holte von meinem Liegeplatz Handtuch, Wechselbikini, Sonnencreme und ging damit in die gewohnte Sammelumkleide (im Dantebad gibt es nur zwei Einzelkabinen und zwar von der Sammelumkleide abgeteilt), um mich abzutrocknen, sonnenzucremen und umzuziehen.

Ich legte mich in die Sonne und hörte Musik: Unter den ausgemusterten und vorher auf Festplatte gespeicherten CDs war auch Astor Pizzaollas Album Verano porteño – ganz wundervoll und genau das Richtige. (Richtig wohl auch für ein anderes Szenario: Der Halbschlaf spielte mir dazu Bilder von großbürgerlichen Wohnungen und alternden Akademikern ein, die sich über ihre Barolo-Vorlieben unterhalten und einander damit zuprosten, gespielt von August Zirner und Jan Josef Liefers.)

Nach einer Stunde hatte ich genug Musik und Sonne, außerdem Hunger. Ich radelte gemütlich dieselbe Panoramastrecke heim, die Nymphenburger Straße ist im Sommerlicht wunderschön, das Thermometer am Cinema zeigte im Schatten die angekündigten 22 Grad an. Um drei gab’s zum Frühstück ein Restl Parmigiana, außerdem Apfel, Mango, Marajuca mit Joghurt.

Ich setzte mich auf den Balkon, nicht durch die Marquise beschattet: Ich hatte erst mal automatisch die Sonne ausgesperrt, doch ohne fröstelte ich. Perfektes Sommerwetter ist, wenn ich die Wärme der Sonne suche – deshalb war der schönste Sommer meines Lebens auch der in Wales 1992 (der trockenste dort seit Menschengedenken). Ich las Zeitung und Internet, dann trieb es mich doch noch zu einem Spaziergang an die Theresienwiese. Sie war wieder sehr bevölkert, die Brise (gefährlichstes Sonnenbrandwetter) lockte Drachensteigenlasser*innen, es wurde gescateboarded, geturnt, im Schatten der südwestlichen Theresienwiese Cricket gespielt.

Ein Rettungshubschrauber war gelandet: Die Abendzeitung erklärte letztes Jahr, was der Hintergrund solcher Landungen ist.

Zurück daheim gönnte ich mir eine Runde Yoga, die wohltuende Einheit vom Freitag. Der Ernteanteil hatte einen ordentlicher Bund Salbei enthalten. Teile davon servierte Herr Kaltmamsell zum Abendessen mit Hermannsdorfer Schweinekoteletts und gebratenen Äpfeln.

Nachtisch Schokolade.

Journal Samstag, 12. Juni 2021 – Gesellschaftliches Ereignis in Corona-Zeiten

Sonntag, 13. Juni 2021

Uuuuund zurück zur zerhackten Nacht.
Balkonkaffee, nach Bloggen wechselte ich aber doch nach drinnen, weil es mir zu kühl war.

Als gestriges Sportprogramm turnte ich Krafttraining rundum, recht anstrengend.

Dann machte ich mich sehr fein und spazierte mit Herrn Kaltmamsell zum ersten gesellschaftlichen Ereignis seit März 2020. Dort verbrachte ich die nächsten drei Stunden – das war schön, aber auch sehr seltsam. (RKI-Präsident Wieler wies vergangene Woche in der Bundespressekonferenz darauf hin, dass die derzeitigen Infektionszahlen fast zehnmal so hoch sind wie vor einem Jahr: am 9.6.2020 waren es 350 Neuinfektionen in Deutschland, am 9.6.2021 waren es 3254 Neuinfektionen.) Abschied genommen.

Auf dem Heimweg kaufte ich Semmeln fürs Frühstück ein. Nach Frühstück (zwei Semmeln, derzeit mag ich darauf besonders Erdnussbutter mit Orangenmarmelade) Werkeln in der Wohnung: Wir brachten das Garerobenhaken-Gestell an, die Regale im Kammerlregal aber, ehemalige Bücherregale, leider nicht: Die Bohrmaschine ließ sich bereits fürs Garderobenhakenloch sehr bitten, im Kammerl ging sie gar nichts mehr. Mag mit den Funken zu tun haben, die sie beim Bohren kurz aus dem Gehäuse sprühte.

Dann räumten wir die Regale halt erst mal ohne Befestigung an der Wand ein (alle Schuhe), die wird nachgeholt. Auch den Rest des Kammerls räumten wir in einer ersten Version ein, mal sehen, ob die sich bewährt. Übrig blieben leere Schachteln, die ich auf einige Male und kleingerissen entsorgte. Wieder sieht die neue Wohnung ein schönes Stück weiter und lichter aus.

Deutliches Sommerzeichen: Viel Bügelwäsche. Beim Bügeln hörte ich ein Interview mit Ted Chiang. Das ist der Autor, dessen Kurzgeschichtenband Stories of Your Life and Others mich ungeheuer beeindruckt hatte. In der Ezra Klein Show der New York Times spricht er überlegt und durchdacht über seine Haltung zu religiöser Weltsicht, Superheldengeschichten, freiem Willen, Künstlicher Intelligenz – und zu jedem dieser Themen äußert er Gedanken, die mir völlig neu waren. Große Empfehlung.

Drink des Abends war der Rest Maibowle. Zu Essen servierte Herr Kaltmamsell Spaghetti mit Ernteanteil-Agretti und gerösteten Pinienkernen.

Es ist spannend, den Sonnenlauf in der neuen Wohnung zu erleben. Seit ein paar Tagen steht die Sonne kurz vor acht noch so hoch, dass sie über dem Nebengebäude ins Wohnzimmer scheint. Das wird dann wohl nur drei, vier Wochen im Jahr so sein, sonst steht sie niedriger und wird spätestens um sieben von diesem Nebengebäude verdeckt.

Fürs Dessert gingen wir nochmal raus und holten uns ein Eis, diesmal aber ein schickes: An der Ecke Müller-/Pestalozzistraße hat ein alteingesessener Juwelier geschlossen, jetzt ist darin eine weitere Eisdiele Jessas. Ich hatte Schokolade-Ingwer sowie Italienischer Käsekuchen (mit kandierten Früchten drin), beides sehr gut. Das Probierel Joghurt-Granatapfel setzte diese Sorte umgehend auf die Bestellung für den nächsten Besuch. (Die Kugel Eis kostet hier 1,90 Euro.)

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Über den neuen Twitterkanal @FHerrndorf (Freunde Wolfgang Herrndorf) stieß ich auf eine neue Website über Wolfgang Herrndorf (beides verantwortet von seiner Witwe Carola Wimmer):
Über Wolfgang.
Sehr viel interessantes Material über den 2013 verstorbenen Künstler (oh Gott, ist das schon wieder so lange her…), in vielen Medienformen (zum Beispiel ein Stück Lesung aus seinem aberwitzigen Roman Sand, der sofort Wiederlesesehnsucht weckte).

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Adreas Kluth schreibt für Bloomberg eine Analyse der 16 Jahre Kanzlerinnenschaft Merkel mit vielen Grafiken.
“The Post-Heroic Legacy of Angela Merkel”.

One lesson of Merkelism to students of leadership is that keeping your own ego under control when others don’t control theirs is one of the most effective instruments of power. The most vital character trait — one that voters should look for more often in candidates — is low vanity.

(…)

History’s verdict, I believe, will be that Merkel deserves huge and lasting credit for managing situations that could have become disasters, but that her departure became necessary for a new era to be born. Once Merkel walks out of her chancellery later this year, the post-heroic age in German history will be over.

Journal Freitag, 11. Juni 2021 – Sommerfeierabend

Samstag, 12. Juni 2021

Wieder nahezu durchgeschlafen, ich nahm’s als Geschenk. Nach dem Aufstehen erst mal eine halbe Stunde Haushalt: Spülmaschine ausräumen, programmierte Waschmaschine ausräumen und Wäsche aufhängen, Pflanzen gießen, Brotzeit einpacken.

Die von meiner Mutter vorgezogenen Stangenbohnen nehmen die Rankhilfe (so schöne neue Wörter!) in Form von Schnur an, ich gab ihnen manuell ein wenig Ranknachhilfe fürs Holzgitter.

Der Morgen war sonnig, ich ließ gegen Aufheizen die Rollläden auf der Südseite der Wohnung herab.

Arbeit in der Arbeit, ich fühlte mich nützlich.

Mittags gab es ein Laugenzöpferl, einen Apfel, Hüttenkäse.

Pünktlicher Feierabend. Draußen weiter ein herrlicher Sommertag mit viel Sonne, aber ohne Hitze. Ich machte deshalb auf dem Heimweg einen Umweg über den Rand des Westparks, in dem die Wiesen und Wege von Sonnengenießenden genutzt wurden.

Zu Hause setzte ich nochmal Waldmeisterbowle an (am Vorabend abgetrennte und angetrocknete Zweiglein kopfüber in die Weißweinflasche stecken), machte mal wieder eine Runde Yoga – die ich sehr genoss, ich sollte die Regelmäßigkeit nach Feierabend wieder aufnehmen.

Einläuten des Wochenendes mit Waldmeisterbowle.

Als Abendessen hatte ich mir Parmigiana gewünscht, die mein Leibkoch Herr Kaltmamsell liebenswürdigerweise zubereitet hatte (wieder nach diesem Rezept, das ein wenig zu suppig ausfiel).

Wir aßen erstmals auf dem Balkon zu Abend.

Fürs Dessert gingen wir nochmal raus zur Eisdiele um die Ecke, eigene vorgekühlte Porzellanschälchen und Löffel in der Hand.

Im Bett las ich Helen Macdonalds Vesper Flights (eben auch auf Deutsch erschienen als Abendflüge): Eine Sammlung von Essays, die zwar alle mit “Natur” im weitesten Sinn zu tun haben, aber immer wieder aus ungewohntem Blickwinkel (Verdacht: die ohnehin kluge und fachlich versierte Helen Macdonald geht von einem praktikablen Konzept Mensch-Natur aus, das die beiden Seiten weder als voneinander getrennte Gegensätze annimmt, noch den Menschen als komplett gleichgestellten Faktor wie alle anderen). Bezaubernd und überraschend zum Beispiel ihr Text über die nächtliche Zugvogel-Beobachtung vom New Yorker Empire State Building aus.

Journal Donnerstag, 10. Juni 2021 – Markus Ostermair, Der Sandler

Freitag, 11. Juni 2021

Richtig gut geschlafen! Tief und bis Weckerklingeln!

Morgens am Laptop bearbeitete ich die Rechnung für die mittwöchliche Schranklieferung – um festzustellen, dass ich lediglich die Schranktüren bestellt hatte (und auf diese vier Wochen gewartet). Also bestellte ich den Korpus nach (wird ein teurer Schrank), Lieferzeit acht Wochen – *schluchz*.

Da schönes Wetter vorhergesagt wird, hoffte ich auf eine Schwimmmöglichkeit am Sonntag und ging auf die Reservierungsseite: Das Schyrenbad war bereits ausgebucht, ich schaute versuchsweise zum Dantebad (hat auch eine 50-Meter-Bahn) – und da gab’s noch Schwimm am Sonntag! Bevor ich lang überlegte, ob mir geheiztes Wasser und Bahnenziehen unter Rückenpaddlerinnen auch wirklich gefallen würde, holte ich mir erst mal einen Slot.

Im Lauf des Vormittags plagte mich wieder Kopfweh, im Grunde wartet wahrscheinlich die Migräne auf ihr großes Comeback.

Zu Mittag gab es Sahnequark mit Joghurt, nachmittags brauchte ich wieder Überbrückungsschokolade.

Nachmittags wurde es richtig sonnig und schwül-warm, ich kämpfte mit großer Müdigkeit.

Auf dem Heimweg Erdbeeren fürs Abendessen besorgt. Die gab es mit Schlagsahne nach dem Ernteanteil-Salat, in den ich ein Reststück Feta gemischt hatte.

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Alltagstrick gegen fliegende Sommerröcke beim Radeln.
(Dürfen halt nicht knitterempfindlich sein.)

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Mittwochabend hatte ich Markus Ostermair, Der Sandler ausgelesen, ein beeindruckendes Romandebut, das die Welt der Obdachlosen in München durchspielt. Deren Alltag, sonst nur Requisite von eigentlicher Romanhandlung, wird mit vielen kundigen Details erzählt, die in ihrem Realismus an eine Sozialreportage erinnern – wären sie nicht so behutsam geschildert, zeichneten sie nicht oft sogar poetische Beziehungen zwischen Außen und Innnen.

Das Resultat der äußersten sprachlichen und strukturellen Sorgfalt ist keine Freiheitsromantik (die beim Thema Obdachlosigkeit nur verlogen sein könnte), sondern Mitgefühl. Es gibt keine Lösungsvorschläge, keine Urteile, statt dessen Sichtbarmachen, Bedeutunggeben, Hinschauen und den Anblick Ertragen.

Die Handlung erleben wir zum größten Teil aus der Perspektive der zentralen Figur Karl (manchmal als innerer Monolog). Andere Kapitel werden personal erzählt aus Sicht anderer Obdachloser oder Sozialarbeiterinnen. Dadurch entsteht ein vielfältiges Bild aus sehr unterschiedlichen Individuen, mit verschiedenem Bildungsniveau, aus verschiedenen Gegenden der Welt, jeder und jede mit einem anderen Temperament und Charakter. Die Obdachlosen, bayerisch “Sandler”, sind aus den verschiedensten Ursachen auf der Straße gelandet. Und die meisten dieser beängstigend komplexen Ursachen, äußere wie innerere, verhindern, dass sie in ein gesicherteres Leben finden.

Die vielen Alltagsdetails über Teestuben, Kleiderausgabe, Betteln schaffen eine Nähe zu den Figuren, die mich oft bis an den Rand des Erträglichen bedrückte. Als Bewohnerin des Bahnhofsviertels gehören diese Menschen und Themen seit Jahrzehnten zu meinen alltäglichen Anblicken (unter anderem deshalb weiß ich sie vom Gschwerl im Nußbaumpark zu unterscheiden – die in einem Kapitel als “die Besuffkis” vom Nußbaumpark auftauchen und gerade nicht zum Personal des Romans gehören).

Die Ansiedlung des Romans im heutigen und realen München ist ein wirkungsvoller Kunstgriff: Das abgundtiefe Elend der Schilderungen findet vor der Glitzerkulisse einer oft abstoßend reichen Stadt statt.

Auch sprachlich ist der Roman vielfältig (vielleicht sogar ein wenig überbordend): Verschiedene Tonlagen und Sprachstile, dazwischen kursiv gesetzt die auf Zetteln hinterlassenen Fragmente des Philosophen Lenz, den Karl auf der Straße vor die Hunde hat gehen sehen, und der sich seinen Traum von einer besseren Welt von der Seele geschrieben hat.

Lesevergnügen bereitet der Roman ganz sicher nicht; ich las auch deshalb so lange daran, weil es mich immer wieder eine gewissen Überwindung kostete, in diese brutale Welt einzutauchen, in der der Alltag nur aus Gefahren besteht und in der es keine erstrebenswerte Zukunft zu geben scheint. Dennoch große Empfehlung, in deutschsprachiger Literatur hatte ich das nicht erwartet.

Empfehlenswerte Besprechung von Alex Rühle in der Süddeutschen Zeitung (auch wenn er St. Matthäus “Markuskirche” nennt):
“Ein Wunder namens Wohnung”.