Ein Beitrag zu Frau Brüllens WasMachstDuEigentlichDenGanzenTag? #WMDEDGT.
Ich schlief mit wenigen Unterbrechungen bis zum Wecker um sieben.
Erst mal holte ich die Zeitung. Seit einiger Zeit werden die Tageszeitungen im Haus nicht mehr bis zur Wohnungstür gebracht – was mich beim Einzug hier irritiert hatte, doch viele Jahre erfreute. Ein freundlicher Nachbar recht weit oben, der sehr früh aufsteht, erledigt das mit dem Aufzug für die drei Abos im Haus, wenn er seine aus dem Briefkasten beim Hauseingang holt. Doch er ist seit drei Wochen im Urlaub und hat mich vor Abreise gebeten, sie statt seiner der alten Dame ganz hoch zu bringen – das mache ich doch gerne. Anders als er allerdings nicht mit dem Aufzug, ich habe ganz gerne kurz nach dem Aufstehen die Gelegenheit, den Kreislauf ein wenig hoch zu bringen.
Erst Milchkaffee, dann eine große Tasse Tee mit Milch, dazu Bloggen. Das Wetter war wunderbar sonnig, aber nicht heiß.
Ich räumte Küche und Wohnung, absolvierte zwei meiner morgendlichen Reha-Übungen (Vierfüßler Cross, Käfer), duschte mich und zog Handwerktaugliches an (Bermudas, T-Shirt, Innenturnschuhe).
Meine Eltern klingelten kurz nach zehn: Sie kamen, um nochmal bei Wohnungsherrichtung zu helfen. Beide haben vollen Impfschutz, ich hatte per Selbsttest morgens Corona-Negativität (größtenteils) sichergestellt: Zum ersten Mal seit über einem Jahr begrüßte ich meine Eltern mit einer innigen Umarmung, das war sehr sehr schön.
Meine Mutter installierte Stangenbohnen am Küchenbalkon und nahm mir ungenutzte Blumentöpfe ab. Mit meinem Vater kümmerte ich mich ums Bad: Ein alter Spiegel bekam neue Löcher in die dicke hölzerne Rückseite (es gibt extra Bohrer für große Mulden-Löcher!), dafür legten wir ihn auf den Balkontisch, das Spiegelglas mit einer Decke geschützt.
Im Bad brachte mein Vater eine Lampe über dem Spiegel an, drei Regale und den Spiegel. Ich ging ihm zur Hand (Werkzeug anreichen, beim Bohren das Staubsaugerrohr drunterhalten) und lernte unter anderem, wie man in Fliesen bohrt, ohne sie zu zerbrechen: Erst vorsichtig mit Spitz und Hammer Loch anlegen, Bohrmaschine erst ohne Schlag verwenden, bis die Glasur weggebohrt ist, dann Schlag zuschalten. Außerdem lernte ich, dass es spezielle Hohlraumdübel gibt, die sich beim Eindrehen der Schraube hinten spreizen. Abschließend holte mein Vater Dübel aus Altlöchern (auch da zeigte er mir eine Technik für Fliesen) und verschloss die Löcher.
Im Flur brachten wir einen Haken an, um den Vorhang vorm Fenster in den Innenhof dekorativ zu raffen – meine Mutter hatte eine Auswahl an Bändern und Quasten mitgebracht, aus der ich mir ein gestreiftes Band aussuchte.
Damit war kurz vor eins alles für gestern erledigt. Ich hätte meine Eltern gerne noch auf ein Mittagessen in den Schnitzelgarten eingeladen, doch sie fuhren lieber heim. Zu meiner großen Freude nahmen sie aus meinem Schlafzimmer zwei alte weiße Kommoden mit (Ikea frühe 1980er), die noch aus meinem Kinderzimmer stammten und die jetzt, da ich den fabulösen Einbauschrank habe, endgültig nicht mehr benötigt wurden. Fertig einrichten kann ich mein Schlafzimmer aber erst, wenn der Crosstrainer darin seinen Platz gefunden hat – und der muss erstmal beweisen, ob er reparierbar und wieder benutzbar ist.
Zum Frühstück kochte ich mir zwei Eier weich, aß eine Semmel vom Vortag dazu.
Ich befreite das Bad von restlichem Bohrschutt und räumte die Regale ein, versuchte mich ein weiteres Mal daran, die schwarzen Schimmelstellen in der Badewannenverfugung zu beseitigen. Wieder erwiesen sie sich dem brutalen eingewirkten Schimmelfrei-Mittel und der anschließenden Bürstenbehandlung gewachsen, ich werde recherchieren müssen.
Verpackungen zur Wertstoff- und zur Papiertonne gebracht, eine Kiste mit Umzugsmaterial (Pinsel, Glühbirnen in Fassungen, Moltofill, Waschmaschinenschlauchverlängerungen) in den Keller.
Jetzt hatte auch ich Feierabend und setzte mich mit Laptop auf den sonnigen, aber nicht heißen Balkon zum Internetlesen. Dabei musste ich mich mehrfach gegen Ausgesperrtwerden wehren: Wenn Herr Kaltmamsell rauskam, neigte er beim Zurückgehen in die Wohnung dazu, die Balkontür hinter sich zu verschließen.
Kurz nach fünf radelte ich nach Neuhausen, um dem Broeding die Weck-Gläser vom Mitnahme-Menü zurückzubringen. Am Himmel türmten sich dunkle Wolken, es blies Regenwind – aber ich blieb trocken.
Daheim eine Runde Yoga, bevor Herr Kaltmamsell das Abendessen servierte:
Zweimal Rind, einmal weichgemacht mit schwarzen Bohnen und Ernteanteil-Pakchoi chinesisch, einmal als Spieße mit Erdnussoße, zu allem Vollkornreis. Im Glas ein Rest Riesling vom Vorabend. Das schmeckte schon mal sehr gut, und dann gab’s auch noch Nachtisch! Herr Kaltmamsell hatte den Saft der Schattenmorellen vom Mais-Kirsch-Kuchen mit Tapioka angedickt und dazu echtes Custard gekocht – superköstlich, ich aß zwei Portionen.
Abendunterhaltung diesmal Echtzeit-Fernsehen: Das Bayerische Fernsehen zeigte Leo, eine Familiengroteske von 2006: Hochkarätige Besetzung (Gisela Schneeberger, Elmar Wepper, August Zirner, Matthias Brandt), wunderbares Drehbuch von Gerlinde Wolf, sehr schön verfilmt von Regisseurin Vivian Naefe in realistischem Setting, mit immer wahnwitzigeren Enthüllungen.
Eingeschlafen zu Regenrauschen.
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Wurde gestern durch mein gesamtes Internet gereicht: Ein ausführliches Interview von republik.ch mit Prof. Christian Drosten unter anderem zum wahrscheinlichen Ursprung von SARS-CoV-2 und den Mechanismen dahinter. Diesmal wurde Drosten auch nach den Anfängen seiner Corona-Forschung 2003 gefragt – und auch das ist superspannend.
“Herr Drosten, woher kam dieses Virus?”
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Alltäglicher offener Antisemitismus in Deutschland.
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“Das ist doch Werbung für dich!” Aber es zahlt halt nicht die Miete: Warum Berühmtheit mit viel öffentlicher Präsenz keinen Lebensunterhalt bedeutet.
Die Schriftstellerin Sharon Dodua Otoo kann sich vor Anfragen kaum retten – und lebt dennoch in ständiger finanzieller Unsicherheit.
Hier der ganze Artikel, in dem die gebürtige Britin darauf hinweist, dass in Deutschland Klassenzugehörigkeit verschwiegen wird und wie sich das auswirkt:
“Sharon Dodua Otoo: ‘Veränderung entsteht durch persönliche Erzählungen'”.
Während ich den Roman schrieb, der gerade erschienen ist, habe ich mir hier und da Geld ausgeliehen, in der Hoffnung auf eine entspanntere Situation, wenn das Buch fertig ist und die Lesungen losgehen. Bereits vor der Veröffentlichung gab es unheimlich viele Anfragen. Und immer wieder gibt es Anfragende, die selbstverständlich davon ausgehen, dass ich mich mit einem reduzierten Honorar zufrieden geben könnte, da sie selbst nicht so viel Budget zur Verfügung haben. Solche Anfragen kann es nur geben, wenn die Leute denken, ich könnte mir das leisten, auf ein angemessenes Honorar zu verzichten. Und es macht mich ziemlich wütend, dass ich mich so oft exponieren und meine Lage offenlegen muss, um ein Honorar zu bekommen, mit dem ich meine Miete zahlen, ein bisschen was für die Rente beiseitelegen und meine Kinder versorgen kann.
(…)
Ich glaube, dass dieser abwertende Blick damit zusammenhängt, dass unsere Gesellschaft verinnerlicht hat, dass eine Person selbst schuld ist, wenn sie arm ist. Dass sie faul sein muss, denn wenn sie arbeiten würde, wäre sie nicht arm. Ich für meinen Teil arbeite sehr, sehr viel, und habe dabei das Gefühl, es ist relativ egal, was ich mache – mit reiner Lohnarbeit werde ich nie genug verdienen, um als alleinerziehende Mutter den Lebensunterhalt für mich und meine Familie zu bestreiten.
(Hervorhebung im Original)
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Durch Schließungen in der gefährlichsten Phase der Corona-Pandemie konnten viele lange nicht zum Friseur. Am sichtbarsten war das wohl an den Frauen, die ihre grauen Haare färben. Fotografin Elinor Carucci zeigt für den New Yorker, dass daraus aber auch eine besondere Ästhetik erwachsen ist (und viele Frauen sich danach nicht mehr die Haare färben):
“Silver Linings”.
via @ankegroener
Jeannine Carson, 53. “When I would see the silver, I would have an excited feeling, like, ‘Oh, that’s me.’ ”