Archiv für September 2021

Journal Donnerstag, 9. September 2021 – Spätsommer-Zugabe, bitteres Baklava

Freitag, 10. September 2021

Böse aufgewacht. Mit Elend in der Kehle in die Arbeit gegangen, unter fast wolkenlosem Sonnenhimmel.

In der Arbeit als Erstes die unangenehmste Aufgabe erledigt, für die ich erst mal einen Lösungsansatz finden musste. Das Resultat war zum einen Euphorie, weil ich sie hinter mir hatte, aber auch das Gefühl, bereits derart viel geschafft zu haben, dass ich mich nur mit Mühe zum Rest motivieren konnte.

Zu Mittag gab es den Pisto-Rest von der Vortages-Brotzeit mit zwei Scheiben Weißbrot, sehr gut.

Draußen war es wunderbar warm, aber in der Sonne nicht unangenehm; ich spazierte nach der Arbeit für Einkäufe zum Stachus, immer auf der Sonnenseite der Straßen. Daheim endlich mal wieder Yoga; ich stärkte und dehnte ausführlich meinen Rumpf, die Bewegung besänftigte auch diesmal das Elend.

Nachtmahl war nach zwei Wochen Pause Ernteanteil-Salat (Endivie und Paprika), dazu hatte Herr Kaltmamsell Weißbrotscheiben gefüllt und gebraten. Am Mittwoch hatte der Herr Baklava selbst gemacht und servierte es zum Nachtisch.

Sah ganz großartig aus und ich freute mich – doch irgendetwas daran schmeckte brutal bitter, da stimmte was nicht. Wir fanden keine Erklärung, selbst wenn ein verdorbener Walnusskern dabei gewesen wäre, hätte ihn Herr Kaltmamsell doch bei Ausbreiten zum Rösten auf dem Blech entdeckt, verbrannt war auch nichts. Also gab es mittelgute Honigmelone (die Lieferung aus Crowd Farming hatte nach sechs Wochen – ! – ein wenig Aroma entwickelt) und ein wenig schwarze Schokolade zum Nachtisch.

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Eine Folge Planet Wissen nachgeguckt, “Die Welt der Gerüche”.

Hochinteressant und mit zwei sehr sympathischen Menschen als Experten im Studio (beide mit deutlichem bayerischen Spracheinschlag). Prof. Thomas Hummel, Leiter des interdisziplinären Zentrums für Riechen und Schmecken an der Universitätsklinik Carl Gustav Carus in Dresden, gefiel mir nicht nur wegen seiner gelassenen Heiterkeit, sondern auch weil er, nach Geschlechterunterschieden gefragt, präzise formulierte: “Wenn Geschlechterunterschiede gefunden werden, dann riechen Frauen besser.” Oder wie er auf die Möglichkeit verwies, dass weibliche Körpergerüche als positiver wahrgenommen werden, “das kann natürlich auch mit Sozialisation zu tun haben”. (Und er spricht von “eleganter Forschung” <3)

Journal Mittwoch, 8. September 2021 – Guerilla-Blumenwuchs

Donnerstag, 9. September 2021

Nach recht gutem Schlaf verkatert und müde vom Wecker geweckt worden, eine Stunde später als sonst ins Bett merke ich halt schon.

Zackig gebloggt, ich hatte diesmal nichts vorgeschrieben. Trotzdem halbwegs pünktlich das Haus verlassen, in einen sonnigem Morgen.

Auf dem Weg in die Arbeit war mir im Westend bereits am Dienstag ein Wohnhaus aufgefallen, an dessen Kante zum Gehweg einige Pflanzen und Blumen wuchsen, die ich hier nicht erwartet hatte. Sehr wahrscheinlich hatten sie sich von den Balkonen darüber ausgesät.

Fürs Mittagessen hatte ich eine Portion des Gemüse-Pisto mitgenommen, außerdem war noch Birchermuesli vom Dienstag übrig.

Ruhiges Arbeiten, interessante Kontakte, ich war aber sehr müde und hatte Mühe mit Konzentration.

Auf dem Heimweg kaufte ich im Vollcorner ein, Vorräte und Brotzeit der nächsten Tage, außerdem war mir der Kräutertee im Büro ausgegangen.

Fürs Abendessen hatte Herr Kaltmamsell Biergarten vorgeschlagen, schließlich war das Wetter nochmal spätsommerlich. Wir gingen in den Schnitzelgarten, ich genoss mein halbes Cordonbleu und die Pommes dazu, die andere Hälfte nahm ich als Donnerstagsfrühstück für Herrn Kaltmamsell mit. Ich fühlte mich blöd im Hirn, zum Glück übernahm der Herr die Konversation und erzählte mir von seinem Tag.

Zu Hause Süßigkeiten, früh ins Bett.

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Psychotherapeut Tim Lawrence stellt klar:
“Everything Doesn’t Happen For A Reason”.

via Frau Klugscheisser

Sie zitiert daraus:

Grief is brutally painful. Grief does not only occur when someone dies. When relationships fall apart, you grieve. When opportunities are shattered, you grieve. When dreams die, you grieve. When illnesses wreck you, you grieve.

Übersetzt:
Trauer tut brutal weh. Trauer wird nicht nur durch Tod ausgelöst. Wenn Beziehungen zerbrechen, trauert man. Wenn Chancen verschwinden, trauert man. Wenn Träume sterben, trauert man. Wenn eine Krankheit zuschlägt, trauert man.

Und das ist wirklich, wirklich nicht in erster Linie eine Chance für Charakterverbesserung; Lawrence findet es völlig in Ordnung, den Kontakt zu Menschen abzubrechen, die “Es wird schon zu was gut sein” für Trost halten.

I hate to break it to you, but although devastation can lead to growth, it often doesn’t. The reality is that it often destroys lives. And the real calamity is that this happens precisely because we’ve replaced grieving with advice. With platitudes. With our absence.

Wieder übersetzt:
Ich eröffne es Ihnen nicht gern: Auch wenn Schicksalsschläge zu Weiterentwicklung führen können, tun sie das oft nicht. In Wirklichkeit zerstören sie oft ganze Leben. Und das eigentliche Unglück: Das passiert, weil wir Trauer durch Ratschläge ersetzt haben. Durch Platitüden. Durch unsere Abwesenheit.

Dazu passt der Hinweis eines Freundes, der einen furchtbaren Verlust erleiden musste. Als man ihm nach einiger Zeit vorwarf, er bade ja in seiner Trauer, meinte er, er bade nicht darin, er dusche.

Journal Dienstag, 7. September 2021 – Mit Familie Hazel Brugger geguckt

Mittwoch, 8. September 2021

Der Morgen begann mit Pflanzengießen, ich mache das inzwischen verlässlich (die meiste Zeit meines Lebens mussten die Topfpflanzen in meiner Wohnung selbst zurechtkommen, alle paar Tage fiel mir ein, dass sie Wasser brauchen – allerdings mit steigendem Alter immer häufiger): Balkonpflanzen jeden Tag, restliche Topfpflanzen jeden zweiten.

Fußweg in die Arbeit wieder in schönster Morgensonne. Ich verfolgte die Geschehnisse um die derzeitige IAA (nur zum Festhalten für mein künftiges Ich: Die erste große Messe in Präsenz nach den Corona-bedingten Absagen ist – natürlich – die Internationale Automobilmesse, die nach München verlegt wurde, unter anderem weil Frankfurt den Veranstaltern zu Auto-kritisch geworden war) vor allem aus beruflicher Perspektive, es gibt ein breites Auto-kritisches Gegenprogramm.

Ebenfalls durch berufliche Zusammenhänge ergab sich am Telefon eine zufällige Wiederbegegnung mit einem ehemaligen Arbeitskollegen (ich meldete mich mit “$Arbeitgeber, Kommunikation, mein Name ist Kaltmamsell”, er so: Pause, Pause “DIE Kaltmamsell?”), die mich sehr freute. Wir plauderten eine Weile und ich habe den Eindruck, dass jetzt wieder Kontakt besteht.

Mittags ein Apfel und Birchermuesli.

Pünktlicher Feierabend, denn ich war mit der Bruderfamilie zu Hazel Brugger verabredet: Alle bis auf meinen Bruder waren wegen einer anderen Angelegenheit eh in München, Herr Kaltmamsell hatte sie tagsüber ein wenig zu Einkäufen und zum Klima-Camp auf der Theresienwiese begleitet. Ich holte unterwegs beim Bäcker Brot fürs Abendessen, sicherte kurz vor der Haustür einen Verdacht: Nachdem ich jetzt zum dritten Mal beim Passieren der neuen Portalklinik aus einem offenen Fenster der oberen Etagen recht eindeutige menschliche Laute hörte, weiß ich, dass mindestens einer der Kreißsäle auf die Nußbaumstraße raus geht. Ausgesprochen informativ. (Ich sehe mich in 16 Jahren eine junge Frau kennenlernen, die von einem Geburtstag an einem Nachmittag Anfang September spricht und dass sie im Münchner Zentrum auf die Welt kam. “Ah, das habe ich wahrscheinlich gehört.”)

Es gab Pisto für alle, allerdings wollten nur Herr Kaltmamsell und ich Spiegeleier dazu. Zum Deutschen Museum gingen wir zu Fuß (minus Frau Schwägerin, die von Anfang an, also seit Anfang 2020, nicht eingeplant war) durch ein sommerlich genutztes Feierabend-München mit vielen Draußensitzenden, dort stieß mein Bruder zu uns, der nach seinem Feierabend die Bahn genommen hatte.

Das Publikum war im Innenhof des Deutschen Museums in den zusammen gebuchten Gruppen platziert, jeweils viel Abstand dazwischen, wir saßen links recht weit vorn. Hazel Brugger zeigte ihr neues Programm “Kennen Sie diese Frau?” zum ersten Mal in Deutschland, nannte es auch vorsichtshalber “Vorpremiere”. Es war ein schön typisches Hazel-Programm von geradezu staubender Trockenheit (Details in der Besprechung vom Schweizer Tagblatt), mit einer sympathischen Hazel, immer wieder unterbrochen von den SEHR LAUTEN Glocken des Deutschen Museums (die Künstlerin hatte uns darauf vorbereitet), und mit einer abschließenden Abstimmung durch Klatschen, welche Nummern uns besser und weniger gut gefallen hatten. Als Zugabe las Hazel Brugger noch ein paar Pointen aus dem mitgebrachten Skript des neuen Programms vor – sie bewiesen, dass es sich auf jeden Fall lohnen wird, auch die routiniertere Fassung anzusehen.

Wir spazierten durch eine wunderbare Sommernacht zurück zu uns, vorbei an vollen Straßencafés und Schanigärten. Dort gab es für Hungrige noch etwas zu essen und Süßigkeiten, herzlicher Abschied von der Familie.

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Ein gestern viel geteilter Heise-Artikel weist darauf hin, dass es eine alternative zum “bewussten” Konsum gibt: keinen.
“Missing Link: Kaufen Sie kein Elektroauto! Von falschen Konsum-Versprechungen”.

via Buddenbohm

(“Noch 300 Shirts und Hosen aus wirklich nachhaltiger Produktion kaufen, und wir haben die Textilindustrie Umwelt- und Arbeitnehmer-freundlich gemacht” erinnert mich ja arg an Garfields “Noch drei Schachteln von diesen Diät-Keksen, und ich bin dünn wie ein Strich.”)

Journal Montag, 6. September 2021 – Unspektakuläre Arbeitsrückkehr

Dienstag, 7. September 2021

Für eine Nacht vor erstem Arbeitstag ganz gut geschlafen. Aber es schmerzte, wie lang nach Weckerklingeln es draußen noch dunkel war, trotz klarem Himmel.

Früh zur Arbeit aufgebrochen.

Freude über die laut quakende Gänseformation, die über die Theresienwiese flog, ich sah ihr eine Weile nach. War aber in der Arbeit guter Dinge und legte ein Tempo vor wie zu Agenturzeiten. Interessante Dinge erfahren, Jobs weggeackert, Fehler gemacht.

Mittags gab’s die restlichen Zucchini mit Linsen vom Vorabend.

In der Mittagspause per Briefwahl gewählt (meine Zeitung war nicht im Briefkasten gelegen), Twitter gelesen. Draußen ein herrlicher Sonnentag mit milden Temperaturen.

Nicht zu später Feierabend, ich genoss den Heimweg über die sonnige Theresienwiese, das zweite Jahr ohne Oktoberfest – heuer fühlt es sich nicht ganz so apokalyptisch an wie 2020, ich könnte mich daran gewöhnen. Zu Hause machte ich mich umgehend daran, die zweite Zucchini aus Berlin zu spanischem Pisto zu verarbeiten – sie entpuppte sich als erstaunlich saftig, hatte aber bereits harte Kerne ausgebildet, die ich ausschaben musste. Herr Kaltmamsell hatte die restlichen Zutaten besorgt, ich schnippelte eine gute Stunde. Es gab das Gericht aber nicht gestern: Aufgewärmt schmeckt Pisto am besten, es wird das Abendbrot am Dienstag vor unserem Kabarett-Besuch – nach zweimal Verschieben werden wir doch noch Hazel Brugger sehen, inzwischen mit ganz neuem Programm (ich komme immer noch nicht aus dem Kichern über den Umstand, dass sie den Sohn des polemischen Internet-Apokalyptikers Prof. Manfred Spitzer geheiratet hat – vielleicht beruhigt es sie als junge Mutter, dass selbst aus der Bahn geratene Eltern ihre Kinder nicht zwingend kaputt machen).

Für gestern Abend machte Herr Kaltmamsell auf meine Bitte Kichererbsen-Pfannkuchen mit Gremolata nach einem Rezept aus dem SZ-Magazin. Schmeckte ganz hervorragend (und war zufällig vegan), die Farinata bekam eine überraschend blättrige Kruste, Herr Kaltmamsell reichte Gurkensalat mit Dill dazu. Zum Nachtisch viel Süßigkeiten.

Journal Sonntag, 5. September 2021 – Sommersonntag, #WMDEDGT

Montag, 6. September 2021

Ein Beitrag des Freundeskreises Tagebuchbloggen und Antwort auf Frau Brüllens Frage: Was Machst Du Eigentlich Den Ganzen Tag?

Etwas unruhige Nacht, aber nach dem wiederholten Aufwachen kurz vor sechs konnte ich nochmal einschlafen.

Ich zog die Rollos hoch zu herrlichem Sonnenschein: Am letzten Tag vor Wiederarbeiten bekam ich den Sommer nachgeliefert, der mir eigentlich in den beiden Wochen davor sehr gut gefallen hätte. Er soll auch noch ein paar Arbeitstage bleiben.

Pflanzen gegossen, es gab keine Todesopfer in den sechs gieß-freien Tagen. Waschmaschine gefüllt und gestartet.

Für einen Balkonkaffee war es leider zu kühl, ich bloggte innen mit offener Balkontür.
Maniküre auf Küchenbalkon in der Sonne.

Die beiden Koffer ausgepackt (mit übermenschlicher Anstrengung hatte ich es geschafft, sie am Vorabend einfach nur aufgeklappt rumstehen zu lassen), Wäsche aufgehängt.

Unverhofft verhalf mir das schöne Wetter zu einem weiteren Freibad-Schwumm; am Vorabend hatte ich nachgelesen, dass mit der der Neuregelung der Corona-Maßnahmen keine Buchung mehr nötig ist. Vormittags machte ich mich auf zum Schyrenbad – und kehrte auf halbem Weg um, weil ich meine Maske vergessen hatte. Beim zweiten Druchqueren des Alten Südfriedhofs beobachtete ich ein rotes Eichhörnchen, dass sich an der Weihwasserschale eines Grabmals zu schaffen machte – es klang leer, also hatte es eher dort etwas vergraben als getrunken.

Am Eingang des Schyrenbads musste ich meine Kontaktdaten hinterlassen – dass die Stadtwerke München dafür nur die private Luca-App anbieten, nicht aber die Eincheck-Möglichkeit der offiziellen Corona-Warn-App, finde ich ärgerlich. Ich füllte einen Zettel aus.

Das Becken war ziemlich voll, dennoch konnte ich meine 2500 Meter flüssig runterschwimmen – sogar besonders schnell, weil mir trotz Sonnenschein kalt war.

In der Umkleide trocknete ich mich ab, sonnencremte mich und wechselte von Badeanzug in Bikini. In der Sonne wärmte ich mich auf und hörte zwei Stunden NDR-Corona-Podcast mit Prof. Drosten, wieder eine Menge gelernt. Unter anderem:
– wann ein Schnelltest für Geimpfte sinnvoll ist (vor Zusammensein mit Ungeimpften, zum Beispiel Kindern),
– was “Impfdurchbruch” heißt und was nicht, welche Studien welche verschiedenen Maßstäbe dafür anlegen (die einen testen systematisch eine große Gruppe Geimpfter und zählen alle positiven Ergebnisse, die anderen nur Geimpfte mit Symptomen),
– dass der Begriff “Herdenimmunität” meist falsch verwendet wurde (er bedeutet nicht das Verschwinden aller Corona-Infektionen),
– dass die Delta-Variante noch tückischer ist, als sich anfangs abzeichnete,
– warum sich wirklich, wirklich alle impfen lassen sollten, die es dürfen (Drosten hatte vor dem Sommer für Ende August eine Impfquote von 85 Prozent prognostiziert, die vor dem Herbst den Übergang in die endemische Phase ermöglicht hätte, in der Corona einfach ein weiterer Schnupfen wäre – so aber hält er die Notwendigkeit von Kontakteinschränkungen im Herbst für wahrscheinlich),
– dass in Ländern, in denen die Pandemie besonders verheerend gewütet hat, bei Betrachtung der Impfquote beachtet werden muss, dass insgesamt die Immunität in der Bevölkerung durch Infektionen bedeutend höher ist, also z. B. in Spanien und UK,
– wie weit Impfungen für Kinder sind (Hochrisikogruppen können bereits mit reduzierter Menge geimpft werden, es gibt Erfahrungswerte).

Dabei immer wieder Ameisen beobachtet, die auf mir krabbelten – nach dem Vortrag des jungen Formiculogen in Berlin habe ich einen völlig neuen Blick auf die Viecher. (Kann es sein, dass eine Ameise eine tote kleinere abtransportierte?)

Schöner Spaziergang zurück nach Hause, dort aß ich Joghurt mit Weizenkleie und Apfel. Anschließend Duschen mit ausführlicher Körperpflege.

Die Koffer zurück in den Keller geräumt, festgestellt, dass auch mein Zweit-Werkzeugkoffer (Papas Geschenk, als ich zwei Jahre lang eine Zweitwohnung in Augsburg bewohnte) keinen Gürtellocher enthält. Ich muss die betreffenden Gürtel zum nächsten Elternbesuch mitnehmen.

Twitter- und Zeitunglesen auf dem sommerlichen Balkon. Vorsichtiger Check meines Berufs-Postfachs: Scheint nichts wirklich Schlimmes angefallen zu sein.

Als Aperitif gab es einen Gin Tonic mit alkoholfreiem Gin von Heimat, den mein Bruder mir geschenkt hatte – brauchte für meinen Geschmack unbedingt das Tonic Water, weil er pur nach Medizin schmeckte. Mit Tonic entwickelte er ein angenehmes Tannennadel-Aroma.

Als Nachtmahl servierte Herr Kaltmamsell den ersten der beiden Berliner Zucchini (den gelben) in Stücken aus der Pfanne mit getrockneten Shiitake-Pilzen, Beluga-Linsen, Sahne – sehr gut.

Abendunterhaltung: Comedian Aurel Mertz hat jetzt beim ZDF seine eigene Show, Aurel Original. Ich sah mir die erste Folge an. Joah, das Thema bearbeitet meiner Meinung nach Die Anstalt besser und witziger, vielleicht muss sich das Team erst aufs neue Format eingrooven.

Journal Samstag, 4. September 2021 – Berlin 5: Rückreise / Ein 80. Geburtstag

Sonntag, 5. September 2021

Wecker auf früh, denn wir wollten vorsichtshalber früh am Bahnhof sein.

Abschied vom Zimmer mit angemessener Nummer, name’s Bond. (Wenn Sie sich tiefer für dieses besondere Hotel Oderberger interessieren, möchten Sie vielleicht meinen ersten Aufenthalt vor drei Jahren nachlesen, hier gibt’s Fotos, hier mehr Fotos, hier mit Hintergrundinfos.) Wir rollkofferten durch ein morgennebliges Berlin zum Hauptbahnhof, die alte Gehwegpflasterung machte uns in den leeren Straßen zu genau der Lärmbelästigung, wegen der Anwohnende Touristen fürchten.

Stickerkultur.

Im Hauptbahnhof war es ruhiger als erwartet, ich war in der aktuellen Streiksituation auf gestrandete und aufgeregte Passagiere gefasst gewesen – doch am dritten Streiktag wurde wohl niemand mehr überrascht. Die DB-Infotheke am Eingang war gut besetzt, eine zusätzliche Bahn-Servicekraft lief herum und kümmerte sich direkt um die Menschen in der Schlange davor. Wir ließen uns bestätigen, dass die reservierte Verbindung nach München über Hannover und Nürnberg noch existierte und gingen Kaffeetrinken.

In der 1. Klasse, die wir für unser ursprüngliches Schnäppchenticket gebucht hatten, war es dann sogar ruhig (die paar Euro Aufpreis machten sich sowas von bezahlt) mit vereinzelten leeren Sitzen. Ich bastelte bei funktionierendem (!), aber wackligem WLAN den gestrigen Blogpost. Umstieg in Hannover mit einer Stunde Aufenthalt; Herr Kaltmamsell nutzte sie für ein Mettbrötchen zur Brotzeit. Auch der nächste Abschnitt Hannover-Nürnberg verlief ruhig, ich aß zwei Äpfel und ein Stück Eiweißriegel, las auf meinem Smartphone die Süddeutsche vom Wochenende. In Nürnberg hätten wir über anderthalb Stunden auf den nächsten Zug warten müssen, doch kurz vor Ankunft informierte eine Durchsage, es stehe ein extra ICE nach München bereit, gleich im Anschluss am Gleis gegenüber. Darin erfuhren wir, dass es sich um einen Zug handelte, der eigentlich nur bis Nürnberg gefahren wäre und jetzt zur Entlastung bis München fuhr – well played, Deutsche Bahn. Ankunft 16.40 Uhr, nach knapp sieben Stunden.

In München schien warme Sonne, die Menschen waren sommerlich gekleidet. Wir brachten schnell unsere Koffer heim, banden eine Schleife um ein Mitbringsel und nahmen eine U-Bahn nach Obersendling: Freunde hatten uns zur Nachfeier eines 80. Geburtstags der Frau Mama eingeladen. Dort konnten wir die Dame hochleben lassen, liebe Gesichter wiedersehen, und wir bekamen fränkische Köstlichkeiten serviert – ich freute mich besonders über die sauren Zipfel und das Kellerbier. Allerdings waren wir so durch, dass wir uns schon kurz nach neun wieder verabschiedeten.

§

Ja, der Lokführer-Streik hat unsere Rückreise unbequemer gemacht (und uns trotzdem am selben Tag fast 600 Kilometer nach Hause gebracht). Aber das hat nichts mit dem Bahnfahren zu tun, ich erinnere an die jüngeren Streiks in der Luftfahrt. Vor allem aber halte ich das Streikrecht für eine enorme gesellschaftliche Errungenschaft und wünschte manchmal sogar, es würde öfter genutzt. Siehe diesen taz-Kommentar:
“Wo bleibt die Solidarität?”

Wer in Deutschland streikt, erfährt mehr Wut als Solidarität. Tief verwurzelt ist der Neid auf alle, die es wagen, für ihre Forderungen einzutreten.

(…)

Der Job ist entweder unterbezahlt oder stressig und voller Überstunden oder das Klima zwischen Kol­le­g*in­nen vergiftet – wenn man richtig Glück hat, geht gleich alles drei zusammen. Ab und zu hört man vom Burn-out als Volkskrankheit des 21. Jahrhunderts. Wenn man selbst betroffen ist, geht man in Therapie und sucht das Problem bei sich. Kann man machen. Echte Veränderung kann es aber nur geben, wenn Arbeit und Arbeitsbedingungen als etwas Politisches gesehen werden.

Grund für Wut war im Gegensatz dazu im August 2006 der vereitelte Anschlag auf Flugzeuge mit Flüssigbombe, der unsere Anreise nach Brighton verhinderte und uns die Mühe kostete, am nächsten Tag per teurem Nachtzug über Paris anreisen zu müssen.

Journal Freitag, 3. September 2021 – Berlin 5: Spreefahrt und Gärtnerei-Essen im Tisk

Samstag, 4. September 2021

(Vorabinfo zu Samstag und Rückreise per bestreikter Bahn: Ich schreibe im Zug, wir haben es bereits nach Hannover geschafft und sitzen jetzt im Zug nach Nürnberg.)

Ausgeschlafen, draußen herrlichster Sonnenschein.

Deko-Element am Oderberger, leicht gruslig.

Herr Kaltmamsell hatte uns Tickets für eine Spreeschifffahrt gesichert, erst mal für die Standardstunde. Auf meiner Unternehmungsliste für Berlin steht auch eine ausführliche Fahrt inklusive Seitenarme, das mache ich bei einem anderen Besuch.

Auf dem Weg zur Anlegestelle zweimal Morgenkaffee mit Zeitunglesen, ich genoss die Farben des Sonnenlichts durch Blätter, auf den gepflasterten Wegen, zwischen den vielen Draußensitzenden vor den Cafés.

Esskastanie im Monbijoupark.

Spreefahrt durch Regierungs- und Nikolaiviertel, mal mit Wind von vorn (ich freue mich sehr auf den Friseurtermin in zehn Tagen), mal von hinten. Die gut hörbaren Erklärungen vom Band enthielten durchaus Neues.

Weil wir schon mal da waren und ich ihn noch nie besucht hatte, sahen wir uns den Tränenpalast an. Gut aufbereitete Informationen, die den Ort zum Anlass nehmen, die Teilung der Stadt, Mauerbau und Fall der Mauer zu erzählen. Es flasht mich immer wieder, dass der Mauerfall jetzt länger her ist, als es die Mauer überhaupt gab – da ich mit einem geteilten Deutschland groß geworden bin, hat mich das nachhaltig geprägt.

Beispiel für ein Westpaket – für mich Erinnerung an den Back-Kakao meiner Kindheit und Jugend.

Am frühen Nachmittag spazierten wir zurück Richtung Hotel. Wir kehrten ein im Mogg in der ehemaligen jüdischen Mädchenschule – endlich konnte ich Herrn Kaltmamsell das dortige legendäre Pastrami-Sandwich servieren. Ich aß Shakshuka, das gut tat, aber nicht an das von Herrn Kaltmamsell heranreicht.

Unsere Bewegungsfreiheit im Hotel war eingeschränkt: Dreharbeiten. Zumindest mussten wir nicht auch noch leise sein. Wegen des anhaltenden Lokführer-Streiks recherchierten wir Bahnverbindungen, die uns am Samstag nach München bringen würden. Die am Dienstag reservierte gab bereits nicht mehr, wir reservierten eine neue über Hannover und Nürnberg. Samstag würden wir halt früh morgens am Bahnhof sein und dort aktuelle Auskunft erbitten.

Fürs Abendessen hatten wir einen Tisch im Tisk reserviert; das Konzept „Farm to table“ mit eigener Gärtnerei und die Gemüse-zentrierte Speisekarte hatten mich sofort angezogen – so sähe es vermutlich aus, wenn es ein Kartoffelkombinat-Restaurant gäbe.

Den Aperitif nahmen wir in der Bar des Hotel Oderberger: Rechts Norway Muse für mich, herbsüß, links Birne für Herrn Kaltmamsell, frisch. Besonders interessant: Meine Deko-Kirsche war stark mit Gewürznelke aromatisiert.

Wir nahmen nur für die Hauptstrecke die U-Bahn nach Neukölln, gingen die erste und letzte Viertelstunde zu Fuß zum Gucken. Neukölln gefiel mir wieder ganz besonders gut, im milden Wetter saßen auch hier die Menschen draußen, bunt und vielfältig.

Im Tisk wurden wir herzlich empfangen. Auf der Theke zur offenen Küche (wir saßen drinnen, denn sobald die Sonne verschwindet, ist es mir Prinzesschen auf der Erbse draußen zu kühl) lag dekorativ neben Kürbissen eine stattliche Zucchini. Auf dem Weg hatte ich mich mit Herrn Kaltmamsell über die Schwierigkeit unterhalten, fürs klassische spanische Pisto solche großen Exemplare zu bekommen (die geschält, entkernt und kleingewürfelt werden), da mittlerweile nur noch junge, saftige und auch roh verwertbare Exemplare angeboten werden. Darauf sprach ich unseren Gastgeber bei der Bestellung an, der zustimmte, dass man die heutzutage wahrscheinlich eigens bestellen müsse, und dann einfach meinte: „Ich gebe Ihnen die mit, erinnern Sie mich doch, bevor Sie gehen.“ Auf mein überraschtes: „Echt?!“ brachte er gleich eine grüne und eine gelbe, große Zucchini, warnte lediglich, die gelbe sei schon älter, da müsse man wahrscheinlich mehr wegschneiden. Berlin farm to Munich table.

Erst wurde selbst gebackenes Knäckebrot mit Hummus zu Dippen auf den Tisch gestellt. Und dann aßen wir Gemüse. Vorspeisen:

Für mich gab es rote Bete mit Spinat, Kapuzinerkresse, Mirabellen, Tagetesblättern – ganz wunderbar.

Herr Kaltmamsell hatte Brokkoli mit knusprigen Mangoldblättern und Majonese.

Als Hauptgericht aßen wir beide Steckrübe mit Trompetenpilzen, Ei und Hollerbeeren – köstlich: Die Steckrübenscheibe war gegart und dann noch bis zur Karamelisierung gebraten.

Im Glas einen rheinhessischen Huff Doll Grauburgunder. Die kleine Weinkarte hatte auch orange wine angeboten, da ich diese konkreten aber nicht kannte und die Mostnote vieler Naturweine nicht mag, scheute ich davor zurück. An anderen Tische sah ich zweimal das berühmteste Gericht des Tisk gebracht: Broiler, ein ganzes Brathuhn mit Füßen, das man sich am Tisch selbst teilt.

Nachtisch war ein Tiramisu-Eis mit Pistazie, ebenfalls ausgezeichnet.

Abschließend bekam Herr Kaltmamsell Espresso, ich bat um einen Schnaps und folgte der Empfehlung Williamsbirne. Ich hatte mich noch nie zuvor aus einem Restaurant mit zwei Zucchini unterm Arm verabschiedet, aber irgendwann muss man halt damit anfangen.

Rückweg mit Neukölln-Ansichten:

Strudlhofstiege auf Berlinerisch?

An der Karl-Marx-Straße.

Ungewöhnliches Mitbringsel vom Fine Dining: Zwei je 40 Zentimeter große Zucchini aus der Restaurant-Gärtnerei. Hier am Hermannplatz.

Zurück in Prenzlauer Berg guckten wir wieder Wahlwerbung: In Berlin wird am 26. September auch das Abgeordnetenhaus gewählt, ich lerne aus den Plakaten viel.

§

Gute Gedanken von Jagoda Marinić in der Süddeutschen dazu, wie verzwickt das Thema Migration und Diversität inzwischen im politischen Diskurs Deutschlands ist (€):
“Vielfalt im Wahlkampf:
Wir sind hier nicht gemeint”.

Fast sehne ich mich zurück nach einem Sturkonservativen wie Edmund Stoiber, der zwar nur Klischees von integrationsunwilligen Ausländern in die Welt setzte, aber ihm konnte man noch widersprechen. Im Triell fand Migration als Thema überhaupt nicht statt. Nach Jahrzehnten der Wahlkämpfe, in denen Einwanderung meist nur missbraucht wurde, um Rechtskonservative zu mobilisieren, fehlt der Politik eine Strategie dafür, wie man mit Diversität auch Wahlen gewinnen könnte.

(…)

Ich gebe zu, dass dieses Mal nicht allein die Mehrheitsgesellschaft verantwortlich für diesen Missstand ist, sondern auch ein Teil der Minderheiten. Zu viele verstehen ihre Rolle als Empörungs-Twitterer, die Fehler anprangern, ohne zu sagen, was sie verbessern wollen.

(…)

Die einen wollen den altmodischen Integrationsdiskurs zurück, andere wirtschaftsaffin über Diversität reden, wieder andere den postkolonialen Diskurs einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich machen, um nur einige der Akteure zu beschreiben. Für Politiker ist diese Zersplitterung bequem: Man muss keine Minderheiten als Ganzes in demokratische Prozesse einbeziehen, sondern ein Foto oder Event pro Gruppe reicht, gerne mit einer profilierten Persönlichkeit, fertig!