Archiv für September 2021

Journal Donnerstag, 2. September 2021 – Berlin 4: Sonne, Kunst und eine Reihe Essen

Freitag, 3. September 2021

Gut geschlafen, noch vor dem Weckerklingeln aufgewacht: Ich wollte wieder Schwimmen gehen.

Diesmal kam ich früher ins Wasser. Es waren mehr Menschen im Becken, doch die wollten ebenfalls wirklich schwimmen, daher kamen wir uns nicht in die Quere. Zum ersten Mal seit Hüftekaputt traute ich mich ein wenig Brust zu schwimmen, sogar mit Power im Beinschlag – ging gut!

Blick vom Obergeschoß des Hotels rüber in die Schwimmhalle.

Mittags waren wir mit der Berliner Verwandtschaft von Herrn Kaltmamsell in Kreuzberg verabredet, genauer: mit einem Kusin, einer Kusine und ihren beiden erwachsenen Kindern. Bis dahin tranken wir Morgenkaffee, Herr Kaltmamsell frühstückte.

Das bekam ich auf meine Bestellung “ein Cortado”, weil ich ihn auf der Tafel entdeckt hatte.

Weil das Wetter endlich richtig schön und sonnig war, gingen wir die gute Stunde zu Fuß nach Kreuzberg.

Von der Schillingbrücke.

An der Köpenicker Straße.

In Kreuzberg bekamen wir eine Führung durch das professionelle Tonstudio des Herrn Kusin. Was er denn darin so mache, fragte ich. “Alles außer Kunst.”

Zu sechst gingen wir ins Mikito am Schlesischen Tor und aßen zu Mittag. Austausch von Neuigkeiten, auch über andere Familienmitglieder, Abgleich von Auswirkungen der Pandemie auf Beruf und Privatleben (Beruf: man kann ein Bekleidungsgeschäft auch vom Gehweg davor aus führen; Tonaufnahmen braucht im Lockdown niemand; drei Semester Studium nur über Internet und Bildschirm verhindern wissenschaftlichen Austausch und Netzwerken). Zu essen hatte ich mir eine Gemüse-Bowl bestellt, die sehr gut schmeckte.

Mit der U-Bahn fuhren wir danach zum Nollendorfkiez, um eine kleine Ausstellung in der Galerie ep.contemporary anzusehen: Ein Münchner Bekannter stellt darin mit aus und hatte darauf hingewiesen, und wenn uns der Zufall schon mal gleichzeitig nach Berlin führte, wollte ich das nutzen. Bis zur Öffnung der Galerie spazierten wir durchs Viertel und setzten uns in die Sonne. Die Ausstellung war tatsächlich interessant.

Mit einer Kombination Spaziergang und U-Bahn-Fahrt kehrten wir zurück ins Hotelzimmer, lasen bis zur Abendverabredung: Wieder in Kreuzberg gingen wir mit @FrauIndica georgisch Essen.

Georgische Vorspeisen, georgischer Weißwein, Khachapuri. Viel über die aktuelle Gastroszene in Berlin erfahren, Luftschlösser um einen möglichen Münchenurlaub gebaut.

In wieder frischer Nacht mit der Tram zurück zum Hotel gefahren.

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In unserer Kartoffelkombinat-Gärtnerei sieht’s nicht gut aus.

Journal Mittwoch, 1. September 2021 – Berlin 3: Jüdisches Museum in Neu

Donnerstag, 2. September 2021

Nicht lang genug geschlafen, leicht verkatert aufgewacht.

Die ersten Stunden brauchte ich fürs Bloggen, währenddessen recherchierte Herr Kaltmamsell das Tagesprogramm. Wir planten ein wenig hin und her: Das Wetter hatte nicht mitgeschrieben, als ein sonniger Tag vorhergesagt wurde, der Himmel war bedeckt. Die Spreeschifffahrten, die uns am besten gefielen, waren bereits ausgebucht. Für einen Ausflug nach Potsdam war uns der Tag bereits zu fortgeschritten. Doch mir fiel ein, dass das Jüdische Museum seit anderthalb Jahren eine neue Leitung hatte, Hetty Berg, und dass ich in der Süddeutschen über die kürzliche Neueröffnung der neuen Dauerausstellung gelesen hatte: Die wollten wir sehen.

Wir verließen das Hotel erst mal auf der Suche nach Frühstück. Zum Morgen-Cappuccino aß ich sogar ein Stück Käsekuchen (das mir dann stundenlang quer kneifend im Magen lag).

Auf dem Weg zum Jüdischen Museum sahen wir uns auf der Museumsinsel um, jetzt ist ja ein weiterer Bauabschnitt beendet. Vielleicht brauche ich das fertige Gesamtensemble, um ihn richtig einschätzen zu können (Pergamonmuseum ist noch komplett Baustelle), im Moment sah das neue Stück für mich sehr abweisend aus.

Wir mäanderten zum Jüdischen Museum, es war einfach gewesen, einen Besuchstermin zu buchen (anders als bei der eben fertig restaurierten Neuen Nationalgalerie, die auf Monate ausgebucht ist).

Meine Eindrücke der folgenden beiden Stunden sind gemischt. Zum einen war ich angetan vom künstlerischen Anspruch und der Ästhetik der neuen Dauerausstellung. Zwar schien es es mir, als seien weniger Inhalte als in der Vorgänger-Ausstellung dargestellt (mein letzter Besuch ist allerdings zehn Jahre her), sehr viele als Kunstwerke/Installationen. Und daraus folgt das Zum anderen: In diesem Museum ist ohnehin die Architektur von Daniel Libeskind so dominant, dass sie manche Inhalte überstrahlt, jetzt gibt es einen weiterer Vordergrund für das, was erzählt und erklärt wird – ich frage mich, ob der Hintergrund, die eigentlichen Inhalte damit manchmal verdeckt werden. Nehmen wir als Beispiel das Thema Musik, das so präsentiert wird:

Am Anfang erklärt eine Tafel kurz die Präsenz musikalischer Elemente in jedem Bereich des Judentums, man hört sie in Nischen oder durch Berühren von Metallrohren. Die Wellen des Kettenvorhangs bekomme ich durchaus in eine Verbindung mit Schallwellen, doch die Erklärungen zu den einzelnen Sound-Stückchen sind sehr kurz (ich kann ein Shofar-Horn anhören, doch wozu dient es?) und das Eruieren der Technik zum Abrufen braucht zusätzliche Aufmerksamkeit.

Nach meinem Eindruck gehen all die originellen Präsentationsideen auf Kosten der Zugänglich- und Nahbarkeit, möglicherweise werden damit nur noch Menschen angesprochen, die bereits sehr viel über das Judentum und seine Geschichte in Deutschland wissen. Ich wüsste gerne, wie eine Besucherin das Museum erlebt, die sich vorher noch sehr wenig mit dem Thema befasst hat. (Ich hatte allerdings nicht den Audio-Guide genutzt, aber dort wären die fehlenden Inhalte auch nicht ideal aufgehoben.)

Präsentation des Themas Sabbath.

Immer wieder humorvolle Elemente.

Unter grauem Himmel spazierten wir gemütlich zurück ins Hotel. Ich holte eine Stunde tiefen Schlaf nach.

Abends waren wir in der Nähe bei einer Freundin aus Studienzeiten zum Essen eingeladen. Ich lernte einen sehr freundlichen Corona-Hund kennen und freute mich sehr über die Gelegenheit, die vergangenen beiden Jahre an Lebensinfo nachzuholen. (Und bekam eine Menge Spannendes vom hauseigenen Hobby-Formiculogen erzählt.) Es gab köstliches geschmortes Schweinfilet mit Oliven und Pflaumen, dazu Salat und gebratene Polenta. Wein ließ ich lieber aus.

In sternenklarer und sogar milder Nacht spazierten wir zurück.

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Nachgeholt: Auf mehrfachen Wunsch ein Bild der Neuerwerbung aus dem Gemäldegalerie-Museumsshop an Kleid.

Journal Dienstag, 31. August 2021 – Berlin 2: Von Spätgothik bis Revuebeine

Mittwoch, 1. September 2021

Von Herrn Kaltmamsell habe ich ja eigentlich gelernt: Auf Reisen jeden Tag nur eine Unternehmung, der Rest ergibt sich. Gestern ging das halt nicht und es wurden vier Unternehmungen daraus.

1. Schwimmen im Stadtbad Oderberger

Darauf hatte ich mich seit Buchung des Hotelzimmers gefreut und hatte lange gebangt, ob das Bad bis zu unserer Reise reaktiviert sein würde – schließlich ist das der Clou an einem Hotel, das mal ein Stadtbad war. War es, und so duschte ich mich nach dem Aufstehen kurz und trank ein Glas Wasser, schlüpfte dann in Badeanzug und den bereitgestellten Bademantel. An der Rezeption ließ ich mir eine Zugangskarte geben und ging in die herrlich renovierte alte Schwimmhalle. Das Becken (20 Meter) war in zwei Bahnen geteilt, die im Oval beschwommen wurden, anfangs hatte ich eine Bahn für mich. Nach zehn Minuten Kraulen kam aber ein halbes Dutzend weiterer Schwimmerinnen dazu – mir war von vornherein klar gewesen, dass ich hier keine Trainingseinheit absolvieren würde. Dennoch tat die gute halbe Stunde Schwimmen gut.

2. Gemäldegalerie

Nachdem wir bei unserem ersten Besuch vor lauter Faszination nicht über die ersten drei Räume hinausgekommen waren, wollten wir nochmal die Gemäldegalerie besuchen. Das Wetter war grau, aber trocken, also machten wir uns zu Fuß auf den Weg, blieben unterwegs in einem Café in der Choriner Straße hängen und tranken dort unseren Morgen-Cappuccino.

Federfund im Tiergarten.

In der Gemäldegalerie kamen wir zu früh für unseren gebuchten Eingangstermin an, leider war die Cafeteria geschlossen, dann saßen wir halt rum. Wir ließen uns Audio Guides geben und sahen uns erst mal ausführlich in der Sonderausstellung Spätgothik um (Audio-Erläuterungen gelesen von Regierungssprecher Steffen Seibert).

Die Ausstellung fand ich ganz hervorragend aufgebaut und erklärt, unter anderem weil sie eingangs klar machte, was der rote Faden der Zusammenstellung war (technischer Fortschritt in der Kunst der Zeit): Mit dem im Hinterkopf konnte ich die ausgestellten Werke einordnen. Ich lernte eine Menge, sah hochinteressante Kunst, der Audioguide wies mich immer wieder auf Details und Zusammenhänge hin, die mir sonst entgangen wären. Und Fotografieren war ausdrücklich erwünscht.

Anschließend machten wir noch einen Abstecher in die ständige Ausstellung, waren aber beide nicht mehr wirklich aufnahmefähig.

Für einen Besuch im Museumsshop reichte die Aufmerksamkeit noch: Ich kaufte nicht nur Postkarten, sondern gab mir einen Ruck, als eine Halskette von Georg Jensen meinen Blick nicht mehr losließ: Ich kaufte sie, auch weil sie perfekt zu dem Kleid für die Abendverabredung passte.

Essengehen zählt nicht als Unternehmung.
Zum Essen wollten wir eigentlich ins Mogg in der ehemaligen jüdischen Mädchenschule, ich hatte Herrn Kaltmamsell Reuben Sandwich versprochen. Doch dann bogen wir am Eingang nicht rechtzeitig ab und landeten statt dessen im Garten des House of Small Wonder. Die Speisekarte sah sehr interessant aus, mischt Japanisches mit dem Rest der Weltküche. Und so aß ich Mentaiko Spaghetti mit Kabeljaurogen, Nori-Algen und Jakobsmuscheln, Herr Kaltmamsell bestellte geschmorten Schweinebauch.

Satt und zufrieden spazierten wir zurück ins Hotel, mittlerweile war sogar die Sonne herausgekommen.

Erst mal organisierten wir zur Beruhigung unsere Heimreise: Auch der umgebuchte Zug fällt wegen Streiks aus, wir reservierten Sitzplätze in einer alternativen ICE-Verbindung mit Umsteigen in Nürnberg – drücken Sie mit uns Daumen, dass das klappt.

Bis zum Abendprogramm war ich mit der Zusammenstellung der Lieblingstweets August beschäftigt.

3. Eine Show im Friedrichstadtpalast

Seit sehr langem wollte ich mal solch eine klassische Tanzrevue sehen mit aufwändigen Kostümen und bombastischen Spezialeffekten. Herr Kaltmamsell als Freund der alten MGM Musicals war schnell dafür gewonnen. Vor diesem Berlinbesuch dachte ich rechtzeitig daran Karten zu buchen und freute mich sehr auf schöne Frauen mit endlosen Beinen und Federbuschen auf dem Kopf. Die aktuelle Show heißt Arise, die Vorstellung war noch eine Vorpremiere.

Noch geübt wurde auch das Eintrittsprozedere: Mit der aktuellen Regelung mussten wir vor Betreten des Gebäudes nicht nur Ticket, sondern auch Impf-Zertifikat plus Identifikation vorzeigen, es bildeten sich lange Schlangen. Leider hatte uns unser Ticket zum falschen Eingang geschickt – das erfuhren wir natürlich erst, als wir endlich drankamen und es vorzeigten. Also nochmal an einer neuen Schlange angestellt, wir schafften es aber pünktlich zum Vorstellungsbeginn auf unsere Sitze.

Und was für eine Vorstellung! Wir saßen recht nah an der Bühne, so sah ich nicht nur die sensationellen Kostüme, sondern in den Gesichtern auch die wirklich unterschiedlichen Persönlichkeiten. Tolle Choreografien, darin auch eine unerwartet ernste Nummer ganz glitzerfrei, die Inszenierung arbeitete großartig mit der riesigen Bühne, auch das Orchester war zu sehen. Und es gab artistische Einlagen inklusive Trapez – das hatte ich zuletzt vor 30 Jahren live gesehen. Zudem bekam ich ganz viele lange Beine: Ich lernte, dass “die Reihe” mit allen Tänzerinnen, die untergehakt ihre Beine hochwerfen, ein fester Bestandteil jeder Revue ist.

4. After-show-Drinks mit Frauen aus dem Internet

Schon in der Pause waren wir auf zwei Bloggerinnen der ersten Stunde gestoßen, Frau Indica und Creezy, die sich nach Absprache mit uns spontan um Karten für die Show bemüht hatten. Mit ihnen zogen wir in Café Nö, wo eine befreundete Maskenbildnerin der Show zu uns stieß, die ich seit Jahren von Twitter kenne (aber nicht gewusst hatte, dass sie dort arbeitet). Sie versorgte uns mit vielen spannenden Hintergrundinfos zur Inszenierung, ich erfuhr unter anderem, dass während der Show zehn Maskenbildnder*innen im Einsatz sind und dass der ständige Kostümwechsel genau so viel exakte Planung und Orga erfordert, wie ich mir das so vorgestellt hatte.

Dazu gab es Wein (bei mir zu viel – es war eine dumme Idee nachzubestellen), die Herrschaften um mich stillten ihren Hunger. Ein wenig Update mit den vertrauten Bloggerinnen.

Nach Mitternacht (!) nahmen Herr Kaltmamsell und ich eine U-Bahn von der Mohrenstraße zurück zum Hotel.

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Sie erinnern sich, wie am Anfang der Pandemie nach und nach Probleme mit den globalen Lieferketten auftauchten? Sie sind immer noch da. Die New York Times schildert, wie viele Bereiche weit entfernt von vorherigen Zuständen sind, unter anderem das britische Gesundheitssystem, das bestimmte Bluttests nicht durchführen kann, weil Teile dafür fehlen.
“The World Is Still Short of Everything. Get Used to It.”

Ich finde durchaus interessant, wie jetzt die so umjubelte lean production mit Just-in-time-Lieferung der benötigten Teile zurückschlägt, die Lagerkosten und -raum sparen sollte – und das Risiko auf die Zulieferer schieben (ich habe seinerzeit detailliert mitverfolgt, wie José Ignacio López de Arriortúa dieses System bei Volkswagen einführte).

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Ausdruckstanz am Limit.

via @Klugscheisser