Archiv für Oktober 2021

Journal Sonntag, 10. Oktober 2021 – Muttergeburtstag in Familienrunde

Montag, 11. Oktober 2021

Eigentlich gut geschlafen, doch körperlich so zerschlagen aufgewacht, als hätte ich statt auf einer handgenähten Luxusmatratze auf dem Boden gelegen. Und extrem gestresst, ich hatte nämlich zuletzt geträumt, dass ich gleich von einem Freund für eine lange geplante Urlaubsreise abgeholt würde und mir in letzter Sekunde einfiel, dass ich dafür Reisepass und Handy mitnehmen sollte, die ich dann aber nicht fand, weil jeder Ort, an dem ich in der Wohnung suchte, ein chaotischer Krusch-Haufen war.

Draußen ein strahlender Herbsttag, wenn auch sehr kalt (laut Herrn Kaltmamsell, der eine Laufrunde absolvierte). Mein Morgensport war eine Runde Bauchtraining bei Fitnessblender – die mich ungeheuer anstrengte: Mir war schwindlig, ich brauchte einige Extrapausen.

Vormittags spazierten wir zum Bahnhof: Meine Mutter hatte zum Feiern ihres Geburtstags vergangene Woche eingeladen. Die Schwarzwäler Kirschtorte transportierte Herr Kaltmamsell, das sollte die Wahrscheinlichkeit eines Verkackens auf den letzten Metern vermindern.

Vorm Zugfenster wolkenlose Sonne über der Holledau, traumhaftes Wanderwetter.

Das Haus meiner Eltern war voller noch mehr Familie als erwartet: Neben den lieben Schwiegers war auch die gesamte Bruderfamilie da, wie wunderschön. Es wurde mit Sekt angestoßen, einander angeguckt: Neffe 2 hatte die Locken abschneiden lassen und sich passend zur neuen Frisur “in FDP-Look” gekleidet, die jugendliche Nichte war offensichtlich nochmal gewachsen (ich erlaubte mir zum allerersten Mal im Leben der Nifften die Tanten-Bemerkung “Du bist aber groß geworden!”), Schwägerin trug eine sensationell schöne Bluse.

Gegessen wurde in einem italienischen Restaurant, ich hatte venezianische Leber mit Tagliatelle. Anschließendes KaffeeundKuchen im Haus meiner Eltern.

Die Torte schmeckte ganz hervorragend, meine Mutter hatte außerdem reichlich Strauben gebacken.

Ich ließ mir von Neffe 1 die ersten Erlebnisse in politischer Gremienarbeit erzählen, auch sonst hörte ich Spannendes aus der Familie. Als wir uns am späten Nachmittag zum Zug nach Hause verabschiedeten, konnte ich mich schon auf den nächsten Besuch in zwei Wochen freuen.

Daheim Vorbereitung der Arbeitswoche, Räumen für den Putzmann. Ich hatte fürs Abendessen schon wieder Hunger, es gab Käse.

Journal Samstag, 9. Oktober 2021 – Schwimmfrieren und Tortenpanik

Sonntag, 10. Oktober 2021

Eher unruhige Nacht, aber ohne Pause.

Lang geschlafen, zum Morgenkaffee erst mal ordentlich die Heizung aufgedreht, weil es so kalt war. Bettwäsche gewaschen. Nach dem Bloggen buk ich die Böden für Schwarzwälder Kirschtorte – nach dem feineren von beiden Rezepten aus meinem handgeschriebenen Kochbuch (Mandeln im Mürbteig, Wiener Boden statt Biskuit, von Anette). Wenn alles klappt, wird es dieses ersetzen.

Ganz erstaunlich, wie sehr ich mich mittlerweile vor dem Tortenbacken fürchte: Bei jedem Schritt rechnete ich mit Scheitern (Knetteig zu weich oder zu trocken und nicht ausrollbar / löst sich nach Backen nicht von Unterlage / Eiertrennen geht daneben / Rührteig geht nicht auf / lässt sich nicht in der Mitte halbieren / irgendwas fällt mir runter und geht kaputt). Deshalb begann ich rechtzeitig, um bei Totalverkacken Zutaten für einen Neustart einkaufen zu können. Auch beim Tortenbacken ist mein früheres unbeschwertes und zuversichtliches Ich verschwunden. (Sonore Erzählerinnenstimme aus dem Off, vielleicht die von Emma Thompson: “Es ging nichts daneben.”)

Mittags wurde wie angekündigt die bestellte Kiste Granatäpfel aus Spanien geliefert – in exakt den fünf Minuten, in denen ich in den Fahrradkeller gegangen war, um die Reifen aufzupumpen. ABER ES WAR JA NOCH HERR KALTMAMSELL DAHEIM, FANARRRRRHAHAHA! Sehen ungewohnt aus, ist auch eine ungewohnte Sorte (Acco).

Das ist etwa ein Drittel Kisteninhalt.

Ich radelte ins Olympiabad für eine Schwimmrunde. Bei sich lichtendem Hochnebel war es so kalt, dass ich dafür Mütze und Handschuhe brauchte.

Jetzt sind auch die Fenster der Olympiahalle fertigrenoviert, ich schwamm in Sonnenlicht. Allerdings nicht ganz so lange wie geplant, weil ich wieder fror – auch als ich einen Zahn zulegte. Dabei hatte ich mich anfangs noch gefreut, weil das Wasser warm war: Das mag ich zwar nicht besonders, doch nachdem ich im Schyrenbad bei den letzten Malen Schwimmen immer gefroren hatte, glaubte ich mich jetzt davor geschützt. Irrtum. (Was soll denn das?)

Die restliche Baustelle links habe ich weggeschnitten, und ja: Das Becken war die meiste Zeit so herrlich leer.

Auf dem Heimweg hielt ich für Einkäufe beim Basitsch und beim Bäcker. Daheim um drei Frühstück: Eiersalat von Herrn Kaltmamsell (darin das Grün des Gesamtselleries aus Ernteanteil), Semmel mit Butter und Marmelade, Granatapfelkerne – letztere hart erkämpft, denn diese Sorte hat eine dicke Außenwand, aber dünne Innenwände und eher kleine Kerne, ich musste ganz schön fieseln. Der Geschmack der Kerne war dann ausgezeichnet, sie sind recht süß. (Aus den nächsten paar versuche ich aber Saft zu pressen.) Zwei Lebkuchen.

Ich sah mich etwas gründlicher auf der Crowdfarming-Website um, fand besonders diesen Artikel interessant, der einige meiner Sorgen beruhigte:
“Die Umweltauswirkungen des Transports beim Direktverkauf von Lebensmitteln”.
Also adoptierte ich gleich mal einen Mandelbaum in der Nähe von Granada und freue mich jetzt auf zwei Kilo Mandeln Anfang Dezember, eine Mischung der Sorten Guara und Marta. Im Grunde ist diese “Adoption” eine verspieltere Variante der Solidarischen Landwirtschaft, in der die Endabnehmerin sich bereits an den Kosten den Anbaus beteiligt. Nur halt nicht konsequent, denn sollte mein Baum eingehen, bekomme ich trotzdem Mandeln – in Solidarischer Landwirtschaft trüge ich auch dieses Risiko mit.

Immer noch ängstlich stellte ich die Schwarzwälder Kirschtorte fertig.

Jetzt kann noch der Transport am Sonntag schiefgehen.

Zum Nachtmahl verwandelte Herr Kaltmamsell die Sellerieknolle aus Ernteanteil in knusprige Sellerieschnitzel, ich hatte Eichblattsalat besorgt und machte ihn mit der letzten grünen Paprika aus Ernteanteil und Joghurtdressing an. Dazu ein Glas Bad Mergentheimer Acolon – gut, aber mit ein wenig unzusammenhängenden Geschmäckern. Nachtisch Schokolade.

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UK hat nicht nur einen Premierminister, über den man lachen kann (aus Verzweiflung), sondern immer noch wirklich gute Komikerinnen. Zum Beispiel Rosie Jones.
https://twitter.com/Channel4/status/1446474295824236547

Journal Freitag, 8. Oktober 2021 – Italienischer Abend mit Fisch

Samstag, 9. Oktober 2021

Wieder guter und tiefer Schlaf, der Wecker störte erheblich. Unter anderem weil ich im Traum gerade mit vier anderen Frauen auf einer ISS-ähnlichen Raumstation war, ich bemerkt hatte, dass in der Station lediglich deutlich verminderte Schwerkraft, aber nicht Schwerelosigkeit herrschte, ich gerade die anderen darauf hinwies und fragte, ob eine das erklären könne. Die Erklärung hätte mich wirklich interessiert!

Das Draußen herbstlich düster, ich trug erstmals ein Winterkleid (von dem ich bereits wieder vergessen hatte, wie sackartig und unförmig es war – im Grunde ein Fehlkauf) und dicke Strumpfhosen.

Mittagessen eine grüne Ernteanteil-Paprika (himmlisch aromatisch) mit einem Frischkäse-Restl, außerdem Quark und Joghurt satt.

Einem Assoziationsblitzen nachgegangen und doch mal nachgeguckt, warum beim Stichwort Pegasus (Späh-Trojaner) mein Hirn immer mit dem spanischen “Pegaso” dazwischenfunkt: Das war während meiner Kindheitsurlaube bei spanischer Familie noch eine heimische Lkw-Marke. (Warum ich das französische Michelin immer auf Spanisch denke, weiß ich hingegen: Mein spanischer Vater nannte Speckrollen am Bauch nach dem Firmen-Maskottchen immer “michelines”.)

Nach Feierabend Einkäufe beim Vollcorner. Weil gerade ein wenig die Sonne herauskam, schlug ich einen Extra-Bogen über die Theresienwiese.

Sie blüht immer noch, ich nahm mir ein kleines Sträußerl mit heim.

Zum Abendessen hatte ich Herrn Kaltmamsell und mir einen Tisch im italienischen Lokal an der Hackerbrücke Il Castagno reserviert. Sie erinnern sich vielleicht: In dem Gebäude arbeitete ich zwei Jahre lang, mein Bürofenster ging auf den zugehörigen Biergarten.

Wir folgten der Empfehlung des Kellners und aßen Zitronenpasta mit Meeresfrüchten als ersten Gang, teilten uns einen Wolfsbarsch als Hauptspeise (für Herrn Kaltmamsell mit Gemüse als Beilage, für mich mit Salat).

Hausgemachter Nachtisch (da lohnt es sich immer nachzufragen: die Desserts beim Italiener sind meist zugekauft) war ein riesiges Stück Tiramisu für mich – Herr Kaltmamsell half mir dabei – und eine Bayerisch Creme für ihn. Dazu ein Glas im Fass gereifter Grappa Caffo (Il Castagno ist eigentlich ein kalabresisches Restaurant) – der aus einer riesigen Flasche mit eigenem Hahn ausgeschenkt wurde. Ich nahm mir vor, mal mit Freunden zu einem komplett kalabresischen Essen herzukommen, das ist laut Wirt bei Vorbestellung möglich.

Schöner Spaziergang nach Hause durch herbstliche, aber klare Luft.

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Cory Doctorow listet auf, welch perversen Kräft “der Markt” und der auch hierzulande gerne verherrlichte Entrepreneur-Geist entwickeln können.
“DoS a federal agency, then charge for access”.

Journal Donnerstag, 7. Oktober 2021 – Weitere Verherbstung

Freitag, 8. Oktober 2021

Wieder gut geschlafen (hätte ein bisschen länger sein dürfen): Ich möchte es ja nicht verschreien, aber da auch die Glutattacken seit ein paar Wochen nahezu verschwunden sind, kann ich mich vielleicht über das Ende dieses Kapitels Klimakterium freuen.

Grauer Tag, auch recht frisch. Ich plane fürs Wochenende energische Verherbstung: Sommerjacken waschen und verräumen, Winterschuhe aus dem Keller holen und gegen Sommerschuhe tauschen (Kleidung passt ja mittlerweile gesamt in meinen Schrank), Sommerbettzeug gegen Federbett wechseln.

Mittagessen: Apfel, Körnerbreze, Dickmilch. Nachmittags ein Flapjack.

Nach Feierabend sah es sehr nach Regen aus, doch ich kam trocken zu Fuß zum Geburtstagsgeschenkkauf ins Schlachthofviertel und nach Hause. Düsternis auch innen.

Daheim Yoga zur Abwechlung mal wieder mit Adriene, eine halbe Stunde rundum, das war schön.

Donnerstag ist Ernteanteil-Tag: Das Abendessen bestand aus Salat aus grünem Salat, einer Selleriestange, einer grünen Paprika, Kresse – alles aus eigener Gärtnerei. Mit sättigendem Tahini-Dressing und mit Eiern. Danach Süßigkeiten.

Selten habe ich mich so sehr über eine Rechnung gefreut wie über die von den Kammerspielen über mein Abo für die Spielzeit 2021/2022: Es gibt wieder Theater!

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Als Internet-Omma kann ich einfach nicht den Glauben aufgeben, dass dieses Internet die Welt zu einer besseren macht.
Beweisstück G: Während in Kanada getanzt wird, spielt in Irland ein Cello.

(Ach, und für die Enkel: So funktionierte Web-Suche vor 25 Jahren, die BBC erklärte es damals.)

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89-jähriger Physik-Nobelpreis-Träger und Klimaforscher findet Fridays for Future klasse.

Journal Mittwoch, 6. Oktober 2021 – C Pam Zhang, How Much of These Hills is Gold

Donnerstag, 7. Oktober 2021

Bessere Nacht, zehn Minuten späterer Wecker, weil ich vor der Arbeit erst mal morgens einen Termin bei der Hausärztin hatte.

Die Schallung meines Bauchs (mithilfe einer sehr großen Menge Gels) ergab Pracht und Schönheit. Ich lernte eine Medizinstudentin kennen, die gerade bei der Hausärztin einen Teil ihrer Famulatur absolviert und zuguckte, der mein Inneres besonders gründlich erklärt wurde.

Lob der Ärztin für meinen Lebenswandel, dem ich meine wunderschönen, fettfreien (Leber), steinfreien (Galle, Blase) und auch sonst Schulbuch-reifen (Nieren, Bauchspeicheldrüse, Milz) Organe angeblich verdanke – ich nehme ja alles an Komplimenten, halte die Annahme von kompletter Selbstveranwortung und Kontrollierbarkeit in Gesundheitsfragen aber für gefährlichen Zeitgeist. Schon eher: Danke Veranlagung, danke privilegierte Lebensumstände, danke Glück.
Eine Facharzt-Überweisung gewann ich dennoch, irgendwas ist ja immer in meinem Alter.

Eine Stunde später als sonst spazierte ich in die Arbeit, gestern unter grauem Himmel.

Zu Mittag gab es Pumpernickel mit dick Butter, außerdem Hüttenkäse. Später ein Stück schwarze Schokolade.

Nachmittags kam ein wenig die Sonne heraus, aus buntwolkigem Himmel und mit Wind – es herbstelte.

Auf dem Heimweg Einkäufe für eine Geburtstagstorte, die ich am Wochenende backen werde. Abstecher zu dem Restaurant, in dem ich für Freitagabend einen Tisch für Herrn Kaltmamsell und mich reservierte.

Zu Hause bestellte ich unser Abendessen bei Servus Habibi (darauf hatte ich mich den ganzen Tag gefreut – also echten Appetit gehabt!) und holte es kurz darauf ab. Ich tauche immer wieder gerne in die lebendige Atmosphäre des Ladens ein – und sei es nur kurz zum Abholen. Die Speisen schmeckten wieder ausgezeichnet.

Nachtisch Eierlikörkuchen, der ist wirklich gut.

Den nächsten Jahrgang Olivenöl aus Lesbos auf Basis Solidarischer Landwirtschaft bei Platanenblatt bestellt. Die drei Liter reichen uns zwar nicht fürs ganze Jahr, aber mehr wären halt gleich sechs Liter – das ist zu viel.

Im Bett den nächsten Roman angefangen, Gabriele Tergit, Effingers – mal sehen, ob ich das dicke Buch schaffe, bevor ich mir die Inszenierung als Theaterstück an den Kammerspielen ansehe.

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C Pam Zhang, How Much of These Hills is Gold hatte ich Dienstagabend ausgelesen. Es erzählt eine bislang weitgehende unerzählte Geschichte, die Perspektive chinesischer Einwander*innen bei der Besiedlung des Westens Nordamerikas. Es ist eine spannende und bedrückende Geschichte.

Vor allem gefiel mir, wie sie erzählt wurde, nämlich gar nicht realistisch/journalistisch. Das ist es halt, was einen Roman mit historischem Hintergrund wirklich interessant, im besten Fall zu Kunst macht.

Die erste Hälfte erleben wir aus der personalen Sicht der zwölfjährigen Lucy, schnell ist klar, dass wir uns in der Zeit und Gegend des kalifornischen Goldrauschs befinden, in einer Familie von chinesischen Einwanderern. Der Roman beginnt damit, dass der Vater von Lucy und ihrem jüngeren Geschwister Sam gestorben ist und die beiden ihn beerdigen wollen. Doch ihre – bereits früher verstorbene – Mutter hat ihnen beigebracht, dass ein richtiges Begräbnis strengen Regeln folgt, unter anderem müssen zwei Silbermünzen die Augen des Toten verschließen. Die beiden sind bettelarm und machen sich erst mal auf die Suche nach solchen Silbermünzen.

Die Erzählstimme bleibt so nah an Lucy dran, dass die darauffolgenden Ereignisse auch viel Vergangenes erzählen: Nachgezeichnet wird, wie menschliches Denken halt funktioniert, also springen Lucys Gedanken assoziativ vor und zurück, zwischen Erinnerungen, Wünschen, Gefühlen, Träumen und Ängsten. Das ist meisterliche Informationsvermittlung, fast schon impressionistisch.

Der zweite Teil des Romans erzählt geradliniger: Die Ich-Stimme des Vaters berichtet seine Lebensgeschichte. Er ist bereits in USA geboren, wird aber wegen seines Aussehens nicht als Amerikaner akzeptiert. Wir lernen aus diesem Teil über den Eisenbahnbau, über Rekrutierung und Behandlung chinesischer Einwanderer – und wie er seine Frau kennengelernt hat, die Mutter von Lucy und Sam. Auch das ist fesselnd und neu.

Das letzte Drittel fand ich am schwächsten: Lucy als junge Frau in der kalifornischen Stadt Sweetwater, wo sie sich ein Leben aufgebaut hat und Freundschaften. Sam taucht wieder auf und führt ihr vor, dass es für Leute wie sie hier keine Wurzeln geben kann. Die beiden beschließen, ein Schiff nach China zu nehmen. Diese Handlungsdetails lasen sich in meinen Augen recht konstruiert und als hätte die Autorin nicht recht gewusst, wie sie den Roman zu Ende bringen soll. Tat dem Gesamterlebnis aber keinen Abbruch, Leseempfehlung.

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Auch ich ertappe mich dabei, den geringen Anteil weiblicher Nobelpreisträgerinnen damit zu erklären, dass es halt viel weniger Frauen in den relevanten Feldern gibt. Bis ich dann wieder solche Geschichten erfahre:
Jocelyn Bell Burnell entdeckte die ersten beiden Pulsare als Teil ihrer Doktorarbeit – doch den Nobelpreis dafür erhielt 1974 ihr Doktorvater.

Hier eine 16-minütige Doku über Burnell (in der sie unter anderem darauf hinweist, dass sie mehr Gratulationen zur Verlobung erhielt als zu ihrer historischen Entdeckung):

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https://youtu.be/NDW9zKqvPJI

Jocelyn Bell Burnell hat viel später einen Special Breakthrough Prize in Fundamental Physics für ihre Entdeckung der Pulsare erhalten, dotiert mit drei Millionen Dollar. Die sie als Stipendien für Angehörige von Minderheiten einsetzt, die nach ihrem Universitätsabschluss in die Physik-Forschung gehen wollen.

Journal Dienstag, 5. Oktober 2021 – Wieder kein Zivilisationsuntergang: 25 Jahre Rechtschreibreform

Mittwoch, 6. Oktober 2021

Ziemlich unruhige Nacht, in den Morgenstunden gestört durch mehrstimmiges Rufen und Gröhlen im Park.

Verregneter Morgen. Gelernt: Bei Lehrern klingelt das Telefon beruflich auch mal vor halb sieben.

Arbeitsweg unterm Regenschirm. In der Arbeit viel Menschliches, so und so.

Mittags gab es Pumpernickel mit Frischkäse und eine kleine Honigmelone.

Gestern trug ich mein Sportzeug nicht unbenutzt heim, nach Feierabend ging ich in erneutem Regen zum Verein und strampelte eine Stunde auf dem Crosstrainer auf der Galerie, Filmmusik auf den Ohren, in der Halle unter mir Badminton-Training, von dem hin und wieder ein Federball bis auf Augenhöhe flog. Tat mir gut.

Verschwitzter Heimweg, daheim duschte ich. Zum Nachtmahl servierte Herr Kaltmamsell den Pakchoi aus Ernteanteil mit anderem Gemüse als Füllung für gebratene Sommerrollen – sehr gut. Nachtisch viel Eierlikörkuchen.

Die mittägliche Lektüre der Süddeutschen hatte mich daran erinnert: Vor 25 Jahren ging mal wieder die Zivilisation unter, diesmal die deutsche, die Zeitungsfeuilletons schäumten wie heute Twitter, denn vor 25 Jahren trat die deutsche Rechtschreibreform in Kraft. In der mir eigenen Art von kindischem Trotz, aber auch aus ehrlicher Neugier auf Veränderung fand ich sie erst mal klasse: Ich war vorher überdurchschnittlich firm in deutscher Rechtschreibung gewesen (Zeitungsausbildung samt Angst vor dem dortigen Korrektorat, regelmäßige Lektoratsjobs als Hiwi am Augsburger Lehrstuhl für Englische Literaturwissenschaft), jetzt hatte ich den Ehrgeiz, mir so schnell wie möglich die neue Schreibung draufzuschaffen. Auch noch die erste Änderung der Änderung machte ich mit Verve mit. Als es noch eine und noch eine gab, erlahmte allerdings mein Ehrgeiz. Aber: Während einiges jetzt halt anders kompliziert und unlogisch ist als vorher, frage ich mich bei vielem Grundsätzlichen heute, wie wir das früher nur durchgehalten haben. Zum Beispiel die frühere ss/ß-Schreibung, damals musste man ja jedes Wort damit auswendig lernen. Auch gefällt mir sehr, dass es in der Kommasetzung mehr Kann-Regeln gibt – über die lässt sich herrlich streiten. Und die Zivilisation muss sich neue Anlässe zum Untergang suchen; ich bin sicher, dass sie dem Feuilleton nicht ausgehen werden.

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UI! Isa Bogdans zweiter Roman Laufen wird verfilmt, wie aufregend. Auch wenn ich misstrauisch bin: Der Roman ist durch seine Schriftlichkeit so hervorragend, durch die Erzählperspektive und Sprache. Aber vielleichts schafft das Drehbuch dasselbe mit anderen Mitteln – oder der Film ist einfach ganz anders.

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Facebook war in der europäischen Nacht auf Dienstag down, inklusive den aufgekauften Diensten WhatsApp und instagram. Hier eine Erklärung des technischen Hintergrunds:
“What Happened to Facebook, Instagram, & WhatsApp?”

Ich bin solch ein Internet-Dinosaurier, dass mich das nur bei einer Kurzrecherche auf instagram traf, die nicht ging. Aber die Witzeleien auf Twitter waren sehr lustig. Auch lustig: Die Twitter-Unterhaltung, die währenddessen so begann.

Journal Montag, 4. Oktober 2021 – Schwurbelfreie Apotheke gewünscht

Dienstag, 5. Oktober 2021

Eher grauer Morgen, aber mild. Ich genoss den Fußmarsch ins Büro.

Vormittags arrangierte ich einen spontanen Besuch bei der Ärztin, den Anruf nahm eine “digitale Assistentin” entgegen, also eine Maschinenstimme. Sie verstand meine Auswahl “akute Beschwerden” zum Glück (es waren auch “Corona-Impfung” und “Terminanfrage” im Angebot), nahm meine kurze Schilderung und mein Geburtsdatum auf. Wenige Minuten später rief die Praxis zurück, ich möge gleich vorbeikommen – aber Zeit zum Warten mitbringen. Die brauchte ich nach Anfahrt mit der U-Bahn gar nicht: Das Wartezimmer war leer, ich wurde umgehend versorgt. Unter anderem bekam ich zwei Rezepte, das grüne davon, also das selbst zu zahlende, schaffte nur ganz knapp meine Schwurbel-Hürde (ich google Medikamente auf grünen Rezepten immer, und zwar in Kombination mit dem Stichwort “Evidenz”). Für Mittwochmorgen bekam ich einen Folgetermin (“Abklärung”). Möglicherweise wird es zum zweiten Mal nach der jahrelangen Entzündung im rechten Hüftgelenk irreführend, dass ich jegliche Schmerzen in der unteren Körpermitte mit den verschobenen Bandscheiben der Lendenwirbelsäule erkläre. Vorerst macht mich Bauchweh also ein wenig unruhig.

U-Bahn zurück ins Büro, vorher noch schnell in die Apotheke. Nachdem ich mich für meine Fragen zum grünen Rezept bei der Apothekerin erst entschuldigt hatte (“Jaja, ich weiß: Sie haben das jahrelang studiert, und ich möchte nach zwei Minuten Internet-Recherche gleich mitreden können HAHAHA.”), nahm ich die Entschuldigung innerlich zurück, als sie “Und demnächst machen wir am besten auch noch eine Darmsanierung” sagte: Dank Helmholtz-Podcast zum Thema weiß ich, dass das reine Geldmacherei ist. Mag GWUP vielleicht irgendwann Zertifikate “schwurbelfreie Apotheke” verleihen?

Mittags gab’s im Büro einen Ernteanteil-Apfel und restliches Ofengemüse mit Couscous vom Freitagabend.

Nach Feierabend ging ich direkt nach Hause (es war kühler geworden), denn ich hatte der Einkaufszettel-App entnommen, dass Herr Kaltmamsell alle Zutaten für Eierlikör-Gugelhupf besorgt hatte, den ich seit Tagen gern mal machen wollte. Also buk ich erst mal.

Bei Crowdfarming Granatäpfel und Ziegenkäse aus Spanien bestellt (bei zwei verschiedenen Anbieterinnen) – noch müssen die enttäuschenden Melonen vom Sommer wiedergutgemacht werden.

Während der Kuchen im Ofen war, gab’s eine halbe Stunde Dehn- und Entspann-Yoga.

Das Abendessen servierte wieder Herr Kaltmamsell: Aus Ernteanteil-Kartoffeln und –Grelos-Kraut hatte er mit Kichererbsen und spanischer Blutwurst (morcilla) einen Eintopf gekocht – gut!

Nachtisch Pralinen und Schokolade.

Worauf ich am Samstag mit der Familie angestoßen hatte: Ein Jahr künstliches Hüftgelenk! Ich hatte von A bis Z Glück bei dem Eingriff, alles ist besser als zuvor, nicht mal Migräne hatte ich seither! Beim Abschlusstermin in der Klinik Anfang Dezember werde ich durchaus erwähnen, dass ich immer noch Schmerzen an der OP-Stelle habe, bei Druck auf die Narbe und bei manchen Bewegungen, gehe aber davon aus, dass sich keiner der Fachleute deshalb sorgt.

Wahlergebnis plus Stand der Koalitionsverhandlungen (plus CDU zerlegt sich gerade öffentlich selbst): Noch traue ich mich ja nicht, mein Herz von Jubel durchpusten zu lassen – aber vielleicht bekommen wir wirklich, wirklich keinen Kanzler Laschet? (Und dürfen weiterhin laut hilflos und verzweifelt lachen über Boris Johnson.)

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Tüpfelmuräne erjagt Klippenkrabbe vor Sonnenuntergang.