Journal Dienstag, 9. November 2021 – Erstes Mal Pigor & Eichhorn

Mittwoch, 10. November 2021 um 6:58

Unruhige Nacht, mal wachte ich von Hitze auf, mal weil ich fror. Slapstick-Note: Mir war eine bestimmte (nicht mal originelle) Formulierung für den aktuellen Blogpost eingefallen, die mein Gehirn krampfhaft festhielt und bei jedem leichten Hochkommen aus tieferem Schlaf wiederholte, damit ich sie BLOSS! NICHT! VERGASS! Werde mir wieder Block und Stift neben’s Bett legen, wie in den Hochstressphasen eines längst vergangenen Arbeitslebens.

Der Himmel über der Innenstadt war klar, auf dem Weg in die Arbeit tauchte ich beim Kreuzen der Theresienwiese in Nebel, der sich auch ums Bürogebäude gelegt hatte.

Dampfender Laubhaufen mit Frostnoten vor Kaiser Ludwig.

Nach Hochfahren meines Arbeitsrechners sah ich die E-Mail vom späten Vorabend, mit der die 3G-Regelung am Arbeitsplatz in meiner Umgebung vorerst eingeführt werden soll. Ich bin gespannt, wie die endgültige Umsetzung aussehen wird. Über den Tag mehrten sich allerdings die Anzeichen, die mir ein deutlich gesteigertes Arbeiten von daheim nahelegten, um Risiko-Kontakte zu reduzieren. Gibt’s künftig halt unter anderem nicht mehr täglich Post für alle in der Abteilung.

Mittags lief ich in die nahe gelegene Praxis des behandelnden Orthopäden, um Überweisungen für die Abschlussuntersuchung Hüft-TEP im Klinikum Garmisch abzuholen sowie eine für die Röntgenaufnahme, die ich mitbringen soll. (Vor dieser Untersuchung Anfang Dezember hätte ich wirklich gerne meine Booster-Impfung.)

Zurück im Büro gab’s zu Mittag eine Breze sowie Quark mit Joghurt – über weiter explodierenden Corona-Infektionszahlen.

Geschäftiger Nachmittag, der nicht zu lange ins Dunkle dauerte, denn ich hatte Kabarettkarten für Herrn Kaltmamsell und mich: Mein Bruder hatte so begeistert von einem Auftritt von Pigor & Eichhorn auf den Ingolstädter Kabaretttagen erzählt, dass ich umgehend Karten für den Münchner Auftritt kaufte – obwohl ich noch nie und nichts von dem Duo gehört hatte. Im Lustspielhaus war ich auch noch nie gewesen, nach 22 Jahren in München wurde es wirklich Zeit.

Der Zuschauerraum des Lustspielhauses ist mit Tischchen und Stühlen bestückt, ich hatte einfach mal Plätze vor der Bühne genommen.

Dass ich uns praktisch in der Bühne platziert hatte, überraschte mich dann doch. Mittlerweile hatte ich außerdem erfahren, dass Pigor & Eichhorn in ihrer Show das Publikum stark einbeziehen und fürchtete mich ernsthaft. (Taten sie dann gar nicht, alles entspannt.)

Wir waren wie erbeten früh im Lustspielhaus, hatten also Zeit für das sorgfältige 2G-Prüfen (Abgleich mit Ausweis, Scan des Zertifikats) und für ein Abendessen aus der Lustspielhaus-Küche (je ein gemischter Mezze-Teller). Der Raum war gut besetzt, aber nicht vollgepackt. Die Show begann pünktlich – und ich erlebte zwei hochinteressante und anregende Stunden mit großartigem Gesang und wunderbarer Begleitung (Sonderpreis für die glaubwürdige Pianospielhaltung bei Jazz).

Sie begannen allerdings mit kurzem Gruseln, weil gleich in der ersten Nummer “Kabarett” ungeschminkte schonungslose Wahrheiten angekündigt wurden, was unironisch klang und gerade in den jüngsten Jahren meist “Man wird doch wohl noch sagen dürfen”-Blödsinn einleitet. Doch meine innerlich hochgezogenen Schultern entspannten sich nach und nach.

Roter Faden der Show: Rhetorische Muster von der Antike bis in heutige Talkshows, immer wieder wurden neue aufgegriffen, erklärt, kabarettistisch vorgeführt. Sonstige Highlights: Ein liebevolles Lied über Klimakterium (von einem Mann habe ich das ganz sicher noch nie gehört), “Du kannst doch nicht in Rente gehn” in leidenschaftlichem Konstantin-Wecker-Modus (oh ja, die Text-Versatzstücke habe ich alle schon mal gehört) – Weiteres hätte ich mitschreiben müssen, wie ich jetzt feststelle, denn Details des Programms Volume X sind noch nicht online, auch Aufnahmen gibt es erst ab nächsten März. Es war auf jeden Fall sehr schön, ich empfehle das Programm.

Lieblingsreim des Abends: Willhelm Tell auf Musical.

Die Rückfahrt mit der U-Bahn zog sich: Nachts wird ja weiterhin an der Strecke rumgebaut, das heißt Pendelverkehr. Wir warteten eine ganze Weile an der Münchner Freiheit und mussten am Odeonsplatz umsteigen.

Über eine Stunde später als sonst ins Bett, so sehen rauschende Nächte aus.

§

Wie immer, wenn es bei uns pandemisch schlecht läuft und woanders gut, schauen wir nach woanders, in diesem Fall ein Blick des ARD-Weltspiegels Richtung Spanien (und die Spanier*innen können ausgesprochen renitent sein, Sie erinnern sich vielleicht an die Proteste 2011/2012):
“Spanien: Erfolgreiche Impfkampagne”.

“Uasap” <3<3<3

(Allerdings überzeugen mich die Erklärungsansätze des Beitrags nicht recht. Aufklärung gegen Bedenken und Falschannahmen gab es auch hierzulande reichlich. Und auch in Deutschland starben viele Menschen in Pflege-Einrichtungen an Corona – vielleicht hat das in Spanien mit seinen deutlich engeren Familienbanden mehr Menschen wirklich erschüttert?)

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Sascha Lobo macht sich darüber Gedanken, wann Gefühle in der Politik Entscheidungskriterien sein sollten und wann nicht.
“Die falschistische Gefahr”.

Wenn Regierende irrationale Ängste zur Basis ihrer Entscheidungen machen, kann aus grobem Unfug eine gefährliche Realität werden.

(…)

Falschismus ist, wenn man ihn wie eine Zwiebel Schicht um Schicht abschält, natürlich nicht neu. Eine Keimzelle des aktuellen Falschismus könnte – wie auch anders – im »Dritten Reich« liegen, zumindest indirekt. Als die jüdische Philosophin Hannah Arendt 1949 nach Deutschland zurückkommt, um nach ihrer Flucht vor den Nazis das Land zu analysieren, schreibt sie: »Der wohl hervorstechendste und auch erschreckendste Aspekt der deutschen Realitätsflucht liegt in der Haltung, mit Tatsachen so umzugehen, als handele es sich um bloße Meinungen.« Diese von Arendt beschriebene Selbsttäuschung funktioniert nur, wenn man die Grenzen zwischen Tatsachen und Meinungen einreißt. Im Umkehrschluss behandelt man dann nicht nur Tatsachen wie Meinungen, sondern sieht in Meinungen plötzlich auch Fakten. Zumindest herbeigefühlte Fakten.

(…)

Und trotzdem ist es gefährlich, überall Falschismus zu wittern, wo es um Gefühle, Ängste oder Irrationalitäten geht. Gefühle, erst recht massenhaft empfundene, können durchaus legitime und sinnvolle Entscheidungskriterien sein. Für Ängste gilt das ebenso – es gibt Ängste, die sich nicht einfach mit einem Pfund Rationalität wegargumentieren lassen und sogar Basis politischer Entscheidungen sein müssen.

Das macht Falschismus zu einer komplexeren Angelegenheit, als Aktivisten aller Art glauben. Bezogen auf Ängste erkennt man das an den Fragen, die das eigene politische Lager betreffen. Für Linke: Warum soll man die Angst vor Atomenergie und grüner Gentechnik unbedingt ernst nehmen, die oft vorhandene Angst vor Multikulti aber nicht? Für Konservative: Warum soll die Angst vor strukturellem Rassismus übertrieben sein, aber der Angst vor geschlechtergerechter Sprache muss mit sprachpolizeilichen Verboten begegnet werden?

die Kaltmamsell

12 Kommentare zu „Journal Dienstag, 9. November 2021 – Erstes Mal Pigor & Eichhorn“

  1. FrauC meint:

    Jetzt bin ich aber neugierig: Welche Formulierung war das jetzt, die Sie nicht schlafen ließ?

    Und die Kolleg:innen schaffen es ja vielleicht, ihre Post selbst zu holen. Oder wird die bei Ihnen an einer schwer zugänglichen Stelle bereitgestellt? (Ich bin da vielleicht ein bisschen naiv, denn hier holen alle die Post für sich und die Menschen im selben Büro selbst ab, nach dem ausgeklügelten System “Hat schon wer nach der Post geschaut? Dann geh ich mal.” Meistens ein willkommener Anlass für etwas Bewegung!)

  2. Pamela meint:

    Ich freue mich sehr, dass Sie Pigor & Eichhorn für sich entdeckt haben! Das Klimakteriumslied muss ich mir bald anhören. Es gibt ein ebenfalls sehr wunderbares Lied “Rabenmutter” von den beiden, “Maulende Rentner” ist auch großartig, ach, es gibt so viele!

  3. die Kaltmamsell meint:

    Aber jetzt nicht enttäuscht sein, FrauC:
    “hatte ich mir im Sommer von Christian Drosten vorrechnen lassen”

  4. Nina meint:

    Folge seit 20 Jahren begeistert Pigor und Eichhorn und habe schon etliche Shows gesehen. Jetzt bin ich sehr gespannt auf das aktuelle Programm – auch wenn ich nicht sicher bin, ob ich mich traue, mir das derzeit live vor Ort anzusehen. Freu mich, dass Sie einen tollen Abend mit den Herren hatten!

  5. Sewwi meint:

    Wir waren gestern auch das erste Mal bei den beiden Herren und es war tatsächlich ein sehr vergnüglicher Abend.
    Meine Favoriten waren das Renten- und das Gastgeberlied!

  6. Schlosswiler meint:

    Post? Was ist das? Bei meinem Arbeitgeber erhalte ich jeweils ein Mail, wenn irgend ein physisches Teil an mich adressiert angekommen ist. War in den letzten 18 Monaten zweimal der Fall… Horror!!!
    Ok, ich verschicke eingeschriebene Mängelrügen und bekomme, da ich Kunde bin, keine. D.h. ich kenne die Ausgangsbox.

  7. Mareike meint:

    Das ist ein wunderbares Foto von Ihnen und Herrn Kaltmamsell!

  8. Frau Irgendwas ist immer meint:

    Pigor und Eichhorn – Knüller! Die Zwei haben sogar einen zeitlang das berliner Radio unsicher gemacht (RadioEins) und ich vermute sie auch hinter den so sehr geliebten Wurfsendungen beim Deutschlandfunk Kultur.
    Schön das sie Beide einen schönen Abend hatten!

  9. Bea meint:

    Liebe Frau Kaltmamsell, in der Ardaudiothek habe ich Pigor und Eichhorn gefunden und reingehört. Großartig. Herzlichen Dank für Ihren Bericht.

  10. Chris Kurbjuhn meint:

    “Heidegger”, werden sie ja als Zugabe gebracht haben, auf youtube finden sich weitere Klassiker wie “Kevin”, “Maulende Rentner” und “Nieder mit IT”. Viele Jahre lang hat Pigor einmal im Monat beim SWR das “Chanson des Monats” rausgehauen. Und hier ist eine schöen Würdigung: https://www1.wdr.de/radio/wdr5/sendungen/u22/thomas-pigor-hommage-100.html

  11. die Kaltmamsell meint:

    Heidegger kam nicht, Chris Kurbjuhn, dafür der wunderbare Ausbruch “Gastgeber”. Und Chansons gab’s schon auch, mit viel Metaebene (mich wunderte nicht zu entdecken, dass Pigor auch für die Misfits geschrieben hat).

  12. Chris Kurbjuhn meint:

    “Chansons des Monats” sind/waren Chansons, die er nur für den Funk geschrieben hat, die findet man nur in der Mediathek oder auf youtube. Leider, weil ein paar echte Perlen darunter sind. Dass er “Heidegger” offenbar nicht mehr als Zugabe bringt, ist skandalös. Hier ist er: https://youtu.be/3goPOfcu-JI

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