Archiv für Dezember 2021

Journal Sonntag, 26. Dezember 2021 – Familienweihnacht

Montag, 27. Dezember 2021

Nach guter Nacht wachte ich wieder um sechs auf, müde.

Ausführliches Packen, denn ich würde auch die Nacht auf Montag bei meinen Eltern verbringen.

Zur Sicherheit den guten Siemens-Selbsttest davor (sehr gut bewertet im Schnelltest-Test), mit Prokeln in der Nase bis ins Gehirn – wie im Schnelltest-Center (nicht in allen, ich war auch schon in einem, in dem mir erklärt wurde, dass der Abstrich absichtlich weiter vorne entnommen wird).

Gemütliche Stunden, bis es Zeit zur Fahrt nach Ingolstadt war. Es regnete.

In Ingolstadt regnete es nicht, dennoch waren wir froh, dass mein Vater uns mit dem Auto vom Bahhof abholte, wir waren ja recht bepackt: Füllung und Blätterteig für die Pilze Wellington, sechs Gläschen mit Seidentofu-Mousse-au-chocolat, Blaukraut für alle, leere Plätzchendose von Mamaplätzchen, volle Plätzchendose mit Schneeflocken.

Bei meinen Eltern das herbeigefreute Familienfest mit Sekt, lecker polnischer Steinpilzsuppe, glücklicher Gans plus Blaukraut und Rosenkohl und Knödel, für andere die Pilze Wellington, Wein, Rotweincreme oder Tofu-Schoko-Mousse, Schnäpsen, Espresso. Sogar Plätzchen passten noch rein.


Vor allem aber fröhliche Austausche mit allen. Mit Bruder für nächste Woche eine Wanderung geplant.

Am späten Nachmittag schickte ich Herrn Kaltmamsell allein zurück nach München, ich hatte Montagmorgen noch einen Termin in Ingolstadt. Abends gingen auch die anderen Gäste heim. Ich plauderte mit meinen Eltern, guckte mit meinem Vater im Fernsehen Jahresrückblick – abendessen konnte niemand mehr. Gemeinsam Tatort angefangen, aber meine Eltern gingen früh zu Bett.

§

Ja, sorry Maria Muttergottes, ich hätte auch so gerechnet:
“Mary one year later”.

Journal Samstag, 25. Dezember 2021 – Weihnachts-Hiatus mit Isarlauf

Sonntag, 26. Dezember 2021

Die ordentliche Nacht endete zu früh um sechs Uhr, weil meine Nase wieder zugeschwollen war und das Atmen behinderte. Dazu die Nebenhöhlenschmerzen, die mich im Grunde seit vielen Monaten plagen – weist alles auf etwas Chronisches hin, aber derzeit will ich halt wirklich so wenig wie möglich Zeit in Arztpraxen verbringen. Im nächsten Wellental hole ich mir mal HNO-Expertise ein.

Spülmaschine ausgeräumt, Milchkaffee zubereitet, zumindest Herr Kaltmamsell schaffte es länger zu schlafen und kam noch eine ganze Weile nicht aus seinem Zimmer. Der Tag wurde nur wenig hell und sah regnerisch aus.

Familienweihnacht würde aus Koordinationsgründen erst am zweiten Feiertag stattfinden, deshalb hatte ich eine Runde Joggen geplant und setzte mit Weihnachten vorübergehend aus. Und weil ich schon kurz nach neun durch war mit Bloggen, Twitterlesen, Kücheräumen halt schon früh. Ich kramte die ganz warme Laufkleidung hervor (die Hose hielt, hurra), die sich später als ein wenig zu warm herausstellte – ich hatte die Weihnachtsmilde unterschätzt.

Von einer fast leeren U-Bahn ließ ich mich zum Odeonsplatz bringen und lief über den Hofgarten und Englischen Garten zum Tivoli und zur Isar. Die Wege und Wiesen waren herrlich menschenarm, die erste weitere Joggerin begegnete mir erst nach 20 Minuten Laufen. Ich fühlte mich an Samstagvormittage vor 15 Jahren erinnert. Zweimal bekam ich ein herzliches “Fröhliche Weihnachten!” von entgegenkommenden Menschen geschenkt, das ich gerne erwiderte. Ich lief anderthalb Stunden, am Anfang zwickte die neue Hüfte ein wenig, doch das gab sich. Vom längeren Joggen hielten mich wieder Waden und Achillessehnen ab, doch 90 Minuten sind ja schon ein Geschenk. Ein weiteres Geschenk war die lange Regenpause während meines Laufs, mit sogar ein paar Ahnungen blauen Himmels durch die Wolken: Vorhergesagt war eigentlich durchgehender Niederschlag.

Blick vom Monopteros, auf den ich mich besonders gefreut hatte. Hier waren ein paar Menschen, die einander fotografierten, darunter ein älteres Paar (also in etwa meinem Alter), und in der Hand des Herrn sah ich eine eigenwillig geformte Selbstgedrehte – in meiner Phantasie blühte sofort die Erklärung, dass hier eine Art Reenactment der eigenen Jugend durchgespielt wurde und die beiden davon Fotos für die Clique von damals machten.

An der Isar große Vogelschau. Ein ungewohnter Vogelruf von oben ließ mich nach dem Rufer suchen: Ein fliegender Reiher über dem Fluss – welche Sorte, konnte ich im Gegenlicht nicht erkennen. Auf dem Isarkanal winzige Enten, nur wenig größer als Finken, die immer wieder wegtauchten: braunes Gefieder, schwarze Kappe auf dem Kopf – bislang konnte ich sie nicht identifizieren. Ich sah den wellenförmigen Flug der Bachstelzen, sah Meisen, hörte Amseln, auf dem Wasser gab es Süßwassermöwen, Schwäne, Stockenten, Gänsesäger – und drei stattliche Kormorane um eine Kiesbank.

Die Baustelle an der Max-Joseph-Brücke verstellt auch nach zwei Jahren noch den Durchgang. Laut Baustellen-Website der Stadt baut hier die Münchner Stadtentwässerung einen neuen Betonkanal unter der Isar hindurch, und ja: Das wird noch bis Mitte 2023 dauern.

Nach Hause nahm ich eine wieder schön leere Tram, die Wartezeit darauf nutzte ich für ausführliches Dehnen. Daheim Duschen, Anziehen. Danach bereitete ich erst mal die vegane Schoko-Mousse für Familienweihnachten zu. Zum Frühstück um halb zwei gab’s getoastete Brioche mit Acovado – ultra-luxuriös. Und Orangen (erst Schoko-Mousse-Zubereitung, weil ich dafür geriebene Orangenschale brauchte, jetzt aß ich das geschälte Innere – so eine Füchsin!).

Dazu las ich Internet. Auf Twitter mitzuverfolgen, wie die einen von schlimmen Weihnachten ihrer Kindheit berichten und gleichzeitig andere dafür sorgen, dass auch ihre Kinder mal von solchen schlimmen Weihnachten berichten können – ist durchaus bizarr.

Den weiteren Nachmittag verbrachte ich in der Küche mit Vorbereitung der Familienweihnacht: Blaukraut für zur Gans fertiggestellt, dann bereitete ich die Füllung für die Pilze Wellington zu (diesmal mit gerösteten Walnüssen): Es dauerte wieder zwei Stunden, bis sie geformt in Folie zum Kühlen auf dem Balkon lag.

Jetzt las ich die Wochenendzeitung aus, freute mich nochmal an diesem Hinweis im doppelseitigen Interview mit Prof. Drosten (den man ironischerweise online nur für den Preis eines Abos lesen kann):

Meine Rede seit so vielen Jahren: Nein, wir wollen doch gar nicht alles umsonst. Aber wir wollen nicht für jeden einzelnen Artikel ein Abo für die ganze Zeitung abschließen – in meinem Fall sogar zusätzlich zum Print-Abo. (Außer es wäre echt günstig: Die monatlich 7€ für die New York Times und die monatlich 6€ für den britischen Guardian zahle ich seit Jahren ohne Schmerz.)

Eine Runde Yoga tat meinem zwickenden Kreuz gut. Überbrückung bis Abendessen waren die letzten Plätzchen aus Mutters Kiste.

Das Nachtmahl bereitete ich zu: Ich hatte aus der Wellington-Füllung Zwiebeln, Champignons, Walnüsse abgezweigt, mit einem Restl Sahne gab es die als Spaghetti-Sauce, drüber Parmesan.

Nachtisch: Herr Kaltmamsell hatte vor zwei Wochen Christmas Pudding gemacht (nicht zum ersten Mal) und servierte ihn auf meine Bitte mit Brandy Butter (erstes Mal, links im Schüsselchen).

Schmeckte großartig, die kalte süße Butter zum warmen Pudding war eine echte Entdeckung, Herr Kaltmamsell war zufrieden, nahm sich nur gründlicheres Kleinhacken der Zutaten für nächstes Mal vor.

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Diese Bilder erklären, warum Blaukraut das traditionelle Weihnachtsgemüse ist. (Und geben mir eine Vorstellung von meinem nächsten Küchenfliesen.)

Journal Freitag, 24. Dezember 2021 – Heilig Abend in neuer Wohnung

Samstag, 25. Dezember 2021

Ausgeschlafen bis NACH sechs!

Erst mal die erste Maschine mit Bettwäsche und später die zweite mit Handtüchern gefüllt und gestartet.

Der Sonnenaufgang haute sich nochmal rein. Dann aber setzte Regen ein, der den ganzen Tag anhielt.

Den Teig für die Brioche hatte ich morgens gleich mal aus der Kälte geholt, verarbeitete ihn aber erst nach zwei Stunden weiter. Selbst dann brauchte der geformte Teig nochmal gut zwei Stunden, bis er bis zum Rezept-Ziel “bis unter Rand der Form” gegangen war – Hefeteig ist nichts für straffe Zeitpläne.

Den Riesling-Sekt von Buhl, der nicht Champagner heißen darf, obwohl nach Champagner-Methode hergestellt, hatte ich auf den Balkon zum Vorkühlen gestellt. Und jedesmal wenn ich ihn im Vorbeigehen sah, freute ich mich auf ihn. Hätte ich nicht gewusst, wie schlecht mir Alkohol am Tag tut, hätte ich gleich ein Glas getrunken. Aus mir wird in diesem Leben keine Trinkerin mehr.

Ich turnte nochmal die Runde Yoga vom Mittwoch, vormittags machte sie deutlich mehr Spaß als an einem gestressten Feierabend. Zum Frühstück gab es Apfel, Avocado, Dickmilch mit Orangen. Bettüberziehen, ein wenig Zeitungslektüre, bis ich schon mal das Blaukraut fürs Kochen am Samstag vorbereitete, das Rezept von Petra “Chili und Ciabatta” ist immer noch mein Favorit.

Zwischen drei und vier liegt mittlerweile immer der Start zum Spaziergang “Wir suchen das Christkind”. Freundlicherweise machte der Regen gerade Pause, erst auf dem letzten Stück nach Hause wurde aus den vereinzelten Tropfen echter Regen. Im Südfriedhof sah ich traurig in die leere Ecke, in der ohne Pandemie um diese Zeit Blechbläser Weihnachslieder spielen. Doch es war wieder sehr schön, in den Wohnhäusern im sich herabsenkenden Abend die leuchtenden Christbäume hinter den Fenstern zu sehen. Hinter einem entdeckte ich die gleiche Wohnzimmerlampe, die wir gerade im Arbeitszimmer angebracht haben – sie ist aber auch schön.

Dieses Wetter, mild und regnerisch, ist für mich inzwischen typisch Heiliger Abend – deswegen hatte mich der strenge Frost an den Tagen davor auch eher befremdet.

Neue Kunst unter der Corneliusbrücke.

Mir war sehr bewusst, dass ich die beiden vergangenen Heiligen Abende wegen kaputter respektive frisch operierter Hüfte deutlich weniger flott unterwegs gewesen war – ich genoss die zurückgekehrte Mobilität.

Daheim machte ich nach Langem wieder mal selbst Majonese, nach dem bewährten Idiotenrezept von Nicky Stich. Ich hatte vergessen, die Zutaten rechtzeitig aus dem Kühlschrank zu holen, damit sie Zimmertemperatur annehmen konnten, und arbeitete waghalsig mit untemperierten – kein Problem.

Kurzes Frischmachen und Umziehen, kein Christbaum, keine Weihnachtsdeko – aber Festmenü, das lautete:

Eggnog.
1. Speckdatteln und Guacamole.
Champagner (der nicht so heißen darf)
2. Vom Dallmayr Foie gras von glücklichen Enten1 mit hervorragend passendem Weingelee zu Brioche. (Sein’S mir nicht bös: Ist Brioche vielleicht einfach ein glorifizierter Hefezopf?)
3. Artischocken mit Aioli.
4. Dosenpfirsiche.
Spanischer turrón und Brandy.

Beim Champagneröffnen ergab sich eine Situation:

Er ließ sich nämlich nicht öffnen. Herr Kaltmamsell prokelte so lange am Korken herum, bis das obere Stück abbrach und er den Rest mit dem Korkenzieher herausbekam.

Die Dosenpfirsiche und der Brandy passten letztlich leider nicht mehr rein.
Irgendwann ließen wir dazu Sissi von 1955 laufen und stellten fest: Da passiert aber nicht viel.

Geschenke gab es auch: Zuschuss zur neuen Wohnungseinrichtung, Sitzkissen für unsere neuen Stühle, edles Olivenöl aus Florenz. Herr Kaltmamsell hielt sogar bis nach zehn durch, doch als mein Bruder zum Heilig-Abend-Telefonat anrief, hatte er bereits die Zahnbürste im Mund. Ich räumte noch ein wenig, las im Bett eine Runde.

  1. Hatte ich schon Anfang Dezember besorgt, vor dem großen Andrang beim Dallmayr, und bis vorgestern eingefroren – kein Qualitätsverlust. []

Journal Donnerstag, 23. Dezember 2021 – Weihnachtsferien angeschwommen und die Zickigkeit der New Romantics

Freitag, 24. Dezember 2021

Schon vor dem Wecker um sechs nach mittelguter Nacht aufgewacht, ich konnte in aller Ruhe Herrn Kaltmamsell den Morgenkaffee servieren. Während ich schon Ferien hatte, musste er gestern nochmal ran.

In frostiger Luft gab Eos zum Morgenrosa alles.

Ich hatte beschlossen, das Infektionsrisiko einer Schwimmrunde im Winterfreibad Dantebad in Kauf zu nehmen. Um wenigstens auf dem Weg dorthin die Kontakte zu minimieren, nahm ich statt Tram das Fahrrad, trotz knackigem, wenn auch sonnigem Frost.

Die Fahrt war unangenehm, das Schwimmen im Becken unter Dampfschicht belohnte sie aber sehr.

Beim Atemhol-Blick Richtung Süden (also zur Liegewiesenseite) freute ich mich immer wieder am Bild der fahlen Sonne durch Wolkenschleier hinter den Ästen der kahlen Bäume. Das Becken war mittelfrequentiert, man kam gut miteinander aus. Auf den letzten 100 Metern meiner 3.000 packte mich dann doch noch ein Krampf im linken Unterschenkel und in den Zehen – vor Schreck, weil ich zum dritten Mal in eine Schwimmerin vor mir gedotzt war; sie schwamm so langsam auf dem Rücken (die sachten Bewegungen ihrer Gliedmaßen konnte ich keinem definierten Stil zuordnen), dass ich wieder zu schnell für eine rechtzeitige Sichtung auf sie zugekommen war.

Auf meinen Bahnen dachte ich gelassen nach über den Film vom Vorabend, Ich bin dein Mensch (gestern erfuhr ich, dass er für eine Oscar-Nominierung vorgeschlagen wurde), erinnerte mich an vergangene Weihnachtsferien-Reisen nach Nizza, Rom, Mallorca, Venedig, mit denen ich mir früher(pC) (prä Corona) den langen dunklen Winter verkürzte (den eigentlichen AAAAAAARGH!-Corona-Koller hatte ich aber erst nachtmittags, als ich auf instagram aktuelle Bilder aus Rom sah). Und mir ging eine sehr empfehlenswerte BBC-Doku im Kopf herum, die Joël verlinkt hatte, über die Musik- und Stilbewegung der New Romantics Anfang der 1980er. Mir war darin die (dezidiert schwule?) Zickigkeit einiger damaligen New Romatics aufgefallen, doch Joël wies darauf hin, dass auch die typisch für die Zeit war. War sie vielleicht eine Variante der rausgestreckten Punk-Zunge? Zickigkeit als Aussprechen der gehässigen Gedanken, der neidischen Gemeinheit, die ja doch jede und jeder hin und wieder empfindet, die aber in Bürgerlichkeit mit gutem Benehmen unterdrückt wird?

Das Heimradeln war überhaupt nicht mehr frostig, vor lauter Schwimm- und Duschhitze müsste eine Dampfwolke um mich gestanden sein. Ich hielt für Einkäufe in einem weitläufigen Edeka an, besorgte bei einem Bäcker Wimmer Frühstückssemmeln: Jetzt setzte Kontakt-Stopp bis Sonntag zur Familienfeier ein.

Diesmal dachte ich gleich beim Heimkommen an die Nasendusche und spülte meine Schleimhäute aus in der Hoffnung, den heftigen Chlorschnupfen vom letzten Mal abzuwenden. (Ich kam tatsächlich drumrum.)

Zum Frühstück gab es zwei Semmeln mit Butter und Marmelade, zwei Orangen.

Noch in Tageslicht buk ich die Schneeflocken.

Internet und Zeitung gelesen, Salzmandeln und Halbtrockenpflaumen gesnackt.

Körpertemperatur-Achterbahn zwischen viel zu heiß und Frieren mit eiskalten Händen, dazwischen eine Runde Kreislauf-Purzelbaum mit Schwindel und Schweißausbruch. Das Wetter schwang um, es wurde milder, windiger und begann zu regnen.

Erste Handgriffe für das Heilig-Abend-Festmahl: Ich knetete Teig für eine Brioche, der über Nacht gehen würde.

Zum Abendbrot gab es restlichen Schwarzkohleintopf, außerdem Käse, danach ein Stück Panettone.

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Auf Twitter bat eine britische Landwirtin um Unterstützung: Sie erzählte von einem Mädchen, dem gesagt wurde, Frauen könnten keinen Hof bewirtschaften – ob Landwirtinnen wohl zum Gegenbeweis Fotos von sich posten könnten und erzählen, was sie tun? Und wie sie das taten, es sammelten sich wundervolle Beiträge aus der ganzen Welt, mit Vieh, auf Maschinen, als Foto, Video, Tiktok, zum Teil von mehreren Generationen Frauen-geführter Höfe.

Das hier ist möglicherweise mein Favorit. Im Englischen ist es aber auch praktisch, dass es to farm als Verb gibt – das deutsche Gegenstück “Landwirtschaft treiben” (im Bayerischen “mia ham a Landwirtschaft”) ist recht unpraktisch.

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Aktuelle Nikolaus-Probleme.

Journal Mittwoch, 22. Dezember 2021 – Entspannung durch Filmerlebnis: Ich bin dein Mensch

Donnerstag, 23. Dezember 2021

Die Nacht war wieder um vier zu Ende, danach nur noch Dösen.

Draußen weiter knackige Kälte, die mir auf dem Weg ins Büro in die Wangen biss.

In der Arbeit versuchte ich, meinem 2022-Ich ein paar Gefallen zu tun. Denn in den ersten Tagen nach den Weihnachtsferien werde ich aus verschiedenen Gründen nicht zu viel kommen. Die Wintersonne wärmte mein Büro.

Mittags kurzer Abstecher in einen nahe gelegenen Discounter, Mittagessen waren Apfel, Avocado (super), Orangen.

Nachmittags wurde der Endspurt eher brutal, es dauerte deutlich länger als geplant, mit allem durchzukommen. Am Ende war mir die Vorfreude auf die Ferien flöten gegangen.

Auf dem Heimweg Weihnachtseinkäufe beim Süpermarket Verdi, das Angebot schien mir ausgedünnt (Lieferschwierigkeiten wegen Pandemie-Beschränkungen?). Zu Hause knetete ich erst mal Teig für die einzige Weihnachtsplätzchen-Bäckerei: Schneeflocken, damit es bei meinen Eltern zur Familienweihnacht auch eine vegane Variante gibt.

Herr Kaltmamsell war noch mit Schul-Website-Dingen beschäftigt, ich machte eine Einheit Yoga (gute Mischung von Dehnen und Kräftigung). Währenddessen wurde mir klar, dass ich Alkohol zur Entspannung brauchen würde, zumindest zur inneren Entwütung. Der Kühlschrank bot einen sächsischen Müller-Thurgau Steffen Loose, den schenkte ich uns ein, während Herr Kaltmamsell zum Nachtmahl einen Eintopf aus Schwarzkohl, Kartoffeln (beides Ernteanteil) und Cabanossi kochte. Wein und Eintopf schmeckten gut, zum Nachtisch gab es viel Weihnachtssüßigkeiten.

Abendunterhaltung: Die ARD zeigte den deutschen Spielfilm Ich bin dein Mensch, den ich vergangenen Sommer zu meinem Bedauern im Kino verpasst hatte (hier in der Mediathek). Allein die Kombination des Topos Android als idealer Lebenspartner (im englischen Sprachraum immer wieder durchgespielt) und deutsche realistische Filmtradition fand ich ausgesprochen reizvoll, die Besprechungen waren durchwegs positiv überrascht gewesen. Und tatsächlich fand ich den Film dann weit überdurchschnittlich gut, schaute ihn konzentriert und mit zugeklapptem Rechner an (das Bedürfnis habe ich beim Fernsehen sonst fast ausschließlich bei Dokumentationen).

Das Drehbuch (Jan Schomburg, Marie Schrader, die auch Regie führte) ist ganz ausgezeichnet und schafft es, die Frage nach Menschlichkeit und dem Wesen von Gefühlen anhand seiner Nachahmungen mit neuen Aspekten zu versehen. Eine Programmierung, die zunächst von Wahrscheinlichkeiten ausgeht, stellt sich nach und nach auf einen individuellen Menschen ein – sehr viel anders funktioniert die Entwicklung einer Freundschaft oder Partnerschaft ja auch nicht. Und der Unterschied zwischen dem Vorsatz von Gefühlen und dem Empfinden dieser Gefühle kann ja wirklich verschwimmen. Mir gefiel auch sehr die Charakterzeichnung der Hauptfiguren (von Maren Eggert, Dan Stevens und Sandra Hüller – <3 – großartig gespielt): Sehr indirekt, zum Beispiel lernen wir Alma über ihre Interaktionen mit ihrem Vater, ihrem kleinen Neffen und als Chefin ganz anders kennen als allein mit Tom. Außerdem bieten die Dialoge ein paar richtig gute Roboter-Witze.

Auch Kathleen Hildebrand wird von dem Film in ihrer Besprechung für die Süddeutsche zum Weiterdenken von ein paar Aspekten gebracht:
“Wovon 93 Prozent der Frauen träumen”.

Das Filmerlebnis schaffte, was Yoga gar nicht und Alkohol nur wenig erreicht hatten: Ich war abgelenkt von mir selbst und kam in Ferienstimmung.

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Kerry Howley hat für das Ney York Magazine über drei Menschen recherchiert, die am 6. Januar 2021 das Capitol in Washington stürmten. Der Artikel versucht dahinter zu kommen, was diese konkreten Menschen dazu gebracht hat, beschreibt, wie ihr Leben und das ihrer Familien seither verlaufen ist. Und wie immer ist alles kompliziert.
“Gina. Rosanne. Guy. What do you do the day after you storm the Capitol?”

Gina Bisignano would lose her salon, Guy Reffitt would lose his freedom, and Rosanne Boyland would lose her life. None of them would be difficult to find. Many at the Capitol that day were motivated by profound distrust in the deep state and big tech, and it was true that Google would hand location data to the FBI and Facebook would deliver reams of messages, but the Capitol riot was among the most-filmed events in history not because the NSA was listening but because the rioters themselves obsessively documented all four hours of it.

In einer Nebenhandlung werden die Haftbedingungen in den USA geschildert, die jenseits aller Menschenrechte sind. (Und Menschenrechte, my friends, heißen so, weil sie für alle Menschen gelten, egal was sie angestellt haben, was sie denken, was sie möglicherweise noch anstellen werden.)

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Bilder in einem Twitter-Thread zeigen, wie es nach der Flutkatastrophe im Sommer derzeit an der Ahr aussieht.

Man lernt bei diesen Bildern das einfache wieder schätzen. Straßenbeleuchtung oder überhaupt Straßen zum Beispiel…

Journal Dienstag, 21. Dezember 2021 – Angestrengte Wintersonnwend

Mittwoch, 22. Dezember 2021

(Wieder ein so schönes Datum 21.12.2021.)

Guter Nachtschlaf mit zu frühem Ende. Draußen schien ganz hell der Gerade-nicht-mehr-Vollmond. Auf dem Weg in die Arbeit sah ich die Theresienwiese in seinem Licht und fahlem Frostweiß. Wintersonnwend, soso.

In der Arbeit viel Arbeit, ich musste mich angestrengt zusammennehmen. Draußen Sonnenschein, die Luft durch das immer wieder kurz gekippte Bürofenster roch energisch winterlich.

Zu Mittag gab’s die erste reife Crowdfarming-Avocado vom adoptierten Baum (mit ein wenig Balsamico und Salz – perfekt).

Diesmal war bei Lieferung am Samstag keine Avocado essreif, die beiden mit der bereits dunkelsten Schale packte ich zum schnelleren Reifen anweisungsgemäß in Papier. Nach drei Tagen konnte ich sie jetzt essen, eine gestern zu Mittag, zwei andere kleine abends verarbeitet. Die Hälfte des Kisteninhalts ist jetzt verteilt auf die Küche mit und ohne Papierbeschleuniger, die andere Hälfte wohnt im Kühlschrank, von wo ich sie nach Verzehr der ersten Hälfte nach und nach zum Nachreifen rausholen werde.

Nachmittags brachte ich den letzten Klops zu Ende, der wirklich vor Weihnachten abgearbeitet werden musste. Dann kehrte endlich Ruhe ein, ich konnte beginnen, mich zu sortieren und die erste Arbeitswoche nach den Ferien vorzubereiten.

Mittelpünktlicher Feierabend, draußen war es immer noch frostig. Auf dem Heimweg absolvierte ich im Vollcorner die erste große Runde Einkäufe für die Weihnachtstage.

Zu Hause ein bisschen Yoga mit Gleichgewichtsübungen, sprich viel Umfallen. Vorbereitung der letzten Brotzeit vor den Weihnachtsferien. Für das Nachtmahl sorgte wieder Herr Kaltmamsell.

Tacos mit Zeug, darunter Soja-Hack und Guacamole.

Im Bett ein neues Buch angefangen: Blai Bonet, Frank Henseleit (Übers.), Das Meer. Der Roman von 1958 spielt in und nach dem spanischen Bürgerkrieg auf Mallorca, recht expressionistisch erzählt, unter anderem mit unkonventioneller Zeichensetzung (es würde mich wundern, hätte Übersetzer Henseleit dieses Stilmittel nicht aus dem katalanischen Original übernommen).

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Laurie Penny lebt derzeit in ihrem Herkunftsland UK und trauert um das ausfallende Weihnachtsfest.
“The Actual War on Christmas”.

Penny bemerkt Parallelen der Situation zum Kriegszustand, vor allem in der Wortwahl.

Most of the time, when cultures speak in terms of sacrifice, when the young are asked to put their lives and futures on the line for the common good, we’re talking about war. That’s the only framework we have for sacrifice, at least for sacrifice that’s acknowledged and respected rather than simply assumed.

Mir kam derselbe Gedanke, als ich kürzlich eine lange nicht gesehene Bekannte traf und wir – wie immer derzeit bei solchen Begegnungen – erstmal KriegsPandemieschäden abklopften: Gibt es in der Familie Gefallene? Verwundete? (Also Todesopfer der Pandemie? Wegen Corona oder System-Überlastung? Erkrankte?) Steht der Betrieb / das Haus noch? (Wie hat sich die Pandemie auf die berufliche Situation ausgewirkt?)

Journal Montag, 20. Dezember 2021 – Baumarktspaziergang

Dienstag, 21. Dezember 2021

Nach recht gutem Schlaf schwer geweckt worden. Noch drei Arbeitstage bis zweieinhalb Wochen Weihnachtsferien, die ich wohl arg brauche.

Draußen nasse Straßen und düsterer Himmel. Ich ließ meine morgendliche Bankstütz-/Seitstützroutine ausfallen, weil ich das Rumpftraining vom Sonntag in den Knochen spürte.

In der Arbeit gleich wieder Vollgas, der bevorstehende Ferienstart ist ja gleichzeitig Deadline.

Mittags Apfel, Hüttenkäse, Orangen (ich hatte sogar süße erwischt!). Das war zu viel, ich kämpfte mit Fresskoma.

Der Tag wurde ein wenig sonnig – beim Zurückbringen meiner Kaffeetasse in die Cafeteria entdeckte ich blaue Flecken am Himmel, die mir beim konzentrierten Kampf mit Datenbankbereinigung entgangen war.

Nach Feierabend machte ich einen Abstecher zum 15 Fußminuten entfernten Baumarkt für Ösenschrauben, mit denen ich das schmale, hohe Regal in meinem Schlafzimmer an der Wand befestigen wollte (Löcher und Dübel bereits vorhanden): Die speziellen Schrauben hätte man natürlich auch online bestellen können, aber das dauerte mir zu lange, dann hätte ich gleich bis Weihnachten warten und mir welche von meinem Vater geben lassen können. Doch ich wollte das Regal endlich einräumen können und eine der letzten Umzugskisten entpacken.

Auf dem Weg wartete ich an einer roten Fußgängerampel, als ich gegenüber einen Radler absteigen sah und mit breitem, glücklichen Lächeln ein Handyfoto die Straße runter machen. Ich folgte seinem Blick – und sah einen riesigen, vollen aufgehenden Mond direkt neben dem Büroturm an der Donnersbergerbrücke. Beim Kreuzen der Straße lachten der Fotografierer und ich uns in gemeinsamer Freude an. (Er hatte wahrscheinlich das bessere Handy, meines konnte den Anblick nicht einfangen.)

Im Baumarkt fand ich schnell die Ösenschrauben – und konnte mich wieder schwer von all den wunderbaren Dingen losreißen, die ich im Vorbeigehen sah; zum Beispiel gibt es solche Ösenschrauben ja sogar in Riesig mit 20 Zentimetern Länge! Dafür muss sich doch irgendein Einsatz in Wohnungseinrichtung finden.

Ich ging zu Fuß nach Hause und nahm die Landsberger Straße – sie ist zwar mehrspurig und vielbefahren, aber ich war hier schon lange nicht mehr und wollte nach Veränderungen gucken.

Daheim gönnte ich mir ein bisschen Yoga, übersprang einfach die vier Besinnlichkeitsminuten zu Anfang. Im E-Mail-Posteingang die fünfte Verschiebung des Liefertermins für den im Juni bestellten fünften Bücherschrank.

Nachtmahl: Restliche Pilze Wellington, die übrige Füllung hatte Herr Kaltmamsell mit Bechamel gestreckt und mit veganer Mozzarella überbacken, außerdem hatte er Postelein als Salat dazu besorgt.

Ich erledigte Haushaltsdinge, bevor ich mich zum Nachtisch Panettone nochmal setzte.

Im Bett Robert Galbraith, Lethal Withe ausgelesen, wurde rund zu Ende gebracht.