Die ordentliche Nacht endete zu früh um sechs Uhr, weil meine Nase wieder zugeschwollen war und das Atmen behinderte. Dazu die Nebenhöhlenschmerzen, die mich im Grunde seit vielen Monaten plagen – weist alles auf etwas Chronisches hin, aber derzeit will ich halt wirklich so wenig wie möglich Zeit in Arztpraxen verbringen. Im nächsten Wellental hole ich mir mal HNO-Expertise ein.
Spülmaschine ausgeräumt, Milchkaffee zubereitet, zumindest Herr Kaltmamsell schaffte es länger zu schlafen und kam noch eine ganze Weile nicht aus seinem Zimmer. Der Tag wurde nur wenig hell und sah regnerisch aus.
Familienweihnacht würde aus Koordinationsgründen erst am zweiten Feiertag stattfinden, deshalb hatte ich eine Runde Joggen geplant und setzte mit Weihnachten vorübergehend aus. Und weil ich schon kurz nach neun durch war mit Bloggen, Twitterlesen, Kücheräumen halt schon früh. Ich kramte die ganz warme Laufkleidung hervor (die Hose hielt, hurra), die sich später als ein wenig zu warm herausstellte – ich hatte die Weihnachtsmilde unterschätzt.
Von einer fast leeren U-Bahn ließ ich mich zum Odeonsplatz bringen und lief über den Hofgarten und Englischen Garten zum Tivoli und zur Isar. Die Wege und Wiesen waren herrlich menschenarm, die erste weitere Joggerin begegnete mir erst nach 20 Minuten Laufen. Ich fühlte mich an Samstagvormittage vor 15 Jahren erinnert. Zweimal bekam ich ein herzliches “Fröhliche Weihnachten!” von entgegenkommenden Menschen geschenkt, das ich gerne erwiderte. Ich lief anderthalb Stunden, am Anfang zwickte die neue Hüfte ein wenig, doch das gab sich. Vom längeren Joggen hielten mich wieder Waden und Achillessehnen ab, doch 90 Minuten sind ja schon ein Geschenk. Ein weiteres Geschenk war die lange Regenpause während meines Laufs, mit sogar ein paar Ahnungen blauen Himmels durch die Wolken: Vorhergesagt war eigentlich durchgehender Niederschlag.
Blick vom Monopteros, auf den ich mich besonders gefreut hatte. Hier waren ein paar Menschen, die einander fotografierten, darunter ein älteres Paar (also in etwa meinem Alter), und in der Hand des Herrn sah ich eine eigenwillig geformte Selbstgedrehte – in meiner Phantasie blühte sofort die Erklärung, dass hier eine Art Reenactment der eigenen Jugend durchgespielt wurde und die beiden davon Fotos für die Clique von damals machten.
An der Isar große Vogelschau. Ein ungewohnter Vogelruf von oben ließ mich nach dem Rufer suchen: Ein fliegender Reiher über dem Fluss – welche Sorte, konnte ich im Gegenlicht nicht erkennen. Auf dem Isarkanal winzige Enten, nur wenig größer als Finken, die immer wieder wegtauchten: braunes Gefieder, schwarze Kappe auf dem Kopf – bislang konnte ich sie nicht identifizieren. Ich sah den wellenförmigen Flug der Bachstelzen, sah Meisen, hörte Amseln, auf dem Wasser gab es Süßwassermöwen, Schwäne, Stockenten, Gänsesäger – und drei stattliche Kormorane um eine Kiesbank.
Die Baustelle an der Max-Joseph-Brücke verstellt auch nach zwei Jahren noch den Durchgang. Laut Baustellen-Website der Stadt baut hier die Münchner Stadtentwässerung einen neuen Betonkanal unter der Isar hindurch, und ja: Das wird noch bis Mitte 2023 dauern.
Nach Hause nahm ich eine wieder schön leere Tram, die Wartezeit darauf nutzte ich für ausführliches Dehnen. Daheim Duschen, Anziehen. Danach bereitete ich erst mal die vegane Schoko-Mousse für Familienweihnachten zu. Zum Frühstück um halb zwei gab’s getoastete Brioche mit Acovado – ultra-luxuriös. Und Orangen (erst Schoko-Mousse-Zubereitung, weil ich dafür geriebene Orangenschale brauchte, jetzt aß ich das geschälte Innere – so eine Füchsin!).
Dazu las ich Internet. Auf Twitter mitzuverfolgen, wie die einen von schlimmen Weihnachten ihrer Kindheit berichten und gleichzeitig andere dafür sorgen, dass auch ihre Kinder mal von solchen schlimmen Weihnachten berichten können – ist durchaus bizarr.
Den weiteren Nachmittag verbrachte ich in der Küche mit Vorbereitung der Familienweihnacht: Blaukraut für zur Gans fertiggestellt, dann bereitete ich die Füllung für die Pilze Wellington zu (diesmal mit gerösteten Walnüssen): Es dauerte wieder zwei Stunden, bis sie geformt in Folie zum Kühlen auf dem Balkon lag.
Jetzt las ich die Wochenendzeitung aus, freute mich nochmal an diesem Hinweis im doppelseitigen Interview mit Prof. Drosten (den man ironischerweise online nur für den Preis eines Abos lesen kann):
Meine Rede seit so vielen Jahren: Nein, wir wollen doch gar nicht alles umsonst. Aber wir wollen nicht für jeden einzelnen Artikel ein Abo für die ganze Zeitung abschließen – in meinem Fall sogar zusätzlich zum Print-Abo. (Außer es wäre echt günstig: Die monatlich 7€ für die New York Times und die monatlich 6€ für den britischen Guardian zahle ich seit Jahren ohne Schmerz.)
Eine Runde Yoga tat meinem zwickenden Kreuz gut. Überbrückung bis Abendessen waren die letzten Plätzchen aus Mutters Kiste.
Das Nachtmahl bereitete ich zu: Ich hatte aus der Wellington-Füllung Zwiebeln, Champignons, Walnüsse abgezweigt, mit einem Restl Sahne gab es die als Spaghetti-Sauce, drüber Parmesan.
Nachtisch: Herr Kaltmamsell hatte vor zwei Wochen Christmas Pudding gemacht (nicht zum ersten Mal) und servierte ihn auf meine Bitte mit Brandy Butter (erstes Mal, links im Schüsselchen).
Schmeckte großartig, die kalte süße Butter zum warmen Pudding war eine echte Entdeckung, Herr Kaltmamsell war zufrieden, nahm sich nur gründlicheres Kleinhacken der Zutaten für nächstes Mal vor.
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Diese Bilder erklären, warum Blaukraut das traditionelle Weihnachtsgemüse ist. (Und geben mir eine Vorstellung von meinem nächsten Küchenfliesen.)