Journal Donnerstag, 6. Januar 2022 – Briefe aus 40 Jahren Vergangenheit
Freitag, 7. Januar 2022 um 8:46Ausgeschlafen, ruhig aufgewacht.
Die Nacht ging mit einem nassen Schneeschauer in den Tag über.
Gemütlicher Morgen mit ausführlichem Bloggen. Auf dem Sportprogramm stand Krafttraining rundum mit Hanteln, mittlerweile schien die Sonne ins Wohnzimmer.
Zum mittäglichen Frühstück gab es ein paar Fleischklößchen, außerdem Birne, Banane, Trauben mit Hüttenkäse und Joghurt.
Nächster Programmpunkt (nein, so wird das mit dem Langweilen nichts): Badkacheln entkalken. Weite Bereiche der weißen Kacheln um die Dusche sind mit normaler Reinigung nicht glatt und glänzend zu bekommen, sie scheinen den Kalk vieler Jahre zu tragen. Absprache mit Herrn Putz 1 hatte als Grundreinigung aufgesprühte Essigessenz und eine Stunde Einweichen ergeben, an einer Testkachel hatte die Methode Erfolg gezeigt. Das Einsprühen von 3 Quadratmetern Kacheln legte ich gezielt auf gestern: Herr Kaltmamsell kochte am Dreikönigstag die jährliche Orangenmarmelade – und die Orangenmarmeladendüfte würden den unangenehmen Essiggeruch überdecken. Klappte beides: Gegen die beißenden Essigdünste öffene ich zusätzlich das Badfenster, die Kacheln schrubbte ich nach Einwirken mit Scheuermilch, nur ein paar werde ich nacharbeiten müssen.
Den restlichen Nachmittag verbrachte ich mit der anderthalb Jahre geschobenen Sortierung meiner großen Briefkiste. Da sie aus Korbgeflecht besteht, waren in den vergangenen 20 Jahren Staub und Schmutz eingedrungen: Mit jedem Stapel ging ich erst mal auf den Balkon zum Ausschütteln und Abpusten.
Die Briefe zu lesen, war ich nicht im Geringsten versucht, das Leben der Frau, die vor 30 Jahren meinen Namen trug, interessiert mich ebenso wenig wie meine 30 bis 40 Jahre alten Tagebücher. Es ging mir nur um Sortierung, also sah ich nur in Umschläge, wenn ich einen Brief nicht zuordnen konnte. Auch Weihnachtskarten hebe ich offensichtlich immer schon auf, die kamen auf einen eigenen Stapel.
Eine Überraschung war der Fund eines Umschlags mit Zetteln – auch die hatte ich völlig vergessen: An der Tür meiner Studentinnenwohnung im Augsburger Handwerkerviertel hing außen ein kleiner Block mit Stift. Wer mich nicht antraf, konnte mir darauf eine Nachricht hinterlassen. Was halt damals (1988-1997) eine gute Idee ware, weil es a) üblich war, bei Freund*innen und Bekannten einfach mal vorbeizuschauen, es b) lange keine Anrufbeantworter oder private E-Mails gab. Für Kurzkommunikation mit Kontakten verwendeten wir ZETTEL! Und ich habe sie offensichtlich aufbewahrt.
Weitere Entdeckung: Der 32 Jahre alte Brief einer Chor-Freundin während ihrer Ausbildung zur Bühnenbildnerin, in dem sie meine vorherige briefliche Schilderung einer Tanzstunde mit Wasserfarbe gezeichnet hatte. Dass es den Brief gab, wusste ich noch gut, hatte ihn aber für verloren gehalten.
Als Abendessen servierte Herr Kaltmamsell die restlichen Fleischklößchen und Blätterteig mit Spinatfüllung. Nachtisch Eis mit… Orangensauce, möglicherweise muss die Marmelade nochmal durchgekocht werden.
Als Abendunterhaltung ließen wir Kohlhiesels Töchter laufen. An Susis Frisur musste ich ja all die Jahre denken, in denen junge Frauen ihre langen Haar auf der Kopfkrone zusammenbanden (die Mode scheint durch zu sein) – und das Lachen von Liselotte Pulver macht mit seiner Anarchie zum Glück das frauenfeindliche Gesellschaftskonzept des Films in Sekunden zunichte.
die Kaltmamsell5 Kommentare zu „Journal Donnerstag, 6. Januar 2022 – Briefe aus 40 Jahren Vergangenheit“
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7. Januar 2022 um 11:15
Immer, wenn ich Menschen mit dieser Frisur sehe, denke ich an Ihren Vergleich und amüsiere mich köstlich.
7. Januar 2022 um 12:04
Kopfkronen, hiiihii.
Bisher dachte ich immer, dass das so Griffe am Kopf sind wie die Teletubbies das haben.
Briefe, ja die hebe ich auch auf, immer noch unsortiert. Ich stelle mir vor, dass wenn ich alt und wackelig bin und das Haus nicht mehr verlassen kann, ich die Briefe vielleicht noch schätzen werde. Bisher herrscht akutes Desinteresse.
Ja, man hat Zettel geschrieben. Ich hab die noch irgendwo, die die Freundinnen aus der Parallelklasse und ich uns hin und her schicken. Immer mit literarischen Zitaten aus den Werken, die wir gerade lasen. Wichtig war, dass sie aus dem Zusammenhang gerissen waren und völlig schräg klangen.
„Uns ist ganz kannibalisch wohl, als wie fünfhundert Säuen“. Daran erinnere ich mich noch.
7. Januar 2022 um 12:05
Liselotte Pulvers Lachen – das!
Wir hatten uns auch gegenseitig zu “Kohlhiesels Töchtern” überredet und haben uns dank ihrer gut amüsiert.
7. Januar 2022 um 13:30
Liebe Kaltmamsell, bei “Arthurs Tochter” kann ich – warum auch immer – leider nicht kommentieren, also auch nicht auf Ihren Kommentar antworten. Also hier: Ich bin bereits die zweite Morgenleserin: 1. Vorspeisenplatte, 2. Frau Groener, 3. Tagesspiegel.
Auf fröhliches, nachdenkliches, mitfühlendes Weiterlesen auch im Jahr 2022.
10. Januar 2022 um 16:02
Bevor es ans Wegwerfen geht, würde ich (falls die Bereitschaft besteht) ggf. mal in Emmendingen beim Deutschen Tagebucharchiv anfragen, die könnte das interessieren.