Archiv für Februar 2022
Journal Sonntag, 27. Februar 2022 – Heimatkunde beim Tatort-Gucken
Montag, 28. Februar 2022Gut geschlafen, sogar nach dem Aufwachen um sechs eine weitere Stunde, das tat sehr gut.
Draußen schien die Sonne, wir machten uns am Vormittag auf zum Bahnhof, denn wir waren bei Schwiegers in bei Augsburg zum Mittagessen eingeladen.
Vom Bahnhof Augsburg Haunstetterstraße (so praktisch! allerdings bekomme ich dadurch seit Jahren nichts mehr von der Augsburger Innenstadt mit) wurden wir abgeholt, mit meinen ebenfalls eingeladenen Eltern trafen wir uns im guten Italiener am Eingang von Königsbrunn.
Zum Austausch aktueller Informationen und Befindlichkeiten gab es bergeweise italienische Antipasti, dann für mich hausgemachte Strozzapreti mit Steinpilzen und Salsicce. Anschließende Umsiedelung in die Wohnung der Schwieger-Herrschaften, dort Kaffeeundkuchen (ich ließ Kuchen wegen Überfüllung aus).
Unter anderem bekam ich die Nachricht vom unerwarteten Tod einer Freundin meiner Eltern – es schmerzt mich, dass ich diesen über Jahrzehnte gewachsenen Eltern-Freundeskreis wegen Corona so lange nicht gesehen habe.
Auf der Heimfahrt sah die Sonne besonders verlockend aus, ich bekam Lust auf ein schnelles Umziehen daheim mit anschließendem Spaziergang. Doch schon die 15 Minuten Fußweg vom Bahnhof waren in Kälte und Wind ausgesprochen unangenehm, ich ließ diese Pläne fahren. Statt dessen las ich auf Twitter Berichte über zahlreiche Friedensdemonstrationen in Deutschland zur Unterstützung der Ukraine nach, auch über die gestrige Sondersitzung des Bundestags zum Krieg in der Ukraine.
Eine weitere Folge Folge Yoga, sogar ich Steifkörper muss zugeben, dass sich seit meinem Yoga-Einstieg vor zwei Jahren einiges getan hat, dass mir Bewegungsabläufe möglich sind, die ich anfangs nur mit Zwischenschritten oder Abstützen schaffte. Geben Sie mir noch zehn Jahre – und wir finden heraus, was schneller ist: Alterungsprozess mit Versteifung, Arthrose-Krachen und Bewegungseinschränkungen oder die Gymnastikwirkung mit Lockerung, Stärkung, Dehnung.
Abends hatte ich tatsächlich nochmal Hunger. Ich verührte Sahnequark mit Joghurt, schnippelte eine Mandarine, einen Apfel und ein paar Halbtrockenpflaumen rein. Dann noch Schokolade.
Nach Tagesschau und Ukraine-Extra im Fernsehen ließ ich den Tatort “Kehraus” laufen, weil er in München spielte – aus den Außenaufnahmen lerne ich ja oft etwas über die Gegenden meiner Heimatstadt, in die ich nicht so oft komme. Diesmal war allerdings das Rührende, dass das Drehbuch so tat, als gäbe es in München noch echten Fasching wie zu Zeiten des Monaco Franze (-> “Der Herr der sieben Meere”). Das tut es schon lang nicht mehr, der Münchner und die Münchnerin betonen fast durchgehend ihre Abneigung gegen Fasching (wohingegen das Oktoberfest in all den legendären München-TV-Serien keine Rolle spielt und Münchner*innen es heutzutage lieben und sich begeistert dafür verkleiden – da hat sich etwas gedreht). Ich erfuhr nichts über selten gesehene Gegenden, sondern sah die Schillerstraße ums Eck sowie die Kreuzstraße im benachbarten Hackenviertel: Die leerstehenden Räume des legendären und vor über zwei Jahren geschlossenen Glashauses wurden zum Dreh des Tattoo-Studios verwendet. (Hier Link zum aktuellen Stand Glashaus und Online-Bestellmöglichkeit.)
Ansonsten sauberer Tatort mit einer durch und durch glaubwürdigen Hauptfigur, gespielt von Nina Proll: Solchen windigen “Geschäftsleuten” (übliche Selbstbezeichnung) wie ihr bin ich schon mehrfach begegnet und habe sie zu meiden gelernt – zumindest beruflich, denn sie sind oft ganz charmante Zeitgenoss*innen, diese Serien-Hallodris.
Spät ins Bett, ich habe ja zwei weitere Tage frei und kann ausschlafen.
Journal Samstag, 26. Februar 2022 – Isarlauf, Wohnzimmernachmittag, Operettenabend
Sonntag, 27. Februar 2022Mittelschlechte Nacht, zumindest dauerte der stückweise Schlaf bis sieben.
Gemütlicher Morgen bis ich mich fertigmachte zu einer Laufrunde an der Isar. Das Draußen war bewölkt und kalt, die Luft biss frostiger, als mich die nassen Straßen hätten vermuten lassen.
Ich lief über den Alten Südfriedhof an die Wittelsbacherbrücke, nach Thalkirchen, zur Großhesseloher Brücke und drehte an der Waldwirtschaft um, nahm am Thalkirchner U-Bahnhof nach Semmelkauf eine U-Bahn zurück. Der alte Körper spielte gut mit, erst in der letzten Viertelstunde zwickten die Waden
Samstagvormittag bleibt die beste Sportzeit der Woche: Ich genoss herrlich leere Wege an der Isar. So lief ich zwischen Thalkirchen und Großhesseloher Brücke nach Langem mal wieder Hauptwege, die ich sonst wegen zu vieler Menschen meide.
Unterwegs kam bald die Sonne heraus und wechselte sich mit verschiedenen Wolken ab. Auch an der Isar hatten die Stürme der Vorwoche gewütet, ich sah etliche riesige Baumleichen bereits für den Transport zerstückelt, oft auch nur noch ihre Stümpfe (ordentliche Stadt, hier bleibt nichts lang herumliegen).
Hinter der Wittelsbacherbrücke.
Blick vom Flaucher Richtung Thalkirchen.
Isarwehrkanal.
Der Isarflößer von Fritz Koelle.
Letztes Stück Isarwehrkanal vor der Thalkirchner Brücke.
(Ich bin mit der Bildbearbeitung in der aktuellen Gimp-Version unzufrieden: Während die Bild-Verkleinerung als Ansicht auf dem Bildschirm super aussieht, sind die tatsächlich verkleinerten Versionen fürs Blog deutlich weniger scharf bis zerpixelt. Werde wohl doch Anleitungen lesen müssen.)
Gestern gelernt: Wenn man beim U-Bahn-Fahren weiterhin Abstand hält, kann es passieren, dass einem beim Einsteigen die Tür vor der Nase geschlossen wird. Zum Glück sah mich die U-Bahn-Fahrerin und ließ mich die Tür nochmal öffnen, ich war ausgesprochen verdutzt.
Frühstück um halb zwei: Semmeln, Mandarinen, Halbtrockenpflaumen, und weil ich mich dann immer noch nicht richtig satt fühlte, auch noch Sauerteigcracker – die mir anschließend allerdings sehr schwer im Magen lagen.
Ich hatte einen echten freien Tag, legte mich wegen Bettschwere zu einem Stündchen Siesta hin. Dann Zeitunglesen im Sessel in Sonnenlicht, dominantes Thema natürlich der Angriff Russlands auf die Ukraine. Es ist für die Berichterstattung schwierig, an verlässliche Informationen über aktuelle Abläufe zu kommen; das war in Krisen zwar schon immer so, doch unsere Mediengewohnheiten haben zu deutlich gestiegenen Ansprüchen an Aktualität und Unmittelbarkeit geführt – nur dass Echtzeit sich nicht verträgt mit Prüfung und Absicherung von Information, schon gar nicht mit Einordnung und Analyse.
Apropos Einordnung und Analyse: Gestern fand ich endlich Zeit, mir die arte-Doku über Angela Merkel anzusehen, Angela Merkel – Im Lauf der Zeit. Ich sah sie gefesselt, fand sehr aufschlussreich, wer alles über Erlebnisse mit ihr sprach (durchaus nicht nur Menschen aus ihrem eigenen politischen Lager) und wer nicht – ein “Making of” würde mich arg interessieren.
Jetzt waren die Sauerteigcracker genug verdaut für eine Runde Yoga, ich wiederholte die Move-Folge 24 vom Donnerstag.
Den ganzen Nachmittag über hatte das Abendessen bei niedriger Temparatur im Ofen gegart: Ein Mufflonbraten, den Herr Kaltmamsell schon im Dezember gekauft und eingefroren hatte. Er servierte ihn mit selbst geschabten Spätzle, schmeckte sehr gut – und das Fleisch war fest, aber nicht zäh, schmeckte eher nach Wild als nach Lamm. Dazu gab es ein Glas Lemberger, Nachtisch Süßigkeiten.
Im Fernsehen ließen wir eine klassische (Otto Schenk) Inszenierung von Die Fledermaus laufen, Herr Kaltmamsell liebt die Operette und weiß zu jedem Detail Hintergrund. Ich assoziiere damit am liebsten Florence Foster Jenkins und ihre epochale Interpretation von “Mein Herr Marquis”, die ich, wie ich gestern feststellte, ziemlich trefflich nachahmen kann. (Armer Herr Kaltmamsell.)
Im Bett noch lange gelesen.
§
Auch zum Krieg in der Ukraine gibt es fundierte Expertise. Hier ein Beitrag der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in übersichtlich strukturierten Kapiteln:
“Russischer Angriff auf die Ukraine: Zeitenwende für die euro-atlantische Sicherheit”.
Der russische Angriff auf die Ukraine wird über den militärischen Konflikt hinaus schwerwiegende Folgen für die euro-atlantische Sicherheit haben. In einer ersten multiperspektivischen Lageanalyse nimmt die SWP eine Einordnung vor im Hinblick auf die russische Innenpolitik, die Situation in der Ukraine, westliche Sanktionen und die Antwort der Nato, Chinas Rolle und das Völkerrecht.
Journal Freitag, 25. Februar 2022 – Start in die Faschingsferien mit einem Abend im Weinhaus Neuner
Samstag, 26. Februar 2022Obwohl ich gar nicht so oft nachts wach geworden war, weckte mich das Klingeln in dumpfe Benommenheit.
Zu meinem morgendlichen Zahnärztin-Termin wollte ich wieder das erste Stück laufen (Sonne!), kam aber so spät los, dass ich mich recht hetzen musste und doch ein paar Minuten zu spät eintraf. ABER! Beim Vorbeihasten an der Marienhof-Baustelle hinterm Rathaus hörte ich Spatzen-Tschilpen, das letze Schwärmchen innerhalb des Münchner Altstadtrings scheint stabil.
Diesmal wurde mir in der Praxis nur die neue Knirschschiene angepasst, und zwar durch ein wenig Schleifen. Ich bekam erklärt, dass ein Nebeneffekt der Schiene sei, das Altern der Zahnstellung zu verzögern: Mit den vielen Jahren verschieben sich Zähne beim Menschen aus verschiedensten Ursachen (wir lernen den schönen Begriff “physiologische Mesialdrift”), die nächtliche Knirschschiene bremst das zumindest.
Beim abschließenden Plaudern mit Dr. Dent – sie schließt ihre Praxis über die Faschingsferienwoche – stellte sich endlich die Vorfreude auf die vier freien Tage am Stück ein, deren Start ich eigentlich seit den Weihnachtsferien runtergezählt hatte (sieben Wochen). UND ich hatte eine Restaurantverabredung am Abend mit Herrn Kaltmamsell.
Ruhiges Wegarbeiten im Büro. Mittags Apfel, Pumpernickel mit Butter, Avocado.
Weitere Körperlichkeiten: Der Uterus produziert eine weitere, zwar klägliche, aber eindeutige Menstruation inklusive Krämpfen, was keineswegs die Amplitude oder Frequenz der klimakterischen Temperaturschwankungen vermindert (derzeit ca. zehn Glutattacken täglich plus einige nächtlich). Bei allem Respekt, liebe Natur: Das ist nicht optimal eingerichtet.
Nach Feierabend (HURRA!) ging ich über die Änderungsschneiderei heim und holte den angepassten Rock von Münchner Designerin ab. Es war winterlich kalt geworden.
Daheim war endlich der letzte Bücherschrank angeliefert worden, den ich im Juni 2021 bestellt hatte: Der Liefertermin war insgesamt sieben Mal per Mail verschoben worden, ich hatte bereits nicht mehr daran geglaubt.
Zum Abendessen spazierte ich mit Herrn Kaltmamsell zum Weinhaus Neuner in der Altstadt, das mir beim Vorbeiradeln immer aufgefallen war und auf dessen Website mich die Weinbegleitung zum interessanten Menü angesprochen hatte. Außerdem wirkte das Restaurant angenehm uncool. So waren wir darin auch von Publikum umgeben, das wir von anderen feinen Lokalen in München weniger kannten, wurden zu unserer vollsten Zufriedenheit verköstigt.
Die Weine kamen bis auf den Süßwein zum Dessert aus Magnum-Flaschen, mein Favorit war der kräftige Gemischte Satz Nussberg Ried Rosengartl.
Schöner Raum, witzige Details, freundlicher und kundiger Service.
Erst mal gab es Brot und Obatzten, als “Magenkratzerl” (sic) ein Stück Zwiebelkuchen. Wir stießen mit einem Glas Cremant auf den Abend und den Ferienanfang an.
Erster Gang war geräuchertes Kalbstatar mit Kapernäpfeln und Senfeis, sehr gut. Der Wein dazu: Ein 2020 Riesling „Kieselsandstein“ vom württemberger Weingut Jochen Beurer, duftig in der Nase, erstaunlich rass im Mund – passte wunderbar.
Nächster Gang: Hausgemachte Gambamaultascherl in Safransauce, dazu eben der Gemischte Satz Nussberg „Ried Rosengartl“ vom Weingut Wieninger in Wien, der ganz viel erzählte.
Als Geschmortes Rindsbackerl mit Petersilienwurzelpüree und Ritterzipfel (das ist das Frittierte). Wunderbarst zartes Fleisch, der burgenländer 2017 Blaufränkisch vom Weingut Rosi Schuster passte hervorragend.
Nachtisch war Käsekuchen mit Blaubeeren und Schokoladeneis, dazu eine Kracher Beerenauslese, ebenfalls aus dem Burgenland.
Eingeschenkt wurde großzügig, wir traten unseren glücklicherweise kurzen Heimweg recht betrunken an.
§
Wer konkrete Sanktionen gegen Russland fordert, sollte wissen, wovon die Rede ist. Ich zum Beispiel wusste nicht, was Swift überhaupt genau ist. Nach der Lektüre dieser Erklärung von Capital-Redakteurin Nadine Oberhober weiß ich ein bisschen mehr:
“Wie der Westen per Swift-Ausschluss Russland den Geldhahn zudrehen kann”.
§
Was für eine großartige Idee: Das Kunstmuseum von Baltimore hat sein Aufsichtspersonal gebeten, eine Ausstellung zu kuratieren.
“Meet the security guards moonlighting as curators at the Baltimore Museum of Art”.
via @ankegroener
(Nein, ich halte diese Menschen nicht für besser dazu befähigt als ausgebildete Kunsthistoriker*innen, sondern finde ihre Sicht einfach spannend.)
BMA security officers have been working on it with professional curators and other staffers, leading up to its March 27 opening. Working with various museum departments, they learned what it takes to put up an exhibition — and got paid for it, too, in addition to their regular salaries.
(…)
The BMA has 45 guards. The 17 who applied for the project picked artworks ranging from sixth-century pre-Columbian sculpture, to a 1925 French door knocker, to a 2021 protest painting. The various guards themselves have a wide range of experience. They’ve published poetry, majored in philosophy, tended bar, walked dogs, smiled at nine grandchildren and served in the Army.
(…)
Change was a theme behind several of the artworks the security guards chose for exhibition. Many of the pieces had rarely or never been on view at the museum before.
Was kommt dabei heraus, wenn Laien, die den ganzen Tag von Kunst umgeben sind, die die Werke wahrscheinlich öfter und länger sehen als alle anderen, die Schwerpunkte einer Ausstellung setzen? (Wildes Hinweiswedeln Richtung Münchner Pinakotheken.)
Journal Donnerstag, 24. Februar 2022 – Krieg in der Ukraine
Freitag, 25. Februar 2022Nach mittelguter Nacht mit dreimal KNALLWACH erwachte ich kurz vor Weckerklingeln zu Halbmondlicht, das mich durchs Fenster beschien, und zu Amselflöten (nach Entfernen der Ohrstöpsel).
Schöner Marsch in die Arbeit, Frost auf der Theresienwiese, die sonnige Morgenluft fühlte sich dennoch schon ein bisschen nach Frühling an.
Die ersten beiden Drittel des Arbeitstags waren durch intensive, aber auch hilfreiche Schulung im neuen IT-System belegt.
Mittagessen währenddessen (ein Hoch auf Online-Schulungen): Apfel, Avocado, Hüttenkäse, Orange.
Durch all dieses bekam ich erst am frühen Nachmittag beim Blick nach Twitter mit, dass Putins Truppen tatsächlich in der Ukraine einmarschiert waren und im ganzen Land Städte mit Raketen beschossen. (Der Blick auf die Titelseite meiner Süddeutschen hatte das nicht verraten, der russische Angriff hatte erst nach Andruck gestartet.) Der Tag war gelaufen, das ist wirklich niederschmetternd. Bitte beachten:
Am Nachmittag viel Arbeit, doch die Tage sind inzwischen wieder lang genug, dass es bei Feierabend dennoch noch nicht dunkel war. Letzte Einkäufe fürs Abendessen auf dem Heimweg, denn Herr Kaltmamsell servierte zum Nachtmahl auf meinen Wunsch:
Den Rosenkohl aus frisch geholtem Ernteteil mit zugekauften Champignons und Kastanien. Davor hatte ich noch Zeit für eine Einheit Yoga gehabt und eine Maschine Wäsche gefüllt. Ich guckte nur wenig Zusatzinfo zur Ukraine unter russischem Beschuss nach der Tagesschau, es gibt ja kaum hilfreiche.
Nach den Spoilern in den Kommentaren hier war ich kurz davor, die Lektüre von A little life abzubrechen, eBooks kann man ja gegen Erstattung zurückgeben. Doch dann wollte ich übers erste Zehntel hinaus noch mehr über die vier befreundeten jungen Männer im Zentrum des Romans wissen, die mir gerade erst mit ihrem familiären Hintergrund und ihrer Situation im Leben vorgestellt worden waren.
Dass “der Russ” jetzt tatsächlich das Gebaren an den Tag legt, das meine Generation als Angst der Kriegsgeneration spätestens nach Ende des Kalten Kriegs belächelte, verdränge ich vorerst, gut trainiert durch zwei Jahre Pandemie.
Journal Mittwoch, 23. Februar 2022 – Blaue Stunde über der Theresienwiese
Donnerstag, 24. Februar 2022Mittelgute Nacht, ich hätte gerne länger geschlafen als nur bis Weckerklingeln.
Zu Regen aufgewacht, der bis zu meinem Fußmarsch in die Arbeit aufgehört hatte.
Der Büro-Vormittag bestand in erster Linie aus Auseinandersetzung mit dem neuen IT-System.
Mittags gab es restliche Back-Pastinaken vom Vorabend und ein Glas Birchermuesli.
Der Heimweg war wundervoll: Ich verließ das Bürogebäude zu letztem Sonnenschein aus wolkemlosen Himmel und in milder Luft, und als ich nach ein paar Supermarkteinkäufen (im großen Edeka gab es keinerlei frische Champignons – ist was?) die Theresienwiese querte, geriet ich in die blaueste aller blauen Stunden. Letztes Rosa über dem westlichen Rand, eine intensiv mittelblaue Himmelskuppel, die Lichter der umliegenden Häuser leuchteten, kreuzende Radler*innen und gassi-geführte Hunde mit Leuchthalsbändern ergaben ein magisches Szenario. Ich blieb immer wieder stehen, drehte mich, freute mich an dem Schauspiel.
Daheim eine lockere Runde Yoga, zum Nachtmahl servierte Herr Kaltmamsell zweierlei Humus vom Vortag (eines mit viel frischem Estragon – gut!), das wir mit Gurken-Sticks und Stangensellerie aßen, davor hatte er als Was Warmes Feta paniert und gebraten. Nachtisch Schokolade.
Die Lektüre von Hanya Yanagihara, A little life angefangen – ich wurde sofort komplett eingesogen worden in diese Leben von vier miteinander befreundeten Männern in Manhattan. Im Gegensatz zu den Filmfiguren in We begin at the end bekam ich es hier mit Menschen zu tun, denen ich wirklich zu begegnen schien. Ich erkannte sie, auch wenn ich nie in Manhattan gelebt habe, auch wenn mein Leben ganz weit weg ist. Familien, Freundschaften, Sorgen, Kunst, der Umgang der Personen miteinander – Yanagihara schreibt so gut, gleichzeitig flüssig und präzise, dass ich das alles in 3D vor mir sah und selbst ergänzen konnte. Schon die Beschreibung der U-Bahn-Fahrten ließen mich mitfahren.
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Sozialwissenschaftler Jan Philipp Reemtsma im Interview über die Proteste gegen die Corona-Maßnahmen.
“Jan Philipp Reemtsma: ‘Wütende Menschen beginnen einander zu ähneln'”.
Wenn mir jemand sagt, dass er sich wegen einer Impfkontrolle stigmatisiert fühlt, dann will ich ihm gar nicht absprechen, dass er das in dem Augenblick wirklich meint, das heißt, dass er sich in ein Gefühl hineintheatert hat und dieses Theater, das er selber veranstaltet, für die Wirklichkeit hält. Ich kann höflicherweise so tun, als würde ich das ernst nehmen, und mit ihnen reden – aber wenn die merken, dass ich das, was sie sagen, in Zweifel ziehe, dann gehen sie zu anderen, die es auch so sehen wie sie. Ist doch klar, da fühlen sie sich wohler.
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Acht Jahre Techniktagebuch – wieder gesammelt als E-Book.
Ich bedaure sehr, mich seit Monaten nicht mehr zu engagieren – die TT-Redaktion wird immer meine liebste bleiben.
Journal Dienstag, 22. Februar 2022 – Chris Whitaker, We begin at the end
Mittwoch, 23. Februar 202222.2.2022 – schöner wird’s erst in 200 Jahren.
Bis vier war die Nacht ganz gut gewesen. Dann nicht mehr.
Ein kalter Morgen, aber trocken. Ich marschierte zackig in die Arbeit, um nicht zu frieren.
Im Büro vormittags vor allem Besprechungen und Beratungen. Draußen kam immer wieder wilder Wind auf, manchmal warf er mit Regen.
Zum Mittagessen Pumpernickel mit Butter, Orangen.
Auf dem Heimweg ein kurzer Einkaufsabstecher. Zwischen Wohnblöcken im Westend, aber auch in vielen Vorgärten der Gründerzeitvillen um die Theresienwiese lagen die in Stücke gesägten Stämme zum Teil riesiger Bäume, die die Stürme der vergangenen Tage beschädigt oder gefällt hatten und machten mich traurig.
Daheim nochmal die interessante Yoga-Folge vom Montag, diesmal etwas weniger verwackelt – in erster Linie weil ich die Abfolge der Übungen bereits kannte. Danach knetete ich wie schon am Morgen meine Waden mit der Blackroll.
Zum Abendessen hatte Herr Kaltmamsell die Ernteanteil-Pastinaken nach Ottolenghi gekocht und im Ofen mit Parmesan gebacken, dazu Kichererbsendinge gemacht: Kichererbsen mit Tomaten-Sahnesauce und Nudeln, außerdem zwei Sorten Hummus. Hummus schaffte ich nicht und verschob es auf Mittwochabend, die Kichererbsen mit Nudeln und die Pastinaken schmeckten ganz ausgezeichnet.
Chris Whitaker, We begin at the end ausgelesen. Der Krimi hatte mich gefesselt, ich mochte seine Düsternis, interessierte mich für die Hauptfiguren – auch wenn sie sich nicht wie echte Menschen lasen, sondern wie Filmfiguren, zum Beispiel
– ein US-Kleinstadtpolizist, der nie aus seiner Geburtsstadt rausgekommen ist, und seine Loyalität zu dem Jugendfreund, der wegen einer fahrlässigen Tötung (wahrscheinliche Einordnung im deutschen Rechtssystem) Jahrzehnte im Gefängnis verbrachte, kurz nach seiner Entlassung erneut eines Mordes angeklagt wird
– das 13-jährige vernachlässigte Mädchen, Tochter einer Jugendfreundin des Polizisten, das beschlossen hat, ein outlaw zu sein, sich gleichzeitig mit Hingabe um ihren kleinen Bruder kümmert
– die rührenden Versuche ihrer Umwelt, an dieses Mädchen ranzukommen.
Mir gefiel auch, wie die Handlung lieb gewonnen Figuren immer tiefer sinken lässt, zum einen weil sie verheerende Entscheidungen treffen, zum anderen weil böse Menschen ihnen Böses antun – das ließ mich so manche vorhersehbare bis kitschige Wendung verzeihen. Doch dass die Geschichte am Ende alle Fäden mit der Glätte eines viktorianischen Romans verbindet und fast schon gewaltsam ein Happy End dengelt – das nahm ich ihr sehr übel. Beim Zuklappen des Buchs fühlte ich mich klebrig.
§
Wladimir Putin, Präsident der Russischen Föderation (vorher russischer Staatspräsident, davor seit 1999 Ministerpräsident) bereitet Schritt für Schritt eine Invasion der Ukraine vor, mit immer abwegigeren Rechtfertigungen. Die Situation fühlt sich für mich wider besseres Wissen in erster Linie lächerlich an – das kann doch niemand ernst meinen. (Doch, kann, ich weiß.)
Am meisten beeindruckte mich die Verurteilung der russischen Aggression und ihrer Begründung durch Martin Kimani, Botschafter Kenias bei den Vereinten Nation, in der Sondersitzung des UN-Sicherheitsrates (hier in Schriftform, zudem hier eine Übersetzung ins Deutsche).
§
Was Wissenschaft auch ist: Offen zu sein für Erkenntnisse, nach denen man in einem Versuchsaufbau gar nicht gesucht hatte. In Australien wollte ein Forschungsteam mehr über die Bewegungen einer Gruppe Elstern herausfinden und versah sie mit Trackern. Und fand dabei heraus, dass sie kooperativ und schlau genug sind, einander von diesen Trackern zu befreien.
“Altruism in birds? Magpies have outwitted scientists by helping each other remove tracking devices”.
While we’re familiar with magpies being intelligent and social creatures, this was the first instance we knew of that showed this type of seemingly altruistic behaviour: helping another member of the group without getting an immediate, tangible reward.
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Sprache bei der Arbeit zusehen: Möglicherweise erleben wir gerade das Entstehen einer neuen Kommaregel.
“Aufgrund des Sprachgefühls, kommt hier ein Komma hin: Das Vorfeldkomma”.
via @kathrinpassig
Begenet auch mir hin und wieder beim Korrekturlesen, ließ mich immer an englische Kommasetzung denken. Noch streiche ich es.
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Vorstellung eines Fotobands:
“Italienische Discos sehen toll aus – auch als Ruinen”.
via @goncourt