Archiv für März 2022
Journal Mittwoch, 30. März 2022 – Jen Gunter, The Menopause Manifesto
Donnerstag, 31. März 2022Nacht mit langem Loch ab halb vier – in dem ich mir zumindest ein paar Ideen fürs Abendessen ausdachte. (Und wenn die Klimakteriums-Begleiterscheinung “Brain fog” schlicht die Folge von Schlafentzug ist?)
Ich ernenne die Lessingsstraße zu Münchens Klein-Bonn. (Bin mir allerdings der starken Konkurrenz aus der Agnesstraße bewusst.)
Bedeckter Himmel den ganzen Tag, es war auch kühler geworden. Reichte aber nur zu ein paar Tropfen Regen.
Diesmal gab’s zu Mittag tatsächlich den Hüttenkäse, und zwar mit frischer Maracuja, davor ein Laugenzöpferl.
Vielfältiger Arbeitstag, doch ich war nicht zu spät fertig.
Auf dem Heimweg Obst und Brot gekauft, denn es sollte unter anderem Käse zum Abendessen geben. Zu Hause aber erst mal Nachtisch für Donnerstagabend gekocht (wir haben einen Gast!), dann eine Runde Yoga absolviert.
Neben Käse vom Tölzer Kasladen hatte Herr Kaltmamsell noch etwas vom Einkaufen mitgebracht – erster Gang des Nachtmahls mit Roggenbrot:
Tier in Form von Markknochen, gegrillt – zum ersten Mal in Deutschland beim Metzger gesehen, wir löffelten es auf Roggenbrotscheiben. Und dann ganz wundervollen Käse: Nach diesem holzfeurigen Scamorza, innen noch richtig mozzarellig, werde ich nie wieder Supermarkt-Scamorza kaufen. Dazu rote Paprika, Trauben, Birne. Es passte nur noch wenig Schokolade dahinter. Dann war ich sehr, sehr satt.
§
Jen Gunter, The Menopause Manifesto ausgelesen – an einem Tag, der wieder mehrere Glutattacken pro Stunde brachte. Zefix.
Die für mich relevante Info waren etwa 20 Prozent des Buchs, ein Aufsatz hätte also gereicht, die aber sehr gründlich und tief erklärt. Großes Lob für die wissenschaftliche Absicherung praktisch aller Fakten, Hinweise und Erklärungen im Buch.
Ausführlich widerlegt Gunter, eine Gynäkologin, Vorurteile und Stereotypen über Frauen in und nach den Wechseljahren – denen ich noch nie begegnet bin. Aber ich musste mich persönlich auch noch nie mit der Behauptung auseinander setzen, eine Frau erhalte ihren Wert durch gelungene Fortpflanzung, meine Wahrnehmungs-Blase scheint klein und kuschlig zu sein – und bei mir funktionierte nicht mal zu Teenagerzeiten die Indoktrination, dass der Wert einer Frau, eines Menschen an seiner sexuellen Attraktivität hängt. Auch der Blick auf die Medizinhistorie zum Klimakterium seit der Antike interessierte mich wenig.
Ärztliche Tipps für die Wechseljahre: Herz und Blutdruck im Auge behalten, abnehmen, Sport treiben, gesunde Ernährung – das ging nicht viel über Frauenzeitschriften hinaus, die aufgeführten Belege für einen Zusammenhang mit Wechseljahr-Beschwerden sind dünn. Angeblich werden die Beschwerden durch Gewichtsabnahme geringer, in meinem Fall wurden sie parallel zum Gewichtsverlust der vergangenen Monate stärker. Genauso wenig trifft die statistisch höhere Häufigkeit von Glutattacken bei höherer Außentemperatur auf mich zu. (Andererseits: Wenn ich in der kalten Jahreszeit bis zu drei Attacken pro Stunde habe – wird das am End’ bei Sommerhitze noch schlimmer?!)
Auch sonst fand ich mich in vielen Beschreibungen nicht wieder: Nein, meine hot flushes bestehen nicht aus rotem Kopf (nie) und Hitzegefühl in Oberkörper und Armen verbunden mit Schweißausbrüchen. Sondern in unangenehmer Glut aus dem Oberkörper, die allerdings manchmal ganz praktisch auch kalte Füße aufheizt.
Aber ich lernte durchaus, u.a. dass die derzeit hohe Frequenz meiner Glutattacken auf ein besonders rapides Absinken des Hormonspiegels hinweist, das kennt man sonst von jüngeren Frauen, denen die Gebärmutter samt Eierstöcken entfernt wurde. Interessant fand ich auch die Messbarkeit der Attacken (Puls, Körpertemperatur), dass aber ein Abgleich mit dem subjektiven Empfinden sich nicht unbedingt deckt (manche Frauen bemerken sie nicht).
Superinteressant: Gunter nennt Zahlen, in welchen Industrienationen Frauen welche Therapie bei Problemen (extrem starke Blutungen) bevorzugen – und setzt sie in Beziehung zur Kostenstruktur im Gesundheitswesen. So weist sie recht einfach nach, dass die deutlich überdurchschnittlich vielen Totaloperationen in den USA schlicht die kostengünstigste Lösung für Frauen sind, die “done with it” sein wollen – also nicht weiter für Medikamente und Artzbesuche zahlen wollen/können.
Der für mich zentrale Input war der zur Hormonersatztherapie: Ich hatte irrtümlich angenommen, dass eine Hormontherapie den Scheiß lediglich rauszögert, dass jede Frau früher oder später durch ihre persönlichen Klimakteriumsbeschwerden durchmuss, von praktisch keine (30%) über mittelschwer (30%) bis schwer (30%). Jetzt habe ich begriffen, dass externe Hormongabe die Symptome mildern kann, bis der Hormonstoffwechsel des Körpers mit der Umstellung durch ist. Und habe bereits einen Arzttermin vereinbart (drücken Sie mir die Daumen, dass der bislang unbekannte Herr etwas taugt).
Wofür ich wieder keine ausführlichen Kapitel gebraucht hätte: Für die Beweisführung, dass keine medizinischen Produkte vor Einführung in den Verkauf so genau geprüft werden, ab Verkauf so minutiös getrackt und überwacht werden wie die von “Big Pharma”, also von hochprofessionellen Pharmaunternehmen. (Weswegen Sie ja auch jeder Werbung für anscheindende Arzneien misstrauen sollten, die nicht mit “Zu Risiken und Nebenwirkungen etc. etc.” begeleitet wird: Hohe Wahrscheinlichkeit von reinem Marketingprodukt ohne erwiesene Wirkung.) Mich muss man auch nicht minutiös durch die Argumente führen, mit denen die Unzuverlässigkeit und die Risiken “natürlicher Mittel” belegt werden.
Und ein großes Kapitel über “gesunde” Ernährung hätte ich wirklich nicht gebraucht, dankeschön (Gut-Kärtchen allerdings für die Betonung, wie empirisch wacklig alle wissenschaftlichen Aussagen in diesem Feld sind). Oder ein weiteres über Nahrungsergänzungsmittel – das lediglich wiederholen kann, dass es keinen gesicherten Nutzen gibt. Über Verhütung in den Wechseljahren brauchte ich ebenfalls keine Information (*schnippschnapp* mit 30, bzw. *schmurgel*).
Grundsätzliche Erkenntnis: Ja, Frauen sollten über das Klimakterium ebensogut informiert sein wie über die Pubertät, lassen Sie uns mehr darüber sprechen.
§
Markus Theunert vom Dachverband Schweizer Männer- und Väterorganisationen nimmt die Kriegs-getriebenen Schmähungen menschlicher Männer auseinander:
“Sie träumen schon wieder von harten Kerlen”.
Es gibt eine Grundlage, auf die sich alle Fachleute der Geschlechterforschung und Männerarbeit verständigt haben: Männlichkeit bezeichnet als Begriff und Konzept die Gesamtheit der Anforderungen, die sich an Männer richten. Sie sind kulturell vermittelt, nicht gott- oder naturgegeben. Am männlichsten ist, wer diesen Männlichkeitsimperativen am meisten entspricht. Das ist jedoch eine unmögliche Mission. Bereits die traditionellen Männlichkeitsanforderungen – in jeder Lebenslage leistungsstark und souverän sein – waren unerreichbar. Ihre widersprüchliche Teilmodernisierung – in jeder Lebenslage leistungsstark und souverän bleiben, aber bitte gleichzeitig auch noch einfühlsam, sozialkompetent und männlichkeitsreflekiert sein – sind erst recht unerfüllbar. So mäandern viele Männer eher verwirrt als bestimmt durch die geschlechterpolitische Transformation und sind vor allem eins: orientierungslos ob all der Doppelbotschaften, die auf sie einprasseln. Denn so vehement die modernisierte Norm des entgifteten Mannes eingefordert wird, so hartnäckig halten die Institutionen – nicht nur in der Arbeitswelt – am Ideal des allzeit verfügbaren Superperformers fest.
(…)
Das Patriarchat kann sich nur halten, solange Männer und nicht Männlichkeitsnormen als Wurzel des Übels gelten. Als besonders wirkungsvoll erweist sich dabei, Männer in einem permanenten Gefühl des Ungenügens zu halten, verbunden mit der Angst, ihre Defizite an «echter Männlichkeit» könnten auffliegen. Denn solange genügend Männer genügend Schiss vor ihrem individuellen Versagen haben, so lange können sie sich nicht verbünden im gemeinsamen Kampf gegen ein patriarchales System, das ihnen genauso schadet wie Frauen und Kindern und das diese Angst vor dem individuellen Ungenügen als Machtmittel kultiviert.
Der SPIEGEL-Artikel ist in der Abwertung männlicher Vielfaltsbemühungen ein wunderbares Beispiel, wie pseudoemanzipatorische Reproduktion patriarchaler Macht funktioniert. Er redet Männern ein, ihre tastenden Versuche, die Männlichkeitskorsette ihrer Vorväter zu sprengen, seien schwächlich. Wer sich etwas mit männerrechtlerisch-antifeministischen Ideologien auseinandersetzt, weiss: «Schwächlich» ist die Chiffre für «weiblich». Das ist das bespielte Ressentiment: die heutigen Männer verweiblichen. Um Putin & Co. die Stirn zu bieten, brauchen wir wieder «echte Männer» (oder Frauen, die gelernt haben, sich wie solche zu verhalten).
Das ist eine perverse Umkehr der Sachlage: Autoritäre Machtmänner führen die Welt an den Abgrund eines dritten Weltkriegs. Ausbeuterische Männlichkeitsideologien führen den Planeten an den Abgrund der Klimakatrastrophe. Und der Weg aus dem Schlammassel soll das Revival der autoritären Machtmänner und der ausbeuterischen Männlichkeitsideologien sein – einfach in zeitgeistig-ausbalancierter frischer Verpackung?
Journal Dienstag, 29. März 2022 – Rockänderungen
Mittwoch, 30. März 2022Guter Nachtschlaf, nur zweimal unterbrochen, das zweite Mal gegen halb vier von einem ausdauernden Brüller im Park: Schlichtes Brüllen durch geöffneten Mund, Typ Urschrei, im Rhythmus mit dem Atem – Einatmen, Brüllen, Einatmen, Brüllen. Ich bekam zwar mit, wie ihm dabei langsam die Stimme versagte, wollte aber nicht so lange warten und schloss das Fenster. Das nächste Mal wachte ich kurz vor Weckerklingeln auf, was ein Glück war, weil ich wieder vergessen hatte ihn einzuschalten.
Weg in die Arbeit jetzt unter bedecktem Himmel, weiter kein Regen. Dafür soll’s am Wochenende in München nochmal schneien.
Ein unruhiger Arbeitstag mit wenig Erfreulichem, nachlassender Schmerz über Missstände musste zur Erbauung reichen.
Mittagessen gab es wegen Terminverschiebungen spät – und knapp, denn ich hatte einen Teil daheim vergessen. Also aß ich nur einen Apfel und ein halbes Volkornbrot, der geplante Hüttenkäse räkelte sich im heimischen Kühlschrank. Auch schon wurscht, der Ärger des Tages ließ eh keinen Appetit zu.
Nach Hause (Wolkenhimmel, nur noch Frühlings-warm) ging ich über die Änderungsschneiderei ums Eck: Meine seit vielen Jahren liebsten vier Sommerröcke lasse ich mir für die geliehene Figur passend machen. Wenn ich dann rauswachse, ist Neukauf in Ordnung, sie haben lang genug gedient. Die Angestellte warnte mich nach dem Abstecken, dass das keine günstige Angelegenheit wird, weil auch Reißverschlüsse versetzt werden müssen und ein Faltenrock dabei ist, aber es wird immer noch günstiger und vor allen ressourcenschonender als Neukauf. Zudem unterstütze ich das Kleingewerbe in der Nachbarschaft.
Daheim turnte ich Yoga (ohne Umfallen trotz Balancieren), der sehr erschöpfte Herr Kaltmamsell servierte zum Nachtmahl den schwarzen Rettich aus Ernteanteil (immer problematisch, weil uns dazu nichts außer Rohkost einfällt) als Pfannengericht mit Sojahack, dazu Reis. Schmeckte hervorragend, ab sofort ist schwarzer Rettich kein Problem mehr. Zum Nachtisch gab es Schneekuchen, den er am Nachmittag gebacken hatte. (Jetzt sind auch die letzten Eiweiße aus der Gefriere aufgebraucht.)
Früh ins Bett zum Lesen.
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Ein Filmchen über den Apfelgarten des Kartoffelkombinats, den wir vor gut einem Jahr übernommen haben. Gärnter Fussi erklärt den Unterschied zwischen Plantage und Streuobst.
https://youtu.be/JzpJTvm0Ibg
Journal Montag, 28. März 2022 – Roten Oscarteppich nachgeholt
Dienstag, 29. März 2022Mittelgute Nacht, die auch nur bis halb fünf dauerte. Benebelter Vormittag.
(Erkennen Sie das Mittel gegen Jetlag durch Zeitumstellung? Gründliche Schlafstörung bereits viele Monate davor! Kommt auf meine Liste eigener Gesundheitstipps gleich nach Hüft-TEP gegen Migräne.)
Na gut: Das Hanteltraining war wohl doch mal nötig gewesen – ich spürte vormittags leichten Muskelkater in Bauch (!) und Beinrückseite.
Auf dem Weg in die Arbeit sah ich Frost auf der Theresienwiese, über den Tag stiegen die Temperaturen aber wieder auf Frühsommer.
Der angeschnittene Finger ließ sich Zeit mit Heilen: Schmerzte, war geschwollen und blau, ließ sich nur wenig biegen. (Tipp: Googlen Sie im Klimakterium nicht die Symptome für Sepsis, zu große Schnittmenge.) Ich ließ versuchsweise das Pflaster weg – das war eine gute Idee.
Derzeit bin ich mangels Filmkonsum so weit weg von Hollywood, dass ich die Oscars erst vormittags über Twitter mitbekam. (Oh – ich habe Liza Minelli verpasst!)
FAST herausgefunden, wie dieses “Essen vergessen” funktioniert (ist mir eigentlich ein Rätsel, anders als Nichtessen): Mein Bauch hatte seit ca. 10 Uhr eh Hunger, was ich mangels Appetit ignorierte, also fiel mir nicht weiter auf, dass er auch um 13 Uhr Hunger hatte, weil immer noch kein Appetit. Erst der Blick auf Nachmittagstermine erinnerten mich daran, dass ich bis dahin etwas gegessen haben sollte. Es gab Vollkornbrot mit Butter, Äpfel, Mandarinen.
Good, good, very good, not good, NOT GOOD, good, LOVELY, good, wait what, good, no, bla, good, yes SIR, awww, good, wait who, surprise, good, good, no hahaha, NO.
(In der Mittagspause schnell den roten Oscar-Teppich durchgeklickt. Zu vielen Outfits hätte ich sehr gerne die Ingenieurskunst dahinter erfahren, mit der der Schwerkraft getrotzt wurde.)
(Wobei dieses Juwel bei Vogue fehlte.)
Nachmittags Arbeit samt Terminen, ich riss mich für einen kurzen Hofgang in der frühsommerlichen Sonne los.
Nach Feierabend verließ ich das Bürohaus mit offenem Mantel, Umwege für kurze Einkäufe bei Edeka und Vollcorner. Meine Referenzmagnolie bewundert.
Zu Hause eine Runde Yoga, bestehend aus ruhigem Dehnen und Halten. Herr Kaltmamsell erinnerte mich in der letzten Abenddämmerung an den Balkon-Ausguck – und tatsächlich sah ich die ersten beiden Fledermäuse der Saison. Der Herr servierte zum Abendessen das restliche Gulasch vom Vorabend mit frisch gekochten Nudeln, Krautsalat war auch noch da. Als Nachtisch aß ich sehr viele Schokonüsse.
Früh ins Bett zum Lesen, meine aktuelle Lektüre Menopause Manifesto ist nach der Hälfte beim wirklich interessanten Teil angekommen: Hormonersatztherapie, zu der ich anscheinend viel Falsches im Kopf hatte.
Journal Sonntag, 27. März 2022 – Tanztee
Montag, 28. März 2022Sommerzeit! Wie fast jedes Jahr sorgt die Umstellung dafür, dass Tageslicht und meine innere Uhr synchronisiert werden: Gefühlt war es in den vergangenen zwei Wochen deutlich zu früh dunkel geworden.
Ich hatte gut (nur dreimal aufwachen) und lang geschlafen. Mein Sportrucksack war fürs Schwimmen fast fertig gepackt, während ich überm Milchkaffee den Blogpost fertigschrieb und die Bilder bearbeitete – da meldeten sich doch Bedenken: Der Fingerschnitt schmerzte unerwartet heftig, und obwohl er nur noch leicht nässt, vernahm ich eine Stimme der Vernunft. Hände sind beim Kraulen nun wirklich heftig im Einsatz, und selbst wenn die bereits durchgeplante Fingerschutz-Konstruktion mit Pflaster plus abgeschnittenem und mit Hansaplast festgepapptem Finger eines Gummihandschuhs halten würde: War es wirklich SO schlimm, sicherheitshalber aufs Schwimmen zu verzichten? Zumal es für den Tag ja bereits weitere Bewegungspläne gab?
Also plante ich um auf Ganzkörper-Hanteltraining mit Fitnessblender – hatte ich seit Monaten nicht mehr gemacht. Es wollte allerdings schwer erarbeitet werden: Erst übertrug mein Laptop die Aufwärm-Musik nicht an die externen Lautsprecher, ich turnte Laptop-beschallt. Dann erreichten weder Smartphone noch Laptop den Fernseher zur Übertragung des Trainings, zuletzt bekam gar kein Gerät mehr Internet, um die Trainingseinheit überhaupt vorzuspielen. Herr Kaltmamsell startete letztlich den Router neu, dann endlich konnte ich mit einiger Verzögerung loslegen. Zu meiner Freude hatte ich keinerlei Mühe mit dem Training und weiß jetzt, dass die fast täglichen Yoga-Einheiten hinreichend Kräftigung enthalten.
Die Bäume des benachbarten Parks und um unser Haus überschlagen sich mit Blätterwachstum: Das waren binnen 24 Stunden sicher ein paar Zentimeter. Durch einen weiteren vorzeitigen Frühsommertag spazierte ich zum Semmelholen, die Tische vor allen Cafés dicht besetzt. Frühstück um zwei waren Semmeln und Mandarinen.
Und dann machte ich mich fertig zum Tanztee! Der Newsletter des Kulturreferats der Stadt München hatte einen Tanztee von 15 bis 17 Uhr im Wirtshaus am Bavariapark angekündigt, also fußläufig, “Tanzen zur Live-Musik von 1900 bis 1960”. Noch sichern Pandemievorschriften, dass der Impfstatus von Teilnehmenden überprüft wird, dass Masken im Innenraum getragen werden (das Ende von Corona wurde offiziell auf 2. April verschoben, derzeit erreichen die Infektionszahlen immer neue Höchstwerte – und das bei einem Anteil an positiven PCR-Tests über 50 Prozent, was auf sehr viele nicht erfasste Infektionen hindeutet; der Betrieb in Unternehmen, Schulen, Krankenhäusern ist durch Ausfall von Personal deutlich gestört) – nach kurzer Rücksprache mit Herrn Kaltmamsell, der sehr gerne tanzt, hatte ich uns angemeldet. Und nach negativem Selbsttest am Morgen war der Weg frei.
Zum schwingenden Faltenröckerl kramte ich ein ganz altes Oberteil heraus und stellte fest, dass ich im Größensystem von Zara immer noch ein L bin. Eigentlich ein XL, denn das T-Shirt Größe L kniff ein wenig unter den Armen. Im Größensystem von Boden oder More & More stehe ich derzeit bei S. Und an alten Kleidungsstück kann ich sehen, dass heute mit Größe 36 ausgezeichnet wird, was vor 20 Jahren Größe 38/40 war – manchmal frage ich mich, wozu Konfektionsgrößen überhaupt noch gut sein sollen.
Mir fiel ein, dass ich passende Sommer-Handschuhe besitze, die perfekt für einen Tanztee dienten.
Mit Jacke überm Arm spazierte ich mit Herrn Kaltmamsell über die Theresienwiese zum Wirtshaus (Biergarten bereits gut gefüllt) (im März!), dort in einem Nebenraum saß bereits die Musik: das Salonorchester Jalousie.
Und es spielte ganz wundervoll Musik, die mich allein schon im Arrangement an alte UFA-Filme erinnerte – erstaunlich viel davon waren gemütliche Tangos. Wir tanzten viel, auch Foxtrott, Pasodoble, Polka, Langsamen Walzer, aber nicht alles (irgendwann wurden Wiener Walzer zu schweißtreibend), es gab genug Platz, und Tanzen ging mit FFP2-Masken ganz wunderbar. Wenn ich auch die einzige mit Handschuhen war: Andere hatten Fächer dabei, die Füchsinnen, daran hatte ich nicht gedacht. Der Altersdurchschnitt der Tanzpaare war erwartungsgemäß hoch, wir passten also genau rein.
Wenn Sie sich für solche Tanzereien und Volkstanzgelegenheiten in München interessieren, empfehle ich den Newsletter des Münchner Kulturreferats dazu, hier abonnierbar. Eben sehe ich, dass es mittlerweile sogar vier verschiedene Newsletter zu den Themen Jodeln, Musizieren, Singen und Tanzen gibt – angefangen hat das mit einer Papierliste vorm Tanzraum im Hofbräuhaus, in die ich meine E-Mail-Adresse schrieb, um über anstehende Volkstanz-Veranstaltungen benachrichtigt zu werden (Omma erzählt von Kriech).
Rückweg über die knallsonnige Theresienwiese, auf der viel gesportelt und gespielt wurde. Zurück daheim arbeitete ich den Bügelberg ab, beschienen von Sonne im Wohnzimmer.
Wer gerne Blusen trägt, muss Blusen bügeln.
Herr Kaltmamsell hatte das Nachtmahl gekocht, auf meinen Wunsch ein Gulasch aus Nierenzapfen nach einem Rezept aus Petra Hammersteins Zart und saftig. Dazu briet er die restlichen Kartoffelnudeln vom Vortag, das Weißkraut aus Ernteanteil hatte er zu Krautsalat verarbeitet – mit Meerrettich, Idee vom Wirtshausessen am Sonntag davor.
Schmeckte hervorragend. Nachtisch Schokolade.
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Definitive Verschönerung meines Tags: Eine Eule namens Tito. (Ich hätte sie ja Dajan genannt.)
Journal Samstag, 26. März 2022 – Waldschwimmen in Frühlingsausbruch
Sonntag, 27. März 2022Mittelgute Nacht, die um fünf endete; zumindest hatte ich samstäglich Zeit für eine Stunde Dösen.
Wegen aufgeschnittenem Finger zog ich die für Sonntag geplante Laufrunde vor – ich wollte die Chance erhöhen, statt dessen am Sonntag Schwimmen zu gehen. Da ich so früh aufgestanden war, kam ich auch früh los.
Der wieder wolkenlos strahlende Sonnenschein (ich dachte an Sonnenbrille und sogar an Sonnencreme!) machte die Auswahl der Sportkleidung kompliziert: Ich wollte nach Thalkirchen radeln (Bauarbeiten an der U3/U6 machen derzeit eine Anreise mit Öffis kompliziert), bei jetzt erst 6 Grad Lufftemperatur brauchte ich dafür Mütze, Handschuhe, Jacke. Doch während des Laufs würde es bis 16 Grad warm werden: Kurze Ärmel, 3/4 Hose. Ich entschied mich für Lagen, Mütze und Handschuhe stopfte ich nach Fahrradparken vorm Tierpark in die Jackentaschen, die Jacke rollte ich zur Wurst und band sie mir um den Bauch. Funktionierte!
Der Boden war genau so knochentrocken, wie er hier aussieht.
Es wurde ein sehr schöner Lauf mit leeren Wegen (Samstagfrüh halt), Frühlingsblümchen, erstem grünen Schleier in den Bäumen – und Tiersichtungen: Auf dem Isarhochweg vor Pullach kreuzte ein Fuchs gemütlich den Waldweg und spazierte langsam (und etwas mühsam – ein alter Fuchs?) zwischen den Bäumen. Und auf dem Rückweg sah ich neben dem Isarwehrkanal einen prächtigen Grünspecht von einem Baum zum anderen fliegen.
Hinterbrühler See.
Blick von der Großhesseloher Brücke nach Norden.
Sign of the times – natürlich auch in Graffiti.
Buschwindröschen – kurz bevor ich den Fuchs sah. (Wenn es Waldbaden gibt – kann man dann auch Waldschwimmen?)
Burg Schwaneck – dank winterkahler Bäume nicht nur vom Isartal aus sichtbar.
Isartal und Pullach Richtung Süden.
Blick von der Großhesseloher Brücke nach Süden.
Thalkirchner Brücke.
Die geplante Strecke lief ich nicht ganz zu Ende, weil ab 70 Minuten meine Waden zwickten, auf 90 Minuten Lauf war ich dennoch gekommen und freute mich daran. Fürs Heimradeln brauchte ich dann keine Mütze und Handschuhe mehr.
Daheim ausführliche Körperpflege (alles rasiert, gestutzt, gecremt), dann radelte ich erst noch in die Maxvorstadt und kaufte Espresso.
Frühstück um zwei: Brot mit Blattspinat vom Vorabend (bocadillo de espinacas – sehr schmackhafte Idee) sowie alle Birnen, denn ich hatte mich bei Einkaufen verschätzt (ich hatte mich also ver-kauft, haha) – die Birnen waren gar nicht nachreif-bedürftig, sondern hatten alle innerhalb von zwei Tagen faule Stellen bekommen.
Wie erhofft wurde ich davon bettschwer und legte mich für eine Stunde Siesta schlafen.
Dann weitere Häuslichkeiten: Ich hatte eine Banane reifen lassen, um – vor allem für Herr Kaltmamsell, der es vermisst hatte – BaNuSchoko-Granola zu backen.
Aus den erstmals rundum offenen Fenstern der Wohnung tönte das Draußen herein: In unserer früheren Wohnung wurde ein 30. Geburtstag gefeiert (handschriftlicher Zettel mit Hinweis am Hauseingang) (und ich sag’ noch zu Herrn Kaltmamsell: “Dir ist klar, dass das unsere Kinder sein könnten?”), wegen des sensationellen Wetters auch sehr auf dem Balkon. Ich war gerührt: Wie fröhlich gefeiert sie haben! Wie mitgesungen zu lauter Musik, wie gelacht!
Und unsere Kastanien vorm Fenster geben seit Freitag Pfötchen!
Kulinarisch war gestern Tag der Nicky Stich, auch zum Abendessen setzte ich ein Rezept aus ihrem Buch Sweets um: Süße Fingernudeln.
Ich hatte einige Mühe, da der Ernteanteil speckige Kartoffeln statt der geeigneten mehligen enthalten hatte, das machte den Teig ziemlich klebrig statt samtig. Dem Geschmack schadete es nicht.
Passenderer Name für die Süßspeise: Moormaden? Dazu tranken wir einen spanischen Gewürztraminer Enate von 2016 aus der Region Somontano (er hatte ein paar Jahre auf seinen Einsatz gewartet), der ganz hervorragend passte – und mit seiner Aromen-Vielfalt ein beispielhafter Vertreter der nicht-trockenen Weißweine ist.
Schokolade passte trotz Süß dahinter.
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Die Washington Post begleitet aus der Ukraine Geflohene in der Situation nach dem reinen RAUS! Innerhalb kurzer Zeit müssen sie für sich und ihre Familie entscheiden: Wohin jetzt?
“They made the choice to flee Ukraine. But the next question is where to go.”
For the 3.5 million people who have fled Ukraine during the month-long war, the first decision they make as a refugee is nothing less than how to live as one. That begins with the basic questions of what bus or train to board, how far to go from Ukraine, and it continues well after with the calculation about how thoroughly to remake their lives, and how hopeful to remain about eventually returning home.
Für mich unvorstellbar: Von jetzt auf gleich mein bisheriges Leben aufzugeben, alle Pläne und Hoffnungen fahren zu lassen – und mich sofort für eine komplett neue Zukunft entscheiden zu müssen. Was ja nicht nur der Fall für die Geflohenen aus der Ukraine ist, sondern auch für all die Menschen, die zum Beispiel vor dem Krieg in Syrien, Sudan oder Äthiopien flohen und fliehen.
Journal Freitag, 25. März 2022 – Wochenendfeiern in der Parallelwelt
Samstag, 26. März 2022GUT GESCHLAFEN! Nur zweimal aufgewacht, dazwischen fünf Stunden Schlaf am Stück gekriegt – und schon sieht die Welt ganz anders aus. (Also: besser, nur zur Sicherheit.)
Duschen mit aufgeschnittenem Finger ging ganz gut – aber zum Abtrocknen holte ich mir dann doch aus der Küche einen dünnen Gummihandschuh aus dem Vorrat fürs Chilli-Schneiden und Rote-Bete-Schälen, weil das durchgeblutete Pflaster die Handtücher vollgesuppt hätte.
Meine Hauptsorge war natürlich, ob die Wunde schnell genug heilen würde, dass ich am Wochenende Schwimmen gehen kann.
#609060 – der Pulli ist mein erster echter Missoni (gebraucht bei Sellpy gekauft).
Noch ein wolkenlos sonniger Tag, mittlerweile hat sich der März als trockenster seit Wetteraufzeichnungsbeginn erwiesen.
Unaufgeregter Arbeitstag. Mittags gab es Vollkornbrot mit Butter, Quark mit Joghurt.
Nach Feierabend spazierte ich durch ein Westend voller Menschen, die das milde Draußen genossen: Spielplätze und Wiesen wimmelten, vor allen Lokalen saßen Leute mit Sonnenbrillen (sogar auf der Nase statt München-typisch im Haar). Ich kaufte im Süpermarket Verdi fürs Abendessen ein, das gestern ich zubereiten durfte: Doraden und Spinat, noch verteidige ich frischen Fisch als meine Koch-Domäne.
Daheim aber erst mal eine Runde Yoga – mit viel Umfallen. Dann bereitete ich den frischen Spinat und die ebenfalls sehr schön frischen Doraden koch- und bratfertig vor (gegen suppendes Pflaster über Fingerschnitt trug ich wieder den Gummihandschuh), richtete erst mal den Aperitif an:
Whiskey Sour zu Kräuter-Oliven, eingelegtem Feta und Wurzelbrot.
Herr Kaltmamsell hatte sich in der Dämmerung auf den Balkon auf Vogelschau gestellt und bereits die ersten Fledermäuse gesehen – mir fehlte dazu die Ruhe.
Doraden angebraten und im Ofen fertig gegart, währenddessen Knoblauch in Olivenöl angebraten und Spinat darüber mit Deckel-zu zusammenfallen lassen. Wurde ein köstliches Abendessen, dazu gab es einen galicischen Albariño. Nachtisch Schokolade.
Traurige Nachricht: Cem Basman ist bereits Anfang Januar gestorben, einer der Blogger aus der Anfangszeit, zentrale Figur der Hamburger Bloggeria – @PickiHH nennt ihn “Mitbegründer der Hamburger Web 2.0 Szene”. Ich genoss viele Jahre die ruhige Klugheit seines Blogs, lernte gerne seine Familiengeschichte. Und zitierte erst vor gar nicht Langem mal wieder sein “Vogel fliegt. Fisch schwimmt. Ich blogge.” Wie schade, dass ich ihn nie persönlich traf. Hier ein ausführlicher Nachruf von Maximilien Buddenbohm, der das Glück hatte:
“Er war immer schon da.”
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Unter den vielen, vielen journalistischen Kommentaren zur Katastrophenlage und unserem Umgang damit hat mich dieser tatsächlich erreicht: Alexandra Augustin vom ORF liegt mit Corona im Bett und schreibt über
“Testament der Angst”.
Unser Sinn für die Realität hat sich verschoben. Das was gerade passiert werden wir erst Monate oder Jahre später verarbeiten und verstehen können. Die monatelangen Lockdowns. Die Schrammen am Körper und an der Seele. Europa – wieder einmal – im Ausnahmezustand. Alles fühlt sich so an wie die Restaurantszene „Terror at Lunch“ im dystopischen Spielfilm „Brazil“ von 1985 von Terry Gilliam.
In einer Szene sitzen ein paar schönheitsoperierte Damen in einem noblen Restaurant beisammen. Es wird ein groteskes Astronautenessen serviert, ein grünes, Kotze-ähnliches Püree. Echte Lebensmittel gibt es in dieser kaputten Zukunft nicht mehr. Ein zugehöriges Bild neben dem Teller zeigt jedoch das Gericht, welches diese Surrogat-Speise nachahmen möchte – geschmorte Kalbsbäckchen in Rotweinsauce. Der Geschmack einer längst vergessenen Zeit. Dann geht mitten im Lokal eine Bombe hoch. Das Orchester wird verletzt, doch es steht auf und spielt rußverschmiert weiter. Die Gesellschaft am Tisch ist kurz erschrocken, schnattert jedoch sogleich weiter, während ringsum verwundete Menschen und Körperteile herumliegen. Wir alle leben mittlerweile in einer solch brutalen Parallelwelt.
(…)
Die Reize stumpfen ab. Der Körper kann eine permanente Adrenalinausschüttung unter Stress nicht ewig aufrechterhalten. Man gewöhnt sich an Schreckensmeldungen.
(…)
Die Katastrophen der Welt fühlen sich mittlerweile so an wie Abschnitte auf einer Möbiusschleife: Alles ist eine Wiederholung der Wiederholung. Ich fühle mich schuldig. Ich sitze in einem stabilen Land. Ich kann nichts tun, nur Geld spenden. Kapital verschieben. Ich habe „nur“ Corona gehabt, so wie der halbe Freundeskreis mittlerweile auch. Das ist schon fast zum Lachen. Aber worüber darf man eigentlich noch lachen? Darf man die groteske Gegenwart sarkastisch kommentieren, in der wir unser Leben jonglieren müssen? Auf was soll man sich fokussieren, wenn sich die Welt so schnell dreht? Und wie soll man mit Empathie einer der größten Katastrophen der Gegenwart begegnen, wenn sie einem gleichzeitig abgesprochen und abgewöhnt wird?