Journal Dienstag, 8. März 2022 – Arztpraxis-GmbHs

Mittwoch, 9. März 2022 um 6:48

Etwas mehr Luft am Morgen für Bloggen und Herrichten, weil ich um acht erst mal zur nahe gelegenen Hausarztpraxis für mein Rezept spazierte (sonst gehe ich meist vor halb acht los in die Arbeit). Dort machte die Backoffice-Organisation schon mal einen guten Eindruck, die Angestellten wirkten sympathisch und fröhlich (alle mit FFP2-Masken statt der eigentlich nur vorgeschriebenen magisch antiviralen Plexiglas-Scheibe), einen der am Schild angeschriebenen Ärzte sah ich auf dem Gang vorbeilaufen (werden die immer jünger? bitte nicht antworten).

Die Praxis ist Teil einer GmbH, die sechs Praxen in München betreibt. Den ganzen Tag ging mir dieses eher neue System niedergelassener Ärzt*innen im Kopf herum. Mir als Laie erscheint das ausgesprochen praktisch, dass sich medizinisches Personal nicht mit Unternehmertum und wenig mit Verwaltung befassen muss, für das es nicht wirklich ausgebildet ist, sondern dass das zentral von einer Firma übernommen wird, die sich sehr wahrscheinlich auch um die Ausstattung der Praxen kümmert, inklusive Software und Wartung (diese konkreten Praxen haben eine wirklich geschickte Online-Terminverwaltung, die ich mir hatte erklären lassen), um Personalmanagement, Patientenorganisation etc. Dass sich das medizinische Personal auf die Medizin konzentrieren kann. Ärzt*innen müssen sich nicht zwischen einem Berufsweg in einem Krankenhaus (brutale Arbeitszeiten) und dem mühevollen Führen oder gar Aufbauen einer eigenen Praxis entscheiden, sondern können das Arbeiten in einer Praxis mit Anstellung kombinieren. Vielleicht ist das die eine positive Seite unserer sonst besorgniserregenden geschäftlichen Entwicklung im Gesundheitswesen? Allerdings kann ich mich nicht in die ärztliche Sicht auf dieses Konstrukt hineindenken. Privat kenne ich nur einen Kardiologen, der nach Jahrzehnten als Klinik-Arzt jetzt Teilzeit in solch einer Praxis arbeitet und das System super findet, weil es ihm so viel Freiheit gibt.

Durch weiterhin beißende Kälte marschierte ich ins Büro. Vormittags folgte eine Online-Besprechung auf die andere, dazwischen Live-Abstimmungen – ich kam nicht mal zu meinem Vormittags-Cappuccino.

Mittags schoss ich kurz raus, um mein Rezept einzulösen und bei der Gelegenheit weitere Medikamente zu besorgen – ich komme in das Alter, wo Apothekenbesuche unter “Shopping” fallen.

Bei dieser Gelegenheit ein kleines Kind getragen, war dann gar nicht schlimm. (Die Mutter kämpfte auf der U-Bahn-Treppe mit einem Kinderwagen, ich bot Hilfe an, sie drückte mir den Kinderwageninhalt in den Arm und trug den Wagen hoch.)

Zu essen gab es mittags Äpfel, außerdem ein Stück Kartoffel-Lauch-Quiche vom Vorabend.

Auch der Nachmittag im Büro hatte eine hohe Schlagzahl, ich musst mich zu Hochkonzentration und zum Durchhalten zwingen. Das geht schon mal, aber ich weiß, wie schnell und sehr es mich das als länger andauernder Zustand kaputt macht. Genauer: Gemacht hat, ein paar Mal zu oft davon gehörten zu den Faktoren, die mich zum Abbruch meines Berufswegs gebracht haben.

Heimweg nach Feierabend über einen ausführlichen Lebensmittel-Einkauf beim Vollcorner, es war etwas weniger kalt geworden. Daheim die letzte Folge Yoga des 30-Tage-Programms Move von Adriene, wie alle ihre letzten Folgen ohne Ansagen, nur mit Vormachen. Ging ganz gut, aber vom Asana Halbmond bin ich weiterhin weit entfernt.

Herr Kaltmamsell servierte zum Nachtmahl das Weißkraut aus Ernteanteil gebraten mit Nudeln, gut, warm und sättigend. Nachtisch Schokolade.

Die Buchung der Unterkunft in Berlin hatte nicht funktioniert, ich musste neu suchen. Hoffentlich klappt dieser zweite Versuch.

Abendunterhaltung eine weitere Folge Beforeigners. Ich merke, dass mein Interesse erlahmt; in der ersten Staffel war das für mich Spannendste das world bulding, also das geschickte Erzählen und Darlegen dieser fiktionalen Welt mit Zeitmigration. Das wird jetzt ja vorausgesetzt.

die Kaltmamsell

19 Kommentare zu „Journal Dienstag, 8. März 2022 – Arztpraxis-GmbHs“

  1. Corsa meint:

    Hier in RheinMain gibt es auch vermehrt sog. Medizinische Versorgungszentren. Ich teile Ihre Überlegungen zu Orga und Arzt als Unternehmer und habe den Eindruck, dass es schneller Termine gibt. Allerdings beobachte ich auch eine höhere Fluktuation der Ärzte. Das wiederum finde ich doof.
    In fernerem beruflichen Kontext sehe ich das systematische Aufkaufen von Praxen, insbesondere Radiologie und Augen.

  2. Gilette meint:

    Wenn die Orga vernünftig gemacht wird, kann das ein gutes Konzept sein. Leider sind aber die Inhaber der GmbHs idR am Profit interessiert und gründen deshalb diese Arztunternehmen, und das bedeutet, dass viel von dem, was ärztliche Leidenschaft und Engagement ausmacht, auf der Strecke bleibt (und letztlich damit viel an “Extras”, Zuwendung, Nachfragen), weil strikte Vorgaben zu abrechnenbaren Leistungen etc. herrschen. Sprich: Die “guten” Ärzte, die das nicht wollen/aushalten und sich eigenes Wirtschaften zutrauen, gehen, die anderen, die aus verschiedensten Gründen bleiben müssen, bleiben und mühen sich zwischen den Anforderungen, die sie erfüllen müssen, und dem, was sie sich eigentlich vorstellen an Empathie, Begleitung etc. Typische Adverse Selektion.
    Viele Ärzte klagen sehr darüber, dass sie das, weshalb sie Ärzte geworden sind, in solchen Unternehmen nicht mehr liefern und leisten können.
    Das Gesundheitssystem zwingt aber dazu, dass es Einzelkämpfer oder kleine Praxen nicht mehr geben kann.
    Daher bedauere ich das sehr. Die Nephrologie z.B. ist komplett so organisiert in Teilen der Republik, und das merkt man leider sehr.

  3. Frau Z. meint:

    In unserem Landkreis gibt es inzwischen auch viele Medizinische Versorgungszentren, die ärztliche Versorgung auf dem Land könnte sonst gar nicht mehr sichergestellt werden. Viele Ärzte gehen bald in Ruhestand und finden keine Praxisnachfolger.

  4. kecks meint:

    Hier die Sicht eines Münchner Tierarztes auf den Trend zur weitergehenden Ökonomisierung der Praxen: https://www.tierarzt-sommer.de/news-wissenswertes/investoren-in-der-tiermedizin-der-knochen-hat-eine-wahl/ (Kurzfassung: Seiner Meinung nach geht es dann nicht mehr um Gesundheit, sondern noch mehr nur um Profit.)

  5. die Kaltmamsell meint:

    Interessanterweise, Gilette, kecks, ist das exakt die Begründung meiner Ex-Hausärztin für die Abgabe ihrer kassenärztlichen Zulassung. Es braucht dringend eine grundsätzliche Abwendung vom Schwerpunkt auf Profitorientierung im Gesundheitswesen.

  6. Gaga Nielsen meint:

    Baby oder Kleinkind halten ist nicht viel anders als eine dicke, große Katze auf den Arm nehmen. Die ruckeln sich von selbst zurecht, wenn man sie falsch packt.

  7. Claudia meint:

    Meine Schwester ist Ärztin mit einer kleinen Hausarztpraxis mit 2 Angestellten. Sie schimpft manchmal schon sehr ob des Verwaltungsaufwandes, den sich ständig ändernden Abrechnungsvorgaben der Krankenkassen und ähnlichem. Sie sagt schon auch, daß sie zu dem, weshalb sie Ärztin geworden ist (Menschen zu helfen), manchmal kaum mehr kommt.
    …und das Thema Praxisnachfolge ist dann auch nicht einfach…

  8. die Kaltmamsell meint:

    Ich war überrascht, Gaga Nielsen, wie leicht das Kind sich trug. Bestand wohl hauptsächlich aus dick gefüttertem Schneeanzug.

  9. Gaga Nielsen meint:

    1 Kind wiegt wohl durchschnittlich ungefähr zwei- bis dreimal soviel wie 1 erwachsene Katze:

    Kind:
    11. Monat (44 Wochen) 8.700 g
    12. Monat (48 Wochen) 8.900 g
    1,5 Jahre 10,2 kg
    2 Jahre 11,5 kg

    Katze: 3,4 kg
    Kater: 4,3 Kg
    (Quelle: https://www.drhoelter.de/tierarzt/ernaehrungsinfos/ist-meine-katze-zu-dick.html#:~:text=Wenn%20Sie%20also%20wissen%20m%C3%B6chten,Kater%3A%204%2C3%20kg )

    Ich nehme Katze als grundlegende Gewichtseinheit, weil ich die öfter auf dem Arm hatte!

    Ein 1-jähriges Kind scheint auch ungefähr so viel zu wiegen wie ein Schulranzen (zu meiner Zeit, Anfang bis Mitte der Siebziger Jahre) in der dritten bis fünften Klasse. Nur so zur besseren Vorstellung!

  10. Croco meint:

    Unsere MVZs hier haben einen hohen Ärztedurchlauf. Frauen in Teilzeit und Männer aus ganz Osteuropa inclusive Moldawien und Syrien. Hausbesuche machen sie nicht, Ihr Deutsch und der einheimische Dialekt der alten Menschen sind nicht kompatibel. Sie haben eine Jobmentalität, ihr Gehalt ist fix und nicht so hoch wie das der Selbstständigen. Dafür sind sie nach einem Jahr schon wieder woanders.
    Die Praxen gehören Firmen aus dem Gesundheitsbereich, die die Orga gut im Griff haben.Teure Patienten will man nicht haben, man bekommt ja nur Geld für den Krankenschein.
    Die Finanzierung ist eine Schande. Wir haben das Gesundheitssystem dem Kapitalismus geopfert, wie andere Bereiche auch. Post, Bahn, Pflege, Krankenhäuser, Altenheime, alles, was Allgemeingut ist, soll plötzlich was abwerfen.
    Wollen wir das wirklich?

  11. Sabine meint:

    Sehr geehrte Frau Kaltmamsell, als großer Fan habe ich direkt an Sonntag die neue Staffel beforeigners durchgeschaut und würde für mich zusammenfassen “durchhalten lohnt” … schwierig was zu schreiben ohne zu spoilern. Schöne Grüße

  12. die Kaltmamsell meint:

    Es MUSS doch irgenwas dazwischen geben, Croco, zwischen der Hausärztin, von der komplette Deckungsgleichheit Leben und Job erwartet wird, für die Telefon das Maximum an erträglicher Technik ist – und der Dienst-nach-Vorschrift-Ärztin, angestellt bei einem Profit-orientierten Unternehmen.

  13. Croco meint:

    Ja, ich denke, dass der genossenschaftliche Gedanke hier vielleicht eine Rolle spielen könnte. Selbstständige Ärzte und Ärztinnen tun sich zusammen in einem Ärztehaus, haben eine gemeinsame Rezeption und Verwaltung, einen gemeinsamen Einkauf für Praxisbedarf, und stellen unter Umständen einen Arzt an, der die Notdienste und Hausbesuche macht.
    Theoretisch geht es, ich kenne aber keine hier in der Gegend. Vielleicht irgendwo in einer Großstadt? Und ohne Kapitalgesellschaft als Betreiber?
    https://de.wikipedia.org/wiki/Ärztegenossenschaft

  14. die Kaltmamsell meint:

    Ja, Croco, das sieht gut aus. Ich wüsste gerne, was für Ärzt*innen dagegegen spricht – sonst würde das Modell doch umgesetzt.

  15. kecks meint:

    Weil es die Notwendigkeit nicht gibt, wenn man eine eigene Praxis mit funktionierendem Management betreibt. Und das bekommen zumindest in München ja durchaus einige hin.

  16. Karin meint:

    @gaga: meine Katze wiegt 6 Kilo, der Kater meiner Eltern wog 9 – da sind wir vom Kleinkind nicht mehr ganz so weit weg ;)

  17. Frau Irgendwas ist immer meint:

    Den Kinderwageninhalt bekommt Frau in unserem Alter ja gerne mal in den Arm gedrückt … ist mir im berliner Großstadtschungel auch schon mehrmals passiert. Wahrscheinlich sind die jungen Mütter der Meinug mit dem Kinderwagen könne wir nicht mehr belastet werden, Kleinkindertragen kann jeder Mensch intuitiv, ja auch Männer!

  18. Poupou meint:

    Viele Jahre habe ich die Vorzüge eines MVZ genossen: unkomplizierte, gut erreichbare Terminvereinbarung, Ärztinnen, die aus drei Disziplinen eine gemeinsame Akte nutzten, die sich Blutabnehmen sparen konnten, weil die Kollegin das schon erledigt hatte und die Werte in der gemeinsamen Akte standen.

    Dann wechselte der Eigentümer und kurz drauf ergriff eine der Ärztinnen wegen unzumutbarer Arbeitsbedingungen und Vorgaben des Managements die Flucht, eine andere Abteilung wurde einfach geschlossen, so dass ich jetzt wieder Einzeltermine in diversen Einzelpraxen mache und Kopien von Blutbildern hin und her trage. So schade!

    LG
    Poupou

  19. Gaga Nielsen meint:

    @Karin: mir kam 3,4 bis 4,3 Kilo für eine erwachsene Mieze auch irgendwie wenig vor…

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