Journal Montag, 7. März 2020 – Ärztliche Treulosigkeit, Beifang aus dem Internetz

Dienstag, 8. März 2022 um 6:46

Ordentliche Nacht, nur wenige Male aufgewacht.

Als Herr Kaltmamsell fast zeitgleich mit mir aus seinem Zimmer kam, winkte er mich herein und zeigte mir: In den Kastanien vorm Fenster übernachtete ein großer Krähenschwarm; er hatte ihn entdeckt, als gerade ein Dutzend wegflog.

Ein grauer Tag. Auf dem Weg in die Arbeit schwebte alle paar hundert Meter eine Schneeflocke herab, so langsam, dass sie in der Luft zu stehen schienen – es war KALT.

Vormittags eine unangenehme Überraschung: Meine langjährige und geschätzte Hausärztin hat ihre kassenärztliche Zulassung abgegeben und behandelt nur noch Privatpatient*innen und Selbstzahlende. Das erfuhr ich, als ich turnusmäßig in der Praxis anrief, um meinen Bedarf nach einem Rezept anzukündigen. Die Praxis-Website, auf die ich für Hintergründe verwiesen wurde, nennt einen allgemeinärztlichen Übernehmer der Patientenkartei, den ich gleich anrief: “Grüß Gott, mein Name ist Kaltmamsell, ich war bis vor zwei Minuten Patientin bei Frau Allgemeinärztin.” Dass die Angestellte am Telefon daraufhin lachte, macht diese Praxis ja schon mal sympathisch. Dienstagmorgen gehe ich hin, stimme der Übernahme meiner Daten zu und bekomme hoffentlich das Rezept (knapp kalkuliert, für Mittwoch habe ich schon nichts mehr – künftig rechne ich solche Verzögerungen zur Sicherheit ein).

Mittags gab’s Äpfel (aus Ernteanteil und besonders köstlich: mit Kirscharoma!) und eine Kürbiskernsemmel, die vom samstäglichen Frühstück übrig war.

Uuuuuund wieder lustiges Jacke-an-Jacke-aus/Fenster-auf-Fenster-zu-Ballett auf der klimakterischen Körpertemperatur-Achterbahn. Mein Körper gaslighted mich.

Über den Tag immer wieder Sonne, der Büroturm am Heimeranplatz entwickelt sich. (Und das Sheraton am Heimeranplatz gibt es wohl nicht mehr: Ich entdeckte schon vor Wochen, dass das stattliche rote Logo entfernt worden war, die Fenster sind dunkel.)

Der Heimweg war wieder beißend kalt, ich merke, dass ich langsam ungehalten werde über die Notwendigkeit von Wintermantel, dicker Mütze und dicken Handschuhen. Einkaufsabstecher im Drogeriemarkt.

Zu Hause sortierte ich mal wieder anderthalb Meter Bücher aus – so schön! Es gibt so viele Bücher, die ich noch lesen möchte, da ist es ausgesprochen unwahrscheinlich, dass ich Märchenbücher aus Kinderzeit, die gesamten Dörrie-Romane und -Kurzgeschichten oder Dumas’ Graf von Monte Christo in der gebrauchten Buchclub-Ausgabe vom Flohmarkt vermissen werde.

Nochmal die Runde Yoga vom Sonntag, wieder interessant.

Herr Kaltmamsell hatte fürs Nachtmahl restliche Kartoffeln und Lauch aus Ernteanteil in eine wundervolle Quiche verwandelt.

Abendunterhaltung: Die zweite Staffel Beforeigners ist da, Herr Kaltmamsell hatte sie am Wochenende gleich mal gesichert. Wir guckten die erste Folge.

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CNN berichtet, wie die Redaktion Bilder und Videos von Social Media prüft, die angeblich aus dem Ukraine-Krieg kommen – an einem konkreten Beispiel (so machen das praktisch alle seriösen Redaktionen):
“How CNN geolocates and verifies social media footage from Ukraine”.

via @stedtenh0pp1A

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Simon Borowiak musste von 2000 bis 2005 um die Behandlung seiner Transiden­tität kämpfen. In der taz schreibt er drüber – ziemlich lustig und mit überraschenden Details.
“Aus dem Leben eines trans Mannes”.

via @vonhorst

Abgesehen von der extremen Erleichterung durch die körperliche Anpassung kann ich endlich tun, was mir bisher verwehrt wurde. Zum Beispiel zur Wahl bei „Deutschlands unbegehrtester Junggeselle“ antreten. Und: Transsein ist bewusstseinserweiternd. Weil ich jahrzehntelang im inner circle von Frauen lebte und mit diesem Geheimwissen nun im inner circle von Männern – da lernt man beiderlei interne Sozialgesetzgebung kennen und die jeweiligen Mätzchen zu durchschauen.

Man bekommt einen Röntgenblick auf den Geschlechterzirkus. Auch fit haltend: Es kommt vor, dass ich mit meinem Status quo ante und der jetzigen Außenwirkung inkongruent bin. Zum Beispiel verlor ich früher in Disputen gern die Geduld. Und war mein Gegenüber männlich und unsympathisch, beendete ich das Gespräch mit einem aggressiven: „Wollen wir vor die Tür?“

Das war schon ernst gemeint, aber ich konnte mich ja darauf verlassen, dass schlimmstenfalls gelacht wurde. Dieses alte Wutmuster ist mir jüngst noch mal unterlaufen; erst als sich mein schrankgroßes Gegenüber erhob, wurde mir klar, dass ich da etwas vergessen hatte.

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Mal ein ganz anderer Handwerker-Besuch, nämlich bei Gaga Nielsen:
“23. Februar 2022”.

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Ein herrliches Portrait der 90-jährigen Rita Moreno mit Interview:
“Rita Moreno is Just Getting Started”.

Achtung, West Side Story-Spoiler – aber die Fotos! Wieder ein schönes Beispiel, dass Jugendlichkeit keine Bedingung für Schönheit ist. Aber unbedingt auch die alten Life-Fotos anklicken.

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Der eigentliche Sündenfall. Naturwissenschaftlich betrachtet.

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https://youtu.be/TnLdO3PYZHM

die Kaltmamsell

5 Kommentare zu „Journal Montag, 7. März 2020 – Ärztliche Treulosigkeit, Beifang aus dem Internetz“

  1. Renate meint:

    Dieses Quiche Rezept für Kartoffeln und Lauch würde mich schon sehr interessieren.
    Vielen Dank im Voraus.

  2. Lempel meint:

    Ärzte, die nur Privatpatienten behandeln, meide ich als Privatpatientin strikt. Ich befürchte, dass man mich dort in erster Linie nicht als Patientin wahrnimmt, sondern vorrangig als Gewinnerlös durch Anwendung unnötiger Therapien.

  3. Philine meint:

    Herzlichen Dank für den Hinweis auf die 2.te Staffel Beforeigners. Wird ganz bald geschaut.

  4. Croco meint:

    Hihiii. Wir gucken seit Tagen Beforeigners, zuerst dei alten Staffeln, jetzt die neuen in der Mediathek. Ich glaube, die letzten beiden muss ich nochmal, da ging mir alles zu schnell.
    Danke für den Text des Transmannes.
    Es würde mich tatsächlich interessieren, wie es sich anfühlt, ein Mann zu sein.
    Dass einen dann keiner unterbricht, wäre doch schon mal was. Und dass man im Dunkeln überall rumlaufen kann ohne angemacht zu werden, klingt auch attraktiv.
    An der Uni und später gab es schon Veranstaltungen mit fast keine Frauen. Da wurde man schnell vergessen und hat dann erlebt, wie sie sich verhalten, wenn keine Frauen da sind.
    Ich glaube nicht, dass ich das immer haben wollte.

  5. Herr Kaltmamsell meint:

    Die Quiche war eine Quiche für ~800g Gemüse, im Original irgendetwas anderes, aber hier mussten Lauch und Kartoffeln weg. Aus “Delicious Days” von Nicole Stich: Ein schöner Teig aus 125g Quark (40%), 125g kalter Butter in Stückchen, 1/2 TL Salz, 200g Mehl schnell gemixt, dann eine halbe Stunde in den Kühlschrank. 35 Minuten bei 170 Grad Umluft. Die Füllung: 6 Eier, 200g Crème fraîche, 50g Käse, 2 EL Mehl (alles verrührt) – und halbgares Gemüse. Bei mir alles dann ein bisschen abgewandelt.

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